„Der Doktor und das liebe Vieh“: Neuauflage überzeugt als charmante Serie mit viel Herz – Review

Ein neuer James Herriot unterhält, versetzt aber keine Berge

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 24.12.2020, 11:19 Uhr

James Herriot (Nicholas Ralph) behandelt den überfütterten Tricki-Woo (Derek) – Bild: Playground Television Ltd & all3media international
James Herriot (Nicholas Ralph) behandelt den überfütterten Tricki-Woo (Derek)

Wenige Serientitel lassen das Herz von Nostalgikern so hoch schlagen wie „Der Doktor und das liebe Vieh“. Basierend auf den Lebenserinnerungen des Tierarztes James Herriot (bürgerlich James Alfred „Alf“ Wight) produzierte die BBC ab 1978 die Serie um die Erlebnisse eines jungen Landtierarztes. Die ab 1979 auch in Deutschland ausgestrahlte Serie wie auch die ab 1970 veröffentlichten Buchvorlagen haben zahllose Fans. Im vergangenen Jahr wurde nun eine Neuverfilmung angegangen – der angeführte Anlass war das 50. Jubiläum der Erstveröffentlichung des ersten Buches. Um es gleich vorweg zu sagen: Die Neuauflage von „Der Doktor und das liebe Vieh“ vermag es, die großen Fußstapfen mit seinen bescheidenen Mitteln zu füllen. Aber sie hinterlässt keine neuen Spuren.

Hinter der Neuauflage stehen der kleine, zu ViacomCBS gehörende britische Sender Channel 5 und das amerikanische PBS als Produktionspartner. Sie hatten eine sechsteilige Auftaktstaffel beauftragt, dazu eines der im Vereinigten Königreich üblichen Weihnachtsspecials. Erzählt wird darin die Geschichte von James Herriot (Nicholas Ralph), der 1937 in Glasgow seine Zulassung als Tierarzt erhalten hat. Seitdem ist er allerdings erfolglos auf Jobsuche und nicht mehr weit davon entfernt, einen Job als Hafenarbeiter wie sein Vater anzunehmen.

Als letzter Rettungsring präsentiert sich die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch im knapp 200 Kilometer südlich gelegenen Yorkshire, wo eine Assistentenstelle beim Landtierarzt Siegfried Farnon (Samuel West) ausgeschrieben war. Nachdem sich Herriot auf dem Weg verfranzt hat, kommt er schließlich vom Regen durchnässt an, nur um zu erfahren, dass die Haushälterin Mrs. Hall (Anna Madeley) die Einladung geschickt hat: Sie fürchtet, dass sich Siegfried krankarbeiten wird, wenn er nicht bald einen Assistenten in die Praxis holt, da er alleine rund um die Uhr Notfälle abdecken muss. Die letzten fünf Aspiranten hatte der bärbeißige Mann allerdings schnell verschlissen und so die Suche nach Hilfe aufgegeben.

Die vier Bewohner von Skeldale House: Siegfried Farnon (Samuel West), James Herriot (Nicholas Ralph), Tristan Farnon (Callum Woodhouse) und Mrs. Hall (Anna Madeley) Playground Television Ltd & all3media international

Damit ist das Herz der neuen Serie „Der Doktor und das liebe Vieh“ schon präsentiert: Einerseits James „Jim“ Herriot, der ohne Berufserfahrung und aus der Großstadt kommend (und im Originalton zudem mit seinem Akzent erkenntlich) ein Fish-out-of-water ist. Auf der anderen Seite der eigenwillige und aufbrausende Siegfried, den man zu seinem Glück zwingen muss – und für den Mrs. Hall die Einzige ist, die als ehemalige Hilfskraft im Militär das nötige Durchsetzungsvermögen hat. Hier in Darrowby mangelt es nicht an Personen mit dickem Schädel und ihren Liebsten, die versuchen, sie zum rechten Schritt Richtung Lebensglück zu drängen. Dabei herrscht ein ständiges Drängen und Gedrängtwerden: So vermag etwa fast nur Siegfried seiner Haushälterin den Rücken zu stärken, die Sorgen um ihren entfremdeten Sohn hat.

Auch Siegfried plagen Probleme mit seinem „Sohn“ – genauer gesagt dem Bruder Tristan (Callum Woodhouse), für den Siegfried seit dem Tod des gemeinsamen Vaters in Tristans 14. Lebensjahr die Verantwortung trägt und sich dabei als gestrenger Vater gibt. Beide machen sich gegenseitig das Leben schwer, da Siegfried beständig von Tristans Verantwortungslosigkeit enttäuscht ist, während der bei seinen seltenen Versuchen, sich zusammenzureißen, durch die Ungeduld des Bruders entmutigt wird und sich in Dummheiten, Alkohol und Weibergeschichten flüchtet. Auch Tristan hat, wie sein Bruder und der gemeinsame Vater, die Karriere Richtung Veterinär eingeschlagen.

Funken fliegen: James Herriot (Nicholas Ralph) und Helen Alderson (Rachel Shenton) Playground Television Ltd & all3media international

Die fünfte große Rolle in der Serie spielt Helen Alderson (Rachel Shenton): Die Tochter eines Farmers weiß einerseits, mit großer Kraft anzupacken, vermag es andererseits aber, die auf ihren Schultern liegende Last der Welt durch ihre Augen zu vermitteln. Eigentlich ist die Welt der Yorkshire Dales zu klein für sie, Helen wollte in die Welt ziehen. Doch nach dem frühen Tod der Mutter nahm sie die Verantwortung an, für ihre jüngere Schwester Jenny (Imogen Clawson) eben die Mutterrolle zu übernehmen und auch ihrem Vater auf dem Bauernhof zu helfen. Gepaart mit ihrer Intelligenz brachten Helen ihre Lebenserfahrungen die Funktion ein, die Nöte der Menschen zu verstehen und ihnen entweder das nötige Verständnis entgegenzubringen oder sie mit einem guten Rat zu unterstützen – je nachdem, was die Situation verlangt.

Bei James Herriot ist ein guter Rat angebracht: Nämlich der, dass er sich gegenüber dem lauten und ungeduldigen Siegfried emanzipieren müsse und seine eigenen Positionen vertreten muss. So kann sich Helen auch schnell einen Platz im Herz von James erobern. Alleine: Erst nachdem er sein Herz an sie verloren hat erfährt James, dass Helen auf dem Weg zu sein scheint, in einer Beziehung mit ihrem Jugendfreund und Landbesitzer Hugh Hulton (Matthew Lewis) zu enden. Wie Helen passt auch Hugh wegen seiner wohlhabenden Herkunft nicht so recht in die Landschaft, mit der Bauerstochter teilt er aber eine lange Vorgeschichte und durch den frühen Tod der Eltern eine emotionale Verbindung.

Diese Konstellationen bieten die Ausgangslage für sieben Episoden voller Herz und persönlichen Wachstum – genau der richtige, unterhaltsam inszenierte Stoff, den man gut an einem Wochenende konsumieren kann. Dem Zuschauer wachsen die Hauptfiguren schnell ans Herz, wenn sie einen Einblick in ihr Seelenleben gewähren und man ihnen bei ihren Bemühungen zusieht, das Richtige zu tun. „Der Doktor und das liebe Vieh“ findet eine gute Balance zwischen dem Leichten und dem Schweren, der Tragik frühen Verlusts und kleinstädtischer Albernheiten. Besonders West und Shenton verstehen es, ihre Figuren vielschichtig darzustellen, während sich ausgerechnet Nicholas Ralph in seiner ersten Hauptrolle als noch nicht so routiniert erweist.

Eine der Stützen der Serie: Samuel West als Siegfried Farnon in „Der Doktor und das liebe Vieh“ Playground Television Ltd & all3media international

Und insofern ist die neue Serie durchaus ein würdiger Nachfolger der beliebten Serie von Ende der 1970er. Allerdings ist „Der Doktor und das liebe Vieh“ eben auch ein Produkt seiner Entstehungsumstände. Das Budget der neuen Serie ist sicherlich nicht groß gewesen. In den bisherigen sieben Episoden standen wegen geringer Laufzeit vor allem die Charaktere im Zentrum: Die Tierarzt-Geschichten liefern nur den Rahmen und dienen dazu, Drama und Grenzsituationen für die Ärzte hervorzubringen.

Häufig wird angesprochen, dass der Verlust bloß eines einzigen, wichtigen Nutztieres eine Familie in finanzielle Not bringen könnte – doch die Armut der Bauern sieht man nur im Vorbeigehen. Und selbst bei der Konzentration auf das Hauptfiguren-Ensemble bleibt nur wenig Zeit, um das Seelenleben des Einzelnen mehr als nur anzureißen. Zwischenzeitlich war etwa eine Adaption der Vorlage durch HBO ins Spiel gebracht worden, und man kann sich beim Konsum der sieben Folgen leicht und immer wieder vorstellen, welche Akzente dabei anders gesetzt worden wären, um mehr tiefes Drama zu zeigen, statt es bei leichterer Unterhaltung zu belassen.

Ebenso wie ein geringes Budget kann „Der Doktor und das liebe Vieh“ nicht verhehlen, dass es ein Produkt unserer Zeit ist. James’ anfängliche Unbeholfenheit wird eher slapstickartig und in zu vertrauten Bildern gezeigt. Die diversen Frauen werden deutlich selbstbewusster und emanzipierter gezeigt, als das vor 40 Jahren bei der letzten Adaption denkbar gewesen wäre und auch in der Handlungszeit vor mehr als 80 Jahren. Daneben versucht sich die Serie bisweilen zu sehr mit Tricks, einzelne Tierbehandlungen in Szene zu setzen – im Vereinigten Königreich etwa sorgte Episode eins für Stirnrunzeln, in der Neu-Tierarzt James Herriot lange Zeit bis zum Ellenbogen in einer Kuh(-Attrappe) verbringt. Ein bisschen zu bemüht, aber letztendlich inkonsequent ist „Der Doktor und das liebe Vieh“ dabei, einen Hauch von Diversität einzubringen – so darf etwa auf der Party der extrem wohlhabenden Witwe Mrs. Pumphrey (Diana Rigg in ihrer letzten Rolle) ein älteres (Ehe-)Paar in indischen Gewändern im Hintergrund aufblitzen.

Die enorm wohlhabende Witwe Pumphrey (Diana Rigg) meint es mit ihrem geliebten Hund Tricki-Woo (Derek) zu gut. Playground Television Ltd & all3media international

Letztendlich gelingt „Der Doktor und das liebe Vieh“ aber das, was man sich zum Ziel gesetzt hat, sehr gut: Eine charmante Geschichte mit viel Herz und etwas Drama abzuliefern, mit der man ein paar schöne Stunden verbringen kann – und inklusive des Weihnachtsspecials liefert die erste Staffel ein wirklich schönes, rundes Bild ab. Andererseits werden wohl in 40 Jahren kaum Fans nostalgisch an ausgerechnet diese Serie zurückdenken: Dazu gibt es mittlerweile halt zu viele solide Produktionen, als dass das Werk eines kleinen britischen Senders wirklich herrausstechen würde.

Dieser Text basiert auf Sichtung der bisher produzierten sieben Episoden der Serie „Der Doktor und das liebe Vieh“.

Meine Wertung: 4/​5

„Der Doktor und das liebe Vieh“ kommt über Weihnachten 2020 bei Sky One zur deutschen TV-Premiere: Zwischen dem 24. und 26. Dezember werden jeweils ab 20:15 Uhr Doppelfolgen gezeigt, am 27. Dezember schließt sich zur gleichen Uhrzeit das Weihnachtsspecial an, das mit 60 Minuten Laufzeit etwas Überlänge hat. Zudem sind alle sieben Episoden bereits on Demand bei den Sky-Diensten verfügbar. Eine zweite Staffel der Serie mit dem Originaltitel „All Creatures Great and Small“ wurde in Großbritannien bereits bestellt.

Der Cast: Mrs. Hall (Anna Madeley), Siegfried Farnon (Samuel West), James Herriot (Nicholas Ralph), Helen Alderson (Rachel Shenton) und Tristan Farnon (Callum Woodhouse) Playground Television Ltd & all3media international

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Ich habe nach eineinhalb Folgen abgebrochen. Eigentlich ist es schön gemacht, Kamera, Musik, Details, all das stimmt. Nur leider stimmt für mich das Casting nicht. Die Bücher sind voller Herz und liebevollem Humor, ebenso wie die alte Verfilmung. Hier aber werde ich mit den Hauptdarstellern überhaupt nicht warm. James Herriot hat Potential, aber sowohl Siegfried als auch Tristan wirken auf mich einfach nur überheblich und kalt. Die alte, viel schlichtere, aber weit warmherzigere Verfilmung bleibt mein Favorit. Schade.
    • (geb. 1957) am

      Dass man an der Produktion das begrenzte Budget ansehen soll kann ich gar nicht nachvollziehen. Das ist alles sehr stimmig inszeniert, sowohl die Locations der armen Landbevölkerung als auch die herrschaftlichen Landsitze von Mrs. Pumphrey u.a. sind gut gewählt. Manche Szene ist etwas betulich ins Bild gesetzt, Samuel West als Siegfried kommt aber nicht an Robert Hardy heran, auch wenn er sich Mühe gibt (oder es liegt an der Synchronisation) und Peter Davison als Tristan fand ich sympathischer als Fliou als seinen Nachfolger.


      Nichtsdestotrotz ist die Bewertung mit 4 von 5 Sternen passend. Mögen der Serie viele Staffeln vergönnt sein.
      • (geb. 1972) am

        Ich kann nur sagen, ich bin heilfroh, dass NICHT HBO sich des Stoffes angenommen hat, ich mag mir gar nicht vorstellen, was dabei hätte herauskommen können, vermutlich ein herumhurender James Herriot, Fälle von Sodomie, die natürlich en detail gezeigt worden wären etc. Nee, nee, nee, wenn ich bei "Der Doktor und das liebe Vieh" auf etwas verzichten kann, dann sind es Sex und Gewalt!


        Mir gefällt die Neuverfilmung ausgesprochen gut, die Schauspieler finden sich in ihren Rollen wunderbar zurecht, die Landschaftsaufnahmen sind wunderschön und die Geschichten wärmen gerade in unserer dezeitigen Situation mein Herz. Nicht mehr, aber auch nicht weniger habe ich von dieser Neuauflage erhofft und das liefert sie auch gekonnt ab. Ich freue mich auf hoffentlich noch viele weitere Staffeln "All Creatures Great and Small"!

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