„Eternauta“: Leichen pflastern ihren Weg – Review

Dystopischer Comic-Klassiker aus Argentinien von Netflix stimmungsvoll verfilmt

Christopher Diekhaus
Rezension von Christopher Diekhaus – 30.04.2025, 09:01 Uhr

Ricardo Darín in „Eternauta“ – Bild: Netflix
Ricardo Darín in „Eternauta“

Der Stromausfall, der am 28. April 2025 für einige Zeit weite Teile der iberischen Halbinsel lahmlegte, sorgte zwar für ein großes Durcheinander. Vorbote einer die Menschheit bedrohenden Katastrophe war er jedoch nicht. Anders verhält es sich in der Serie „Eternauta“ (ein spanisches Kunstwort, das so viel wie „ewig Reisender“ bedeutet), einer Verfilmung des gleichnamigen argentinischen Kultcomics, den Héctor Germán Oesterheld verfasste und Francisco Solano-López illustrierte. Gleich zu Beginn der Adaption schippern drei jungen Frauen auf einem Boot vor der Skyline des heutigen Buenos Aires umher, die urplötzlich erlischt. Kurz darauf bricht die Hölle los. Die moderne Technik versagt, und ein Großteil der Bevölkerung findet ein grausames Ende.

Schon diverse Male wurde versucht, die zwischen 1957 und 1959 erstmals veröffentlichte Scifi-Graphic-Novel in ein anderes Medium zu überführen. Alle Bemühungen trugen jedoch keine Früchte. Mal war die Umsetzung zu teuer. Dann verhinderten Urheberrechtsstreitigkeiten das Unterfangen. Und mindestens in einem Fall äußerte die Familie des Autors ihre Missbilligung, da sich das betreffende Projekt in ihren Augen zu weit von der Vorlage entfernt hatte.

Mehr als 70 Jahre nach Veröffentlichung der Ursprungsarbeit – später erschienen ein experimentelleres Reboot mit stärkeren politischen Anklängen und einige Fortsetzungen – bringt Streaminganbieter Netflix nun den dystopischen Stoff als sechsteilige Serie an den Start. Endzeit- und Untergangsgeschichten sind mittlerweile fester Bestandteilt der Popkultur, erblickten gerade im letzten Jahrzehnt in wohl nie dagewesener Fülle das Licht der Welt. Kann in diesem Umfeld eine Adaption von „Eternauta“ noch hervorstechen? Oder geht sie im Meer der düsteren Zukunftsvisionen unter? Nach Sichtung der ersten drei Episoden, die der Presse vorab bereitgestellt wurden, lässt sich zumindest Folgendes sagen: Bahnbrechende Ideen sollte man nicht erwarten. Schöpfer Bruno Stagnaro, der auch auf dem Regiestuhl Platz nahm, entwirft jedoch ein atmosphärisches, das Interesse stetig kitzelndes Szenario.

Guter Schutz ist Pflicht in der Welt von „Eternauta“ Netflix

Von der Apokalypse in Buenos Aires heimgesucht wird in „Eternauta“ Juan Salvo (Ricardo Darín), der mit seinen Freunden Alfredo (César Troncoso), Lucas (Marcelo Subiotto) und Polski (Claudio Martínez Bel) Karten spielt, während Polskis aus den Staaten angereister Neffe Omar (Drehbuch-Koautor Ariel Staltari) zuschauen muss. Auf den eingangs erwähnten Stromausfall folgt ein Schneesturm – und das mitten in einer lauen Sommernacht. Alsbald erkennen die Anwesenden, dass die Flocken tödlich sind. Dann nämlich, als einer von ihnen in Panik und aus Angst um seine Familie auf die Straße rennt. Wer sich dem mysteriösen Gestöber schutzlos aussetzt, hat nicht lange zu leben.

Aus dieser Gemengelage ergeben sich Standardsituationen der dystopischen Unterhaltung. Das Auftauchen einer jungen Fahrradkurierin namens Inga (Orianna Cárdenas), einer Figur, die ebenso wie Omar in der Comicvorlage nicht existiert, führt zu Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit Fremden, die um Hilfe bitten. Rasch werden Waffen gezückt. Und natürlich darf auch eine persönliche Rettungsmission nicht fehlen. Mit einer Atemschutzmaske und einer dicken Jacke bedeckt, macht sich Juan auf den Weg, um seine 17-jährige Tochter Clara (Mora Fisz) zu finden, die sich, so hofft er, rechtzeitig in Sicherheit gebracht hat. Unterwegs tut er sich mit seiner Ex-Frau Elena (Carla Peterson) zusammen.

Omar (Ariel Staltari) und Inga (Orianna Cárdenas) wagen sich nach draußen Netflix

Wer angesichts der rätselhaften Katastrophe ein Actionfeuerwerk erwartet, könnte mit „Eternauta“ seine Probleme haben. Bruno Stagnaro lässt uns und die Figuren zunächst im Unklaren. Ein größeres Ausmaß deutet sich an. In der Auftaktfolge konzentriert sich das Geschehen allerdings die zumeist auf Alfredos Haus, in dem sich die Freunde treffen. Krachende, hektisch gefilmte und geschnittene Untergangsbilder bleiben aus. Und doch erzeugt der bange Blick durch die Fensterscheiben auf ein ausgestorben wirkendes, mehr und mehr von toxischem Schnee bedecktes Viertel ein Gefühl der Beklemmung und Ausweglosigkeit.

Folgen wir Juan dann durch die verschneiten Straßen, verstärkt sich der Eindruck, es wirklich mit einer handfesten Bedrohung zu tun zu haben. Eingefrorene Leichen pflastern seinen Weg. Und nur ganz selten wird die beängstigende Stille – ein Zeichen dafür, dass wenige Menschen überlebt haben – von Geräuschen, etwa dem Heulen des Windes, durchbrochen.

Technisch setzen die Macher die weiße Apokalypse überzeugend um. Was besonders interessant ist, wenn man bedenkt, dass in großem Umfang virtuelle Produktionsverfahren zum Einsatz kamen. Teile von Buenos Aires wurden zum Beispiel digital gescannt und in ein Virtual-Reality-System übertragen, das man am Set auf eine große Leinwand projizierte. Das Endergebnis sieht recht authentisch aus, erscheint keineswegs auf unangenehme Weise künstlich. Ob diese Qualität auch in den letzten drei Folgen gehalten werden kann, die mutmaßlich etwas mehr Spektakel bieten, bleibt abzuwarten.

Alfredo (César Troncoso, vorne) gibt den knallharten Macher, Lucas (Marcelo Subiotto) indes hält sich zurück Netflix

Ein paar Hinweise auf die Dimension der Gefahr liefert die dritte Episode, in der klar wird, dass der Schneesturm nicht nur Buenos Aires oder Argentinien tobt. Zu diesem Zeitpunkt haben die Protagonisten aber noch keine Ahnung, dass eine Invasion der Erde durch eine fremde Macht in vollem Gange ist. Im Überlebenskampf kristallisieren sich unterschiedliche Typen heraus, wie man es aus vielen anderen dystopischen Filmen und Serien kennt. Hausherr Alfredo ist das misstrauische, auf sein eigenes Wohl bedachte Alphatier, das dem Blackout und dem Chaos mit technischen und wissenschaftlichen Kenntnissen begegnet. Vor allem mit dem Außenseiter Omar gerät er mehrfach aneinander. Lucas wiederum bleibt im Hintergrund und fügt sich Alfredos Anweisungen, während Juans oberstes Ziel die Suche nach seiner Tochter ist.

Was in den ersten drei Kapiteln auffällt: Rücksichtslos agieren vor allem die männlichen Figuren. Konflikte werden nicht verbal gelöst. Schnell lassen sie die Waffen sprechen, besinnen sich auf archaische Verhaltensmuster und sehen in einem anderen Menschen als Erstes fast immer eine Bedrohung. Selbst Juan kann sich davon nicht freisprechen, trifft auf seiner Odyssee Entscheidungen, die mindestens fragwürdig sind. Die wichtigsten weiblichen Charaktere hingegen treten für Mäßigung ein, zeigen Mitgefühl und wollen eine weitere Eskalation verhindern. Als moralische Instanzen kommen sie durchaus zu Wort. Komplett lösen kann sich die Serienverfilmung allerdings nicht vom konservativen Rollenbild der Vorlage, in der Männer handeln und Frauen passiv bleiben. Auch die Netflix-Produktion gewährt Elena und Co erst einmal wenig Entfaltungsraum. Etwas zaghaft erscheint zudem der Versuch, die Klassenfrage aufzumachen. Hier und da blitzt das Thema durch. Bis zur Hälfte gerät es aber nie ernsthaft in den Fokus der Erzählung.

Nichtsdestotrotz regen die stimmungsvollen ersten drei Episoden dazu an, Juans Reise weiter zu verfolgen. Darüber hinaus motiviert „Eternauta“ den Zuschauer, sich eingehender mit dem Ursprungsstoff zu befassen, dessen Hintergründe ähnlich aufwühlend sind wie der Comic selbst. Immerhin nahm Héctor Germán Oesterhelds Werk über eine heimliche Invasion der Erde laut vielen Interpreten in gewisser Weise die argentinische Militärdiktatur von 1976 bis 1983 vorweg. Auch unter der grausamen Herrschaft der Junta verschwanden zahlreiche Menschen spurlos. Auch damals bildeten sich Schicksalsgemeinschaften, um den Feind zu bekämpfen, der sich im Inneren eingenistet hatte. Der Schriftsteller selbst, ebenso wie mehrere Familienmitglieder, fiel dem repressiven Regime letztlich zum Opfer.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt sechs Folgen der Serie „Eternauta“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Alle sechs Folgen der Serie „Eternauta“ sind ab dem 30. April bei Netflix verfügbar.

Über den Autor

Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.

Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1970) am

    Hat uns gut gefallen und wir freuen uns auf eine weitere Staffel. Warum?


    Bedient nicht die typisch amerikanischen Standards: keine überweißen Zähne,  nicht nur schöne Menschen,  keine an den Haaren herbei gezogene Lovestory, keine spektakulären Kämpfe oder Explosionen.



    Und auch keine typisch deutschen Übererklärungen, man darf noch  mitdenken.


    Es ist interessant zu sehen,  was sich die Macher überlegt haben dazu,  wie sich die Gruppendynamik und die gesamte Gesellschaft verhält und entwickelt. 


    Außerdem ist die Machart anders,  u B weil argentinische Produktion,  auch das finden wir interessant. Koversationen wirken manchmal etwas holprig, aber das macht es auch charmant. 


    Bei der Beurteilung der Story (Aliens) könnte man ins Straucheln geraten,  wenn man nicht einfließen lässt, dass hier ein Comic verfilmt wurde. 


    Der Untertitel ist teils schlechte Übersetzung, was bedauerlich ist.
    • am

      Es ist halt immer das Gleiche mit diesen Endzeitverfilmungen. Da erlebt man manchmal Menschen die sich nur noch zuflüstern dürfen, oder aber man ist erblindet, man hat Zombis oder Aliens im Nacken, Sporen, Pilze oder Viren machen die Menscheit platt und zwischendurch werden immer wieder Rückblicke der Protagonisten gezeigt als das Leben noch schön und lebenswert war...dazu noch die ganzen nicht aufgearbeiteten zwischenmenschlichen Konflikte und schon wabert man durch dystopische Welten die eigentlich immer verdammt langatmig sind.
      Auch für mich nur bedingt erträglich.
      • (geb. 1961) am

        fand die Serie doof, hab die letzten Folgen im Schnelldurchlauf geschaut, bei mir gabs einen Daumen runter
        • am

          Na wirklich toll, liesst sich das Ganze nicht. Eher Langweilig, zu Klischeehaft.Da werd ich sicherlich nicht Reinschauen.
          • (geb. 1961) am

            lohnt sich auch wirklich nicht

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