„Atlanta Medical“: Die egomanischen Ärzte – Review

ProSiebens neue Krankenhausserie zeigt düstere Seiten der Medizin

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 24.10.2018, 14:44 Uhr

Der Cast von „Atlanta Medical“ – Bild: Justin Stephens/FOX
Der Cast von „Atlanta Medical“

Über Jahrzehnte haben Arztserien versucht, die Halbgötter in Weiß zu entmystifizieren, ihnen menschliche Züge zu vermitteln. Bei „Atlanta Medical“ geben sich die Ärzte allerdings zwischen allen üblichen medizinischen und sopaigen Dramen göttlich: Wie die missgünstigen Götter aus dem griechischen Pantheon. Und die haben auch so manchen Sterblichen ins Verderben gerissen …

Die neue ProSieben-Serie „Atlanta Medical“ stellt die üblichen Krankenhausdramen mit einem eigenen Twist dar: In einer Zeit, wo die medizinischen Möglichkeiten immer mehr werden, entstehen zwei neue Spannungsfelder: Was ist wirklich sinnvoll, verbessert das Leben der Patienten, und was ist – insbesondere unter den Eigenheiten des US-Gesundheitssystems – bezahlbar. Drei Männer und eine Frau bilden das zentrale Quartett.

Aus unterschiedlicher Perspektive werden die Protagonisten eingeführt. Wie es für eine Serie fürs Massenpublikum üblich ist, braucht man über ihre Charakterisierung kaum mehr zu wissen, als was die Macher in den ersten 15 Minuten präsentieren. Doktor Randolph Bell (Bruce Greenwood, „Capote“, „Star Trek“) ist der Chefchirurg am Chastain Park Memorial Hospital in Atlanta. Weil Komplikationen zu erwarten waren, lässt er sich zu einer Blinddarm-OP herab. Der befürchtete Durchbruch ist noch nicht eingetreten, doch dann werde die ausgelassene Stimmung im OP, ein Anästhesiefehler und Randolphs zittrige Hand zur tödlichen Komplikation – der Patient verblutet auf dem Tisch. Schnell macht Bell deutlich: Sein Fehler war das aber nicht! Nachdem er den Schwarzen Peter mit Nachdruck dem Anästhesisten aufdrücken will „einigt“ sich das OP-Team auf Vorschlag einer Krankenschwester, dass Herzversagen die Ursache des Patiententods sein muss und somit niemand Schuld hat.

Conrad Hawkins (Matt Czuchry, „Gilmore Girls“, „Good Wife“) ist Assistenzarzt im dritten Jahr. In halsbrecherischer Fahrt erreicht der tätowierte Arzt das Krankenhaus auf seinem Fahrrad. Als dort ein Falschparker seine Beschwerde abwimmelt, vergeht sich der tätowierte Mediziner grimmig lächelnd an dessen Sportwagen.

Zwischen Conrad Hawkins (Matt Czuchry) und Dr. Randolph Bell (Bruce Greenwood) fliegen häufig die Fetzen

Devon Pravesh (Manish Dayal), der heute seinen ersten Tag als Assistenzarzt hat, erwacht im Bett neben seiner bezaubernden Freundin. Die Fotos in seiner Wohnung zeigen seine Eltern, den Vater als bescheidenen Taxifahrer und einen Bruder in Uniform. Pravesh hat es weit gebracht – ein Diplom der renommierten Harvard Medical School hängt gerahmt an der Wand. Seine Freundin schenkt ihm zum Beginn seines neuen Lebensabschnitts eine goldene Uhr.

Damit sind die Fronten in der Serie „Atlanta Medical“ geklärt – es handelt sich um ein Krankenhaus, in dem man nicht Patient sein möchte. Dr. Bell hält seinen Ruf und damit die Fähigkeit, Gelder für das Krankenhaus zusammenzutragen für wichtiger als einzelne Menschenleben – es war nicht sein erster Kunstfehler, und das weiß er auch. Hawkins ist zwar ein – in seinen Fähigkeiten überzeichneter – exzellenter Mediziner, aber der Ex-Soldat ist gleichsam von sich selbst überzeugt. Death before Dishonor ziert als Tattoo ein mutmaßliches Motto seiner Armeezeit seinen Rücken, lieber tot sein als ehrlos. Auch er scheint über für seine Überzeugung über Leichen zu gehen: Bell legt nahe, dass Hawkins einem schwerkranken Krebs-Patienten verbotene Sterbehilfe durch eine Medikamentenüberdosis geleistet hat. Und Pravesh als leicht affektierter, leicht weltfremder Schnösel dazwischen.

Viel Spaß am ersten Tag: Conrad (Matt Czuchry) lässt seinen Untergebenen Devon Pravesh (Manish Dayal) erstmal eine Rektaluntersuchung machen …
Als Puffer dazwischen fungiert „Krankenschwester“ Nicolette „Nic“ Nevin (Emily VanCamp, „Revenge“), Hawkins’ (aktuelle) Ex – „es ist kompliziert“. Die Anführungszeichen um die Krankenschwester stehen dafür, dass sie eine fortgeschrittene Ausbildung und daher Behandlungsbefugnisse hat, die in Deutschland Ärzten vorbehalten sind. Und Nic will in ihrem Beruf weiter Karriere machen.

Das große Problem von „Atlanta Medical“ ist die Tatsache, dass die männlichen Protagonisten allesamt Egomanen sind, die eine feste Überzeugung haben, was das Richtige ist – auch über die Behandlung Kranker hinaus. Und so neigen sie zum Schwadronieren, bauen sich mit geschwellter Brust auf und bringen im Wesentlichen den Kampf um das amerikanische Gesundheitssystem auf den Bildschirm.

Wie schon an Bell zu sehen, spielt Geld in der US-amerikanischen Krankenversorgung eine große Rolle. Manche Patienten haben viel Geld. Manche keins. Manche Arbeitnehmer können es sich nicht mal leisten, einen Arbeitstag zu verpassen, um im Krankenhaus auf kostenlose Nothilfe zu warten. Dazwischen liegen die Hilfesuchenden, die eine gewisse Krankenversicherung haben, die nur bestimmte Behandlungen bezahlt. Und bei all den Überlegungen wurde noch gar kein Gedanke ans Patientenwohl verschwendet. Letztendlich muss ein Krankenhaus aber unter den Regeln des US-Gesundheitssystems wirtschaftlich bleiben, oder es wird zahlungsunfähig. So muss die Behandlung sich daran orientieren, was später abgerechnet werden kann – bekannte Ärzte wie Bell können wohlhabende Geldgeber motivieren, die Behandlung der Ärmsten mit Spenden zu unterstützen.

Conrad (Matt Czuchry) und Nic (Emily VanCamp): Es ist kompliziert.
Für US-Zuschauer mag der Kampf der Identifikationsfiguren Hawkins, Pravesh und Nic um das körperliche, seelische und finanzielle Wohl (ohne Schulden bis ans Lebensende aus einer Behandlung zu kommen) emotional mitreißend sein, und auch für deutsche Zuschauer wird der Gedanke an hohe Behandlungskosten vermutlich nicht ganz neu sein. Trotzdem: diese Sichtweise macht einfach keinen Spaß. Und „Atlanta Medical“ fällt von der Machart, der Thematik und dem Zielpublikum nun einmal in das Genre der Unterhaltungsserien.

Das können auch die Fälle und der ergänzende Cast nicht herausreißen. Dazu gehört Shaunette Renée Wilson als exzellente Assitenzärztin Mina Okafor aus Nigeria, die führend beim Einsatz eines neuartigen Operations-Roboters ist, während Melina Kanakaredes die namhafte Onkologin Lane Hunter spielt, die mit Herz und Versand vorgeht und neben ihrem Job an der Klinik noch ein eigenes, ambulantes Krebszentrum. Moran Atias („Tyrant“) kümmert sich als Renata Morali für das Krankenhaus um die Öffentlichkeitsarbeit und Merrin Dungey („Malcolm mittendrin“, „Conviction“) in der Rolle als Claire Thorpe die Krankenhausgeschäfte führt.

Abgesehen vom wirklich bitteren Beigeschmack der unsympathischen Protagonisten – auch in übergreifenden Handlungsbögen – liefert „Atlanta Medical“ im Wesentlichen das, was man mittlerweile von einer Krankenhausserie erwartet: Gestresste Ärzte, die ihren Trieben freien Lauf lassen, menschliche Dramen, den einen oder anderen Fall, der sich über mehrere Episoden zieht und dazu sogar einen Mystery-Plot. Hauptargument gegen das Format ist, dass es eben bessere, unterhaltsamere Krankenhausserien gibt.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten vier Episoden der Serie.

Meine Wertung: 2,5/​5


Bernd Krannich
© Alle Bilder: FOX


ProSieben zeigt die Auftaktstaffel von „Atlanta Medical“ ab dem 24.Oktober 2018 immer mittwochs um 21:15 Uhr in Doppelfolgen. Die Serie, die in den USA als „The Resident“ ausgestrahlt wird, kann neben der 14-teiligen Auftaktstaffel auch auf die Bestellung einer 22-teiligen zweiten Staffel zählen, die aktuell in den USA gezeigt wird.

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1966) am

    Naja – patientenhassende Ärzte, Mediziner die aus Langeweile Behandlungsfehler begehen und Oberärzte, die Kranke je nach der Größe deren Bankkonten behandeln gab es schon in der Comedyserie »Scrubs«.

    Fazit: Als Kranker braucht man heutzutage eher einen guten Schadensrechtsanwalt als einen guten Arzt. ;)
    • (geb. 1967) am

      Ist doch echt Käse, daß der Czuchry seine SynchronStimme aus "The Good Wife" nicht hat!

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