„The Umbrella Academy“: Netflix’ perfekte Unterhaltungsserie – Review

Superhelden zwischen Geschwisterstreit und Weltuntergang

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 15.02.2019, 09:00 Uhr

„The Umbrella Academy“: Die Geschwister hören die Geschichte ihres zurückgekehrten Bruders Number Five – Bild: Netflix
„The Umbrella Academy“: Die Geschwister hören die Geschichte ihres zurückgekehrten Bruders Number Five

Wart ihr schon mal so viel von eurer Familie genervt, dass ihr kurzerhand auf den Mond ausgewandert seid? Vermutlich nicht (denn davon hätten wir bestimmt gehört). Anders „Number One“, Mitglied der Umbrella Academy, einer Gruppe von übernatürlich begabten Kindern. Die waren einst auf mysteriöse Weise geboren worden, der exzentrische Milliardär Sir Reginald Hargreeves (Colm Feore) hatte sieben von ihnen wortwörtlich „zusammengekauft“ und sie bereits seit dem Säuglingsalter trainiert: Sie sollten zu einer Einheit zusammenwachsen, die Verbrechen bekämpft – oder vielleicht auch mehr. Mittlerweile sind die Kinder Anfang 30, seit mehreren Jahren zerstritten und kommen anlässlich des Todes ihres Ziehvaters widerstrebend erneut zusammen. Dabei werden sie in den Kampf gegen das Ende der Welt verstrickt.

Damit sind die Voraussetzungen für die Serie „The Umbrella Academy“ umrissen. Der Adaption des Comics von Gerard Way und Gabriel Bá gelingt es dabei, sowohl die Mysteryhandlung wie auch die Themen eines komplexen Familienlebens und die Eigenheiten einer Comicserie gekonnt und unterhaltsam zu vereinen, und das immer wieder in großartige Bilder zu packen. Dabei spart die Serie durchaus nicht an humoriger Gewalt und herzzerreißenden Momenten, bleibt aber im Gegensatz zu Comicverfilmungen wie „Happy!“ oder „Preacher“ zahmer, weniger derb.

An der einen Ecke des Spannungsbogens steht die recht eigenwillige Figur des Milliardärs Hargraves, der im wahrsten Sinn comichaft ist: Er hat etwa dem Schimpansen Pogo (gesprochen von Adam Godley) zu Intelligenz verholfen, der als Butler in der Academy wirkt und nach Hargraves’ Tod die Rolle des onkelhaften Beraters übernimmt. Als eines Tages im Jahr 1989 43 Kinder von Frauen geboren wurden, die am Morgen des Tages nicht schwanger waren, bot Hargraves den verschiedenen Eltern eine „finanzielle Kompensation“ für die Kinder. Sieben Eltern stimmten ein. Unter dem Namen „Umbrella Academy“ trainiert er sie geradezu militärisch. Dabei gibt er ihnen als Namen nur die Bezeichnungen von „Number One“ bis „Number Seven“ und macht ihnen klar, dass sie als Kollektiv funktionieren müssen, um effektiv zu sein. Als das Mädchen Number Seven keine besonderen Fähigkeiten zeigt, sondert er sie aus, nutzt sie lediglich als Schreiberin. Zu den Kindern ist Hargraves kühl und distanziert: stets macht Hargraves sich über seine Bücher gebückt Notizen, am Esstisch herrscht Sprechverbot und für warme Worte hat Hargraves nicht mal zu Schlafenszeit die Muße. Erst seine auffällig mechanische Haushälterin Grace gibt den Kindern echte Vornamen, wird ihre Ersatzmutter. Als die Kinder 13 Jahre sind, schickt Hargraves die „Umbrella Academy“ erstmalig in einen lebensbedrohlichen Einsatz, lässt sie eine Geiselnahme in einer Bank beenden. Dabei werden die in Schuluniformen auftretenden und mit einfachen Superhelden-Masken gekleideten Kinder auch zu Berühmtheiten, stehen in der Boulevard-Presse.

Gruppenbild ohne Number Seven: Hargraves enthüllt die 13-jährigen Kinder als „Umbrella Academy“
Der Hauptteil der Handlung dreht sich darum, wie ihre ungewöhnliche – gleichsam gefährliche und von emotionaler Kälte geprägte – Jugend gepaart mit den übernatürlichen Fähigkeiten die Mitglieder der Umbrella Academy geprägt hat und wie sie deshalb jetzt nach Hargraves Tod miteinander umgehen: Welche Animositäten zwischen den (Adoptiv-)Geschwistern herrschen, was ihre Ängste sind, wofür sie sich schämen, welche Geheimnisse sie ihren Geschwistern aus Wut oder Scham vorenthalten.

Nach zwei Tragödien war die „Umbrella Academy“ im jungen Erwachsenenalter nach und nach zerbrochen, die einzelnen Mitglieder zogen sich aus der „Academy“ – gleichsam das Haus und die Gruppe – zurück und in die Welt hinaus. Eine der Tragödien war der Tod von Number Six, der in der Serie mysteriös bleibt, aber durch eine Gedenk-Statue im Garten präsent ist. Die zweite war das Verschwinden von Number Five (Aidan Gallagher) – der kann durch den Raum springen und wollte sich entgegen der strengen Warnungen von Hargraves auch an Zeitsprüngen versuchen. Wie rebellische Kinder so sind, wagte es der trotzige Number Five trotzdem – womit wir bei dem zweiten Spannungspunkt sind.

Five sprang – und strandete schnell in einer post-apokalyptischen Zukunft, in der die Welt wörtlich „in Trümmern“ liegt und er der scheinbar einzige Überlebende ist. Jedenfalls stößt er über Jahre bei seinen Streifzügen durch das Trümmerfeld auf keine weiteren Überlebenden. Allerdings findet er einen Hinweis auf das Datum, an dem alles enden wird. Und als ihm schließlich die Rückkehr gelingt, landet er an einem markanten Punkt: Genau bei der Trauerfeier der fünf verbliebenen „Umbrella Academy“-Mitglieder und acht Tage vor dem Weltuntergang.

Doch da die angestauten Emotionen der Geschwister gerade dort über die Frage explodieren, ob ihr Vater von einem seiner Kinder ermordet worden sein könnte, macht sich Five zunächst auf eigene Faust auf die Suche nach einer Möglichkeit, den Weltuntergang zu verhindern – er weiht nur „Außenseiterin“ Number Seven – Vanya – ein. Die verdankt diese Rolle unter den Geschwistern mittlerweile nicht mehr nur der Tatsache, dass sie keine Kräfte zeigt, sondern dass sie auf der Suche nach der eigenen Besonderheit schließlich eine Biografie veröffentlicht hatte – gleichsam ein Enthüllungsbuch über die „Umbrella Academy“.

Die verbliebenen sechs Geschwister: Messerwerfer und Vigilant Diego, Außenseiterin Vanya mit ihrem Enthüllungsbuch, Anführer und Beschützer Luther, Number Five, Filmstar Allison und der ebenso drogensüchtige wie sinnesfrohe Klaus

Dass in der Hargraves-Familie jeder seine Geheimnisse hat, wird dadurch untermauert, dass Five – obwohl er äußerlich seit seinem Verschwinden keinen Tag gealtert scheint – mittlerweile fast 20 Jahre mehr auf dem Buckel hat, als die Geschwister. Und er hat weit mehr erlebt, als er selbst in offenen Momenten zu erzählen bereit ist. So setzt sich das ungleiche Killer-Duo Hazel (Cameron Britton) und Cha-Cha (Mary J. Blige) auf seine Spur, um aus zunächst unerklärlichen Gründen zu versuchen, ihn zu liquidieren …

„The Umbrella Academy“ versteht es, das Mundane mit dem Ungewöhnlichen zu kombinieren. Die Probleme der Familienmitglieder könnten im Grunde in jeder anderen Familie ähnlich entstehen. Der körperlich massive Number One – Luther – (Tom Hopper) war etwa immer der Anführer, fühlt sich für alle verantwortlich und war auch der letzte, der Hargraves den Rücken kehrte – das klassische Klischee des Erstgeborenen. Sein Bruder Diego (Number Two; David Castañeda) konkurriert mittlerweile mit ihm um die „Anführer“-Position, hält Luther dabei vor, dass er zu lange zum Ummenschen Hargraves gehalten habe, nie seinen eigenen Weg gefunden habe – nachdem Luther Hargraves verlassen hat, hat er sich auf dem Mond versteckt! Beide Brüder sind Kämpfer, wobei Luther mit Muskeln und Gradlinigkeit vorgeht, während Diego Messer wirft (die immer treffen) und zahllose körperliche und seelische Narben davon getragen hat.

Allison (Number Three; Emmy Raver-Lampman) war immer das beliebtere der beiden einzigen beiden Mädchen der Academy – sie schlug aus der Bekanntheit der Familie eine Karriere als Filmstar. Mit ihrer enormen Suggestivkraft kann sie die Reaktion anderer Menschen steuern, kann durch Lügen – mit den Worten „Ich habe das Gerücht gehört, dass …“ neue „Realitäten“ schaffen. Doch mittlerweile ist ihr schmerzhaft bewusst, dass sie ihre Kraft rücksichtslos eingesetzt hat und ihr Leben im wahrsten Sinn „auf Lügen“ aufgebaut ist, von denen sie manche nicht ungeschehen machen kann. Vanya (Ellen Page) ist nach zwischenzeitlicher Berühmtheit aufgrund ihres Buches erneut in die Bedeutungslosigkeit gefallen, hält sich als Violinistin mit Musikunterricht und einem Engagement in einem Orchester über Wasser, schluckt Antidepressiva.

Number Four – Klaus – (Robert Sheehan) kann Geister sehen und mit ihnen kommunizieren. Bereits als Teenager hat ihn das so verstört, dass er sich vollkommen den Drogen zugewandt hat und mittlerweile Dauergast im gerichtlich verordneten Zwangsentzug ist. Number Five hat nie „einen bürgerlichen“ Namen angenommen und wird nach seiner Rückkehr nur „The Boy“ genannt, weil er eben in einem 13-jährigen Körper steckt. Number Six – Ben – (Ethan Hwang) bleibt aufgrund seines frühen Todes mysteriös. Er schien aber unter seiner Fähigkeit zu leiden, menschliche Gegner auf äußerst blutige Weise zu besiegen.

Maskiert im Einsatz: Hazel (Cameron Britton) und Kollegin Cha-Cha (Mary J. Blige)

Eingestreut in die Handlung sind immer wieder kleine, charmante Skurrilitäten. Etwa, dass Number Five bei seiner Rückkehr eben nur auf seine alte Kleidung zurückgreifen kann und daher nur in Schuluniform herumläuft. Daneben hatte die lange Einsamkeit für ihn auch überraschende psychische Folgen. Die Killer Cha-Cha und Hazel maskieren sich mit mit albernen, kugelartigen Tiermasken, die halt einfach enorm Comicartig wirken. Auch der enorm muskulöse Number One erinnert im Erscheinungsbild ein bisschen an Versuche, einen Homer Simpson oder Peter Griffin in die Realität zu holen.

Insgesamt könnte man „The Umbrella Academy“ vorwerfen, dass die Serie nichts wirklich Neues liefert. Was ihr aber enorm gut und unterhaltsam gelingt, ist, Bekanntes in interessanter Form neu zusammenzusetzen und wie aus einem Guss wirken zu lassen: Die Production-Values und Optik stimmen, die Geschichten der Protagonisten wirken durchdacht und erstaunen immer wieder mit tiefen Einblicken in die Ängste der Kinder der „Academy“, die Darstellerleistungen sind allerdings lediglich „in Ordnung“ (Sheehan und Gallagher ragen hervor). Insgesamt liefert „The Umbrella Academy“ eher ein langsames Tempo, um die komplexen Zusammenhänge aus Gegenwart und Vergangenheit der „Academy“ zu etablieren, liefert dabei aber im rechten Tempo immer wieder neue Puzzlestücke, die den Zuschauer mit neuen Konsequenzen und Möglichkeiten fesseln und nach und nach ein stimmiges Gesamtbild geben. Ein wenig stört, dass die Serie überhaupt nicht auf das Schicksal der 35 anderen „Geschwister“ eingeht, also jene Kinder, die nicht bei Hargraves gelandet sind. Überhaupt bleiben links und rechts der Haupthandlung zahlreiche Fragezeichen offen, die man gerne gelöst sehen will.

Auch wenn die Serie dabei vor manchen emotionalen Tiefschlag nicht zurückschreckt – etwa als Hargraves den jungen Klaus in eine Gruft sperrt, damit er sich dort mit den Geistern und seinen Kräften vertraut macht, der Junge aber panisch vor der Erfahrung zurückschreckt – so bleibt „The Umbrella Academy“ doch insgesamt im Comichaften und spart dunklere Dinge aus. So wird Klaus’ Drogensucht hinter Komik verklärt, spart man beim Coming-of-Age der Academy-Mitglieder das Sexuelle weitgehend aus. Und überhaupt spielt die Serie ja in einer Welt der Superhelden, wo viele Personen „unverletzlich“ sind und die Toten als Geister weiterexistieren.

Wie schon weiter oben gesagt: „The Umbrella Academy“ verbindet gekonnt das mundane des Geschwisterzwists mit dem Kampf gegen mysteriöse Killer und den Untergang der Welt – und liefert dabei fesselnde Unterhaltung auf hohem Niveau. Dass es dabei nicht zu düster wird, erscheint hier eher als ein „Feature“ denn ein „Bug“.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten fünf Episoden der Serie „The Umbrella Academy“.

Meine Wertung: 4/​5


Bernd Krannich
© Alle Bilder: Netflix


Die erste Staffel der Comicadaption „The Umbrealla Academy“ umfasst zehn Episoden und wurde am 15. Februar 2019 komplett bei Netflix veröffentlicht.

Trailer zu „The Umbrella Academy“

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

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