„Moonhaven“: Sci-Fi-Serie über Schicksal der Menschen macht neugierig, bleibt gewöhnungsbedürftig – Review

Pilotin landet auf dem Mond in utopischer Gesellschaft und Verschwörung

Rezension von Christopher Diekhaus – 17.07.2022, 18:47 Uhr

Pilotin Bella Sway (Emma McDonald) im Landeanflug auf Moonhaven – Bild: AMC
Pilotin Bella Sway (Emma McDonald) im Landeanflug auf Moonhaven

Die Zeit, in der wir leben, ist komplex – und unsicherer, als wir es uns vor, sagen wir, zwei Jahrzehnten, vorstellen konnten. Ein drohender Klimakollaps. Eine Pandemie, die tief in den Alltag der Menschen eingegriffen hat. Rechte Kräfte und Despoten, die inmitten der Unruhe Morgenluft wittern. Ein nicht für möglich gehaltener Angriffskrieg, der die Welt in seinen Grundfesten erschüttert und eine Energiekrise hervorrufen könnte. Vieles beunruhigt und verängstigt uns und lässt uns mit Sorgenfalten in die Zukunft blicken. Gerade in einer solchen Phase der Desorientierung gedeihen erfahrungsgemäß Geschichten, die sich auf kritische, reflektierende Weise mit dem Morgen beschäftigen: Was müssen wir tun, um die Erde zu schonen? Wie sollten wir miteinander umgehen, damit Frieden dauerhaft gesichert werden kann? Und was, wenn alle Versuche scheitern? Oder wenn es einfach schon zu spät ist? Liegt unsere einzige Chance vielleicht darin, unseren Planeten zu verlassen? An Science-Fiction-Erzählungen, in denen diese oder ähnliche Fragen verhandelt werden, mangelt es seit einigen Jahren nicht. Oft hat man jedoch das Gefühl, dass sich vieles wiederholt und die Macher die Probleme nur oberflächlich angehen. Nicht frei von Schwächen ist auch die US-Serie „Moonhaven“. Gleichzeitig gelingt es der sechsteiligen Streaming-Produktion aber, ein eigenartig fesselndes Zukunftsszenario an die Wand zu projezieren.

Ganz am Anfang stehen, wie so oft in derartigen Werken, ein paar Textzeilen, die uns mit den groben Koordinaten der skizzierten Story-Welt versorgen: Vom Ende allen Lebens auf der Erde bedroht, entsandte die Menschheit eine kleine Siedlergruppe auf den Mond, deren Aufgabe darin bestand, mithilfe einer mächtigen künstlichen Intelligenz namens IO eine überlebensfähige Gesellschaft zu errichten. Nach drei Generationen sollen nun, im Jahr 2201, die neuen Erkenntnisse und Lebensformen mit einem ersten Schwung an Mondkolonisten zurückgeschickt werden. Auf dass unser Planet wieder erblühen möge!

Die Unterschiede zwischen den beiden Polen der Serie stellt Schöpfer Peter Ocko („Lodge 49“) bereits in der Auftaktepisode deutlich heraus. Während die lunare Niederlassung einem lieblichen Garten Eden gleicht mit Wald- und Wiesenlandschaft und reichlich Vogelgezwitscher, verströmen die Bilder von der Erde einen kräftigen „Blade Runner“-Vibe. Statt Licht und klarer Luft herrschen hier trübe Aussichten. Megastädte mit riesigen Wolkenkratzern und gewaltigen Leuchtreklametafeln stecken unter einer dichten Wolkendecke. Im Freien scheinen Gasmasken unabdingbar zu sein.

Dass den kreativ Verantwortlichen von „Moonhaven“ nicht das üppigste Budget zur Verfügung stand, lassen die ordentlichen, aber gewiss nicht spektakulären Effekte vermuten. Überhaupt bekommen wir, zumindest in den ersten beiden Folgen, die dieser Kritik zugrunde liegen, bloß kurze Einblicke in das Leben auf dem einst blauen Planeten spendiert.

Was führt Bodyguard Tomm Schultz (Joe Manganiello) im Schilde? AMC

Der zentrale Handlungsort ist, das deutet schließlich auch der Titel an, die saftig grüne Mondsiedlung, die nur einen kleinen Teil des Erdtrabanten bedeckt. Hierhin soll die ersatzweise einspringende Pilotin und heimlich als Schmugglerin arbeitende Bella Sway (Emma McDonald) die mächtige, auf die Kraft von IO setzende Abgesandte Indira Mare (Amara Karan) und deren Leibwächter Tomm Schultz (Joe Manganiello) bringen, da es kurz vor dem ersten Abflug von Mitgliedern der lunaren Gemeinschaft – ein Ereignis, das in der Originalfassung The Bridge genannt wird – noch wichtige Dinge zu regeln gibt.

Bella steht der utopischen Community skeptisch gegenüber und will eigentlich nur in ihrem Raumschiff warten, bis sie ihre beiden Passagiere zurücktransportieren kann. Allerdings erreicht sie Moonhaven zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt und sitzt plötzlich dort fest: Nur wenige Stunden zuvor wurde die junge Chill Spen (Nina Barker-Francis) ermordet, die augenscheinlich brisante Informationen über die Mondgesellschaft bzw. den geplanten Austausch mit den Erdenbewohnern erhalten hat.

Die lunaren Polizisten Paul (Dominic Monaghan, der nach „Der Herr der Ringe“ eine andere Form von Auenland betritt) und Arlo (Kadeem Hardison) geleiten Bella zum Verhör, weil es sich bei ihr um die Schwester der Toten handelt. Antworten kann die Pilotin jedoch nicht liefern. Schließlich hat sie alles Familiäre begraben, nachdem sie von ihrer Richtung Moonhaven strebenden Mutter als Baby allein auf der Erde zurückgelassen wurde.

Bella, das zeichnet sich sehr schnell ab, ist eine reizvolle Figur. Der Verlust der wichtigsten Bezugsperson hat sie abgehärtet. Ihre militärische Vergangenheit ist mit traumatischen Erfahrungen verbunden. Und in der Gegenwart tritt sie uns in Emma McDonalds kraftvoller Performance als entschlossene, sich gegen Widerstände aufbäumende, schlagfertige Persönlichkeit gegenüber, die allerdings auch eine verletzliche Seite hat. Bellas Beziehung zur Mondkolonie, die sie anfangs von sich weist, dürfte eine Identitätsreise in Gang setzen, von der man sich noch einige aufsehenerregende, emotionale Enthüllungen erhoffen kann.

Der Mord zu Beginn der Einstiegsepisode, eine auf Moonhaven wenig freudig aufgenommene Forderung Indiras und weitere gewaltsame Ereignisse am Ende der ersten Folge sollen die Spannung nach oben treiben und lassen erahnen, dass die geplante Rückkehr der Mondbewohner zur Rettung der Menschen auf der Erde längst nicht von allen gewünscht ist. Irgendwelche Kräfte wollen das Projekt sabotieren und gehen dabei über Leichen. Atemlosen Nervenkitzel bietet die Serie nach einem Drittel ihrer Laufzeit zwar noch nicht. Der Boden für packende Verwicklungen und Twists ist jedoch bereitet. Bleibt abzuwarten, ob Peter Ocko und seine Mitstreiter daraus Kapital schlagen können.

Arlo (Kardeem Hardison, l.) und Paul (Dominic Monaghan) untersuchen den Tatort. AMC

Interessanterweise macht es „Moonhaven“ dem Zuschauer nicht gerade leicht, vorbehaltlos in die Welt der lunaren Gemeinschaft einzutauchen. „Verschon mich mit deiner Mondpoesie“, fährt es der genervten Bella an einer Stelle heraus. Und man möchte ihr sofort beipflichten. Absolut gewöhnungsbedürftig sind nämlich die Sermone der Kolonisten, in denen eine gewaltige Portion New-Age-Spirit steckt. Die Gemeinschaft wird groß geschrieben, der Einklang mit der Natur propagiert. Alles schön gut und sicher wichtig für eine zukunftsfähige Menschheit. In ihren bunten Gewändern und mit ihrer blumigen, geschwollenen Ausdrucksweise wirken die Mondbewohner jedoch oft wie die Mitglieder einer Eso-Sekte. Wenig verwunderlich gehört das Tanzen zu ihren besonderen Leidenschaften. Bella etwa staunt nicht schlecht, als Paul und Arlo ihr nach dem Verhör in ritueller Form zu mehr Seelenheil verhelfen wollen. Immerhin müsse sie ihre Trauer über den Tod ihrer Schwester annehmen und verarbeiten.

Bei all dem mystischen Geraune muss man manchmal kräftig durchpusten. Zugleich präsentiert uns Showrunner Ocko aber ein auf seltsame Weise anziehendes Setting. Moonhaven mag mit seinen größtenteils aus Holz errichteten Gebäuden und seinem Wildwuchs wie eine Siedlung aus längst vergangenen Zeiten wirken. Im Alltag spielt die moderne Technik allerdings einen große Rolle. Jeder Kolonist hat einen Chip im Rücken sitzen, der alle Schritte aufzeichnet.

Polizeiarbeit besteht hier in der Tat eher aus psychologischer Betreuung oder dem Verabreichen spezieller Pillen, die Kummer und Schmerz auszulöschen vermögen. Denn die Tätersuche ist dank eines kleinen joystickartigen Geräts, das frühere Geschehnisse visualisieren kann, schnell erledigt. Kein Wunder, dass sich der zur zweiten Hauptfigur aufsteigende, am Moonhaven-Lebensentwurf womöglich zunehmend zweifelnde Paul und sein Kollege nicht gerade wie die besten Spürnasen anstellen.

Neugierig macht auch die Struktur der Siedlerbasis. Kinder, so erfahren wir recht früh, sehen ihre leiblichen Eltern nur bei der Geburt und kurz vor deren Tod. Aufgezogen werden sie in anderen Familien, um den Sinn für die gesamte Gemeinschaft, das große Ganze zu stärken. Zusammen mit Bella lohnt es sich, diesen eigenartigen menschlichen Außenposten weiter zu erforschen, dessen Kehrseiten sich noch deutlicher herauskristallisieren werden. Wie heißt es nämlich in einer Szene so passend: „Die Dunkelheit findet ihren Weg!“

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden von insgesamt sechs Episoden der Serie „Moonhaven“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die Serie „Moonhaven“ wird seit Anfang Juli auf der US-amerikanischen Streaming-Plattform AMC+ veröffentlicht. Eine deutsche Sendeheimat wurde noch nicht bestätigt.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1987) am

    "Rechte Kräfte und Despoten, die inmitten der Unruhe Morgenluft wittern. "
    Eine ganz schön verdrehete radikalpolitische Bemerkumg dazu, dass LINKE Diktatoren, wie Lukaschenko, Xi Ping, Kim Jong-un, Maduro, Putin & Co. den kommunistischen Ostblock unverholen wieder aufleben lassen und den Planeten grausam unterjochen wollen...
    Dagegen ist das dumme Gequatsche einer harmlosen 8% Partei als Bedrohung darzustellen nichtmal mehr als unintelligent zu bezeichnen.
    Zur Serie (einseitig verblendete Politikerziehung hat hier nichts zu suchen):
    Klingt nach der pastellfarbenen Welt von "Logans Run".
    • am

      Danke! Genau, etwas in der Richtung wollte ich auch schreiben ... bitte haltet doch hier - zumal bei reinen Unterhaltungssendungen - die Politik raus, ist keine Nachrichtenseite hier! danke!
    • am

      Was genau ist an Xi Ping, Kim Jong-un,  Putin & Co links?
      Links steht für progressiv und Internationalistisch, rechts für konservativ und nationalistisch.
      Putins Umgang mit Schwulen und Lesben und sein Wunsch zurück zum alten Imperium ist klar rechts. Und an Xi Ping und Putin ist so ziemlich gar nichts kommunistisch, vor allem China ist mittlerweile mehr kapitalistisch. Ein Diktator macht noch keinen Kommunisten, siehe Pinochet.
      Auch in den USA sind die Rechten seit langem auf dem Vormarsch wie man zuletzt an den gekippten Abtreibungsgesetzen sehen konnte.
    • am

      Meine Antwort und der Dank bezog sich auf xena123 und der Appell auf die Autoren der Seite ... ansonsten bin ich bei der natürlich sofort startenden Politdiskussion raus, dafür bin ich nicht hier ...
    • (geb. 1987) am

      Es ist Dir unbenomen, alles, was Du "nett" findest, in den Begriff "LINKS" zu packen und zu ignorieren, wo Dikaturen, wie DDR, Weißrussland, China, Nordkorea, Russland, Venezuela zu verorten sind.
      Alle anderen Menschen auf dieser Erde würden diese Länder direkt oder indirekt (Russland) realexistierend Sozialistisch-Kommunistischen Systeme - also Stock-Links nennen.
      Dass es in tatsächlich linksregierten Länder immer so widerlich menschenfeindlich zuging und zugeht ist zwar bedauerlich, aber eine Tatsache.
      Die Linkspartei unterstüzt übrigens Putin. Ist sie auch nicht links?
      Tut mir leid, dass gerade ich Dich hier mal aufwecken muss - aber eine marxistisch-leninistische Regierung ist überall, wo sie erstarkte, in eine menschenverachtende Diktatur geendet.
    • (geb. 1961) am

      Pseudo sozialistiche Länder mit ihren Diktatoren, wie Lukaschenko, Xi Ping, Kim Jong-un, Maduro, Putin & Co. sind Diktaturen und NICHT links. Genauso wenig wie die NationalSOZIALISTICHE Arbeiterpartei (NSDAP) Sozialstich war. Reiner Etikettenschwindel.

      "Rechte Kräfte und Despoten, die inmitten der Unruhe Morgenluft wittern." Das ist eine gute Zusammenfassung der aktuellen Situation und wie man an der Reaktion hier merkt, provoziert es die wahren Feinde der Demokratie, die gerne im verborgenen bleiben wollen und deswegen alles anfeinden was sie demaskieren könnte.
    • (geb. 1987) am

      Aha... Kommunismus ist eigentlich Kapitalismus, Putin hat dazu aufgerufen den Kampf gegen Sizialisten aufzunehmen, die DDR war eigentlich ein Nazistaat und China hasst eigentlich Mao, Lenin und Marx. Schwarz ist weiß, oben ist unten.
      Nee.... hier wird vollkommen die Tatsache verkehrt, dass ALLE linken Staaten Despotien sind. Gestartet als arbeiterfreundliche Sozialisten ist daraus IMMER ein Staat voller Hass und Gräueltaten geworden, einzig im Kampf gegen den rechten Kapitalismus.
      Wem nicht Hammer und Sichel auf dem Kopf gefallen ist, weiß genau, dass genau diese Staaten sich die Erde untertan machen wollen. Wer Linksfaschisten edler findet als Rechtsfaschisten, will diese Staaten unterstützen und sich einen Platz im Zentralkommitee sichern. Beides der letzte Dreck.
      Ich benötige übrigens keine politische Belehrung von Menschen, die nicht mal wissen, wie Sozialistisch geschrieben werden.
    • am

      @xena123
      Klar, weil Russland für Rechte von Schwulen und Rechten steht, was klassische linke Themen sind.
      Es ist ganz einfach, link progressiv, rechts konservativ. Rechts ist nicht automatisch schlecht, links nicht automatisch gut. Kommt nämlich darauf an, was man bewahren (rechts) oder ändern will (links).
      Putin ist rechts, weil er das bestehende russische System beibehalten will, z.B. mit Gesetzen gegen Homosexuelle. Hatten wir auch schon mal in Deutschland, waren nicht die linken Parteien.
      Für dieses konservative Verhalten wird Putin von einer politischen Fraktion gefeiert, der AfD. Wie wir wissen ist die AfD klar links ... nee Moment.
      Aus Kommunismus und Kapitalismus kannst du links und rechts nicht ableiten denn das sind Wirtschaftsformen. Du kannst ein rechter Kommunist wie Putin sein oder ein rechter Kapitalist wie Pence. Ebenso kannst du ein linker Kommunist oder ein linker Kapitalist sein. Diktatur ist noch mal was anderes, nämlich die Staatsform.  Chile unter Pinochet war eine Diktatur aber zutiefst kapitalistisch. 
      Wenn du glaubst dass Russland kommunistisch ist, dann glaubst du auch dass Fruchtzucker die gesunde Süße aus Früchten ist.

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