Unser Land in den 60ern Folge 4: Wir können auch anders – 1968 – 1969
Folge 4
4. Wir können auch anders – 1968–1969
Folge 4 (45 Min.)
Die ehemalige Rennfahrerin Hannelore Werner erinnert sich im Film an ihre Zeit in der Formel V, Formel 3 und Formel 2.
Bild: WDR/BROADVIEW TV/Jörg Adams
Ende der 60er Jahre liegt Veränderung in der Luft: Junge begehren gegen Alte auf, Frauen drängen auf mehr Gleichberechtigung, die Jugend will raus aus den angepassten Strukturen. Es knirscht an vielen Stellen. Zechen müssen schließen. Das Ruhrgebiet ist nicht mehr nur Arbeiter-, sondern zunehmend auch Akademiker-Revier. In der letzten Folge der neuen vierteiligen WDR Reihe „Unser Land in den 60ern“ stehen 1968 und 1969 im Fokus: Frauen zeigen, dass sie auch anders können. Eine Rennfahrerin fährt den Männern davon und Geseke feiert „seine“ Olympiasiegerin der Spiele in Mexiko. Willy Brandt wird der erste Bundeskanzler der SPD und die Amerikaner landen auf dem Mond. Das Land im Umbruch. Menschen aus der Türkei, Spanien, Griechenland oder Italien, die für die Arbeit unter Tage angeworben wurden, bauen sich neue Existenzen auf. Mittendrin eine Pizzeria in Oberhausen. Rosetta Leones Onkel Salvatore ist 1968 einer der ersten im Revier. Rosetta verlässt ihr Dorf in Kalabrien und macht sich als junges Mädchen auf nach Oberhausen. Aus dem Ferienjob wird eine Lebensentscheidung. Sie bringen die Pizza nach Oberhausen und damit ins Revier. Noch heute betreibt Rosetta Leone das Restaurant. Zur gleichen Zeit starten ein paar Kilometer weiter die Internationalen Essener Songtage – eine Art Woodstock im Revier, ein Jahr vor dem legendären Festival in den USA. Politische Diskussionen gehören in Essen dazu. In allen größeren Städten Nordrhein-Westfalens demonstrieren Menschen für mehr Freiheiten und Mitbestimmung. Proteste gegen einen für sie altbackenen und konservativen Staat. Sie wehren sich gegen schlechte Studienbedingungen und Professoren, die schon währen der Nazi-Diktatur lehrten. Hannelore Werner zeigt es den Männern auf der Rennstrecke. Die 26-jährige Zahntechnikerin
aus Hürth fährt in der Formel V und in der Formel 3 und 2. Unter anderem gewinnt sie den Vorläufer des 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring. Ingrid Becker aus Geseke sorgt in Mexico City 1968 für Furore. Sie holt das erste Gold dieser Olympischen Spiele für die Bundesrepublik und zwar im Fünfkampf. Den coolsten Werbespot des Jahrzehnts schafft ein Mann, der am liebsten gelbe Overalls trägt: Charles Wilp aus Witten. Er kreiert den legendären Afri-Cola-Spot: Lasziv blickende Models in Nonnentracht schlürfen Cola. Der Spot ist so revolutionär, dass er später sogar zur documenta eingeladen wird. 1969 wird Willy Brandt zum ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler gewählt. Er steht für eine vor allem von den Jüngeren geforderte neue Politik. Die sozial-liberale Koalition im Bund hat ihr Vorbild in Düsseldorf mit Ministerpräsident Heinz Kühn und Innenminister Willi Weyer. 1969 bringt Ford den Capri auf den Markt. Ein Auto für die jungen Wilden. Walter Winkler ist sofort hin und weg. Der Capri wird sein erstes Auto. Und es folgen noch viele. Für ihn verkörpert das Fahrzeug ein Gefühl von Freiheit und ‚anders sein‘ in einer Zeit der Käfer und Kadetts. Er schwärmt noch heute: „Sobald ich mich in den Capri setze, ist das ein Gefühl wie als wäre ich 18. Das ist wie Zeitblende, wie ein Schalter, den man umlegt.“ Im Juli 1969 hält die Mondlandung die Welt in Atem. Auch hier fiebern die Menschen mit. Drei Monate nach ihrer Landung sind die Astronauten in Köln zu Gast. Und beim Empfang im Rathaus kommt es zur Begegnung von Neil Armstrong mit einem entfernt verwandten Onkel aus dem Münsterland. Was kann da noch schief gehen, auf dem Weg ins neue Jahrzehnt? Der erste Mensch, der eine Fahne in die Oberfläche des Mondes rammt, hat seine Wurzeln, ganz großzügig betrachtet, in Nordrhein-Westfalen. (Text: WDR)