„Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“: Knisternder Crime-Thriller aus Schweden entwirft unheilvolles Beziehungsgeflecht – Review

Ein Verbrechen, das weite Kreise zieht

Rezension von Christopher Diekhaus – 16.03.2023, 18:30 Uhr

In „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ sorgt ein ungeklärter Doppelmord 18 Jahre später für neue Verunsicherung. – Bild: ARD Degeto/SVT 2021/Johan Paulin
In „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ sorgt ein ungeklärter Doppelmord 18 Jahre später für neue Verunsicherung.

„Im Schatten der Vergangenheit“! Echt jetzt? Deutsche Untertitel riechen leider oft nach Einfallslosigkeit. So auch in diesem Fall, der eine durch und durch generische Krimiserie anzukündigen scheint. Die sechsteilige Adaption von Kerstin Ekmans preisgekröntem Roman „Geschehnisse am Wasser“, der 1993 das Licht der Welt erblickte, ist allerdings weit davon entfernt, eine plumpe, uninspirierte Mördersuche loszutreten. Das Motiv der verhängnisvollen, mit aller Macht in die Gegenwart eindringenden Vergangenheit gehört zwar zum Standardrepertoire. Hier wird es jedoch eingesetzt, um leise brodelnd von einer einsamen Grenzregion im Norden Schwedens und fragilen zwischenmenschlichen Verbindungen zu erzählen.

Klarstellen sollten wir vorweg: Zuschauer, denen es nicht schnell genug gehen kann, die gerne eine Wendung nach der nächsten sehen wollen, dürften an „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ keine Freude haben. Karin Arrhenius („Rebecka Martinsson“) und Maren Louise Käehne („Königin“), die beiden Headautorinnen, und Regisseur Mikael Marcimain („The Hunt for a Killer“) verfolgen einen Ansatz, den man im englischen Sprachraum mit dem Etikett „slow burn“ versehen würde. Von Anfang an knistert es. Die Serienmacher lassen sich aber Zeit, um ein Gefühl für Ort und Figuren zu vermitteln. Nach der Auftaktepisode ergeben sich zahlreiche Fragen, auf die wir nur schrittweise Antworten erhalten. Wer etwas Geduld mitbringt und ein Faible für düster-triste nordische Stimmungen hat, wird wahrscheinlich dennoch schnell gepackt.

„Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ beginnt im Herbst 1991, als die Lehrerin Annie Raft (Pernilla August) des Nachts in Panik verfällt. Der neue Freund (Erik Ehn) ihrer Tochter Mia (Alba August, auch im wahren Leben Tochter von Pernilla August) weckt Erinnerungen an einen ungeklärten Doppelmord, der sich während des Mittsommerfestes 1973 ereignet hat. Zwischen diesen beiden Polen pendelt die Serie fortan hin und her, wobei die für die Kritik gesichteten ersten drei Kapitel eine überschaubare Struktur aufweisen. Den Großteil der Folgen bilden die zurückliegenden Ereignisse. Zu Beginn und am Ende jeder Episode geht es in die Gegenwart des Jahres 1991.

Birger (Sven Boräng) und Annie (Asta Kamma August) begegnen sich im Jahr 1973. ARD Degeto/​SVT 2021/​Johan Pauli

1973, so erfahren wir durch die erste ausgedehnte Rückblende, zieht es die noch junge Annie (verkörpert von Albas Schwester Asta Kamma August) mit der achtjährigen Mia (Alva Adermark) in die nordische Provinz, um bei ihrem Lover Dan Ulander (Christian Fandango Sundgren) in einer abgeschotteten Ökokommune zu wohnen. Mitten in der Wildnis stolpert sie schließlich über die Leichen einer niederländischen Touristin und eines unbekannten Mannes. Landarzt Birger Torbjörnsson (Sven Boräng) und der neue Dorfpolizist Åke Vemdahl (Ulf Rönnerstrand) schauen sich den Fundort an und befragen Annie, die einen Fremden vom Tatort hat weglaufen sehen. Als verdächtig gilt rasch der schmierige, für sexuelle Übergriffigkeiten bekannte Ladenbesitzer Lill-Ola Lennartsson (Ingmar Virta). In der Nähe der Toten ist allerdings auch der 17-jährige Johan Brandberg (Liam Gabrielsson Lövbrand) herumgestromert, der vor seiner Hillbilly-Familie flieht und im Wagen der mysteriösen Ylja Happolati (Alma Pöysti) gen Norwegen verschwindet.

Im Herbst 1991 ist ein sichtlich gealterter Birger (Rolf Lassgård) alarmiert über Annies aufgelösten Anruf wegen Mias Freund, trifft die Lehrerin jedoch nicht in ihrem Haus an. Mitsamt ihrem stets griffbereit am Bett liegenden Gewehr ist sie verschwunden, weshalb eine umfangreiche Suchaktion startet.

So weit die Koordinaten der Serie, die, der komplex konstruierten Romanvorlage ähnlich, nach und nach ein reizvolles Figurenpanorama preisgibt. Die Täterfrage schwebt über der Handlung, ist aber keineswegs ihr einziger Spannungsmotor. Mindestens ebenso wichtig sind die Aus- und Nachwirkungen des Verbrechens. Der Fall zieht weite Kreise, gräbt sich tief in das Leben der Beteiligten ein, belastet sie – siehe die offenbar stets ängstliche Annie – bis in die Gegenwart.

Nervenkitzel im klassischen Krimisinne erzeugen die ersten drei Episoden nur selten. Bedrohlich brodelt es jedoch an unterschiedlichsten Stellen. Immerhin taucht „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ in einige hochgradig dysfunktionale bis toxische Beziehungen ein. Johan etwa nimmt Reißaus vor seinem gewalttätigen Vater (Rolf Degerlund) und seinen nicht minder rabiaten Brüdern und beginnt ein sexuelles Spiel mit seiner Gönnerin Ylja. Zwischen Birger und seiner Frau Barbro (Liv Mjönes) kriselt es im Sommer 1973 spürbar. Sie ist angewidert von seiner angeblichen Eifersucht, hält ihm seine Spießigkeit vor und flüchtet sich in ihr soziales Engagement, den Kampf für den Erhalt eines lokalen Waldes.

Petrus (Magnus Krepper) hat mit seinem Gefolge dem modernen Leben abgeschworen. ARD Degeto/​SVT 2021/​Johan Pauli

Ein Leben im Einklang mit der Natur bei gleichzeitiger Ablehnung der modernen kapitalistischen Strukturen erwartet die junge Annie in der von Petrus (beunruhigend: Magnus Krepper) gegründeten Aussteigergemeinschaft, mit der ein Hauch von „Midsommar“ in die Serie einzieht. Präsentieren sich die Sektenmitglieder aus Ari Asters sonnendurchflutetem Horrorthriller in strahlend weißen Gewändern, sehen Petrus und seine Getreuen wie traurige Gestalten aus – gezeichnet von ihrem entbehrungsreichen Leben, harter Arbeit und mitunter früheren Suchtproblemen. Anders als von Dan versprochen, muss sich Annie mit ihrer Tochter in ein gammeliges Gemeinschaftsschlafzimmer quetschen und soll bei den häuslichen Tätigkeiten helfen, statt zu unterrichten. Unheil braut sich vielerorts zusammen. Wohl nirgendwo ist es aber derart greifbar wie in den Passagen aus dem Kommunenalltag. Verschiedene Weltsichten, die natürlich auch an unsere aktuellen Klimadebatten gemahnen, prallen aufeinander. Misstrauen liegt in der Luft. Kurzum: Jederzeit könnte die Lage eskalieren. Egal, wie sehr Petrus zu lächeln und sich zu beherrschen bemüht.

Konfliktherde und offene Fragen gibt es nach drei Folgen genug. Heißt: Die Neugier auf den Fortgang sollte nicht rapide abflauen. Möchte man etwas kritisieren, dann vielleicht dies: Bis zur Halbzeit könnte der gewohnt charismatische, seine Rolle überzeugend aufgewühlt spielende Rolf Lassgård ein bisschen mehr Raum bekommen. Zu viel meckern wollen wir allerdings nicht. Denn „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ ist ein stimmungsvoller, seine Spannungen langsam verdichtender, die Drama-Elemente ernst nehmender Crime-Thriller, der über den mehrfach prominent ins Bild gerückten Wanderfalken auch einen kleinen mythologischen Anstrich erhält. Wirklich ärgerlich ist lediglich die Entscheidung der ARD, die von der Degeto koproduzierte Serie im Nachtprogramm zu versenden. Da zeigt er sich wieder, der oft beklagte fehlende Mut der Öffentlich-Rechtlichen, die zur besten Sendezeit lieber gefällige Erbauungsgeschichten und Konsenskrimis ausstrahlen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt sechs Folgen der Serie „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“.

Meine Wertung: 4/​5

Die Serie „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ ist ab dem 17. März in der ARD Mediathek verfügbar. Die lineare TV-Premiere erfolgt am 24. und 25. März jeweils gegen Mitternacht in Dreierpacks im Ersten.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Headautorinnen-Kopfautorinnen. Echt jetzt?
    Hauptautoren/-innen klingt wohl nicht "cool", elitär, progressiv, inklusiv.

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