Collien Ulmen-Fernandes über VIVA: „Wir sind ohne inhaltliches Briefing in stundenlange Live-Sendungen gegangen!“

Interview über Erfolgsrezept, Schattenseiten und Niedergang des Musiksenders

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 30.11.2023, 14:30 Uhr

Collien Ulmen-Fernandes MDR/​Florida Factual/​Tom Ballschmieter

fernsehserien.de: Zur Geschichte von VIVA gehören auch die „Comet“-Verleihungen, die du mehrfach moderiert hast. Waren das für dich jährliche Highlights?

Collien Ulmen-Fernandes: Ja, der „Comet“ war für so einen kleinen Sender natürlich ein Riesending, das auch einige Millionen gekostet hat. In einer ausverkauften Arena in Oberhausen so eine große Preisverleihung als Live-Fernsehshow zu stemmen, das war schon aufregend für VIVA und entsprechend waren alle Beteiligten auch sehr nervös. Diese Show war mehr im Scheinwerferlicht der Presse und wurde anders beachtet, während wir in den regulären VIVA-Sendungen meistens weitgehend unbeobachtet vor uns hinwurschteln konnten [lacht].

Eine bestimmte „Comet“-Verleihung ist besonders legendär. Da hast du in deinen Moderationen nicht mit Spitzen gegenüber so manchen Künstlern gespart. Wie kam es dazu?

Collien Ulmen-Fernandes: Ich würde das gar nicht unbedingt Spitzen nennen [lacht]. Eine Moderation war zum Beispiel: Wenn man Menowin Fröhlich einlädt, weiß man nie, ob er tatsächlich kommt. Das war damals öfter der Fall, dass er einfach nicht zu Terminen und Sendungen erschienen ist. Ich habe halt einfach unverblümt solche Dinge rausgehauen, ohne beleidigend zu sein. Das war für mich genau das, was das frühere VIVA ausgemacht hat. Ich habe mit ein paar Leuten von damals beschlossen: Es ist eine Live-Sendung und wir machen das jetzt einfach so, wie wir es früher gemacht hätten. Die damaligen neuen Chefs fanden das weniger gut und ich habe danach auch richtig Ärger bekommen. Aber wenig später haben sie mir einen Stapel Papier präsentiert und mich gefragt, ob ich wisse, was das sei. Als ich verneinte, erklärten sie: Das ist der Pressespiegel über den diesjährigen ‚Comet‘ und wir hatten viel mehr Presse als je zuvor. Dann haben sie mich gefragt, ob ich im nächsten Jahr wieder den „Comet“ moderieren möchte.

[lacht] Letztendlich hast du also genau das Richtige gemacht. Du hast schon erwähnt, dass sich das Klima bei VIVA verändert hat, als andere Leute das Ruder übernommen haben. Gab es aus deiner Sicht weitere Gründe dafür, weshalb VIVA kontinuierlich an Bedeutung verloren hat?

Collien Ulmen-Fernandes: Ja, es gab zahlreiche Faktoren, die zu dem Niedergang beigetragen haben. Denen gehen wir in der Dokumentation sehr dezidiert auf den Grund – und dazu gibt es sehr unterschiedliche und auch widersprüchliche Statements. Meine Redaktion hat alle Leute interviewt, die in einer Verantwortungsposition und in Entscheidungsprozesse involviert waren. Es gab sicherlich viele Urheber des Untergangs. Ein Aspekt war, dass die Werbezeiten hochgeschraubt wurden. Das spielte natürlich mehr Geld ein. Wenn dann aber gefühlt alle fünf Minuten der Crazy Frog über den Sender läuft, nervt das natürlich ungemein. Diese Klingeltonwerbung hat auch mich selbst massiv fertig gemacht. Online schreiben mir zurzeit viele Leute: Der Crazy Frog war der Niedergang von VIVA. Und ich weiß, was sie meinen.

In den 90ern und 2000ern war es für Popstars sehr wichtig, bei VIVA stattzufinden. Ihr habt den Künstlern eine Bühne geboten, sie unterstützt und gepusht. Inzwischen hat sich die Musikwelt durch Streaming massiv gewandelt. Große Shows wie „The Dome“, die „BRAVO Super Show“ oder auch die „Echo“-Verleihung gibt es schon lange nicht mehr. Gibt es keinen Bedarf mehr, weil sich heutzutage alles auf TikTok und Spotify abspielt?

Collien Ulmen-Fernandes: Ich glaube schon, dass Musik im Fernsehen nach wie vor funktioniert. An dieser Stelle möchte ich mich sehr bei VOX für „Sing meinen Song“ und die zugehörigen Künstler-Porträts bedanken. Ich finde es toll, dass sie das ausprobiert haben, und diese Sendung zeigt, dass Musik im Fernsehen auch heute noch funktioniert. Denn Musik ist mit Emotionen verknüpft und kann gar nicht davon losgekoppelt werden. Auch die „Chart Show“ mit Olli Geissen gibt es ja immer noch. Ich finde, man sollte sich ruhig trauen, wieder mehr Musikformate im Fernsehen zu zeigen.

Wenn es VIVA heute noch geben würde und du eine eigene Musikvideo-Playlist zusammenstellen könntest, welche dürften darin auf keinen Fall fehlen?

Collien Ulmen-Fernandes: Wenn es rein um die Musikvideos geht, dann muss „Imitation of Life“ von R.E.M. dabei sein. Das ist ein wunderschönes, sehr originelles Musikvideo, in dem die gleichen 20 Sekunden immer wieder vor- und zurückgespielt werden. Ansonsten gehören „Black Hole Sun“ von Soundgarden und „Smack My Bitch Up“ von The Prodigy zu meinen Lieblingsmusikvideos. Und natürlich alles von der Band OK Go. Die machen wahnsinnig kreative Musikvideos. Legendär ist das zu „Here It Goes Again“. Ein richtiges Kunstwerk!

Vielen Dank für das offene und wirklich sehr spannende Gespräch über deine Zeit bei VIVA!

Zum 30. Geburtstag von VIVA am 1. Dezember wird in der ARD Mediathek sowie auf ardkultur.de die dreiteilige Dokumentation „Die VIVA Story – zu geil für diese Welt!“ veröffentlicht, die den Aufstieg, Triumph und Fall des Senders ergründet. Sie ist ab sofort abrufbar.

Deluxe Music zeigt ab 7. Dezember von 19 bis 21 Uhr die Sondersendung „Deluxe 2000 by Collien“ mit Markus Kavka und Collien Ulmen-Fernandes.

Anlässlich des letzten Sendetages haben wir Ende 2018 einen ausführlichen Rückblick auf die Geschichte von VIVA veröffentlicht: VIVA Forever – ein Sender, der mehr als nur Musikfernsehen war

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Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    Ich hab mir am Wochenende die VIVA-Doku angeschaut und bin absolut begeistert. Es war inhaltlich interessant und auch sehr gut gemacht. Im Vergleich zu anderen Shows, wo irgendwelche Leute irgendwelche Ausschnitte möglichst 'originell' kommentieren, haben hier nur Leute gesprochen, die wirklich etwas beitragen konnten. Und es wirkte auch ehrlich und nicht nur schön geredet.

    Man hatte das Gefühl, wie auf einem Klassentreffen Leute wieder zu sehen und hat gleichzeitig etwas erfahren über die Zeit, Musik und das Lebensgefühl der 90er. Besonders toll fand ich, dass die ARD hier dann auch passende Ausschnitte gezeigt hat, obwohl es ja um einen privaten Fernsehsender ging. Solche gelungenen Retrospektiven würde ich mir häufiger wünschen! Kompliment an die Macher & Mitwirkenden.
    • (geb. 1972) am

      Mir fehlt VIVA ganz ehrlich
      Deluxe Music ist da kein Ersatz aber so ist das eben, alles hatte seine Zeit
      • am via tvforen.de

        Immerhin hat sich mittlerweile dankenswerterweise durchgesetzt, dass man das Archivmaterial für solche Sachen im 4:3-Format ohne es aufzuzoomen zeigt. Bei "Wetten dass" war das zwar leider mal wieder nicht so gemacht, aber hier ist es gut. Aus dem Grund hatte ich mir solche Sendungen sonst überhaupt nicht angeschaut. Jetzt werd ich mir das gern mal ansehen.

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