„No Escape“: Saftiges Thriller-Vergnügen im Paradies – Review

Gelungene Geschichte um zwei junge Frauen auf der Flucht

Rezension von Christopher Diekhaus – 27.09.2023, 17:30 Uhr

Lana (Abigail Lawrie, l.) und Kitty (Rhianne Barreto) sind auf dem Sprung. – Bild: Paramount+
Lana (Abigail Lawrie, l.) und Kitty (Rhianne Barreto) sind auf dem Sprung.

Traumhaft schöne Orte, an denen das Böse gärt, um irgendwann mit lautem Knall hervorzubrechen – immer wieder bedienen sich Bücher, Filme und Serien dieses Motivs, das schon wegen seiner Gegensätze wunderbar griffig daherkommt. In Danny Boyles düsterem Abenteuerdrama „The Beach“ etwa blickt ein von Leonardo DiCaprio verkörperter Rucksacktourist auf Thailandreise hinter die Fassade einer geheimen Aussteigerkommune und findet dort Neid, Missgunst und Machtspiele vor. Erinnerungen an diesen intensiven Selbstfindungstrip weckt die sieben Folgen umfassende Romanadaption „No Escape“, in der zwei junge Britinnen auf der Flucht vor ihrem alten Leben auf eine in südostasiatischen Gewässern umherschippernde Yacht gelangen. Dass Serienschöpfer Kris Mrksa („White House Farm Murders“) sein Handwerk versteht, beweisen bereits die ersten beiden für diese Kritik gesichteten Episoden, die würzig-knisternd ausfallen.

Wie zieht man den Zuschauer gleich mit den Anfangsszenen in das Geschehen rein? Wie weckt man am besten seine Neugier? Ganz einfach: Indem man mit einem Fragen aufwerfenden Geheimnis und atmosphärisch-einprägsamen Bildern startet. „No Escape“ beginnt mit Aufnahmen eines führerlos im Meer treibenden Schiffs, das vom Mitglied eines Rettungsteams in Augenschein genommen wird. Der Motor läuft. Essen steht auf einem gedeckten Tisch. Türen schwingen knarzend vor und zurück. Lichtstrahlen dringen vereinzelt in die Innenräume ein. Eine Bluetooth-Box spielt Musik ab. Auf einer Kabinentür steht, vielleicht mit Blut geschrieben, der Hinweis „I confess“ („Ich gestehe“). Das Unheimlichste aber: Weit und breit keine Menschenseele in Sicht. Dieser gespenstische Auftakt könnte glatt aus einem Horrorfilm stammen, ist allerdings der Ausgangspunkt für ein ständig in der Zeit zurückspringendes Thriller-Rätsel.

In der Gegenwart, die in eine unterkühlte, blaugraue Ästhetik getaucht ist, begegnen wir in einer australischen Hafenstadt der Britin Emma (Abigail Lawrie), deren echter Name, so erfahren wir etwas später, Lana lautet. Nach dem Auffinden der unbemannten Yacht „The Blue“ (das ist auch der Originaltitel von Lucy Clarkes Romanvorlage) bittet die örtliche Polizei die junge Frau zum Gespräch, da sie vor kurzem für eine Weile auf besagtem Boot mitgefahren ist. Nervöse Blicke und verkrampfte Hände sprechen eine deutliche Sprache: Lana fühlt sich in die Enge getrieben, hat Angst vor den Fragen der Ermittler. In ihren Antworten bleibt sie vage, gibt mehrfach an, nichts Genaueres zu wissen.

Noch liegt die Yacht „The Blue“ friedlich vor traumhafter Kulisse. Paramount+

Dass das gelogen ist, zeigen die von nun an kontinuierlich eingestreuten Rückblenden. Sechs Wochen zuvor erreichen Lana und ihre Begleiterin Kitty (Rhianne Barreto) in sichtlich aufgewühltem Zustand einen Londoner Flughafen und besteigen einen Flieger nach Manila. Das Duo steckt augenscheinlich in Schwierigkeiten, will alle Brücken abreißen. Was genau vorgefallen ist, bleibt zunächst im Dunkeln. Anhaltspunkte liefert erst ein Albtraum, der die zweite Folge eröffnet und in einer fließenden Bewegung von einer Zeitebene zur anderen wechselt. Unsere Neugier weckt nicht nur die Frage nach den Vorgängen auf der verlassenen Yacht. Auch Lanas und Kittys in Dosen preisgegebene Vorgeschichte sorgt für eine ordentliche Grundspannung.

Ihre kriminelle Energie wird schon in der Einstiegsepisode deutlich. Mit gestohlenen Kreditkarten und gefälschten Unterschriften lassen sie es sich auf den Philippinen gut gehen. Irgendwann bringt sie aber ein gesperrtes Zahlungsmittel in Bedrängnis. Ihr Ausweg aus der brenzlichen Lage: Eine erneute Flucht inklusive einer weiteren Gaunerei, die sie schließlich auf die Yacht des Australiers Aaron (Jay Ryan) führt. An Bord der „The Blue“ tummelt sich mit Denny (Sean Keenan), dem jüngeren Bruder des Skippers, der US-Amerikanerin Shell (Colette Dalal Tchantcho), dem Deutschen Heinrich (Elmo Anton Stratz) und Joseph (Narayan David Hecter), der einen französisch-philippinischen Hintergrund hat, eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die ihren eskapistischen Träumen nachjagt, etwas Freiheit an atemberaubenden Orten genießen will.

Menschen mit ganz unterschiedlichen Einstellungen, Erfahrungen und Temperamenten auf beengtem Raum zusammenzustecken, ist eine gern benutzte Erzählstrategie und sorgt auch in diesem Fall für sich unaufhaltsam anstauenden Druck und zunehmend eskalierende Konflikte. Aarons klare Regeln für einen Platz auf seinem Boot – das Kollektiv steht über allem, demokratische Mehrheiten entscheiden, Sex innerhalb der Crew ist untersagt – wird mit dem Auftauchen Lanas und Kittys ins Wanken geraten. Um das vorherzusagen, muss man kein Prophet sein.

Explosionsgefahr besteht erst recht, nachdem die „The Blue“-Mitglieder auf einem anderen herrenlosen Schiff eine überraschende Entdeckung machen. Wie so viele Film- und Serienfiguren vor ihnen lassen sie sich hier von Gier und falschen Hoffnungen leiten, begehen den Fehler, ihren Fund einfach einzustecken. Das Ende vom Lied: Das Schlechteste im Menschen bricht wieder mal hervor.

Kann man Denny (Sean Keenan) trauen? Paramount+

Dramaturgisch kommt vielleicht etwas viel zusammen, wird das Prinzip Zufall stark ausgereizt. Wirklich nervig ist das jedoch nicht, da der Plot geschickt vorangetrieben wird und die Inszenierung stimmungsvoll gerät. Der Dreh an Originalschauplätzen zahlt sich aus, verleiht dem Stoff bisweilen eine fiebrige Note. Mit wackeliger Handkamera eingefangene Momente auf philippinischen Straßen oder Märkten haben etwas Beklemmend-Drängendes an sich, während eine Wanderung durch üppiges Urwaldterrain regelrecht verwunschen wirkt.

Obwohl die Rückblenden zu Lanas und Kittys Zeit auf der Yacht farblich wärmer gehalten sind als die Passagen in der Gegenwart, lassen sie nur selten unbeschwerte Urlaubs- und Partygefühle aufkommen. Zahlreiche Flashbacks spielen in der Dunkelheit, im Dämmerlicht und reflektieren so die düsteren Elemente der Handlung. Unsere Protagonistinnen laufen vor einer blutigen Vergangenheit davon, werden aber auch im vermeintlichen Paradies nicht glücklich. Egal, wie weit man rennt. Das eigene Handeln holt einen ein. Darauf verweist bereits der Serientitel.

Was „No Escape“ ebenfalls ganz gut hinbekommt, ist die Beziehungsdynamik der beiden Flüchtenden. Lana und Kitty fühlen sich eng verbunden, agieren wie ein eingespieltes Team, fangen die Unsicherheiten der jeweils anderen gekonnt auf. Ein angedeuteter Bruch und eine Offenbarung am Ende der zweiten Folge werten die Figurenkonstellation weiter auf. Verglichen damit erhalten die anderen Charaktere zunächst weniger Profil. Ein paar interessante Enthüllungen mit emotionalem Gewicht gibt es dennoch. In die Klischeefalle tappt die Serie allerdings bei Joseph, der als halber Philippiner mitunter zu sehr in die Rolle des von Schicksal und Mystik raunenden Mahners rutscht. Einen solchen Part hätte zur Abwechslung auch mal ein Nichteinheimischer übernehmen können. Dem saftigen Thriller-Vergnügen tut das jedoch keinen großen Abbruch.

Der Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden von insgesamt sieben Folgen der Serie „No Escape“.

Meine Wertung: 4/​5

Alle Episoden sind ab dem 28. September bei Paramount+ in Deutschland, Österreich und der Schweiz verfügbar.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1967) am

    Ich habe mir den Rest aufgehoben...bin erst bei Folge 2...ist echt nicht übel....

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