[UPDATE] Programmänderung zum Tod von „Twin Peaks“-Schöpfer David Lynch

Visionärer US-Regisseur stirbt kurz vor 79. Geburtstag

Christopher Diekhaus
Christopher Diekhaus – 18.01.2025, 10:12 Uhr

David Lynch (l.) als Agent Gordon Cole in der von ihm erdachten Serie „Twin Peaks“ mit Miguel Ferrer – Bild: Showtime/Suzanne Tenner
David Lynch (l.) als Agent Gordon Cole in der von ihm erdachten Serie „Twin Peaks“ mit Miguel Ferrer

„Geheimnisse sind gut, Verwirrung ist schlecht!“ So beschrieb der nun im Alter von 78 Jahren verstorbene David Lynch das hinter seinem schrägen, oft surrealistischen Werk stehende Credo. Beginnend mit seinem ersten Spielfilm, dem Body-Horror-Drama „Eraserhead“ (1977), fand er in der häufig so stromlinienförmigen US-Filmindustrie eine Nische, in der er zu einem weltweit gefeierten Regisseur und Drehbuchautor aufsteigen konnte.

UPDATE: Zum Tod von David Lynch ändert arte kurzfristig sein Programm und zeigt am Mittwoch, den 22. Januar um 20:15 Uhr mit „Mulholland Drive“ eines seiner Meisterwerke. Das Psychodrama mit Naomi Watts, Laura Harring und Justin Theroux wird zudem für kurze Zeit, vom 22. bis 28. Januar, auf arte.tv online verfügbar sein. In der Mediathek stehen auch die beiden Dokumentationen über den visionären Ausnahmekünstler, „Es war einmal.. ‚Wild at Heart‘ (Frankreich, 2008) und „Blow up: Worum ging’s bei David Lynch?“ (Kurzbeitrag) auf Abruf zur Verfügung.

Die Abgründe hinter schmucken Fassaden, das Wühlen im Dreck, in menschlichen Obsessionen sind Markenzeichen seiner Arbeiten. Pointiert eingefangen im Suburbia-Noir „Blue Velvet“ (1986), dessen Protagonist durch ein im Gras entdecktes abgetrenntes Ohr in die finstere Unterwelt eines vermeintlich beschaulichen amerikanischen Vorortes hineinstolpert.

Den schönen Schein zertrümmerte Lynch nicht zuletzt in der zusammen mit Mark Frost erdachten ABC-Serie „Twin Peaks“, die sich Anfang der 1990er Jahre schnell zu einem Fernsehphänomen entwickelte. Mysteriös, absurd, unbehaglich – mit einem einzigen Wort lässt sich dieses nur vordergründig als Krimi angelegte Biest nicht fassen. Typisch Lynch, nahm er einen Mordfall und ein fiktives Kleinstadtsetting zum Anlass, um ein Panorama der Kuriositäten und Grausamkeiten zu entblättern. Großes Kino auf dem kleinen Bildschirm, herrlich eigenwillig und gleichzeitig aufregend genug, um Kultstatus zu erlangen. Die Frage Wer hat Laura Palmer getötet? bewegte Zuschauer rund um den Globus. Auch wenn mit der zweiten Staffel das Interesse spürbar nachließ und die Senderverantwortlichen daraufhin den Stecker zogen, gibt es nicht wenige Menschen aus der Unterhaltungsbranche, die „Twin Peaks“ bahnbrechenden Einfluss bescheinigen. Heute als Qualitätsfernsehen hochgehaltene Produktionen wie „Die Sopranos“ oder „Six Feet Under“ seien ohne das Lynch-Format ein Stück weit undenkbar.

Besonders interessant ist im Fall des als Außenseiter wahrgenommenen Filmemachers, dass er schon mit seinem zweiten Projekt ins Big-Budget-Segment hineinstieß. Das auf wahren Begebenheiten beruhende Historiendrama „Der Elefantenmensch“ (1980) kommt als aufwendiges Ausstattungskino daher und ist mit John Hurt und Anthony Hopkins prominent besetzt. Acht Oscar-Nominierungen, darunter eine für die beste Regie, waren der Lohn. Doch schon im Anschluss sollte David Lynch schmerzhaft erfahren, was es heißt, in Hollywood Prestigeproduktionen zu verantworten. Die Arbeit an „Der Wüstenplanet“ (1984), einer Adaption von Frank Herberts gleichnamigem Science-Fiction-Klassiker, wurde von zahlreichen Problemen begleitet. Und am Ende schnitten die Geldgeber Lynchs Version drastisch zusammen. Bei einer dreistündigen Fernsehfassung ließ der Regisseur gar seinen Namen aus den Credits entfernen und durch das in solchen Fällen oft verwendete Pseudonym Alan Smithee ersetzen.

Das Trauma saß tief. Davon wusste Lynch seither in vielen Interviews zu berichten. Und so ist es nur verständlich, dass er sich fortan wieder in die dunklen Ecken der US-Filmindustrie zurückzog, um seine unangepassten Visionen, seine Vorliebe für verschachtelte Erzählungen und Leerstellen so uneingeschränkt wie möglich umsetzen zu können. Zum Glück, möchte man sagen. Denn sonst wären uns vielleicht Werke wie „Blue Velvet“, der irrwitzige und mit der Goldenen Palme bedachte Love-Story-Roadmovie-Märchen-Mix „Wild at Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula“ (1990), der labyrinthische Identitätsthriller „Lost Highway“ (1997), das überraschend berührende Drama „Eine wahre Geschichte – The Straight Story“ (1999) oder der rätselhafte Hollywood-Albtraum „Mulholland Drive“ (2001) entgangen. Letzterer war ursprünglich als Pilotfilm für eine Fernsehserie konzipiert. Aus Angst, das Publikum zu überfordern, nahmen die Entscheidungsträger jedoch von der Sache Abstand.

Die große Bühne betrat David Lynch nach seinem eher verhalten aufgenommenen Kinostreifen „Inland Empire“ (2006) in den vergangenen Jahren nur noch selten. Umtriebig blieb er dennoch, drehte Kurzfilme und erfreute die Öffentlichkeit mit Videos, in denen er aus seinem Haus in Los Angeles kurze Wetterberichte absetzte. Ebenfalls amüsant: Sein Cameo in Steven Spielbergs autobiografischem „Die Fabelmans“ (2022), wo er Hollywood-Legende John Ford verkörperte. Sehr aktiv war Lynch auch auf einem anderen Feld, das man durchaus kritisch sehen muss: Als langjähriger Anhänger der sogenannten Transzendentalen Meditation (TM) schwang er sich mit seiner David Lynch Foundation for Consciousness Based Education and World Peace zu einem großen Promoter dieser „Geistigen Erneuerungsbewegung“ auf und tourte durch die Lande. TM sei die Quelle seiner Inspiration, bekräftigte er 2007 bei seinem Besuch an der Universität zu Köln. Einer grotesken Veranstaltung, die glatt aus einem seiner Filme hätte stammen können. Begleitet von weißgewandeten, bekrönten Herren, die allerlei esoterische Versprechungen im Gepäck hatten, lächelte Lynch kritische Rückfragen weg und gab sich betont charmant – trotz zwischenzeitlicher Tumulte. So befremdlich derartige Auftritte auch sein mögen, wirklich verwundern sollten sie nicht. Wahrscheinlich muss man einfach ein bisschen strange sein, wenn man sich Werke wie „Twin Peaks“ und „Lost Highway“ ausdenkt.

Nach einem kleinen Hype um die 2017 veröffentlichte dritte Staffel von „Twin Peaks“ (1992 war schon der als Prequel angelegte Leinwandbeitrag „Twin Peaks – Der Film“ erschienen) wurde es ruhiger um den eigensinnigen Film- und Fernsehkünstler, der 2019 einen Ehren-Oscar erhielt. Wohl vor allem, weil sich seine Gesundheit verschlechterte. Als die Ärzte 2020 bei ihm ein Lungenemphysem diagnostizierten, gab der passionierte Raucher seine Sucht auf und zog sich aus Schutz zunehmend in die eigenen vier Wände zurück. Diese, so ist nun zu lesen, musste er offenbar im Zuge der Waldbrände in und um Los Angeles verlassen. Tragisch, sollte die damit verbundene Anstrengung nun mit seinem Tod zusammenhängen. Seine Familie, die die traurige Nachricht am 16. Januar über Facebook verbreitete, ging auf die Umstände nicht näher ein. Mit Blick auf die Lücke, die David Lynch hinterlässt, griffen die Angehörigen aber auf eine seiner Lieblingslebensweisheiten zurück (die er übrigens auch beim Erhalt des Filmpreises Köln im Rahmen der Cologne Conference 2010 zum Besten gab): Behaltet den Donut im Auge und nicht das Loch! Ein typischer Lynch eben …

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    18.1. 0:25 BR: The Straight Story
    • (geb. 1978) am

      Wer wissen möchte, wie Lynch privat so getickt hat, sollte mal einen Blick in David Sievekings Dokumentarfilm "David wants to fly" aus dem Jahr 2010 werfen. Spoiler-Alert: Lynch hatte kräftig einen an der Murmel und stand in enger Beziehung zu ziemlich fragwürdigen Personen.
      • (geb. 1980) am

        Toller Artikel, wirklich sehr gut und angemessen geschrieben!
        Lynchs Werk ist auf jeden Fall so außergewöhnlich, dass auch er selbst nicht vergessen wird.
        • am

          Mein Mitgefühl mit den Hinterbliebenen. Weiß jemand ob ein Film ihm zu Ehren zu sehen ist?
          • am via tvforen.de

            David Lynch, Regisseur von z.B. "Twin Peaks", "Der Elefantenmensch", "Blue Velvet" ist leider verstorben.

            https://www.focus.de/panorama/welt/regisseur-von-twin-peaks-film-legende-david-lynch-ist-tot_id_260642025.html
            • am via tvforen.de

              Sehr schade...R.I.P.

              Ich dachte mir dass er vielleicht irgendwann einen Abschlussfilm macht von Twin Peaks nach dem mal wieder offenem und unzufriedenem Ende der 3ten Staffel...

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