American Horror Story – Review

Dylan McDermott im Geisterhaus – von Michael Brandes

Rezension von Michael Brandes – 31.10.2011, 17:04 Uhr

Larry Harvey – kein wirklich sympathischer ZeitgenosseRay Mickshaw/​FX
Ben wird in der Pilotfolge als durchaus ambitionierter Familienvater umschrieben, der seine Schwächen für junge Frauen bekämpfen und sich innerhalb der Familie rehabilitieren will. Um mehr Zeit mit Vivien und Violet verbringen zu können, empfängt er seine Patienten zuhause. Hier hat er sich eine kleine psychiatrische Praxis eingerichtet – was dafür sorgt, dass täglich weitere problematische Charaktere im Haus ein- und ausgehen. Zum Beispiel Tate Langdon (Evan Peters): Den jungen Mann, der von Gewaltphantasien heimgesucht wird, hält Ben für eine tickende Zeitbombe. Bei einem heimlichen Gang durchs Haus lernt Tate Violet kennen. Er beobachtet, wie sie sich vor dem Spiegel Schnittwunden am Unterarm zufügt. Violet und Tate freunden sich an, sie plaudern über Morrissey und Kurt Cobain. Auch Ben macht bald eine neue Bekanntschaft: Larry Harvey (Denis O’Hare), ein ehemaliger Hausbewohner, dessen linke Gesichtshälfte entstellt ist, lauert ihm wiederholt beim Joggen auf. Harvey hatte offenbar versucht, das Haus abzufackeln und sich dabei schwere Verbrennungen zugefügt. Er warnt Ben vor dem Haus. Hartnäckig, aber vergeblich.

Um diese Figurenkonstellation herum türmt der von Ryan Murphy mit einem hohen Stilisierungsgrad inszenierte Pilotfilm eine ganze Reihe von Mysterien auf. Mehrere Wochen oder gar Monate vergehen bereits in der ersten Folge, die trotz ihrer geradezu minimalistischen Bilder ein hohes Erzähltempo vorlegt und die Psychologie der Figuren auch ohne viele Worte vorantreibt. Ben leidet sichtlich unter dem seit einem Jahr gestörten Verhältnis zu Vivien und verzweifelt geradezu an der hartnäckigen Haltung seiner Frau. Doch er spielt weiter mit dem Feuer, was sich nicht nur im anbahnenden Verhältnis zu Moira widerspiegelt. Wiederholt verwendet Ryan Murphy zu Bens Charakterisierung symbolträchtige Flammenbilder. Beim Schlafwandeln wird Ben von Vivien nackt vor dem Kaminfeuer entdeckt. „Bin ich auf einem Trip?“, fragt er verwirrt. Dominanter als Ben wirken in dieser Familie die beiden Frauen: Vivien agiert sehr impulsiv und wird nach einem Streit auch mal handgreiflich. Nach einem weiteren Krach bekommt Ben später seinen lang herbeigesehnten Versöhnungssex. Die Eheprobleme scheinen bereinigt. Wenig später hat Vivien im ehelichen Bett Geschlechtsverkehr mit einem schweigsamen Mann, den sie für Ben hält. Er steckt in einem Ganzkörper-Latexkostüm. Das Paar hatte die S/​M-Kluft kurz zuvor auf dem Dachboden entdeckt. Eine Parallelmontage führt jedoch zumindest die Zuschauer auf eine andere Fährte, denn Ben spielt zur gleichen Zeit wieder mit dem Feuer. Er dreht den Gasherd auf und beobachtet die Flammen. Plötzlich steht Constance neben ihm: „Deine Zeit ist noch nicht reif“, mahnt sie.

Ein gehöriges Explosionspotential steckt auch in der völlig angstresistenten Violet, die inmitten ihrer Selbtfindungsphase keinerlei Konfrontation aus dem Weg geht. Lässig schlendert sie ganz in sich gekehrt rauchend über den Schulhof – ein Anblick wie in einem Godard-Film. In die Realität zurückgeholt wird sie von der aggressiven Mitschülerin Leah (Shelby Young), die nach einem Grund für einen Streit mit der Neuen sucht. Als die Situation zu eskalieren beginnt, übernimmt die kompromisslose Violet jedoch sofort die Kontrolle, bespuckt ihre Rivalin und läuft lachend davon. Als sie später von Leah und ihrer Mädchenclique verprügelt wird, entwickelt sie mit Tate einen Racheplan: Sie lockt Reah unter dem Vorwand des Drogenkonsums in den Keller ihres Hauses.

Nachbarin Constance weiß mehr über das Haus, als sie erzähltRay Mickshaw/​FX
Dass Murphy und Falchuk aus Violet kein armes Mobbingopfer machen, ist ein gutes Einzelbespiel für die Qualitäten der beiden Autoren. Wie in vorherigen Serien geht das Duo jeder naheliegenden Drehbuch-Variante aus dem Weg und ist stets bemüht, die Story mit überraschenden Wendungen und bisweilen auch radikalen Lösungen auf möglichst originelle Art voranzubringen. Was sich alles in „American Horror Story – Die dunkle Seite in dir“ schon in der ersten Episode ereignet, wäre in anderen Produktionen langatmig auf etliche Episoden ausgewälzt worden. Inhaltliche Auslassungen und Handlungssprünge verlangen hier nach einem mitdenkenden Publikum, das keinen Wert darauf legt, jede Szene noch einmal mit Hilfe von geschwätzigen Dialogen oder Off-Kommentaren erklärt zu bekommen. Auf diese Weise gestaltet sich die stark bildorientierte Erzählstruktur sehr effizient. Der Überblick über das Geschehen bleibt dabei stets gewahrt, der Pilot wirkt insgesamt sehr aufgeräumt und gut sortiert.

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