„Wetten, dass..?“: Weshalb das ZDF-Unterhaltungs-Schlachtschiff auch 2022 etwas ganz Besonderes ist – Review

Vor Ort beim Lagerfeuer reloaded!

Mario Müller
Rezension von Mario Müller – 20.11.2022, 09:25 Uhr

Auch 2022 ein Dreamteam: Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker – Bild: ZDF/Sascha Baumann
Auch 2022 ein Dreamteam: Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker

Am 3. Dezember 2011 moderierte Thomas Gottschalk in Friedrichshafen ein Abschieds–„Wetten, dass..?“, bei dem er noch nicht wissen konnte, dass die dann folgenden zehn Jahre nur eine sehr lange Pause sein würden. Nach dem überwältigend-erfolgreichen Comeback anlässlich des 40. Geburtstags der Show im November 2021 fand das ZDF offensichtlich Gefallen daran, Frank Elstners folgenreiches Konzept einmal jährlich zu feiern und hatte auch jetzt keine Mühe, die Hütte voll zu kriegen. Freundlicherweise sah das Schicksal der Kartenverlosung vor, mir nach 2011 auch dieses Jahr wieder einen Platz im überwiegend angenehm aufgebrezelten Publikum zu kredenzen. Dadurch schloss sich in Friedrichshafen für mich ein Kreis.

Dass bei deutschen Fernsehshows überwiegend Profis am Werk sind, will ich mal ganz fest glauben. Sicher weiß ich jedoch inzwischen, dass vor allem das Publikum bei weitem nicht überall so behandelt wird, wie es der Anstand gebietet. Wenn die Menschen auf der Tribüne nicht als bloßes Klatsch-Vieh ausgenutzt werden und sich für ihr Eintrittsgeld tatsächlich wohlfühlen, herrscht auch gute Stimmung, und das überträgt sich auch auf die Sendung. „Wetten, dass..?“ ist wohl auch in diesem Bereich unschlagbar und eine der letzten Produktionen, die auf so etwas achtet. Online-Check-in Tage vor der Show? Braucht man hier nicht. Ewiges Warten am Einlass? Nö. Ticket- und Taschenkontrolle sowie Metall-Detektor flutschen schneller als man „Gudnaaaamd!“ krächzen kann. Und das Catering im Foyer? Ist nicht nur überhaupt vorhanden, sondern lässt auch keine Wünsche offen und bezüglich Auswahl, Qualität, Ambiente und sogar Preis große Veranstaltungs-Arenen wie jene am Ostbahnhof in Berlin echt alt aussehen.

Thomas Gottschalk betritt die Bühne in Friedrichshafen. ZDF/​Sascha Baumann

Wie die Gewerke das bei Live-Sendungen immer hinkriegen, die Show auf die Sekunde genau starten zu können, bleibt ein großes Rätsel. Fakt bei „Wetten dass..?“ ist, dass das Publikum erst um 19:45 Uhr die Plätze eingenommen haben muss und Deutschlands bester und meistbeschäftigter Warm-Upper Christian Oberfuchshuber ausgerechnet in Europas größter Fernsehshow am wenigsten zu tun hat. Denn das Warm-Up macht hier der Chef immer noch persönlich. Auch wenn es sich insofern gewandelt hat, dass Gottschalk noch nicht einmal mehr viel sagen und kalauern muss, weil er stattdessen einfach nur in der Menge badet. Aber auch er kann nicht alle der unendlich vielen Selfie-Wünsche erfüllen. Zweimal mahnt ihn Regisseur Frank Hof (Thomas, kommst du?), er möge doch bitte wieder hinter die Bühne zurückkehren, um seinen Anzug überzuwerfen. Erst um 20:06 Uhr übernimmt „Fuchsi“, um gerade mal einen einzigen Applaus-Donner zu üben und mitzuteilen, wo die Notausgänge sind.

Der Countdown läuft … Mario Müller für fernsehserien.de

Einem groß eingeblendeten Countdown, den spätestens ab 10 alle unaufgefordert mit herunterzählen, folgt die bei den meisten seit Kinder- oder Jugendtagen vertraute und wohlige Gänsehaut – weil: jetzt geht’s los! – erzeugende Eurovisions-Hymne. Jetzt schalten sich der ORF und das Schweizer Fernsehen mit dem ZDF zusammen und alle, vor und hinter der Kamera, im Saal und an den TV-Geräten, sitzen im gleichen alten, aber immer wieder frisch lackierten Unterhaltungs-Schlachtschiff. Jetzt kann alles passieren, und alles passiert im gleichen Moment, und alle bekommen es mit, und alle sind dabei und sind sich dessen auch bewusst. Das Lagerfeuer-Prinzip.

Die prominent besetzte „Wetten, dass..“-Couch ZDF/​Sascha Baumann

Leider ist das ZDF, das diese Show als eine der wenigen nach wie vor nicht von externen Firmen herstellen lässt, sondern vom Verschicken der Eintrittskarten bis zum Polieren des Show-Act-Bühnenbodens selbst produziert, offensichtlich viel zu professionell, als dass man sichtbare Fehler oder Pannen verursacht. Die Gewerke funktionieren tadellos. Während rechts die Wette präsentiert wird, bauen behelmte Techniker links im Halbdunkel schon wieder die spektakuläre Hightech-Bühne für den nächsten Musik-Act auf. Während bei vierstündigen Aufzeichnungen oft nach gefühlt jedem Satz geschnitten wird und eine Umbaupause folgt, ist das live gar nicht möglich. Es geht offensichtlich auch anders. Und trotzdem fehlerfrei. Das Publikum hat also diesbezüglich auch diesmal Pech und muss auf Gottschalks Improvisationstalent verzichten.

Der Text von Robbie Williams’ Hit „Angels“ wird für das Publikum zum Mitsingen eingeblendet. Mario Müller für fernsehserien.de

Langsamer ist der Franke natürlich trotzdem geworden. „Behäbiger“, könnte man es auch noch einigermaßen freundlich ausdrücken. Aber mit 72 Jahren darf man das gerne sein, und solange er auch weiterhin zuverlässig die Kalauer aus dem Ärmel schüttelt, wo andere nicht mal Ärmel haben, kann und soll er diese Sendung als entschleunigendes Gegenstück zu künstlich aufgeblasenen, mit der Kettensäge zusammengeschnittenen Retortenshows bitte unbedingt weiter moderieren. Von mir aus auch mit Rollator. Den muss dann aber auch Michelle Hunziker mitsteuern, denn ohne die kongeniale Co-Moderatorin wäre die Sendung schon jetzt nicht mehr denkbar. Sie bietet Gottschalks Frotzeleien Paroli, sie umsorgt die Wettkandidaten, und sie ist diejenige, die den Ablauf kennt (Gottschalk beim Warm-Up: Man hat mir vorhin nochmal gesagt, wie die Sendung heißt.).

Eine Baggerwette darf nicht fehlen – Wettkandidatin: Sandra Hasenauer ZDF/​Sascha Baumann

Dass die Redaktion mit der Auswahl der prominenten Wettpaten, der Show-Acts und vor allem auch der Wett-Kandidaten wieder das aktuell Bestmögliche geleistet hat, lässt sich nur schwer bestreiten. So eine Mischung hinzukriegen und es einem möglichst breiten Publikum recht zu machen, wurde und wird in dieser kurzlebigen Zeit immer schwerer. Da ist es tatsächlich schwer vorstellbar, diese Qualität bei einer höheren Schlagzahl, wie früher mit sechs Folgen pro Jahr, durchzuhalten.

Auf die Wetten und Stars werde ich hier nicht eingehen. Wer die Sendung gesehen hat, weiß ja, wer da war und was gemacht wurde. Wer sie nicht gesehen hat, kann es in der Mediathek nachholen. Hervorheben will ich dennoch drei Dinge, die meiner Erfahrung nach so nur bei „Wetten, dass..?“ passieren können. Zum einen die Szene, in der im Vordergrund der Wettkandidat zu sehen war, der gerade versuchte, ein Brettspiel anhand des „Ausschüttgeräusches“ der Spielfiguren zu erkennen, während die Kamera im Hintergrund gleichzeitig das ehrlich-irritierte „WTF?“-Gesicht des Wettpaten-Superstars Robbie Williams einfing.

Die Spiele-Wette von Holger Siebenich (m.) und André Blickensdorf (l.) ZDF/​Sascha Baumann

Zum anderen der Wetteinsatz Herbert Grönemeyers, der trotz gewonnener Wette einen Monat lang die Betriebskosten der „Berliner Tafel“ bezahlen will. Das ist mehr als eine nette Geste, ging im heiteren Belanglosigkeiten-Gewusel ein bisschen unter und erinnert ältere „Wetten, dass..?“-Fans vielleicht ein wenig an Karlheinz Böhms legendäre Äthiopien-Aktion von 1981.

Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass es auch gerade scheinbar kleine Dinge sind, die diese Show für viele so besonders machen. Dieser millionenstarke Fernseh-Klub, der seit den 1980er Jahren besteht und dem Außenstehende und Fernsehkritiker oft nur kopfschüttelnd begegnen, weil sie irgendwann den Einstieg verpasst haben, hat eben zwischen Eurovisions-Hymne und Titelmelodie-„Piu“ prägende Markenzeichen, die irgendwie zusammenschweißen und für ein angenehmes Wohlgefühl sorgen, das umso bedeutender und seltener ist, je mehr die Welt aus den Fugen gerät. So hörte ich in der Reihe hinter mir die nicht laut, sondern fast schon andächtig-ehrfurchtsvoll bei der ersten Wette mitgesprochene Redewendung Topp, die Wette gilt! Herzlich Willkommen in der einzigen Sekte, die ich guten Gewissens empfehlen kann!

Das große Finale ZDF/​Sascha Baumann

Über den Autor

Mario Müller, Jahrgang 1980, hat in seinem ersten Lebensjahrzehnt alles aufgesogen, was der Eiserne Vorhang per UKW nach Thüringen durchgelassen hat. „Wetten dass..?“, „Dalli Dalli“ und „Löwenzahn“ im ZDF genoss er ebenso wie „Verstehen Sie Spaß?“, „Donnerlippchen“, „Das A-Team“, „Remington Steele“ und die „Munsters“ (1988 noch mit Untertiteln) im Ersten oder „Monty Python’s Flying Circus“ im vergrieselten Empfangsbild des über den Sender Hof ausgestrahlten Bayerischen Fernsehens. Nach dem Mauerfall durfte er noch die glorreiche Zeit von RTLplus mit „Alles nichts, oder?“ und „Der Preis ist heiß“ erleben, dem Ende des DDR-Fernsehens mit großartigen Sendungen wie „He Du!“, „Wennschon, dennschon“ und „ELF99“ nachtrauern und sich darüber freuen, dass das langlebigste Unterhaltungsformat Deutschlands, „Außenseiter – Spitzenreiter“, auch heute noch läuft. Auf ewig geprägt und geschädigt von Herbert Feuerstein, Harald Schmidt und David Letterman kann er das heutige Programmangebot oft nur noch mit Humor ertragen – und ist für jeden Qualitäts-Lichtblick dankbar. Der Kommunikations- und Geschichtswissenschaftler hat als Autor und Redakteur alle Medien durch und schreibt seit 2007 für fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Das A-Team, Die Munsters, Zurück in die Vergangenheit

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Super Beitrag. Genauso stellt man sich eine Familien- Unterhaltungsshow vor. Retro hin- oder her. Damit bin ich groß geworden.
    Bestes Format ever.
    Freu mich aufs nächste mal.
    • (geb. 1980) am

      Vielen Dank!
      Der Autor
  • am

    Da ich schon vor Jahren aufgeört habe "Wetten das....." zu schauen habe ich auch diese Sendung mir nicht angetan. Doch alle Achtung 10 Millionen Zuschauer ist schon toll! Ich habe lieber die Doku "Brandenburg" geschaut und war erstaunt über dieses schöne Land!
    • am

      Der Ton bei Robbie Williams war allerdings grauenhaft. Da müssen dann doch Amateure am Werk gewesen sein. ;-)
      • am

        Hauptmoderatorin Michelle Hunziker hatte alles im Griff und half ihrem betagten Co-Moderator Gottschalk über die ein oder andere kleine Gedächtnisschwäche. Erinnerte mich stark an die letzten Jahre von Wim Thoelke beim Grossen Preis wo sein Team auch helfend hier und da einschritt.
        • (geb. 1977) am

          "Hauptmoderatorin"??? Die Hunziker ist seit 'eh und je überflüssig und nichts weiter als ein optischer Aufputz, bei der man sich jedes Mal, wenn sie sich zu Wort meldet, denkt "Halt's Maul.".
        • am

          Sorry, das kann ich so nicht bestätigen. Du musst die Sendung ja nicht ansehen. Für mich war es so, dass ohne Frau Hunziker der Herr Gottschalk einige Male ziemlich verloren gewesen wäre.
        • (geb. 1977) am

          Ist aber so. Und warum sollte ich die Sendung nicht ansehen?? Würde ich sie nicht ansehen, wüsste ich nicht, das Hunziker nur ein optischer Aufputz ist und nicht wirklich was beizutragen hat und ihre optischen Qualitäten besser sind, als ihre sprachlichen.
        • (geb. 1979) am

          Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Gottschalk wirkte teilweise etwas verloren, als wenn er nicht wüsste, was als nächstes passieren würde. Dennoch war es eine tolle Show, bei der ich mich gut unterhalten gefühlt habe. Ich finde, 1x im Jahr kann die Sendung ruhig ausgestrahlt werden.
      • am

        Frag mich nur warum Gottschalk den ganzen Abend auf Bully rumhacken mußte.

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