„Total Dreamer“: Day(time) dreams come true – Review

Lichtblick für Fans brasilianischer Telenovelas im deutschen TV

Gregor Löcher
Rezension von Gregor Löcher – 09.02.2019, 14:00 Uhr

Die vier Hauptcharaktere von „Total Dreamer“ – Bild: Globo/Renato Rocha Miranda
Die vier Hauptcharaktere von „Total Dreamer“

Mehrere Jahrzehnte ist es her, dass eine Telenovela des brasilianischen Fernsehsenders Rede Globo („Wildcat“, „Vale Tudo“) im deutschen Fernsehen uraufgeführt wurde. Ab dem 11. Februar (Vorpremiere am 10. Februar abends) hat das Warten ein Ende: Der deutsche Free-TV-Sender sixx strahlt wochentäglich die Serie „Total Dreamer – Träume werden wahr“ aus. Wer seit den frühen 90er Jahren keine brasilianische Telenovela mehr sehen konnte und seitdem der täglichen Dosis „Das Recht zu lieben“ oder „Spiel mit dem Feuer“ nachtrauert, wird da natürlich hellhörig. Aber auch dieses Seriengenre ist nicht stehengeblieben – Fans dürften also gespannt sein, wie eine aktuelle Telenovela aus dem südamerikanischen Land wohl aussieht.

Bei „Total Dreamer“ handelt es sich nicht um ein Kostümdrama zur Zeit der Sklaverei, wie das bei vielen brasilianischen Telenovelas der Fall ist („Die Sklavin Isaura“, „Sinhá Moça“). Stattdessen spielt es zur Jetzt-Zeit, vornehmlich in der Metropole Rio de Janeiro. Es beginnt mit einem Kniff, der bei Telenovelas gerne herangezogen wird: Eine Traumsequenz, die einen ersten verstohlenen Einblick in die Gemütswelt der Protagonistin gibt, dann aber mit einem harten Schnitt abgebrochen wird und den Zuschauer in die Realität der Hauptdarstellerin hineinwirft. Man denke an Claudias Feuerinferno-Albtraum in der Auftaktszene von „Wildcat“ oder Rosas Kampf mit ihrer Schwester zu Beginn der kürzlich auf Sat.1 Emotions gestarteten portugiesischen Telenovela „Frozen Memories“. In der ersten Einstellung von „Total Dreamer“ hingegen steht die junge Eliza (Marina Ruy Barbosa) im Mittelpunkt, augenscheinlich ein erfolgreiches Model, bewundert und angebetet für ihre Schönheit. Doch – zack – ist der Tagtraum auch schon vorbei, und Eliza findet sich in ihrer tristen Wirklichkeit als Bedienung in einer Poolbar wieder, in der sie von ihrem despotischen Stiefvater Dino (Paulo Rocha) herumkommandiert wird und in der ersten Folge gleich zweimal den Müll rausbringen muss.

Mit diesem Leben möchte sich Eliza aber nicht abfinden. Sie erzählt ihren kleinen Halbgeschwistern die Gutenachtgeschichte von einem armen Mädchen, das eines Tages von einem reichen Prinzen gerettet wird. Wie es der Zufall (bzw. der Autorenstab) so will, verirrt sich Arturo (Fábio Assunção), der charmante Chef einer Modelagentur, nach einer Autopanne in besagte Poolbar (welche gleichzeitig eine Autowerkstatt zu sein scheint) und rettet in einer spontanen Aktion Eliza vor den Nachstellungen ihres Stiefvaters. Der Hinweis der kleinen Schwester, dass Arturo aussieht wie der in Elizas Geschichte geschilderte Märchenprinz, wäre gar nicht mehr nötig gewesen – Eliza ist fasziniert von dem unerwarteten Glanz in ihrer leidlich glamourösen Welt. Arturo wiederum bewundert Elizas Schönheit und fragt sie, ob sie nicht Model werden möchte. Anschließend braust er in seinem Auto davon (um das Topmodel Daniele Lieb Dich – kein Witz! – rechtzeitig zum Flieger nach Australien zu bringen), aber es lässt sich bereits erahnen, dass sich Eliza und Arturo wohl nicht zum letzten Mal gesehen haben werden.

Schöne Leute Teil 1
Träumt von einem besseren Leben: Stiefkind Eliza. Globo
Den Müll will sie auf jeden Fall nicht für immer rausbringen müssen. Globo
Für einen Widerling sieht Dino gar nicht allzu unattraktiv aus. Aber … Globo
 … er stellt seiner Stieftochter nach. Globo
Diva! Wie man ein Mäntelchen stilecht trägt, hat sich Carolina von „Denver“-Biest Alexis abgeguckt. Globo
Dorita gönnt ihrer Schwester Carolina deren luxuriösen Lebensstil … nicht! Globo
Äußerst beliebt bei der Damenwelt: Arturo. Globo
Alte Liebe rostet nicht … Carolina und Arturo. Globo
So lieb ist Biest Carolina grundsätzlich nur zu Tieren. Globo

Das Thema „armes Aschenputtel wird von reichem, erfahrenem Mann gerettet“ ist kein neues, auch und gerade in der Welt der Telenovelas nicht. Allerdings zeigen die meisten Promos von „Total Dreamer“ Eliza nicht an der Seite von Arturo, sondern von Jonatan (Felipe Simas) – einem jungen Mann, den wir in der ersten Folge dabei kennenlernen, wie er sich in den Straßen von Rio de Janeiro durch den Verkauf von Erdbeerbonbons durchschlägt. Die reiche, gutherzige Lili (Vivianne Pasmanter) gibt ihm 100 Dollar für seine Bonbons und beobachtet anschließend besorgt, wie der Anführer einer Straßengang versucht, Jonatan das Geld wegzunehmen.

Fernab der trostlosen Welt von Eliza und Jonatan gibt es das luxuriöse Leben der ehrgeizigen Carolina (Juliana Paes). Diese stammt ursprünglich zwar ebenfalls aus dem Armenviertel (woran ihre weniger erfolgreiche Schwester sie gern erinnert), hat sich aber beruflich nach oben gekämpft und leitet das einflussreiche Modemagazin Totalmente Diva. Die Grenze zwischen Beruf und Privatleben ist bei Carolina fließend. So hatte sie eine Affäre mit Modelagenturchef Arturo, der sie für Fotoshootings mit den angesagtesten Models versorgt, und nun macht sie Germano (Humberto Martins) schöne Augen, mit dessen Firma sie einen lukrativen Vertrag abschließen will. Germano ist aber leider schon verheiratet – mit Lili. Diese riecht Lunte von der eher entspannten Einstellung ihres Ehemanns zum Thema Treue und lädt sich spontan auf den von Carolina und Germano geplanten Flug nach Australien mit ein. Mit an Bord ist auch Arturo, der Lili auf Carolinas Geheiß hin sofort umgarnt. Und noch bevor die Credits des Abspanns laufen, stellt sich beim Zuschauen das angenehme Kribbeln ein, das entsteht, wenn in Serien mit Soap-Elementen die verschiedenen Handlungsstränge und Charaktere schön zu einem Netz verknotet werden, aus dem sich letztere für den weiteren Verlauf nicht so leicht wieder befreien werden.

Das Potential für zahlreiche Konflikte wird von der ersten Szene an konsequent an allen Schauplätzen der Serie verstreut, und es braucht nur noch abgewartet werden, bis sich die zahlreichen Brandherde entzünden: Arm gegen Reich, Durchtrieben gegen Unschuldig, Ehrlich gegen Verlogen, Naiv gegen Opportunistisch. Die weiteren Handlungsstränge beinhalten unter anderem Fotograf und Womanizer Rafael (Daniel Rocha), der die treuherzige Lu (Julianne Trevisol) nach einem One-Night-Stand abservieren will, bis er erfährt, dass sie für ein Modemagazin arbeitet; Lili, die sich vom Leben zurückgezogen hat, seitdem ihre Tochter Sofia vor zwei Jahren ums Leben gekommen ist (worin auch Rafael irgendwie verwickelt zu sein scheint); Jonatan, der seiner Mutter am Telefon vorgaukelt, es in Rio de Janeiro „geschafft“ zu haben und einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen, obwohl er eigentlich keinen festen Wohnsitz hat und nachts auf der Straße auf die Fahrzeuge der Besucher eines angesagten Clubs aufpasst, in der Hoffnung, dass sich ihm diese dafür finanziell erkenntlich zeigen; Eliza, die sich ebenfalls auf den Weg nach Rio macht, um der Strafverfolgung wegen der vermeintlichen Tötung ihres Stiefvaters zu entgehen; die vergangene, aber irgendwie doch noch nicht so ganz vergessene Affäre zwischen Carolina und Arturo.

Wer die täglichen Serien des deutschen Nachmittagsprogramms als Maßstab für „Total Dreamer“ nimmt, wird aus dem Staunen nicht herauskommen. Aufwändige Kulissen auf der einen Seite, zahlreiche Außendrehs nicht nur in Brasilien, sondern auch in Australien auf der anderen Seite. Handwerklich tadellos gemacht, sodass schnell klar wird, dass die Popularität von Telenovelas in ihrem Heimatland dazu führt, dass diese mit viel mehr Aufwand produziert werden können, als das hierzulande der Fall ist. Dass es sich um eine Serie aus dem Soapbereich handelt, merkt man an der Attraktivität der Besetzung. Selbst der als Ekel dargestellte Stiefvater von Eliza sieht aus, als könnte er auf einer von Carolinas Modezeitschriften abgebildet sein. Dennoch bewirken schauspielerische Leistungen, das Drehbuch und die Kameraführung, dass man die Charaktere ohne Anlaufzeit als „echt“ akzeptiert und sich dafür interessiert, wie es mit ihnen weitergeht.

Schöne Leute Teil 2
Was heißt Augenweide auf Portugiesisch Spanisch? Richtig, Jonatan! Globo
Schöner Wohnen? Jonatan musste bei der Wahl seiner Behausung kreativ sein. Globo
Lediglich durch das Autofenster kann Jonatan einen Blick auf das Leben der Wohlhabenden erhaschen. In dem Auto sitzt: Lili … Globo
Gutherzig, aber nicht blöd: Lili spürt, dass sie lieber auf ihren Mann Germano aufpassen sollte. Globo
In flagranti erwischt: Germano hatte sich den Australien-Trip mit Carolina etwas privater vorgestellt. Globo
Freuen sich auf eine heiße Clubnacht: Lu und ihr GBF. Globo
Noch so ein schöner Mann, aber auch ihm sollte man wohl lieber nicht trauen. Globo
Das findet auch der nicht minder schöne Barkeeper. Wie war das nochmal genau mit Sofias Tod vor zwei Jahren? Globo
Lu wünscht sich die ganz große Liebe. Das muss ja schiefgehen. Insofern folgerichtig, dass sie an Rafael gerät. Globo
Nach dem One-Night-Stand fertigt Rafael ein Sofortbild von Lu an und legt es zu den Fotos seiner anderen Eroberungen in seine Nachttischschublade. Was für ein Fang! Globo

An der deutschen Bearbeitung durch Studio Hamburg ist grundsätzlich nicht alles falsch gemacht worden. Stark enttäuschend ist allerdings, dass der sehr eingehende Titelsong in einer spanischen Sprachfassung gewählt wurde, statt der portugiesischen Originalfassung. Auch die Namen der Charaktere werden in spanische Varianten abgefälscht (Jonatas wird zu „Jonatan“, Arthur wird zu „Arturo“). Eliza nennt ihre kleine Schwester Señorita. Der deutschen Fassung scheint eine spanische Bearbeitung der Serie zugrunde zu liegen, was bei der deutschen Bearbeitung der Bequemlichkeit halber übernommen wurde (als ob man darauf gebaut hätte, dass die deutschen Zuschauenden ohnehin denken, dass in ganz Südamerika Spanisch gesprochen wird). Man darf sich fragen, ob es deutsche Serien gibt, die in Brasilien mit niederländischem Titelsong gezeigt werden und in denen junge Damen mit juffrouw angesprochen werden und die Charaktere Daan und Noor anstatt Lukas und Klara heißen.

Der Trend, dass auch nicht-englischsprachige Serien in Deutschland einen englischen Titel verpasst bekommen, sowie auch die Ausstattung mit einem obligatorischen Untertitel (der dann aber lieber doch deutschsprachig ist, sicherheitshalber), hat vor „Total Dreamer – Träume werden wahr“ ebenfalls nicht halt gemacht (der Originaltitel „Totalmente Demais“ bedeutet hingegen eher etwas wie „Ganz großartig“). Von diesen babylonischen Verhältnissen sollte man sich aber nicht den Spaß verderben lassen. Wer sich mal wieder nach einer täglichen Dosis Drama sehnt und den Schauplatz Rio de Janeiro reizvoller findet als beispielsweise Grevenbroich (zu sehen in „Freundinnen – Jetzt erst recht“), wäre gut beraten, einen Blick auf „Total Dreamer“ zu werfen. Bedenkenlos einlassen kann man sich auf die neue tägliche Serie auch deswegen, weil bei „Total Dreamer“ ein abgerundetes Ende nach den produzierten 175 Episoden garantiert ist – im Gegensatz zu den deutschen Telenovelas, wo bei kaum einer der Versuchung widerstanden wurde, diese zur Endlossoap mutieren zu lassen. Das Prinzip der abgeschlossenen Serie hat sich in Brasilien anerkennenswerter Weise bis zum heutigen Tag gehalten. Wollen wir nur hoffen, dass wir sie auf sixx auch in ihrer Gesamtheit zu sehen bekommen.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Episoden der Serie „Total Dreamer – Träume werden wahr“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die Serie „Total Dreamer – Träume werden wahr“ (Originaltitel „Totalmente Demais“) wurde in Brasilien vom 9. November 2015 bis zum 30. Mai 2016 beim Sender Rede Globo ausgestrahlt. Sie war dort überaus erfolgreich, wurde in mehrere Länder verkauft und für einen internationalen Emmy als beste Telenovela nominiert. In Deutschland wird die Serie ab dem 11. Februar 2019 wochentäglich im Pay-TV auf Sat.1 Emotions um 15:25 Uhr und im Free-TV auf sixx um 16:30 Uhr ausgestrahlt. Eine Vorpremiere der Episoden 1 und 2 findet am späten Abend des 10. Februar 2019 ab 22:40 Uhr auf sixx statt. Nach der TV-Ausstrahlung sind die Episoden je 35 Tage lang on Demand verfügbar.

Über den Autor

Gregor Löcher wurde in den späten 70er-Jahren in Nürnberg geboren und entdeckte seine Leidenschaft für Fernsehserien aller Art in den 80er-Jahren, dem Jahrzehnt der Primetime-Soaps wie dem Denver Clan und Falcon Crest, was ihn prägte. Seitdem sind Faibles für viele weitere Serien und Seriengenres hinzugekommen, namentlich das der Comedyserie. Seit 2008 ist er als Webentwickler für fernsehserien.de tätig und hat zum Glück nach wie vor die Zeit, sich die eine oder andere Serie anzusehen.

Lieblingsserien: UFOs, Die Brücke, Will & Grace

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