TV-Kritik: „You Are Wanted“

von Jana Bärenwaldt

Rezension von Jana Bärenwaldt – 14.03.2017, 18:05 Uhr

„You Are Wanted“ – Bild: Amazon
„You Are Wanted“

Bereits seit Wochen ist der Hype um die Amazon-Thriller-Serie „You are Wanted“ von und mit Matthias Schweighöfer groß. Die Serie ist noch nicht einmal verfügbar und hat schon Zuschauerrekorde erzielt: Am 1. Februar hat Amazon Prime Video einen neuen Trailer zur Serie veröffentlicht; nach nur 24 Stunden war dieser schon der meistgesehene Amazon-Trailer aller Zeiten. In diversen Foren und sozialen Netzwerken wird das Projekt emotional diskutiert, wobei die Meinungen sehr geteilt sind und sich Hoffnung und Skepsis abwechseln.

Viele können sich den vor allem durch Komödien bekannt gewordenen Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer nicht in einem ernsten Thriller- Szenario vorstellen. Doch genau in einem solchen spielt „You Are Wanted“. Hauptfigur Lukas Franke führt bisher ein Leben wie im Bilderbuch: Familienglück mit Ehefrau Hanna (Alexandra Maria Lara) und dem kleinen Sohn Leon in einem schicken Haus mit Garten in Berlin, beruflich als Eventmanager in einem renommierten Hotel, wo er dem Zuschauer auch das erste Mal vorgestellt wird. Mehr als einmal in den Vordergrund gerückt wird hierbei jedoch leider eine Produktplatzierung, zunächst für einen bekannten Energy-Drink.

Der Abend von Lukas 36. Geburtstages soll alles verändern: Ein Stromausfall im Hotel – und ganz Berlin – sorgt für Chaos, in dem sich ein mutmaßlicher Hotelgast verletzt. Der Zuschauer weiß bereits, dass sich der Mann die Verletzung über dem Auge selbst zugefügt hat und im Nachhinein bloß behauptet, über einen Teppich gestolpert zu sein. Warum dabei seine Brille allerdings keinen einzigen Kratzer abbekommen haben soll, erschließt sich dagegen nicht. Lukas erweist sich als umsichtiger Dienstleister und kann aufgebrachte Konferenzteilnehmer beruhigen.

Lukas (Matthias Schweighöfer) und Ehefrau Hanna (Alexandra Maria Lara) noch im Familienglück


Doch der Vorfall hat auch noch ein Nachspiel: In den nächsten Tagen wird klar, dass das Online-Leben des Protagonisten gehackt wurde: Merkwürdige Bestellungen und vor allem Liebesbotschaften einer angeblichen Geliebten namens Julia sorgen für häuslichen Ärger. Als ein Neuaufsetzen all seiner Geräte keinen Erfolg hat – trotz Genuss eines erneut überdeutlich inszenierten Bieres – gewinnt die Handlung an Fahrt: Lukas sucht Rat bei seinem 15 Jahre älteren Halbbruder Thomas (Jörg Pintsch), der als Anwalt und Dozent arbeitet. Allerdings ist der über seinen Besuch alles andere erfreut, da beide ein distanziertes Verhältnis zueinander haben und seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten. Anscheinend hat Thomas seinem kleinen Bruder in der Vergangenheit schon öfter aus der Klemme geholfen, aber jetzt keine Lust mehr dazu. Er weist Lukas grob ab mit den Worten: „Geh doch zu Dalton“. Bei dem handelt es sich anscheinend um einen talentierten Hacker, den Lukas zwar noch nie gesehen hat, aber der eine wichtige Rolle in der Vergangenheit der Halbbrüder zu spielen scheint.

Bei der Suche nach diesem wird wirklich jedes noch so ausgediente Klischee über die Hackerszene bedient. Lukas stolpert in einen dunklen Kellerbunker, ausgestattet mit allem erdenklichen Hightech, wo verschrobene Gestalten in Kapuzenpullis sitzen, die programmieren, rauchen und Ballerspiele zocken und Platitüden von sich geben – Keller, Kippen und Killerspiele eben, und das will wirklich keiner mehr sehen. Zudem zeigen sie sich wenig hilfsbereit und der einzige Hinweis, den Lukas bekommt, führt schließlich ins Leere.

Lukas in der Hacker-Hö(h)lle


Nun ist Lukas endlich bereit, Hilfe bei der Polizei zu suchen. Doch die ist ironischerweise bereits in seinem Haus und vollstreckt einen Durchsuchungsbefehl: Ein Bekennerschreiben bezüglich des berlinweiten Stromausfalls hat sie hergeführt. Während die Polizei ihm im Nacken sitzt, setzt auch sein Hacker die Daumenschrauben an: Anscheinend will er, dass Lukas ein Paket nach Frankfurt bringt. Mit einer ziemlich geschwollenen Rede, in der er unheilvoll verkündet: „Stell dir einfach vor ich bin Gott“, werden wieder Hackerklischees bedient. Entsprechend schindet diese Aussage weder bei Lukas noch beim Zuschauer Eindruck.

Lukas’ Reise nach Frankfurt, von der er sich bei der Abgabe des geheimnisvollen Paktes Antworten erhofft hatte, bringen jedoch nur die Begegnung mit einem anderen Opfer des Hackers – einer ebenfalls klischeehaft inszenierten politischen Journalistin und Bloggerin namens Lena (Karoline Herfurth). Nach dem Abliefern des Pakets sind für Lukas wider Erwarten die Probleme nicht ausgestanden – sie haben gerade erst begonnen …

Mit „You Are Wanted“ wird am 17.03. in mehr als nur einer Hinsicht Premiere gefeiert. Die Serie ist zugleich die erste deutsche Amazon-Original-Serie, und wird darüber hinaus global verfügbar sein, genauer gesagt in über 200 Ländern und Territorien auf sechs Kontinenten. Schweighöfer und der deutsche Amazon-Video-Geschäftsführer Christoph Schneider haben angekündigt mit dem Projekt neue Maßstäbe für die deutsche Serienproduktion zu setzen und auf nationaler wie auf internationaler Ebene das Publikum zu begeistern.

Große Worte, denen erst noch Taten folgen müssen. „You Are Wanted“ wird sicherlich ein Publikum finden, aber ob die Serie den internationalen Durchbruch feiern wird ist doch fraglich. Vieles dürfte da auch von der Mundpropaganda abhängen und damit auch von der Frage, ob das Hackerdrama eine Auflösung präsentieren kann, die zahlreichen aufgeworfenen Fragen „glaubwürdig“ auflöst und die Zuschauer zum „weiterempfehlen“ anregt. Warum wurde ausgerechnet Lukas Franke zum Opfer des Hackerangriffs, was hat das Ganze mit seiner Vergangenheit und seinem Bruder zu tun und wo ist die Verbindung zu Bloggerin Lena? Die Antworten auf diese Fragen sollten besser einfallsreich und unerwartet sein, denn damit konnte die Serie bisher leider nicht aufwarten.

Mehr Fragen statt Antworten: Lukas und Lena (Karoline Herfurth)


Teilweise hapert es auch einfach an der Logik. Der Hacker in der Serie wird als nahezu übermächtig dargestellt, er ist überall und kann auf jedes technische Gerät zugreifen, wie Handlungen abseits von Lukas zeigen. Dennoch muss er anfangs einen riesigen Stromausfall inszenieren, um Lukas einen Virus unterzuschieben und Zugriff auf dessen Daten zu bekommen. Das erscheint nicht wirklich plausibel.

Zudem wird leider oftmals mit bereits ausgedienten Klischees gearbeitet oder versucht, Produktionen aus Amerika zu imitieren. Das Ermittlerduo der Polizei, das Lukas auf den Zahn fühlt, bestehend etwa aus einer alteingesessenen, rauchenden und schroffen Polizei-Veteranin (Catrin Striebeck), die am liebsten auf eigene Faust ermittelt und genervt ist von ihrem neuen, jungen und übereifrigen Kollegen (Edin Hasanovic). Das ist mindestens genauso ausgelutscht wie Hacker, die in dunklen Kellern ihr Dasein fristen. Was „You Are Wanted“ inhaltlich gut tun würde, wäre ein stärkeres Loslösen von etwaigen Vorbildern und das Erzählen eigener Geschichten.

Das gelingt der Serie andernorts auch sehr gut. So weist zum Beispiel der Handlungsbogen um Lukas’ mysteriöse Vergangenheit mit seinem Halbbruder Thomas ein enormes Spannungspotenzial auf. Ebenso die Figur Julia, die den Zuschauer dank der Darstellung von Katrin Bauerfeind zu fesseln weiß und neugierig auf mehr macht. Leider haben Thomas und Julia (bisher) einen eher kleinen Part in der Serie eingenommen. Lobend hervorzuheben ist auch die Kameraführung in der Serie, die für beeindruckende Visualität sorgt. Ärgerlich hingegen sind die mehrfach sehr offensichtlich in Szene gesetzten Produktplatzierungen, die einfach nur noch mit der Holzhammer-Methode ins Bild gezerrt werden und fast schon wie eine Karikatur wirken.

Insgesamt weiß „You Are Wanted“ jedoch zu unterhalten, spannende Geschichten aufzubauen und neben dem reinen Unterhaltungsfaktor auch nachdenklich zu machen. Die Serie spricht eine aktuelle Thematik an, denn gerade bei der fortschreitenden Digitalisierung unserer Gesellschaft werden die damit verbundenen Risiken oftmals aus den Augen verloren. Wer an dieser Thematik Interesse hat und über kleinere Logikfehler und Klischees hinwegsehen kann, wird mit Sicherheit gut von „You Are Wanted“ unterhalten werden. Und hoffentlich kann die Serie noch mit der ein oder anderen Überraschung oder geschickten Plottwists gegen Ende aufwarten.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie.

Meine Wertung: 3,5/​5


Jana Bärenwaldt
© Alle Bilder: 2017 Amazon Inc.

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