Der Musiksender MTV hat zahlreiche Musikstrecken aus dem Programm genommen.
Bild: MTV
Ohne vorige Ankündigung, aber mit unvermissverständlichen Andeutungen in der Songauswahl der letzten Tage hat der deutschsprachige Ableger des Musiksenders MTV mit Beginn dieser Woche sein Programm großflächig umgeworfen. Kuratierte Genresendungen, monothematische Musikstrecken und die aktuellen Charts haben bei MTV all ihre Sendeplätze verloren. Womit MTV die Zeit fortan füllt …
Nach einigen Tagen bemerkenswerter Themensendungen mit ungewöhnlicher Musikauswahl lässt der deutschsprachige MTV-Ableger kaum einen Stein auf dem anderen und hat beginnend mit dieser Woche seine Programmstruktur großflächig verändert. Der Musiksender, der zuletzt meist von 0 bis 20 Uhr Musikvideos gesendet hat, hat die meisten seiner Musikstrecken aus dem Programm genommen – darunter auch all jene, die sich mit Musikgenres abseits des Mainstream-Pops befasst haben.
Die freitagnachts gezeigten Musikstrecken „Party Zone“ und „Chill Out Zone“, die einst schon in den 1990er-Jahren zum MTV-Programm gehörten und seit 2022 jede Woche Musikvideos aus Techno, Trance, House, Ambient, TripHop, Psytrance und mehr ins Fernsehen (zurück)brachten, haben ihren Sendeplatz mit sofortiger Wirkung verloren.
Ebenfalls aus dem Programm genommen wurden mit Beginn dieser Woche die ab Mitternacht gezeigten Genre-Musikstrecken „MTV Rockzone“ für Punk, Indie und Alternative, „Headbangers Ball Music“ für Heavy Metal und Hard Rock, „Alternative Nation“ für alternative Musikstile, „MTV Amour“ für R&B und Soul, „Yo! MTV Raps: Playlist“ für Rap und HipHop sowie „Dancefloor“ für Partymusik. Auch die nachts gezeigte Sendung „MTV Uncensored“ mit Musikvideos für Erwachsene sowie die „Deutschstunde“ mit deutschsprachigen Songs fallen weg.
Eine Auswahl der nun beendeten Musikstrecken von MTV MTV/Screenshot
Musikstrecken wie „Brand New“ und „MTV Approved: Artists To Watch“, die neuen Songs und aufstrebenden Künstlern Sendezeit widmeten, sind ebenfalls Geschichte. Auch die monothematisch kuratierten Sendungen „MTV All Nighter“, „MTV Collection“ und „3 from 1“, die in jeder Ausgabe Musikvideos zu einem bestimmten Thema, Genre und Künstler zeigten, fallen nun vollends weg. Von den einstigen Themenschwerpunkten am Wochenende fehlt in den künftigen Programmplänen jede Spur.
Während zur Primetime weiterhin „SpongeBob Schwammkopf“, „Daria“ sowie MTV-Reality- und -Unterhaltungsformate aus den USA das Programm prägen, gehen die Musikstreckenkürzungen sogar soweit, dass selbst die Chartsendung „MTV Most Wanted“, die täglich die offiziellen deutschen Single-, Album- und Radio-Charts sowie die britischen und US-amerikanischen Charts vorstellte, aus dem Programm genommen wird. Auch „Chart Flashback“, der Blick in die Charts einer Kalenderwoche vor etlichen Jahren, ist abgesetzt worden.
Im Musikprogramm von MTV verbleiben künftig lediglich die inhaltlich unspezifischen Musikreihen „MTV In The Mix“ und „Guess the Year“ sowie die nach Dekaden eingeteilten Sendungen „MTV 80s“, „MTV 90s“ und „MTV 00s“. Mit diesen fünf Programmpunkten füllt MTV – je nach Wochentag – künftig knapp 19 bis 24 Stunden am Tag. Für Fans der kuratierten Genre-Reihen und der dort gesendeten Musikvideoraritäten bedeutet das Runterbrechen des gesamten Musikprogramms auf fünf vage Musikstrecken einen erheblichen Verlust an Einzigartigkeit und Abwechslung im deutschsprachigen Programm von MTV.
Tagelange Andeutungen auf Umbruch
Dass es zu einem schwerwiegenden Umbruch im MTV-Programm kommen würde, hat MTV zwar nicht angekündigt, doch zahlreiche Themenschwerpunkte und Playlists der letzten Tage ließen bereits aufhorchen: Eine „MTV All Nighter“-Ausgabe zu Deutschrap wurde Anfang des Monats kurzfristig durch eine Huldigung an „The Art of Music Video“ ersetzt. Eine weitere monothematische Nacht zu Kylie Minogue entfiel zugunsten einer elfstündigen Strecke aus „Party Zone“ und „Chill Out Zone“. Die werktags gezeigte „MTV Collection“ widmete sich die gesamte letzte Woche lang dem Thema „I want my MTV“ – eine ikonische Zeile aus dem Rocksong „Money for Nothing“ von Dire Straits – und zeigte in der letzten Ausgabe mit „Video Killed the Radio Star“ auch das allererste Musikvideo, das jemals auf MTV lief.
Viele Songs der letzten Woche wiesen zudem eine thematische Nähe zu Abschieden und Enden auf. Die Häufung von Titeln wie „The Bitter End“, „Soll das alles sein?“ und „Don’t Look Back in Anger“ mutete wie ein Abschiedsbrief an Connoisseure des Musikfernsehens an. Mit selten gespielten Skurrilitäten wie „Oh Shit – Frau Schmidt“ von Der Wolf und „Gern hätt’ ich den Mann geküsst“ von Lilo Wanders bewies MTV in den letzten Tagen auch, dass es redaktionell kuratierten Playlists weitaus besser als manch einem Streaming-Algorithmus gelingen kann, ein Publikum mit Musiktiteln zu überraschen.
Lilo Wanders im Musikvideo zu „Gern hätt’ ich den Mann geküsst“ MTV/Screenshot
Einsparungen zuletzt schon beim britischen MTV
Dass dieses Publikum jedoch nicht allzu groß war, offenbart auch ein Blick auf die Einschaltquoten: Mit Marktanteilen von zuletzt 0,1 % beim Gesamtpublikum und 0,2 % bei den 14- bis 49-Jährigen spielt MTV – ebenso wie der Konkurrenzsender Deluxe Music – eine so geringe Rolle im TV-Markt, dass es wohl nur eine Frage der Zeit war, bis die verbliebenen MTV-Zuschauer Einschnitte im Programm zu spüren bekommen.
Auch andernorts sind Einsparungen im MTV-Programm zu beobachten: Der britische Ableger hat diesen Sommer die beiden Eigenproduktionen „Fresh Out“ und „Gonzo With Jack Saunders“, die auch im deutschen Programm gesendet wurden, eingestellt. Der Betrieb von Musikfernsehen soll unter dem Dach des Medienkonzerns Paramount Global, dessen Fusion mit Skydance Media erst vergangene Woche abgeschlossen wurde, offenbar bloß nicht mehr kosten als nötig. Mit dem Ende kuratierter Musikstrecken im deutschen MTV-Programm scheint solch eine Devise nun deutlicher denn je auch hierzulande umgesetzt zu werden.
Kommentare zu dieser Newsmeldung
Winslow (geb. 2001) am
Boah die ganzen Abschiedslieder machen das ja noch trauriger.
Flapwazzle am
Mit dem Start von YouTube war MTV bereits überflüssig. Die Marke hat sich mit Reality und MTV Studios, die nichts mehr mit Musik zu schaffen haben, bis heute irgendwie gerettet. Letztlich macht der Name aber genauso wenig Sinn wie der noch kommunizierte Name von Sport1.