Scorpion – Review

Actionreiches Nerdabenteuer bleibt unglaubwürdig – von Bernd Krannich

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 26.01.2015, 14:44 Uhr

Das Team von Scorpion bei der Arbeit


Genies sind anders. Das vermittelt gleich die erste Szene der neuen Serie „Scorpion“. In der sorgt der junge Walter O’Brien mit seiner kindlichen Neugierde für einen Anti-Spionage-Einsatz: Walter hat sich bei die NASA eingehackt, um sich die Blaupause des Space-Shuttles herunterzuladen. Denn er will sie sich als Poster an die Wand hängen. Das sorgt für die erste traumatisierende Begegnung von Walter und Agent Cabe Gallo (Robert Patrick), als ein Einsatzkommando in Erwartung terroristischer Umtriebe das Elternhaus des genialen Jungen stürmt. Erst dadurch wird Walter klar, wie andere Menschen sein Handeln interpretieren müssen.

Schnell wird auch die zweite Prämisse der Serie vermittelt: Von den Menschen mit einem durchschnittlichen Intelligenzquotienten haben die Genies nichts Gutes zu erwarten. Denn Walters Zusammenarbeit mit Gallo endete abrupt, als ein von Walter entwickeltes System zum Abwurf von Hilfsgütern für den Abwurf von Bomben zweckentfremdet wurde – mit verheerenden Folgen für Zivilisten, da Walters System dem ursprünglichen Zweck entsprechend eben auf „Geschwindigkeit“ und nicht auf „Präzision“ ausgelegt war …

Mittlerweile hat sich Walter (Elyes Gabel) zum Ziel gesetzt, andere, empfindlichere Genies vor den Fallstricken der „Realität“ zu schützen. Dazu hat er eine kleine Firma gegründet, die aber zum Serienbeginn nicht nur finanziell in Schwierigkeiten steckt: Denn auch wenn sich Walter als Beschützer aufspielt, so fehlt es ihm doch selbst immer noch an den grundlegenden notwendigen Qualitäten.

Der Serienauftakt bringt mit zwei Veränderungen die Handlung ins Rollen. Einerseits lernt Walter den introvertierten Jungen Ralph (Riley B. Smith) kennen. Der gilt seiner alleinerziehenden Mutter Paige (Katharine McPhee) als entwicklungsgestört, entpuppt sich aber als „unterfordertes Genie“. Daneben wendet sich Agent Gallo im Regierungsauftrag an Walter, da das Genie ihm in einem zivilen Notfall als einzige Rettung erscheint. Durch den Kontakt mit Ralph als „jungem Selbst“, Paige als love interest sowie einer neuen Aufgabe im Dienst der Öffentlichkeit findet Walter sein Gleichgewicht, um den anderen Genies mit der Firma Scorpion Schutz und Berufung zu geben.

Die Figuren Im Zentrum der Serie steht ganz klar Walter O’Brien. Unter den Genies ist er derjenige, der über seine Situation am intensivsten Selbstreflektion betreiben kann, während die anderen vor allem mit sich selbst beschäftigt sind. Mit dem jungen Ralph kann er Situationen aus seiner Kindheit aufarbeiten. Daneben manövriert er mit seiner Firma stellvertretend für seine Freunde um die Fallstricke der Außenwelt.

Die anderen Genies sind: der überempfindliche Sylvester (Ari Stidham), eine Mischung aus „menschlichem Taschenrechner“ und Riesenbaby; Mechaniker-Wunderkind Happy Quinn (Jadyn Wong), die von ihrem Vater nach dem Tod der Mutter ins staatliche Pflegesystem abgegeben wurde, und der spielsüchtige Adrenalin-Junkie Toby (Eddie Kaye Thomas), ein ausgebildeter Psychiater.

Agent Gallo (Robert Patrick) hat als „Rad im Getriebe“ die Mitverantwortung an der damaligen Zweckentfremdung von Walters Hilfsgüter-Plan zu tragen, war damals selbst von seinen Vorgesetzten im Dunkeln über die wahren Motive gelassen worden. Daher versucht er nun, „Gutes“ zu tun. So unterstützt er Walter trotz aller Probleme des Genie-Teams mit allen Kräften. Dabei ist Gallo aber auch ein Realist und das Arbeiten innerhalb von Vorschriften und restriktiven Hierarchien gewohnt.

Die Fallstricke Als Regisseur für den Serienpiloten hat sich CBS seinerzeit Justin Lin ins Boot geholt, der davor vor allem als Regisseur mehrerer Teile aus dem „The Fast and the Furious“-Film-Franchise bekannt war. Entsprechend ist auch „Scorpion“ recht actionlastig. Das allerdings nicht gerade auf eine gute Art und Weise, sondern eher plakativ und plump. Insbesondere die Pilotepisode, die einen abstrusen Flugzeugstunt enthält, schaffte es durchgängig, von Fernsehkritikern Kopfschütteln zu erhalten.

Häufig will „Scorpion“ mit dem Kopf durch die Wand, gerade in Sachen Action. Dabei geraten die Genies häufig durch hochtrabende Pläne in eigentlich aberwitzige Situationen, die dann aber doch zu ihren Gunsten ausgehen. Was bei weltgewandteren Figuren sicherlich zu humorvollen Szenen führen würde, mündet in dieser Serie eher in Fremdschämen und macht die Handlungen noch unglaubwürdiger als sie sonst schon sind.

Alleinerziehende Mutter und Projektmanagerin: Paige (Katherine McPhee)
Generell ist zu sagen, dass trotz der Genies und ihrer ja eigentlich „wissenschaftlichen“ Leistungen die Probleme, Informationen und Lösungen bei „Scorpion“ häufig „vom Himmel“ fallen, also kaum logisch aufgebaut werden oder der Zuschauer aus dem Lösungsweg selten noch etwas mitnimmt. In den letzten Jahren war – auch begünstigt durch die fortschreitende technische Entwicklung – in Serien eher ein Hang hin zur Glaubwürdigkeit und Folgerichtigkeit zu beobachten. Serien-Geschehnisse waren in der Realität verhaftet, aber häufig zugunsten der Fernsehunterhaltung übertrieben (etwa Schnelligkeit bei DNA-Tests in Krimiserien). Bei „Scorpion“ hingegen wird oftmals zu einer nicht mehr zeitgemäßen „Alles ist Möglich“-Philosophie gegriffen. Ob es um die Vorgänge in einem Atomkraftwerk oder ein Musikhits-schreibendes Computerprogramm geht: Diese Dinge werden in der Serie so (un-)realistisch und wenig nachvollziehbar dargestellt, wie andernorts etwa magische Eigenschaften von König Artus’ Schwert Excalibur.

Auch das Schauspiel vermag zumindest in den ersten Folgen kaum zu überzeugen. Gerade dem eigentlich im britischen Fernsehen schon über Jahre gut beschäftigten Hauptdarsteller Elyas Gabel gelingt es nicht, den schmalen Grat darzustellen, auf dem seine Figur wandelt: eigentlich wegen seines Genies nicht emotional befähigt zu sein, trotzdem in Ansätzen Gefühle für seine Freunde und Paige zu haben.

Auch die anderen Figuren bleiben hölzern. Das ist zwar bei solcherart Serien nicht ganz unüblich, wo sehr eigenwillige, in ihrer emotionalen Entwicklung gestörte Figuren aufeinandertreffen. Diese gewinnen meist erst nach der ersten Staffel durch die allmähliche Aufarbeitung der jeweiligen Vorgeschichten Konturen – „Fringe – Grenzfälle des FBI“ und „Leverage“ sind Beispiele mit gelungener, späterer Entwicklung. Letztendlich ist solch eine „Wartezeit“ von mehreren Episoden bis zum Pay-Off in der heutigen, schnelllebigen Zeit jedoch kaum noch einem Zuschauer zu vermitteln.

Einordnung Für wen ist „Scorpion“ nun zu empfehlen? Grundsätzlich lässt sich die Serie in die Einflüsse ihrer „Väter“ zerlegen, die allesamt ihre Fingerabdrücke hinterlassen haben: zum einen der bereits erwähnte Regisseur Justin Lin, der für einen gewaltigen Schuss Action steht, der aber dank Fernseh-Budgets leider zu häufig unfreiwillig komisch wirkt.

Daneben waren Alex Kurtzman und Roberto Orci für das Drehbuch zum Serienpiloten verantwortlich. Wie in ihrer anderen Schöpfung „Sleepy Hollow“ mangelt es der Serie an Bodenhaftigkeit, statt der „Realität“ bestimmt vollends die Fantasie der Macher die Handlung. Von der Kurtzman/​Orci-Serie „Hawaii Five-0“ kennt man bereits, dass die Hauptfiguren oberflächlich und plakativ bleiben und gerne in Platitüden reden.

Fazit „Scorpion“ wirkt in vielen Facetten anachronistisch. Diverse Aspekte entsprechen einfach nicht modernen Standards: Man wagt sich an große Special-Effects und mutet den Zuschauern schlechte Ideen und ungenügende Umsetzungen zu. Erzählerisch ist die Serie auf einem Niveau von vor zehn bis 15 Jahren – und macht damit alle Fehler, die Kritiker „den Networks“ (im Gegensatz zum US-Kabelfernsehen) vorwerfen.

Schlussendlich muss das Urteil zu „Scorpion“ lauten, dass die Serie nicht verhehlen kann, dass das Durchschnittsalter ihres Originalsenders bei 58+ liegt (4 Jahre über dem Schnitt aller Broadcast Networks und 14 Jahre über dem des allgemeinen „Durchschnittszuschauers“). Entsprechend kann sie nur Zuschauern empfohlen werden, die ihre Serien eher nebenbei schauen, um kurzzeitig abzuschalten. All das, was in den letzten Jahren den Ausspruch von „Fernsehen als dem neuen Kino“ brachte, wird hier ignoriert. „Scorpion“ ist reiner Eskapismus und lädt kaum zum tieferen Engagement ein.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten neun Episoden der Serie.

Meine Wertung: 2/​5

Bernd Krannich
© Alle Bilder: CBS Television Studios

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

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