NDR Story Folge 136: Unser Apfel – Masse statt Klasse?
Folge 136
Unser Apfel – Masse statt Klasse?
Folge 136 (45 Min.)
Fast wie geklont liegen die Äpfel in den Verkaufsregalen der Supermärkte und sehen aus wie „Supermodels“: perfekt, makellos, knackig. Es ist Ware für einen internationalen Markt, in dem zu viel Vielfalt einfach nur stört. Früher hatte jede Region ihre eigenen Lieblingssorten. Allein in Deutschland wurden über 3.000 Apfelsorten kultiviert. Doch mittlerweile spielen im Supermarkt nur noch zehn bis 15 von ihnen eine wirtschaftliche Rolle. International vermarktete „Clubsorten“ verdrängen die Traditionsäpfel aus den begehrten und knappen Regalflächen im Supermarkt. Mit Namen wie „Pink Lady“ wird der simple Apfel vom Baum zum Marken- und Lifestyleprodukt. In der modernen Apfelwelt gilt: frisch ist, was frisch aussieht. Wie alt ein Apfel wirklich ist, hat den Kunden nicht zu interessieren. Die Chemie macht es möglich, durch das Wundermittel einer Dow-Chemical-Tochterfirma. Es wirkt wie ein Jungbrunnen für die Früchte, unterliegt aber keinerlei Kennzeichnungspflicht. Der Kunde
erfährt also nie, warum der von ihm gekaufte Apfel auch nach Monaten noch makellos und nicht verschrumpelt in der Obstschale liegt. Ist der Apfel wirklich frisch? Oder lag er schon fast ein Jahr lang im chemischen Dämmerschlaf? Gegen die Entwicklung am Apfelmarkt schlägt Pomologe Eckart Brandt Alarm: „Wenn wir nicht aufpassen, verlieren wir unsere jahrhundertealte Apfeltradition“, mahnt er. Die Zeit drängt, denn der letzte Baum einer Sorte, der altersschwach umkippt, ist ein verlorener genetischer Schatz. Viele von Eckart Brandts alten Apfelsorten kommen nämlich ganz und gar ohne die heute übliche „Chemiekeule“ aus. Es liegt allein in der Hand der Verbraucher, ob man wieder eine breitere und gesündere Auswahl von Äpfeln im Angebot finden kann. Aber solange alle nur auf ein makelloses Äußeres, süßen Geschmack und knackigen Biss achten und solche Äpfel rund ums Jahr essen wollen, solange darf man sich nicht darüber wundern, dass auf dem Apfelmarkt mehr Masse als Klasse zu finden ist. (Text: NDR)