24: Live Another Day – Review

TV-Kritik zum Comeback von Jack Bauer – von Marcus Kirzynowski

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 06.05.2014

Jack Bauer (Kiefer Sutherland) ist wieder da: Diesmal verschlägt es den Einzelgänger nach London.

Die Welt dreht sich unaufhörlich weiter. Nur nicht im US-amerikanischen Networkfernsehen – da scheint die Zeit schon seit Jahren still zu stehen oder sich sogar ab und an um einige Jahre zurückzustellen. Während die wachsende Konkurrenz der Kabel- und Pay-TV-Sender jede Saison eine Fülle hochklassiger neuer Serien mit ungewöhnlichen Prämissen, vielschichtigen Figuren und innovativen erzählerischen Konzepten an den Start bringt, versuchen die traditionellen Mainstreamsender weiterhin, ihr schwindendes Publikum mit immer mehr des immer Gleichen bei der Stange zu halten. Und wenn ihnen nach der zwanzigsten Krimi- und dreißigsten Familien-Comedyserie gar nichts mehr einfällt, graben sie halt einfach die Konzepte wieder aus, die sich in der Vergangenheit schon einmal bewährt haben.

Kurz bevor NBC 2015 sein „Heroes“-Reboot startet, erlebt deshalb also auf FOX Jack Bauer alias Kiefer Sutherland sein „24“-Comeback, diesmal in Form einer „begrenzten Eventserie“ – was immer das heißen mag. Denn natürlich haben sich alle Beteiligten schon mal das Hintertürchen Richtung Verlängerung offen gehalten, falls die Quoten das erlauben. „24: Live Another Day“ ist also in Wahrheit nichts anderes als die neunte Staffel der Spionage-Actionserie, nur eben, den geänderten Marktgesetzen und der gewachsenen Vorsicht der Senderbosse angepasst, mit halbierter Staffellänge. Rein logisch müsste das Ganze deshalb auch „12: Live Another Half Day“ heißen, aber das klingt natürlich nicht halb so gut. War ursprünglich noch die Rede davon, die Handlung würde sich wieder über 24 Stunden erstrecken, wobei einige Stunden zwischen den Episoden übersprungen würden, sind die Autoren letztlich nämlich doch dem Echtzeitprinzip treu geblieben, weswegen Bauer nun von 11 Uhr morgens bis 11 Uhr abends unterwegs ist.

Jack schießt sich mit Chloe (Mary Lynn Raiskub) wie gewohnt seinen Weg frei.
Vier Jahre sind vergangen, seit der ursprüngliche Run der Serie nach 192 Folgen endete. Vier Jahre sind auch in der Serienrealität vergangen. Ex-Superagent Jack Bauer lebt im Untergrund, seitdem er bei seinen ehemaligen Auftraggebern von der US-Regierung endgültig in Ungnade gefallen ist. Als er plötzlich in London wieder auftaucht, hat er natürlich prompt die halbe CIA am Hals. Zumal gerade Präsident James Heller (William Devane) auf Staatsbesuch bei Premierminister Alistair Davies (Stephen Fry) ist. Seltsamerweise schöpft nach Bauers Festnahme im Londoner CIA-Büro nur die dickköpfige Agentin Kate Morgan (Yvonne Strahovski) Verdacht, Bauer könne vielleicht ganz andere Absichten haben – und das, obwohl seine einzige verbliebene Vertraute aus CTU-Zeiten, Chloe O’Brian (Mary Lynn Rajskub), gleich nebenan inhaftiert ist. Naja, Glaubwürdigkeit war ja noch nie die Stärke von „24“.

Eine Explosion später sind Bauer und O’Brian wieder vereint und auf freiem Fuß. Die Computerspezialistin arbeitet inzwischen für eine politische Hackergruppe ? la ‚Anonymous‘ – deren Hauptquartier eher wie das Loft eines hippen Internet-Start-Ups in Berlin-Mitte aussieht -, denn „Geheimdienste tun böse Dinge und man muss die Welt darüber aufklären“. Genau, vom Saulus zum Paulus, so einfach stellen sich Fernsehautoren in den USA manchmal das Leben vor. Bauer hat dafür nur ein Stirnrunzeln übrig, denn der wahre Feind steht natürlich immer (noch) außerhalb des westlichen Systems – ob diesmal in Russland, im Nahen Osten oder in China, werden wir dann sicher spätestens um 5.00 P.M., also nach der Hälfte der Folgen, wissen.

Falls jemand so lange durchhält, denn genauso antiquiert wie Bauers Weltbild wirkt auch die Inszenierung seines TV-Comebacks. Die Produzenten um „Homeland“-Koschöpfer Howard Gordon, Evan Katz und Manny Coto haben sich formal nichts, aber auch gar nichts Neues einfallen lassen: die Split-Screens, die Einblendungen der Digitaluhr, das dramatische Ticken – alles ist wieder da und sieht noch aus wie 2001 (bis auf den CTU-Klingelton, den sich damals Millionen Menschen auf ihr erstes Handy luden). Aber was damals innovativ war, wirkt heute nur noch wie ein lahmes Selbstzitat. Was auch wieder da ist, sind die Schießereien, die Explosionen, die Rettungen in letzter Sekunde, das atemlose Hetzen von einem Schauplatz zum nächsten. Der Auftakt der Staffel wirkt dadurch so abgedroschen wie der letzte James-Bond-Film „alter Schule“ (der passender Weise „Die Another Day“ hieß). Während aber die 007-Produzenten irgendwann gemerkt haben, dass ein Reboot längst überfällig war, ist Sutherland praktisch Pierce Brosnan in seiner Bond-Spätphase – nur ohne dessen Charme und Selbstironie. Jack Bauer ist der vielleicht letzte verbliebene Charakter im US-Dramafernsehen, der sich nie ändern wird, der auch mit knapp 50 Jahren noch unüberlegt alles auf eine Karte setzt und sich lieber eine Kugel einfängt als aufzugeben, der unbeirrbar vermeintlich den amerikanischen Traum verteidigt, den die US-Behörden selbst schon längst verraten haben – und dem dazu alle Mittel recht sind. Im wahren Leben wäre so einer der Erste, der über die Klinge springt. War Bauer kurz nach 9/​11 vielleicht noch der richtige Seriencharakter zur richtigen Zeit, ist er 13 Jahre später nur noch ein Anachronismus – wie im Grunde die ganze Fortsetzung.

Ach ja, und dann ist da noch William Devane, dessen James Heller man schon aus früheren Staffeln kennt. Inzwischen ist Heller Präsident und leidet an einem frühen Stadium von Alzheimer. Und wie er nach dem Tod zweier britischer Soldaten in Afghanistan durch „friendly fire“ einer US-Drohne mit seinem Stabschef Mark Boudreau (Tate Donovan) seine Rede vor dem Unterhaus probt, wie der erfahrene Politiker sich nicht eingestehen will, dass seine Demenz sein politisches Geschick längst zunichte macht, das ist dann zwischendurch tatsächlich mal eine berührende Szene, in der gutes Scriptwriting und gutes Schauspiel zusammenfinden. Was bei „24“ mittlerweile so selten geworden ist, wie sich Russland und die USA in der wahren Welt einig sind.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Folgen von „24: Live Another Day“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: FOX

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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