Prosit, deutsche „Sesamstraße“! 50 Jahre Samson, Tiffy, Herr von Bödefeld und Co.

Rückblick auf die erfolgreichste Serie für Kinder im Vorschulalter

Dennis Braun
Dennis Braun – 08.01.2023, 09:17 Uhr (erstmals veröffentlicht am 17.12.2022)

Drei Generationen der „Sesamstraße“: (v. l.) 1982, 1997 und 2012 – Bild: IMAGO/United Archives|IMAGO/teutopress|NDR/Thorsten Jander
Drei Generationen der „Sesamstraße“: (v. l.) 1982, 1997 und 2012

1978–1988: Willkommen im „Studio Sesamstraße“

Am 2. Januar 1978 startete ein brandneues Konzept: In einer Kulisse, die mehr ein offenes Haus etwa mit einer Küche samt Theke und Hockern statt eine Wohnstraße war, begrüßten nun zwei neue Puppen und ein Duo aus zwei Schauspielern die Kinder. Zuerst waren dies Liselotte Pulver, genannt Lilo, und Henning Venske. Für die beiden Puppen reiste eigens der Henson-Mitarbeiter und amerikanische Puppenbauer Kermit Love mehrere Wochen durch Deutschland, um sich bei der Gestaltung von Figuren inspirieren zu lassen, die dem deutschen Wesen entsprachen. So entstanden Samson und Tiffy, die bis 1985 von Peter Röders und seiner damaligen Frau Kerstin Siebmann-Röders gespielt und geprägt wurden.

Bei Samson handelte es sich um einen Bären mit zotteligem braunem Fell in Form einer schwingend aufgehängten Puppe, bei der der Körper nach dem Hosenträger-Prinzip frei schwingend an einem Gestell hängt, während der Kopf durch ein Schultergestell getragen wird. Puppenspieler Röders und seine Nachfolger sahen über einen im Kopfinneren angebrachten Monitor, wohin sie sich bewegten. Da es trotz mehrerer Ventilatoren extrem heiß im Kostüm wurde, konnte man es darin nur etwa 20 Minuten am Stück aushalten. Samson war gekennzeichnet durch seinen häufigen Ausruf „Uiuiui“, sein gutmütiges Wesen und seine Vorliebe für Würstchen, gebrannte Mandeln und vor allem sein Schnuffeltuch, ohne das er sich niemals in seine heißgeliebte Hängematte legte.

Tiffy hingegen war eine vogelartige rosa Klappmaulpuppe mit einem anfänglich steifen Tüllgeflecht als Frisur, deren größtes Hobby das Reparieren von Weckern war. Dabei war stets nur ihre obere Hälfte sichtbar – wurde die zweite Hand einmal gebraucht, wurde diese von Martina Klose gespielt. Ursprünglich sollte sie übrigens Konstanze heißen und nicht rosa, sondern bräunlich und eulenartig aussehen. Nach vier nicht ausgestrahlten Pilotfolgen wurde die Figur kurz vor Drehstart jedoch gewechselt und bekam den Namen Tiffy.

Ein Bestandteil des neuen Konzepts der Rahmenhandlung war es, hinter die Kulissen des Fernsehens zu blicken, also die Regie- und Kamera-Arbeit sowie die (damaligen) Möglichkeiten visueller Trickverfahren aufzuzeigen und ins Geschehen einzubinden. So konnten die „Bewohner“ jederzeit trockenen Fußes auf die Südseeinsel wandern und danach die Regie bitten, das Wasser einzublenden. Man sprach zudem ganz offen über das „Studio Sesamstraße„, in dem des Öfteren auch Kameramänner zu sehen waren.

Bereits im ersten Jahr stieß mit Herrn von Bödefeld eine weitere Figur zum Ensemble, die bis heute die einzige ist, die je in Deutschland angefertigt wurde. Samson-Darsteller und Puppenbauer Peter Röders hatte sie in seinem Atelier zum Leben erweckt und bei den Amerikanern erfolgreich erwirkt, sie in die deutsche „Sesamstraße“ einziehen zu lassen. Herr von Bödefelds Vorname war Uli (dabei spielte ihn Benita Steinmann und lieh ihm auch ihre Stimme), doch er wollte von allen stets gesiezt werden – er präsentierte sich allgemein als eindeutiger Negativcharakter. Seine Konfrontationen mit den übrigen Protagonisten, affektiertes Sprechen und Gebaren wie ständiges Haare-Zurückstreichen oder eitles Kopf-in-den-Nacken-Legen unterstrichen diesen, weshalb er damals die Fans der Sendung in zwei Lager spaltete, heute aber allgemein Kultstatus genießt. Die Puppe besaß eine blassrosa Farbe, eine Art Nasenbärschnauze – obwohl es sich laut eigener Aussage um ein Meerschweinchen handelte -, eine orangefarbene Rastafrisur und dürre Ärmchen zum korpulenten Körper. Wie bei Tiffy war immer nur der obere Teil der Puppe sichtbar. Zunächst wollte man sie Herr von Blödefeld nennen, strich aber letztendlich das erste „L“ aus dem Namen.

Die Besetzung im „Studio Sesamstraße“ ab 1982: (von links oben) Samson (Peter Röders), Tiffy (Kerstin Siebmann-Röders), Finchen (Lothar Klose), Herr von Bödefeld (Benita Steinmann), (von links unten), Ute Willing, Manfred Krug, Liselotte Pulver und Horst JansonIMAGO/​United Archives

1980 kam mit Horst Janson und Ilse Biberti, die ein Jahr später von Ute Willing abgelöst wurde, ein zweites Moderationspaar hinzu. Henning Venske schied aus der Sendung aus, seinen Part an der Seite von Lilo Pulver übernahm nun Uwe Friedrichsen. Darüber hinaus zog die Schnecke Finchen ein, die bis 1984 von Lothar Klose gespielt wurde. Dank ihr und besonders Herrn von Bödefeld entstanden zahlreiche abwechslungsreiche Geschichten, in denen sich die Puppen und ihre menschlichen Bezugspersonen hervorragend ergänzten. Der letzte Neuzugang in dieser Ära war 1982 Manfred Krug als neuer Spielpartner für Lilo Pulver, der des Öfteren auch Horst Janson an der Seite von Ute Willing vertrat. Die Studio-Kulisse veränderte sich ein wenig, so bekam der Palmengarten einen neuen Look und aus der Remise wurde ein Kiosk, in dem Manfred Krug Würstchen verkaufte. Auch diverse prominente Gaststars traten auf.

Dennoch machten sich erste Einsparmaßnahmen bemerkbar: So streute man während dieser Staffeln auch Rahmengeschichten der zurückliegenden vier Jahre für neue Folgen ein, die teilweise um neue Muppet-Clips ergänzt wurden. Einen letzten Höhepunkt stellte die 1000. Folge dar, die am 26. Januar 1985 im Ersten ausgestrahlt wurde. Diese kam aus dem Zirkus Althoff und wurde vor Publikum aufgezeichnet, neben den bekannten deutschen Puppen und Schauspielern führte der extra aus den USA angereiste Bibo durch die Gala.

Mit Folge 1026 lief am 27. Juli 1985 die vorerst letzte Erstausstrahlung, ehe bis Herbst 1986 nur noch Rahmengeschichten, die zwischen 1978 bis 1984 entstanden waren, wiederholt wurden. Die Redaktion der Sendung stellte aus alten Geschichten des klassischen „Lilo-Studios“ neue Sendungen zusammen und fügte teils neue Muppet- sowie Realgeschichten hinzu. Ab Anfang November 1986 waren insgesamt 31 neue Folgen zu sehen, in denen es zu großen Veränderungen kam: Gernot Endemann als Schorsch und Hildegard Krekel als Bettina beerbten als neues Moderationspaar ihre Vorgänger, während nun Herbert Langemann ins Samson-Kostüm schlüpfte. Tiffy wurde fortan von Marita Stolze gespielt und gesprochen. Die Wände des Studios samt Küchenecke bekamen einen frischen (blauen) Anstrich, zudem gab es eine Werkstatt für Schorsch und ein Häuschen für Tiffy. Herr von Bödefeld war in dieser Staffel lediglich in vier Folgen und damit auch letztmalig in der „Sesamstraße“ dabei, da seine Lizenz nicht mehr verlängert wurde.

In den folgenden Jahren kam es zu zwei einschneidenden Ereignissen: Im November 1987 verstarb Puppenspieler Langemann überraschend im Alter von gerade mal 37 Jahren, nur wenige Monate später ereignete sich ein folgenschwerer Großbrand in einem Außenlager der Buxtehuder Studios des NDR. Sämtliche Kulissen verbrannten dabei, sodass für längere Zeit keine neuen Rahmenhandlungen produziert werden konnten. Also griff man notgedrungen auf die schon bekannte Maßnahme zurück und zeigte bis Ende 1989 Folgen mit älteren Geschichten des „Lilo-Studios“, erneut teilweise ergänzt durch neue Muppet- und Realgeschichten.

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