„Dogs of Berlin“: Netflix geht vor die Hunde – Review

Zweite deutsche Eigenproduktion erweist sich als wenig preisverdächtige Promenadenmischung

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 10.12.2018, 17:30 Uhr

„Dogs of Berlin“ mit Felix Kramer und Fahri Yardım – Bild: Netflix/Katja Kuhl
„Dogs of Berlin“ mit Felix Kramer und Fahri Yardım

Nachdem Netflix für seine erste deutsche Eigenproduktion „Dark“ viel Lob – auch international – einheimsen konnte, ist der Streamingdienst mit der zweiten Serie aus Deutschland wohl auf dem Boden der Tatsachen angekommen: „Dogs of Berlin“ fehlt das Besondere. Bei der Darstellung von Berlins Schattenseiten durch die Linse des Mordes an einem türkischstämmigen deutschen Fußballer und vornehmlich durch die Augen zweier unterschiedlicher Polizisten musste sich Macher Christian Alvart („Tschiller: Off Duty“) keine Grenzen auferlegen lassen. Herausgekommen ist dabei zwar eine Serie, die sich durchaus interessant und spannend anlässt, die bei der Darstellung der Figuren aber leider vor allem auf Krassheit und Klischees setzt, statt auf Feinzeichnung. Gut gelingt es aber immer wieder, die Grauheit der größten deutschen Metropole mit beeindruckenden Außenaufnahmen ins Bild zu setzten.

Ein Hundeleben, das ist für den Polizisten Kurt Grimmer (Felix Kramer) vor allem ein Leben in Unfreiheit. Denn wie gut – oder wie schlecht – es dem Hund in seinem Leben ergehen wird, hängt ganz allein von seinem Besitzer ab, wie Grimmer einer jungen Kollegin ausführt, auch wenn dem Hund die Begrenztheit seiner Entscheidungsfreiheit nicht bewusst sein mag. Für Grimmer hat sich in seinem Leben immer die Frage gestellt, ob der Besitzer letztendlich viel mehr Freiheiten hat, als ein Vierbeiner.

Antiheld Grimmer selbst hat versucht, aus dem ihm gegebenen Leben zu fliehen – ist dabei aber letztendlich wieder in der nächsten Zwickmühle gelandet, in der er keine wirkliche Entscheidungsfreiheit sieht. Durch seine Eltern wurde er in das Neonazi-Umfeld gebracht, mit dem er aber schließlich brach – im Gegensatz zu seinem Bruder Ulf (Sebastian Zimmler). Mittlerweile ist Kurt Polizist, der aber nicht nur wegen der alten Geschichten und seiner Arroganz einen schlechten Ruf weg hat. Auch seine Spielsucht und diverse Frauengeschichten tragen dazu bei, ebenso diverse „dienstliche Einzelgänge“, die Grimmers privaten Verstrickungen in der Unterwelt geschuldet sein dürften.

Das Blaulicht eines Streifenwagens lockt Grimmer im Anschluss an ein handfestes Schäferstündchen bei seiner Freundin im sozial schwachen Stadtteil Marzahn am späten Abend an. Dort stolpert der ebenso charmante wie großspurige Ermittler mit der Moral eines Metzgerhundes über einen geradezu großartigen Fall: Im Schatten eines Hochhauses liegt ein Ermordeter. Grimmer hat zwar keine Ahnung von Fußball, aber selbst ihm wird nach dem Blick in die Brieftasche des Opfers klar, dass es sich um den herausragenden Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft handelt, den türkischstämmigen Deutschen Orkan Erdem. Der muss wohl zum WM-Qualifikations-Spiel „Deutschland gegen Türkei“ in der Bundeshauptstadt weilen – was ihn aber in die eher ärmliche Gegend verschlagen hat, bleibt rätselhaft. Genauso schnell erkennt Grimmer eine Möglichkeit, seine lebensbedrohlichen Spielschulden los zu werden: In dem am nächsten Tag stattfindenden Spiel gegen die Deutschen zu wetten. Dafür muss er aber zunächst den Fall – unter Umgehung der Vorschriften – an sich reißen. Dabei leisten ihm aber die beiden Polizisten aus dem Streifenwagen nur geringen Widerstand.

Eigentlich sollte der fiktive Fußballspieler Orkan Erdem für Völkerverständigung werben …

Irgendwo zwischen Jack Bauer aus „24“ und Vic Makay aus „The Shield“ liegen unmittelbar daraufhin Grimmers Bemühungen, sich mit Schmeichelei und Muskelspiel auch beim Vorgesetzten Polizeidirektor Seiler (Urs Rechn) Kontrolle über den Fall zu sichern, den Mord aus den Medien zu halten – und in Windeseile genug Geld für eine fette Wette auf die Underdogs aus der Türkei zusammenzubekommen, die seine Schulden tilgen und einen Gewinn abwerfen würde.

Aus den eigenen Reihen kommt für den umtriebigen Ermittler bald eine weitere Komplikation hinzu: Da das Mordopfer Teil der türkischen Minderheit Deutschlands und Grimmer immerhin ein Ex-Neonazi ist, macht es sich für die Optik gut, wenn auch ein Polizist mit türkischen Wurzeln an der Leitung der Untersuchung beteiligt wäre – dumm nur, dass man in der Mordkommission keinen präsentieren kann. So versucht der Grimmer verbundene Polizeidirektor Seiler, den aktuell bei einer einer Spezialeinheit gegen organisiertes Verbrechen arbeitenden Erol Birkan (Fahri Yardım) per „Feldbeförderung“ ins Boot zu holen. Nur, dass der eigentlich nicht von seinem Job weg will. Ein serientypischer Zufall sorgt dann aber doch dafür, dass Birkan sich nach dem ersten Drittel der Staffel doch zum Einstieg in die Mordermittlungen entscheidet.

Auch Birkan kommt mit eigenem Gepäck daher. Sein Vater ist immer gewalttätig gewesen und war alles andere als erbaut darüber, dass sein Sohn homosexuell ist. Auch trägt er psychische Narben durch Übergriffe des in der Nachbarschaft seiner Jugend allgegenwärtigen organisierten Verbrechens, das er nun in gerechtem Zorn ausrotten möchte.

„Dogs of Berlin“ verliert sich in den frühen Episoden im Versuch einer Milieustudie und tut nur wenig, um die Ermittlungen im Fall voranzubringen – eingangs werden hier immer neue verdächtige Personengruppen präsentiert, die aus Hass oder finanziellen Motiven für die Tat in Frage kommen. In verschieden Vignetten wird dabei die harte Seite des Berliner Lebens vorgestellt. Mit Grimmers Freundin Bine (Anna Maria Mühe) wird eine alleinerziehende zweifache Mutter beleuchtet, die sich mit Telefonsex Hartz IV aufbessert. Ähnliche Gestalten hängen beim Buchmacher Späti (David Bennet) herum, während der Libanesen-Clan Tarik-Amir ebenso im Geld schwimmt und im organisierten Verbrechen steckt, wie der Buchmacher-Boss Tomo (Misel Maticevic) aus einem kroatischen Clan. Oberhalb der Mittelschicht lebt Grimmer-Braut Paula (Katharina Schüttler) mit ihrem kleinen Oberschicht-Laden, während Grimmers Bruder Ulf mit seinen Neo-Nazi-Kumpeln unter dem wirtschaftlichen Durchschnitt und auch ansonsten in einer eigenen Welt lebt. Zum Spielball großer Interessen zu werden droht der 15-jährige Schüler Murad (Mohammed Issa), der Rapper werden will und sich erst einmal als Laufbursche bei den Tarik-Amirs verdingt.

Polizeidirektor Seiler (Urs Rechn) schmiedet sein „Dream-Team“ aus Kurt Grimmer (Felix Kramer) und Erol Birkan (Fahri Yardım) zusammen

Diese ganze Figurenkonstruktion ist deutlich auf Spannung und Konfliktreichtum getrimmt, wofür die Charaktertiefe geopfert wird und vieles sich entweder im Klischee oder im Überzogenen verliert. Gleich die zweite Szene dreht sich um unromantischen Sex – natürlich Doggy-Style – und auch ansonsten werden viele Brüste und käufliche Liebe präsentiert. Spätestens mit der zweiten Folge bricht ein Gewitter an obszönen Beschimpfungen los, allgegenwärtig scheint in Berlin der Begriff Kanacke zu sein während Bine jede, die ihr in die Quere kommt, als Fotze beschimpft – unterstützend spuckt sie gerne Leute an. Speichel ist in „Dogs of Berlin“ aber nicht die einzige Körperflüssigkeit, die auf unliebsamen Zeitgenossen landet.

Insgesamt uneinheitlich präsentieren sich somit also die zahlreichen Einblicke in die diversen Lebenswelten von Berlin: Für jede Figur, die Neugierde auf ihre Geschichte und Hintergründe zu wecken versteht, kommt eine andere um die Ecke, bei der zu deutlich zu tief in die Klischeekiste gegriffen wurde. Auch bei den Handlungen läuft so einiges holprig, gezwungen und alles andere als stringent.

Was bei „Dogs of Berlin“ in den allermeisten Fällen jedoch gut herüberkommt, sind die Bilder aus Berlin und seinen unterschiedlichen Gegenden im Osten und Westen. Der Gegensatz zwischen Hochhaussiedlung und kleinem Einfamilienhaus im Außenbezirk wird ebensogut eingefangen wie Straßenszenen, die einschlägige Wahrzeichen Berlins wie den Funkturm auf natürliche Art im Hintergrund haben. Schwierige Ausnahme ist hier das Fußballspiel, das in der dritten Episode durch die Anwesenheit zahlreicher Protagonisten im Stadion in den Mittelpunkt rückt und wo ganz klar kein Budget vorhanden war, ein Spiel in einem mit zehntausenden Zuschauern besetzten Stadion zu inszenieren.

„Dogs of Berlin“ gelingt es durchaus, mit Kurt Grimmer und Erol Birkan zwei interessante Protagonisten aufzubauen, wobei Grimmer-Darsteller Felix Kramer es auch schafft, seinen windigen Polizisten als Westentaschen-Don-Draper herüberzubringen, der auch mit einem Baby auf dem Arm neue Frauenbekanntschaften bezirzen kann. Letztendlich bringt sich die Serie aber mit künstlich wirkenden, überzogenen Obszönitäten und ebensolchen Dialogen um die Chance, den Zuschauer dauerhaft zu fesseln. Zu oft wird man aus der Immersion gerissen. Auch mit bellenden Hunden, die das Thema der Serie in Erinnerung rufen sollen, hätte man gerne sparsamer umgehen können.

An vielen internationalen Serien fällt dem deutschen Zuschauer nicht auf, wie gekünstelt die Figuren, wie überzogen die Organisationen und wie klischeehaft die großen sozialen Strukturen dargestellt werden. Bei „Dogs of Berlin“ ist genau das für den deutschen Zuschauer überdeutlich sichtbar.

Letztendlich ist „Dogs of Berlin“ eine mäßig neue, optisch interessant inszenierte Geschichte, die es dem deutschen Zuschauer nicht leicht macht, die erzählerischen Freiheiten zu ignorieren, die Alvart sich immer wieder nimmt. Kann man gucken, muss man aber nicht.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Serie „Dogs of Berlin“.

Meine Wertung: 2,5/​5


Bernd Krannich
© Alle Bilder: Netflix


Die komplette zehnteilige erste Staffel von „Dogs of Berlin“ wurde von Netflix am 7. Dezember 2018 veröffentlicht und ist dort abrufbar.

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

    weitere Meldungen