„All die ungesagten Worte“: Dramedy mit Jean Reno und Alexandra Maria Lara lässt zu wünschen übrig – Review

Zu wenig aus verheißungsvoller Prämisse um Vergangenheitsbewältigung gemacht

Rezension von Christopher Diekhaus – 22.12.2022, 17:32 Uhr

Eine emotionale Reise, auch in die Vergangenheit, steht im Zentrum von „All die ungesagten Worte“. – Bild: Lionsgate+
Eine emotionale Reise, auch in die Vergangenheit, steht im Zentrum von „All die ungesagten Worte“.

Hätte ich doch noch einmal sagen können, dass … Seltsamerweise werden wir uns häufig erst dann bewusst, wofür wir uns schon immer entschuldigen wollten, welche Dankesreden längst überfällig gewesen wären, wenn das Ende naht, wenn vielleicht keine Zeit mehr bleibt, um das Versäumte nachzuholen. An dieses Dilemma, das wohl jeder nachvollziehen kann, dockt die französische Dramedy-Serie „All die ungesagten Worte“ an, die auf dem gleichnamigen Roman des Schriftstellers Marc Levy basiert. Die Ausgangslage – eine Frau und ein Androide mit den Erinnerungen ihres verstorbenen Vaters gehen auf einen Roadtrip – lässt auf gewitzte Unterhaltung hoffen. Nach Sichtung der ersten drei von neun mit rund 30 Minuten Laufzeit recht kompakten Episoden, bleibt aber festzuhalten: Zu oft driftet die in den Hauptrollen mit Alexandra Maria Lara und Jean Reno prominent besetzte Adaption in seichte Rosamunde-Pilcher-Herzschmerz-Gefilde ab. Dass es in einer solchen Geschichte emotional werden wird, versteht sich von selbst. Ein bisschen subtiler darf es dennoch sein.

Begräbnis statt Ja-Wort – diese Erfahrung macht die Grafikdesignerin Julia (Alexandra Maria Lara) gleich zu Beginn. Ausgerechnet an dem Tag, an dem sie mit ihrem Verlobten Adam (Cédric Ben Abdallah) vor den Traualtar treten wollte, findet nun die Beerdigung ihres Vaters Michel (Jean Reno) statt, den sie seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen hat. Sonderlich beliebt war dieser Mann wohl nicht. Warum sonst stehen am Grab neben der Tochter, ihrem Zukünftigen, ihrem beste Freund Robert (Marc Levy) und Christian (Christian Charmetant), dem Assistenten des Toten, keine anderen Menschen? Jahre zuvor, als Julias deutsche Mutter zur letzten Ruhe gebettet wurde, sah das ganz anders aus, wie ein kurzer Flashback unterstreicht. Das, was uns die Bilder bereits verraten, wird unnötigerweise auch im Dialog hervorgehoben.

Keinen Zweifel lassen die Serienmacher, Vorlagenautor Marc Levy und Miguel Courtois, der auch als Regisseur fungiert, überdies am Verhältnis von Julia und Michel, das man getrost mit angespannt beschreiben kann. Christian versichert ihr trotzdem, dass der Verstorbene seine Tochter mehr geliebt habe, als sie es sich vorstellen könne. Das zu beweisen, schickt sich der frisch unter die Erde gebrachte Unternehmer kurz darauf mit einer ungewöhnlichen Aktion an.

In einer riesigen Kiste, die Julia ins Haus geliefert wird, steckt ihr Vater, scheinbar friedlich schlafend. Einen Knopfdruck auf einer beigelegten Fernbedienung später ist die Verwirrung perfekt: Denn plötzlich öffnet Michel die Augen und spaziert aus der Verpackung heraus. Ist heute etwa Ostersonntag? Auferstanden von den Toten sei ihr entfremdeter Senior nicht, vielmehr habe er früher in eine Hightech-Firma investiert. Das Ergebnis: der vor Julia stehende lebensechte, Michel wie aus dem Gesicht geschnittene und mit seinen Erinnerungen ausgestattete Androide, der mit ihr auf eine sechstätige, nennen wir es, Versöhnungsreise gehen will. So lange halte sein Akku. Danach werde er für immer abgeschaltet.

Der Roboter-Michel (Jean Reno) überrascht seine „Tochter“ Julia (Alexandra Maria Lara). Lionsgate+

Ganz schön viel auf einmal, was die Protagonistin hier schlucken muss. Den ersten Schock hat Julia jedoch erstaunlich schnell verdaut, arrangiert sich mit der absurden Situation und lässt sich tatsächlich dazu überreden, mit dem Roboter-Vater aufzubrechen – wenngleich sie nach wie vor sauer ist, dass Michel früher meistens abwesend war, allerdings versuchte, ihr Leben aus der Ferne zu kontrollieren.

Erster Zwischenstopp soll das pittoreske Brügge sein, wobei die beiden einfach die Voucher für die geplanten Flitterwochen einlösen. Kein Wunder also, dass Julia ihren zukünftigen Gatten nicht einweiht und ihm eine Notlüge auftischt? Fragen darf man schon, warum sie Adam mit fadenscheinigen Erklärungen abspeist. Sie könnte ihm genauso gut den Androiden zeigen und sagen, was sie vorhat. Verwerflich ist daran ja nichts. Offenheit würde freilich verhindern, dass der Vertröstete misstrauisch nachreisen muss und Dinge falsch interpretieren kann.

Etwas konstruiert wirkt nicht nur dieser Aspekt der Handlung. Merkwürdig erscheint zudem Adams Vorschlag am Grab, Julia solle den Rest des Beisetzungstages allein verbringen. So könne sie am besten abschalten. Wäre es in einer solchen Situation – die Hochzeit wurde gerade abgesagt! – nicht selbstverständlich, bei seinem Partner zu bleiben?

Ihre Beziehung fühlt sich so vom Start weg eigenartig unterkühlt an, was wahrscheinlich aber durchaus seine Gründe hat. Das Porträt eines jungen Mannes, das Julia in Brügge auf der Straße entdeckt, erinnert sie nämlich an einen gewissen Tomas (Samuel Schneider), den sie beim Mauerfall 1989 in jungen Jahren kennen und lieben lernte. Diese Liaison, die Michel damals rüde unterband, rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt, wird durch ekstatische, mit der Handkamera gefilmte Rückblenden bebildert und leider auch mit reichlich Kitsch aufgeladen. Ein wichtiger Brief zum Beispiel, den Julia erst jetzt nach langer Zeit von ihrem Vater erhält, trieft vor schwülstigen Bekundungen. Ebenfalls penetrant: Die über viele Szenen gegossene Klimper- und Geigenmusik, die Trauer, Schmerz und Sehnsucht untermalen soll.

Zwischen Julia und dem Androiden-Michel kommt es zwar mehrfach zum Streit. Ständig wird über seinen Snobismus und seine Versäumnisse diskutiert. Allzu viel steht in den ersten drei Folgen allerdings nicht auf dem Spiel. Anders ausgedrückt: Nie hat man das Gefühl, dass es zu einem großen Bruch kommen könnte. Die nächste Station will schließlich angesteuert werden. Ab einem gewissen Punkt drängt sich außerdem der Verdacht auf, dass hinter der Reise eine Art Verschwörung stecken könnte.

Julia (Alexandra Maria Lara) und ihr Verlobter Adam (Cédric Ben Abdallah, beide vorne) nehmen an Michels Beerdigung teil und lassen dafür ihre Hochzeit sausen. Lionsgate+

Richtig in die Tiefe geht „All die ungesagten Worte“ nur selten, obwohl sich dies bei der Thematik und der Figurenkonstellation eigentlich anböte. Wie heilsam kann eine Vergangenheitsbewältigung im Schnelldurchlauf sein, wenn ich eine Maschine vor mir habe und nicht den Menschen aus Fleisch und Blut? Und ist der Wunsch des Verstorbenen nach Aussöhnung mithilfe eines Stellvertreters nicht etwas übergriffig?

Spannende Fragen wie diese kommen auf, ohne dass sie ernsthaft durchdrungen würden. Auf jede nette kleine Weisheit folgt mindestens ein pseudophilosophischer Kalenderspruch im Stile von Die Liebe des Lebens ist die, die man lebt, nicht die, von der man träumt. Humor, den das Aufeinanderprallen von Tochter und Roboter-Vater fast erzwingt, ist vorhanden, könnte aber noch viel ausgeprägter sein. Allein mit seinen Gesichtsausdrücken sorgt Jean Reno manchmal für komische Akzente. Vergnüglich ist auch der Moment, in dem der Androide Julia, pikiert über ihren anfänglichen Unglauben, von seiner technisch makellosen Konstruktion überzeugen will. Die ganz großen Lacher bleiben – bislang – jedoch aus.

Grottenschlecht ist die Serie sicher nicht. Nach einem Drittel der Gesamtlaufzeit plätschert sie aber noch zu sehr vor sich hin, um echtes Interesse für die Figuren, ihre Gefühle und Konflikte zu entfachen. Ob unter diesen Voraussetzungen ein Turnaround möglich ist?

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt neun Episoden der Serie „All die ungesagten Worte“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Die Serie „All die ungesagten Worte“ wird seit dem 15. Dezember beim deutschen Streamingdienst Lionsgate+ veröffentlicht.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Star Trek hatte 1966 auch schlechte Kritiken und was ist daraus geworden.
    • am

      Last doch die Serie erst mal Fahrt aufnehmen, als Sie schon jetzt u verreisen. Denn Wie hat mal einer gesagt, kritisieren ist einfach aber selber erschaffen ist schwer.

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