„The Pitt“ mit Noah Wyle wirkt wie „ER“ auf Schlaftabletten – Review

Neuer Notaufnahmeserie von und mit Genreveteranen fehlt jegliche Innovation

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 11.01.2025, 13:25 Uhr

Noah Wyle als Dr. Michael „Robby“ Robinavitch in „The Pitt“ – Bild: Warner Bros TV
Noah Wyle als Dr. Michael „Robby“ Robinavitch in „The Pitt“

Falls sich ein deutscher Sender findet, der die neue US-Krankenhausserie „The Pitt“ ins Programm nehmen möchte, kann man sich schon denken, welchen ungefähren Untertitel er dazu erfinden wird. Irgend sowas wie „Helden der Notaufnahme“ oder „Junge Ärzte – junge Helden“. Wieder einmal stehen die medizinischen und pflegerischen Mitarbeitenden im Mittelpunkt, die während der Corona-Pandemie auch im echten Leben zu Helden stilisiert und mit abendlichem Balkon-Beifall bedacht wurden – obwohl sie „nur“ ihre Arbeit machten. Nach dem Ende der Pandemie waren dann angeblich wieder die öffentlichen Kassen leer und die Arbeitsbedingungen in den meisten Kliniken genauso schlecht wie vorher.

Das ist in den USA bekanntlich eher noch schlechter als bei uns. Die Kliniken im ganzen Land würden ja jeden Tag am Limit arbeiten, sagt der leitende Oberarzt Dr. Michael Robinavitch (Noah Wyle), der von allen nur Dr. Robby genannt wird, einmal in der Pilotfolge zur Verwaltungschefin. Schon, erwidert die, aber es gäbe viele Häuser, die diese nationale Gesundheitskrise besser managen würden – und wenn er das nicht könne, solle er doch besser für jemand anderen Platz machen. Diesen ebenso rauen wie realistischen Tonfall kennt man aus modernen Krankenhausserien zur Genüge – wie erfahrenen Fans von „Emergency Room“/​“ER“ oder „Grey’s Anatomy“ hier sowieso sehr viel sehr bekannt vorkommen wird.

Ursprünglich war das neue Projekt des „ER“-Produzenten John Wells mit dessen langjährigem Star Noah Wyle wohl sogar als Spin-Off oder Fortsetzung der legendären Notaufnahmeserie geplant. Dafür bekamen sie aber keine Erlaubnis von den Erben des Serienerfinders Michael Crichton. So verlegten Wells und Showrunner R. Scott Gemmill (ein weiterer „ER“-Veteran) die Handlung kurzerhand von Chicago nach Pittsburgh („The Pitt“ steht also sowohl für die Stadt in Pennsylvania als auch als Spitzname der Mitarbeiter für die Löwengrube Notfallambulanz) und aus Wyles’ Dr. Carter wurde eben Dr. „Robby“. Die Klage der Crichton-Erben wegen Plagiatsvorwürfen ist trotzdem lächerlich, denn „The Pitt“ erscheint zumindest in den ersten beiden Episoden so generisch, dass sich auch jede andere Serie dieses Genres der vergangenen 30 Jahre kopiert fühlen könnte.

Auszeit auf dem Klinikdach: Dr. Robby (Noah Wyle) atmet durch Warner Bros. TV

Einziger Clou ist, dass die elf Folgen der ersten Staffel eine einzige Schicht in der Notaufnahme erzählen, also quasi in Echtzeit. So beginnt Episode 1 morgens um 7 Uhr mit Dienstantritt von Dr. Robby. Der leitet die Station mit einer Mischung aus Einfühlsamkeit und Abgebrühtheit. Wyle kann hier endlich wieder das tun, was er am besten kann: den sympathischen Arzt mit menschlichen Schwächen spielen. Darin hat er so viel Erfahrung, dass er diese zwei Stunden mit eineinhalb Gesichtsausdrücken und immer gleich sonorer Stimme wegspielen kann. In kurzen Flashbacks und Gesprächen seiner KollegInnen wird angedeutet, dass der Arzt noch ein Trauma mit sich herumschleppt, das mit einem Todesfall während der Pandemie zusammenhängt. Ansonsten bleibt die Figur ebenso blass wie die anderen Rollen.

Es ist das übliche Personal des Genres: die neue junge Ärztin (Taylor Dearden), die enthusiastisch beginnt, im Laufe ihres ersten Arbeitstages aber schon mit der Fassung ringen muss. Die hoch intelligente Medizinstudentin (Shabana Azeez), die in die Fußstapfen ihrer Eltern treten will, aber nicht so ganz ernst genommen wird. Der andere Medizinstudent (Gerran Howell) vom Land, der sich erst mal etwas trottelig anstellt. Wie schon in allen US-Klinikserien seit „Grey’s“ sehen auch hier die MedizinerInnen überdurchschnittlich gut aus. Während sich bei „ER“ bereits während der 90-minütigen Pilotfolge interessante Charaktere wie George Clooneys Dr. Ross oder eben Dr. Carter herauskristallisierten, bleiben die Figuren hier nach der gleichen Laufzeit noch austauschbar. Es ist auch fraglich, wie viel Charakterentwicklung es innerhalb einer einzigen Schicht geben kann.

Welcher Patient kommt als Nächstes? Dr. King (Taylor Dearden), Dr. Langdon (Patrick Ball), Dr. Robby (vorne, l. nach r.) und Kollegen Warner Bros. TV

Recht 08/​15 wirken mit wenigen Ausnahman auch die PatientInnen, die in die Notaufnahme kommen oder gebracht werden. Am emotionalsten ist vielleicht noch der Konflikt zweier erwachsener Geschwister, die entscheiden müssen, ob ihr alter Vater bei sich androhendem Kreislaufversagen künstlich beatmet werden soll oder nicht. Dr. Robby versucht, sie zu überzeugen, dass es in diesem hohen Alter oft das Humanste sei, einen natürlichen Tod zuzulassen. Aber vor allem die Tochter will noch nicht loslassen. Ansonsten gibt es diverse Fälle von Medikamentenmissbrauch und wenn ein Patient die gute Arbeit eines – sehr unsicheren – Studenten lobt, sieht man schon meilenweit voraus, dass es mit dem Mann kein gutes Ende nehmen wird.

Neben der inhaltlichen Durchschnittlichkeit fällt vor allem das Fehlen jeglicher stilistischer Besonderheiten auf. „ER“ war 1994 ja nicht nur wegen seines ungewohnten Realismus’ bahnbrechend, sondern auch wegen seiner inszenatorischen Innovationen. Von langen Plansequenzen, in denen die Kamera ohne Schnitte dem Personal über die Flure und vom einen Behandlungszimmer ins andere folgt, ist hier ebenso wenig zu sehen wie von der schier endlos um den Behandlungstisch kreisenden Steadycam. Stattdessen sind die Szenen in „The Pitt“ ganz konventionell aufgelöst und geschnitten, so dass ein fast schon biederer Eindruck entsteht. Auch die Notaufnahme wirkt hier so aufgeräumt und mit gedämpfter Geräuschkulisse, dass man sich eher im Klinikum Castrop-Rauxel wähnt als im Hexenkessel einer US-Großstadtklinik.

Warten auf den nächsten Einsatz: Dr. Robby, Dr. Santos (Isa Briones) und Dr. Collins (Tracy Ifeachor) Warner Bros. TV

Unerwarteterweise ist ausgerechnet eine im selben Monat anlaufende deutsche Serie mit ganz ähnlichem Setting „The Pitt“ in allen Aspekten weit überlegen: Als Koproduktion von Apple TV+ und ZDFneo zeigt „KRANK Berlin“ den Alltag in einer Kreuzköllner Notaufnahme so dramatisch verdichtet und stilistisch originell, dass man Stress und Hektik fast körperlich mitfühlen kann. In „The Pitt“ reihen sich hingegen nur Standardsituationen aneinander, die man als Genrefan schon Dutzende Male besser erzählt bekommen hat, vor allem in den ersten acht „ER“-Staffeln, aber auch bei „Grey’s Anatomy“ und anderswo. So kommt dieser Serienstart leider nicht über ein „solide“ hinaus. Aber das kann sich ja im Laufe der langen Schicht noch ändern.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „The Pitt“.

Meine Wertung: 3/​5

Die ersten beiden Folgen wurden bereits beim US-Streamingdienst Max veröffentlicht, die weiteren der insgesamt fünfzehnteiligen ersten Staffel folgen jeweils donnerstags. Ein deutscher Abnehmer ist noch nicht bekannt.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1977) am

    Für mich ist The Pitt die beste Krankenhausserie seit Emergency Room – und insgesamt eine der besten Serien, die ich in diesem Jahr gesehen habe. Als jemand, der ER noch während des Medizinstudiums verfolgt hat, war ich damals fasziniert von der scheinbaren Realitätsnähe. Mit einigen Jahren Berufserfahrung und einem späteren Blick auf einzelne Folgen relativiert sich dieser Eindruck allerdings. Umso mehr hat mich The Pitt beeindruckt – denn diese Serie hat ER in Sachen Realismus deutlich übertroffen.

    Das medizinische Drama steht im Zentrum, die dargestellten Krankheitsbilder sind nachvollziehbar, die eingesetzten Geräte entstammen dem echten Klinikalltag. Natürlich wird auch hier dramatisiert – aber das ist völlig legitim und dient der Spannung. Was The Pitt besonders macht, ist, dass es die Belastung des Berufsalltags spürbar macht, ohne sich in allzu persönlichen Nebenhandlungen zu verlieren. Die Dramatik entsteht aus der Realität des Klinikbetriebs – und wirkt gerade deshalb so eindringlich.

    Was mich allerdings wirklich erstaunt hat, ist, wie der Autor dieser Kritik die Großartigkeit dieser Serie nicht erkennen konnte. Für mich ist unverständlich, wie man The Pitt nach den ersten beiden Folgen als "generisch" oder "konventionell" abtun kann. Die nüchterne Inszenierung war für mich gerade ein Pluspunkt – sie lässt das Geschehen für sich wirken, ohne sich in störender Stilistik zu verlieren.

    Zum Vergleich: Ich habe auch die ersten beiden Folgen von KRANK Berlin gesehen – und musste dann erst einmal pausieren. Die "edgy" Kameraführung mit ständigen Defokussierungen und verschwommenen Bildern empfand ich als eher anstrengend. Da hat The Pitt mit seiner klaren, unaufgeregten Bildsprache deutlich besser funktioniert. Die Spannung kam aus dem Inhalt – und nicht aus überinszenierten Effekten. 

    Meine Einschätzung basiert auf der kompletten ersten Staffel (15 Folgen).  Die Folgen 12 und 13 waren natürlich der absolute Höhepunkt (dafür haben die Autoren unserem Notaufnahme-Team natürlich auch den medizinischen Worst-case ins Drehbuch geschrieben...). Aber ich fand die Serie auch schon nach den ersten beiden Folgen super. Da musste nicht mehr "besser werden".

    Nachdem die Staffel nun durch war, habe ich den Kopf frei für eine hoffentlich verdiente zweite Chance bei KRANK Berlin.
    • am

      Ein Kritik, die auf nur 2 Folgen basiert...  wenn ich das so machen würde, hätte ich Star Trek TNG wohl schon sehr früh abgebrochen.
      Neue Filme/Serien schaue ich mir selber an, (ausufernde) Reviews oder Trailer, die oft den ganzen Film spoilern, schaue ich mir vorab NIE an.
      • am

        Das Problem ist, dass man hier einen Vergleich zu Grey's Anatomy zieht. Was vollkommen schwachsinnig ist. The Pitt ist eine möglichst realistische, in Echtzeit stattfindende Krankenhaus-Dramaserie und keine Liebesschnulze wie Grey's.
        • (geb. 1967) am

          Ist mir echt zu hoch, wenn Herr Kirzynowski Fan von "ER" war und ist, warum dann so eine völlig vernichtendfe Kritik??? Ich begreife das nicht!!!
          • (geb. 1967) am

            Ich wiederhole mich leider ungerne: WARUM hasst der Kritiker diese neue Serie??? Ich verstehe das nicht!!
            • (geb. 1982) am

              Die Kritiken auf dieser sind und bleiben wohl unterirdisch.
              Und was hat der 1. Absatz in einer Serienkritik zu suchen, nicht genug follower auf Twitter?
              Einfach unterirdisch was hier abgeliefert wurde.
              • (geb. 1967) am

                Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, dass überwiegend die Kritiken hier stark negativ sind!
            • (geb. 1967) am

              Ich verstehe das jetzt null...eine völlig vernichtende Kritik und dann noch 3 Sterne??? Ist mir zu hoch! Und, WARUM sollte es keine weiere Krankenhaus Serie geben?? Krimi Serien gibt es auch auf der ganzen Welt wie Sand am Meer!!

              Der Trailer, den ich gesehen habe....fand den gar nicht so schlecht....ich könnte mir diese völlig vernichtende Kritik nur erklären, das es ein noch immer sehr großer "ER" Fan geschrieben hat mit dem Hintergrund, dass die Witwe von Chrichton gegen die Serie knallhart geklagt hat und , der Kritiker diese Klage sehr gut findet!
              • am

                Sehe ich das jetzt richtig, eine Mischung aus ER und 24?
                • am via tvforen.de

                  TV Wunschliste schrieb:
                  -------------------------------------------------------
                  > Falls sich ein deutscher Sender findet, der die
                  > neue US-Krankenhausserie "The Pitt" ins Programm
                  > nehmen möchte, kann man sich schon denken,
                  > welchen ungefähren Untertitel er dazu erfinden
                  > wird.

                  Und man kann sich denken, dass er die Serie nicht komplett zeigt. Bevor eine neue Krankenhausserie gestartet wird, könnte man nämlich erstmal "Atlanta Medical", "New Amsterdam" und "The good doctor" zu ende zeigen...
                  • am

                    3 Sterne ist halt die Standartbewertung.
                    4 Sterne gibt´s wenn schön interlektuell und/oder woke zugeht.
                    5 Sterne bedeutet gähnende Langeweile.
                    • am

                      …und 6 Sterne gäbe es für akzeptable Rechtschreibung 😂
                  • am

                    man muß mal die Kritik von American Primeval und danach die Kritik von The Pitt lesen. Beide Serien haben fast gleich viele Sterne bei der Bewertung bekommen. Das paßt nicht wirklich wie ich finde.
                    • am via tvforen.de

                      Wow,eine neue Krankenhausserie,mal was ganz neues,es gibt ja sonst keine...
                      • (geb. 1978) am

                        Warum dann 3 Sterne? Der Text klingt nach 1 oder 1,5.
                        • am

                          ja, auch die vorhergehende Kritik löste bei der Bewertung Verwirrung aus. Ihr solltet euch in der Redaktion vielleicht mal auf einen einheitlichen Maßstab einigen ;-)

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