Verrückte Jahre, Folge 15–26

  • Folge 15
    16. Januar 1920: Produktion, Transport und Verkauf von Alkohol werden in den USA von heute auf morgen verboten. Doch der verordneten Moral folgt maßloses Trinken: Alkoholsünder schleichen zu getarnten Kneipen, klopfen in Hinterhöfen an unscheinbare Türen. Gucklöcher gehen auf, Codeworte werden geflüstert. Eine halbe Million Amerikaner werden bis 1930 verhaftet. Auch Al Capone muss vor Gericht: „Ich verkaufe nur Bier und Whiskey an ehrbare Bürger“, sagt der Gangster den Richtern ins Gesicht. „Leute wie Sie sind meine besten Kunden.“ Kriminalität, Schwarzhandel und Korruption feiern ein rauschendes Fest. 1933 wird das Gesetz aufgehoben. Alkohol ist heute weltweit die legale Droge Nummer eins. (Text: Phoenix)
  • Folge 16
    30. Oktober 1922: Benito Mussolini besucht die Mailänder Scala, fährt dann per Zug nach Rom – mit Verspätung. Pathetisch lässt Mussolini den Bahnhofsvorsteher verkünden: „Ab sofort haben alle Züge pünktlich zu fahren.“ Pünktlichkeit in Italien – die Nation tobt vor Begeisterung. Ordnung und Sicherheit verspricht der faschistische Frontkämpfer. Der begeisterte König erteilt Mussolini den Auftrag zur Regierungsbildung, vom Parlament erhält er eine Generalvollmacht. Ein tragischer Irrtum: 23 Jahre später wird Mussolini auf dem Domplatz in Mailand von ehemaligen Gefolgsleuten gehängt. Statt zu alter Größe führte er das Land in die Niederungen des Faschismus. Bis heute leidet Italien unter dieser nationalen Katastrophe – und Rechtsextreme sind weiterhin im Parlament. (Text: Phoenix)
  • Folge 17
    26. November 1922: Bei Luxor, im „Tal der Könige“, herrscht ehrwürdige Stille. „Zuerst sah ich nichts“, erinnert sich Howard Carter. „Dann tauchten aus dem Staub Einzelheiten auf: Tiere, Statuen, überall glitzerndes Gold.“ Der Hobby-Archäologe entdeckt das völlig unberührte Grab des Tutenchamun, die Mumie des vergessenen Pharao: Hände über die Brust gekreuzt, Augen nach oben gerichtet, seit 3.300 Jahren zur Ruhe gebettet. Es ist die sensationellste Entdeckung des Jahrhunderts. Sie beflügelt die Phantasie der Menschen und lässt sie noch heute von vergangenen Reichtümern träumen. Ägypten wird zum Mekka der Alterstumsforscher. (Text: Phoenix)
  • Folge 18
    Der Abend des 8. November 1923: Mehr als 3.000 Menschen drängeln sich im dunklen Münchner Bürgerbräu-Keller. NS-Führer Adolf Hitler wartet sichtlich nervös vor dem Versammlungssaal, stürmt um 20:30 Uhr mit gezogener Browning hinein. „Er rannte zum Rednerpult, schoss mit dem Revolver in die Decke“, erinnert sich Augenzeuge Günther Grassmann. Hitler erklärt die bayerische Regierung für abgesetzt. Einfach so. Grassmann: „Mir kam das alles extrem komisch vor. Wie ein Kasperltheater.“ Drei Monate später wird dem Putschisten der Prozess gemacht. Das Urteil: Fünf Jahre Festungshaft. Im Gefängnis schreibt Hitler das Pamphlet „Mein Kampf“. Neun Monate später wird er entlassen, neun Jahre später Reichskanzler: Eine Machtübernahme mit verheerenden Folgen für Deutschland und die Welt – durch jenen Mann, den zur rechten Zeit keiner ernst nahm. (Text: Phoenix)
  • Folge 19
    21. Januar 1924: Wladimir Iljitsch Lenin, erster Regierungschef Sowjetrusslands, stirbt. Auf diesen Tag hat Josef Stalin sehnlichst gewartet. Als ZK-Generalsekretär schaltet er alle Konkurrenten um die politische Führung aus. „Der Stählerne“ nimmt sogar Leo Trotzki, dem Gründer der Roten Armee, alle Parteiämter, jagt ihn ins Exil und lässt ihn Jahre später ermorden. „Stalin fühlte sich als allmächtiger, geheimnisvoller Gott“, so Schriftsteller Ilja Ehrenburg. Fast 30 Jahre ist Stalin Herrscher der UdSSR. Mit Terror erzwingt er Gefolgschaft, lässt Millionen töten. Seine Gräueltaten zeigen, was Diktatoren einem Volk antun können. Beispiel von heute: Nordkorea. (Text: Phoenix)
  • Folge 20
    Die große Suche nach dem Glück: Ein Vagabund zieht in einem Goldgräberzug westwärts – behauptet sich gegen Alaskas grimmige Kälte und rauhe Sitten ungehobelter Kerle, besiegt den Hunger mit seinem Stiefel, verspeist ihn mit den feinsten Tischmanieren: 1925 hat Chaplins Film „Goldrausch“ in New York Premiere. „Ein einziger Mann auf dieser Welt kann Menschen fünf Minuten ununterbrochen zum Lachen bringen“, jubelt BBC-Sprecher Uncle Rex: „Charlie Chaplin!“ Seine Komödien bringen Hollywood Ruhm und Geld. Dieser Stadtteil von Los Angeles steht weltweit und bis heute für die Sehnsucht der Menschen, dem Alltag zu entfliehen. (Text: Phoenix)
  • Folge 21
    Dem Publikum im Théatre des Champs-Élysées stockt der Atem: Auf der Bühne steht ein Mädchen, schlank, dunkelhäutig, fast vollkommen nackt. Um ihre Hüften wippen – Bananen! Josephine Baker, 19 Jahre, Amerikanerin. In der Fassungslosigkeit setzt Musik ein. Und mit ihr ein Tanz, den selbst die Pariser noch nie gesehen haben: Erotik und Exotik pur. Der temperamentvolle Tanz trifft den Nerv der Zeit. Wie ein Fieber verbreitet sich der Charleston über Europa – Shimmy, Foxtrott und Onestep folgen. Die schwarze Venus wird zum Sinnbild der „wilden 20er-Jahre“. Das Jahrhundert, in dem fast alle Tabus brechen, hat begonnen. (Text: Phoenix)
  • Folge 22
    Mitten in der Nacht steht Charles Lindbergh auf, fährt zum Flugplatz. „Ich darf nicht länger warten“, sagt er sich. Eine Wolkendecke hängt über Long Island, der Regen hat das Flugfeld in eine Rutschbahn verwandelt. Schwerfällig hebt die Maschine ab, knapp überwindet sie eine Telegrafenleitung, verschwindet dann im Nebel. Lindbergh kämpft gegen Wind, Wetter und Übermüdung – für den ersten Alleinflug über den Atlantik. Nach einer Ewigkeit entdeckt er Fischerboote, schreit hinunter: „Wo geht’s nach Irland?“ – Keine Antwort. Nach 33,5 Stunden landet Lindbergh in Paris – die Menschen feiern seinen Mut. Das Flugzeug wird zum fortschrittlichsten Verkehrsmittel, Kontinente verlieren ihre Dimension. Hunderte Maschinen pendeln heute täglich über den Atlantik. (Text: Phoenix)
  • Folge 23
    Der Londoner Bakteriologe Alexander Fleming macht Urlaub. Eine Kulturschale, in der er Bakterien angesetzt hatte, bleibt aus Versehen auf dem Arbeitstisch liegen. Winzige Pilzsporen landen in der Kultur. Als Fleming nach drei Wochen zurückkehrt, sind alle Bakterien in der Umgebung des Schimmelpilzes abgestorben. Der Forscher untersucht das Phänomen – und kommt einer Substanz auf die Spur, die viele Erreger schwerer Infektionskrankheiten tötet. Flemings Unachtsamkeit ist die Mutter einer der größten medizinischen Entdeckungen des Jahrhunderts: Penizillin. Im Zweiten Weltkrieg überleben Soldaten Verletzungen, die im Ersten noch tödlich waren. Bakterien haben ihren größten Schrecken verloren – heute hofft die Medizin auf einen ähnlichen Glücksgriff im Kampf gegen Viren, zum Beispiel AIDS. (Text: Phoenix)
  • Folge 24
    New York, 25. Oktober: Leute, die gestern noch Millionäre waren, verhökern den Schmuck ihrer Frauen. Der Grund: Die Kurse an der Börse fallen ins Bodenlose, Panik greift um sich. Tumult auch auf der Straße: Wütende Kleinanleger versammeln sich in der Wallstreet. An diesem einen Tag werden mehr als 16 Millionen Aktien verschleudert, 5.000 Banken erklären sich für zahlungsunfähig, neun Millionen Sparguthaben existieren nicht mehr. Gesamtverlust: 50 Milliarden Dollar. Es kommt zur ersten Weltwirtschaftskrise. Am Ende des Jahrhunderts prosperiert der Aktienmarkt, Wertpapiere werden zur Rücklage für jedermann. Doch der Einbruch 1987 hat erneut gezeigt: Den großen Börsen-Crash kann es immer wieder geben. (Text: Phoenix)
  • Folge 25
    Der alte Mann schlägt ein Tuch um seinen ausgemergelten Körper. Auf einen Stock gestützt bricht er auf, will zu Fuß die Küste am Arabischen Meer erreichen, 200 Meilen in 24 Tagen: Mahatma Gandhi. „Ich will das britische Volk durch Nicht-Gewalt bekehren“, sagt er leise, „es so zur Erkenntnis des Unrechts führen, dass man Indien zugefügt hat.“ Tausende schließen sich unterwegs an. Am Strand von Dandi angekommen, sammelt er demonstrativ Salzkristalle auf. Mit diesem symbolischen Akt verletzt Gandhi bewusst das britische Salzmonopol – die Kolonialmacht England wird ins Mark getroffen. Sein Verstoß endet 14 Jahre später mit der Unabhängigkeit Indiens, der größten Demokratie der Welt. Gandhis ziviler Ungehorsam wurde Vorbild für viele im 20. Jahrhundert, zum Beispiel für die deutsche Friedensbewegung – passiver Widerstand statt Randale. (Text: Phoenix)
  • Folge 26
    Stunde um Stunde steht der unbekannte Arbeitslose an diesem kalten Wintertag auf der Straße. Mehr als sechs Millionen Deutsche haben keinen Job, viele betteln vor Fabriktoren um Arbeit. Enttäuschte Hoffnung schlägt in Resignation um. Als Hitler an die Macht kommt, gibt es in der Waffenindustrie und im Autobahnbau plötzlich wieder Beschäftigung – eine zweifelhafte Leistung lullt die Massen ein.
    Weltweit ist heute die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die größte politische Herausforderung. Man hat gelernt: Ein Volk ohne Jobs fällt leicht auf selbst ernannte Heilsbringer herein. Am Ende des Jahrhunderts sitzen Rechtsextreme erneut in deutschen Parlamenten. (Text: Phoenix)

zurückweiter

Erinnerungs-Service per E-Mail

TV Wunschliste informiert dich kostenlos, wenn 100 Jahre – Der Countdown online als Stream verfügbar ist oder im Fernsehen läuft.

Auch interessant…