Prosit, deutsche „Sesamstraße“! 50 Jahre Samson, Tiffy, Herr von Bödefeld und Co.

Rückblick auf die erfolgreichste Serie für Kinder im Vorschulalter

Dennis Braun
Dennis Braun – 08.01.2023, 09:17 Uhr (erstmals veröffentlicht am 17.12.2022)

Drei Generationen der „Sesamstraße“: (v. l.) 1982, 1997 und 2012 – Bild: IMAGO/United Archives|IMAGO/teutopress|NDR/Thorsten Jander
Drei Generationen der „Sesamstraße“: (v. l.) 1982, 1997 und 2012

1989–1999: Bühne frei für Rumpel, Simson, Buh und Co.

Da die Produzenten nach dem Großbrand schon 1989 wieder neue Folgen drehen wollten, entschied man sich für eine optische Runderneuerung. So entstand eine völlig neue Kulisse, die mit kleinen Veränderungen ein ganzes Jahrzehnt überdauern sollte und auch die Kindheit des Autors dieses Specials maßgeblich prägte. Dazu gehörten ein Fahrradladen für Schorsch, ein Bistro, ein Waldstück und eine Höhle, die Samson bewohnte. Dieser wurde nun von Matthias Bullach gespielt, der ihm eine ziemlich hohe Stimmfarbe gab und ihn im Gegensatz zu seinen Vorgängern äußerst kindlich wirken ließ. Während Marita Stolze weiterhin (und noch bis zum Jahr 2000) für Tiffy verantwortlich zeichnete, spielte Finchen nun Wilhelm Helmrich, der auch der Puppe Elvis aus „Hallo Spencer“ Leben einhauchte. Die Schnecke war ab sofort deutlich häufiger in der „Sesamstraße“ zu sehen und gehörte damit zur Stammbesetzung.

Dazu stieß außerdem der Griesgram Rumpel, der in einer Regentonne wohnte und von Joachim Hall, dem Puppenspieler von Spencer aus „Hallo Spencer“, gespielt und gesprochen wurde. Er war ein sehr streitbarer Charakter, spielte den anderen gerne Streiche, besaß eine Menge Schadenfreude und wurde so zu einer der beliebtesten Figuren der 90er Jahre. Den Baum rechts neben Samsons Höhle bewohnte die Eule Buh, die nicht nur nachtaktiv, sondern auch sehr musikalisch war und für ihr Leben gern Trompete spielte. Mit Friedrich Wollweber lieh ihr ein weiterer aus „Hallo Spencer“ bekannter Puppenspieler die Stimme, dort hatte er dem Jungdrachen Poldi zum Kultstatus verholfen. Für Gastauftritte besuchte auch Samsons Vetter Simson (Lutz Wiggert) die „Sesamstraße“, der schon in den 80er Jahren in der „Lilo-Ära“ aufgetreten war – wenn auch nur selten. Er war frech, forsch und stets auf seinen Vorteil bedacht und übernahm somit den eindeutigen Gegenpart zum gutmütigen, fast schon treudoofen Samson.

Die erste Besetzung der Fahrradladen-Ära: (von links oben) Samson (Matthias Bullach), Pingel (Gunnar Dressler), Schorsch (Gernot Endemann), Simson (Lutz Wiggert), (von links unten) Rumpel (Joachim Hall), Buh (Friedrich Wollweber) und Leonie Löwenzahn (Andrea Bongers), die später ihre eigene Serie erhielt und dann Leonie Löwenherz hieß. Es fehlt Tiffy (Marita Stolze).IMAGO/​United Archives

Insgesamt 49 neue Folgen liefen ab dem 3. Januar 1990 knapp ein Jahr lang wöchentlich im Mittwochnachmittagsprogramm im Ersten. Da Hildegard Krekel nicht mehr zur Verfügung stand, war nur in dieser Staffel Gunnar Dressler als Aushilfsverkäufer Pingel an der Seite von Gernot Endemann als Schorsch zu sehen. Auf dem Sendeplatz am Freitagnachmittag liefen noch bis Februar 1994 weitere Folgen mit Rahmenhandlungen aus den 80er Jahren, die neue Muppet-Clips und Realgeschichten enthielten – zusätzlich auch bis März 1995 im NDR.

Im Jahr 1991 wurde die Rolle der Bettina reaktiviert, die nun von Kirsten Sprick porträtiert wurde. Sie führte ein kleines Bistro neben Tiffys Haus und war auch künstlerisch begabt. Schorsch und sie waren gleichzeitig elterliche Ansprechpartner für die Puppenfiguren. Weitere menschliche Charaktere kamen hinzu: Opa Brass (Ferdinand Dux), ein älterer Seemann im Ruhestand, der schon 1986 in der letzten Staffel der „Studio-Ära“ dabei gewesen war, besuchte nun hin und wieder die „Sesamstraße“. Die vornehme Dame Ida Maxfeld (Rosemarie Wohlbauer) trat als Stammkundin von Schorschs Laden in Erscheinung, Wachtmeister Schnapp machte Gauner wie Peter Heinrich Brix und Hans Werner Olm in Gastrollen dingfest, die diesen nicht nur einmal ausrauben wollten. Ab und an waren auch die modebewusste Hilde Bommel, Spitzname „Bommelchen“, und Opa Brass’ Frau, die er stets „Lady Brass“ nannte, zu sehen.

Die zentralen Schauspieler und Figuren ab 1991: (v. l.) Bettina (Kirsten Sprick), Samson (Matthias Bullach), Schorsch (Gernot Endemann), Rumpel (Joachim Hall) und Tiffy (Marita Stolze)IMAGO/​teutopress

Ein Jahr später wurden die Kostüme von Samson und Tiffy leicht überarbeitet: Samsons Fell war nun zweifarbig und Tiffy hatte einen sehr weißlichen Körper. Die Schnecke Finchen wurde darüber hinaus nun von Uta Delbridge gespielt und gesprochen. Mit Beginn der 1993er-Staffel schlüpfte der Opernsänger Klaus Esch ins Samson-Kostüm und drückte dem freundlichen Bären in den folgenden Jahren seinen Stempel auf: Dank seiner tiefen, sonoren Stimme, der Rückkehr seines Ausrufs „Uiuiui“ und seiner verspielten Art lieferte er die in unseren Augen überzeugendste Leistung aller Samson-Spieler ab. Nicht umsonst ist Esch nun mit Unterbrechungen seit 30 Jahren dabei – wenngleich Samson heutzutage nur noch selten auftritt. Am 8. Januar 1993 zeigte Das Erste anlässlich des 20. Geburtstags der deutschen „Sesamstraße“ eine Spezialfolge, in der Schorsch, Bettina, Samson, Tiffy und Co. ein großes Fest feiern.

Während die Erstausstrahlungen ab März 1994 auf den Sonntagmorgen wanderten, gab es markante Änderungen erst wieder 1995, als der Innenhof optisch verändert und erweitert wurde: Tiffys Haus machte Platz für ein größeres, offenes Bistro und neben Rumpels Tonne stand nun ein Schuppen, in den der Musiker Mucke (Wolfgang Gerdes) für zwei Jahre einzog, mit dem sich der Griesgram vor allem über Musik trefflich streiten konnte. Senta Bonneval schlüpfte bis 1999 in die Rolle der Helmi, die eine kleine Pension bewirtschaftete und sich unermüdlich um ihre Gäste kümmerte. Mit Jivana (Vijak Bayani) stieß darüber hinaus erstmals eine Protagonistin mit Migrationshintergrund zur Besetzung. Sie fuhr ein Rikscha-Taxi, mit dem sie beispielsweise Helmis Gäste transportierte, und war Samson, Tiffy, Finchen und Co. mit ihrer forschen, jugendlichen Art eine gute Freundin. Opa Brass bezog indes eine kleine Kajüte unweit der Pension und wohnte dort tagsüber, sodass er fortan in deutlich mehr Rahmengeschichten vorkam.

Rumpel-Spieler und Sprecher Joachim Hall war zu dieser Zeit übrigens auch vor der Kamera in der „Sesamstraße“ zu sehen: In einer Realgeschichten-Reihe spielte er den Vater Fritz, der mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern in einem Doppeldeckerbus durch die Stadt fuhr, wobei die Sprösslinge in jeder Folge etwas über die Gefahren im Straßenverkehr lernten. im Obergeschoss des Busses befand sich eine Modellstadt, an der die Kinder mittels Joysticks die erlebten Abenteuer nachspielen konnten. Hinter der Kulisse wohnten die beiden „Straßenmäuse“ Bine und Kurt, die der Vater gerne verjagen wollte, aber sie letztlich doch in Ruhe ließ. Am Ende einer Episode packten die Mäuse ihre Instrumente aus und spielten ein Lied über das Thema der Folge. Produziert wurde die Reihe in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr und dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat.

Joachim Hall (r.) in der Verkehrserziehungs-Reihe „Die Straßenmäuse“NDR/​Screenshot

Im Oktober 1995 gab es eine Frischzellenkur für die Puppen: Das neue Samson-Kostüm unterschied sich beispielsweise stark von seinem Vorgänger und hatte nun fast schon ein Teddybär-Gesicht, Tiffys Tüll- wich einer Federfrisur, die deutlich lebendiger war, auch die Felle von Rumpel und Buh wirkten nun wesentlich gepflegter. 1996 verabschiedete sich Mucke aus der „Sesamstraße“, sein Nachfolger Alex (Alexander Geringas) bezog danach den zum Proberaum umfunktionierten Schuppen und bemalte diesen mit diversen „Sesamstraße“-Motiven in Graffiti-Form.

Die „Sesamstraße“ anno 1997: (von links oben) Tiffy (Marita Stolze), Samson (Klaus Esch), Buh (Friedrich Wollweber), Rumpel (Joachim Hall), (von links unten) Alex (Alexander Geringas), Bettina (Kirsten Sprick), Jivana (Vijak Bayani), Finchen (Uta Delbridge), Schorsch (Gernot Endemann), Opa Brass (Ferdinand Dux) und Helmi (Senta Bonneval)IMAGO/​teutopress

Am 11. Januar 1998 veranstaltete der Kinderkanal ab 12:00 Uhr einen großen Thementag zum 25-jährigen Jubiläum, der von Franziska Rubin moderiert wurde, die Schorsch alias Gernot Endemann, Samson und Rumpel im Studio begrüßte. Neben den „Monstermeisterwerken“ mit Highlights der vergangenen 25 Jahre, einer Hitparade, Dokumentationen und drei Klassiker-Folgen wurde auch die Sondersendung „Am Anfang war das A“ gezeigt. Als skurriler Professor Schmitt-Hindemith führte Kabarettist Piet Klocke darin in einer komischen Collage die Zuschauer durch die Historie der deutschen „Sesamstraße“. Im Bistro traf er auf Samson, Finchen, Buh, Rumpel und natürlich auch auf ihre Freunde Schorsch, Bettina, Jivana, Alex und Co. Zahlreiche Rückblenden ließen die letzten 25 Jahre Revue passieren. Doch eigentlich wollte der Professor den erzieherischen Hintergrund dieser einzigartigen Straße untersuchen. Nur verhielten sich die verrückten Monster nicht ganz so vorbildartig, wie Schmitt-Hindemith es sich vorstellte. Als Überraschungsgast trat Blümchen alias Jasmin Wagner mit dem „Sesam-Jam“ auf.

Die „Fahrradladen-Ära“ endete schließlich im Jahr 1999, die letzte Folge hieraus (Nr. 1980) wurde allerdings erst am 8. Februar 2000 im NDR erstausgestrahlt.

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