Nicolas Poussin (1594–1665), der als gelehrter Maler galt, verkehrte in den gebildetsten Kreisen Roms. Er scheute sich nicht, ikonografische Neuerungen in seine Gemälde einzuarbeiten, die auf einer genauen Kenntnis der theologischen Überlegungen seiner Zeit beruhten. Der Vergleich der beiden Fassungen der „Flucht nach Ägypten“ zeugt davon, dass Poussin zögernd und tastend vorging, indem er gefundene Lösungen häufig wieder verwarf. Doch welches der beiden Gemälde ist nun der „echte“ Poussin? Darüber sind die
Kunsthistoriker geteilter Meinung. Seit 2008 stellt das Musée des Beaux-Arts in Lyon Poussins „Flucht nach Ägypten“ als Dauerleihgabe des Louvre aus. Das Gemälde ist eine neue, überraschend aufgetauchte Fassung. Sein Fund hat Zweifel an der Echtheit der bis dahin bekannten, von Poussin-Experten eindeutig dem Meister zugeschriebenen Darstellung aufkommen lassen und darüber hinaus Fragen in Bezug auf Poussins gesamte Schaffensweise aufgeworfen. Die Wissenschaft steht vor einem Rätsel. (Text: arte)