25 Jahre Nickelodeon – Paddy Kroetz: „Nickelodeon war ein Miteinander ohne die für die Medienbranche typischen Egos!“

Interview über Karrierestart, große Spielwiese und dramatisches Ende

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 08.07.2020, 09:00 Uhr

Paddy mit „Hey Arnold!“ und Nickelodeon-Kollege Ralf Kühler Paddy Kroetz

fernsehserien.de: Es hätte alles so schön sein können, doch im Mai Ende 1998 war urplötzlich Schluss. Wann und wie kurzfristig hast du vom Aus des Senders erfahren?

Paddy Kroetz: Ich hatte das „Glück“, dass ich durch meine „klüngelhaften“ Kontakte im Sender früher als andere an Informationen kam. Als ich am Mittwochabend vor Pfingsten 1998 alleine im Büro saß, rief mich Martin an und sagte mir, dass alles vorbei sei. Das war wirklich schlimm für mich, weil mein Traum in dem Augenblick zerplatzt ist. Das, was ich immer machen wollte, mein absoluter Traumjob, ist in dem Augenblick zerstört worden. Ich habe erst mal eine halbe Stunde geheult. Offiziell haben die Mitarbeiter erst am Freitagmorgen (29. Mai) davon erfahren. Dieser Zeitpunkt wurde bewusst so gewählt, denn es ging auch um die Frage, wann die Kündigungen zugestellt werden. Wären die erst am 1. Juni zugestellt worden, hätten sie länger zahlen müssen. Deshalb wurden alle Ausgänge von Securitys versperrt. Die Mitarbeiter wurden alle so lange im Haus gehalten, bis jeder seine Kündigung ausgehändigt bekam. Die Art und Weise, wie das dort abgelaufen ist, war so ekelhaft. Das war richtig Bulldozer-mäßig und würde heute viel größere Wellen schlagen. Heute ist die Öffentlichkeit viel sensibler, was solche Sachen angeht und man ist auch viel besser vernetzt als 1998.

Schreiben über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Paddy Kroetz

Das klingt echt heftig!

Paddy Kroetz: Ja, das war auch der Moment, in dem ich „kriminell“ wurde. Denn wir haben die Security-Leute abgelenkt, die Kameras abgeklebt und mit einem Puls von 500 hab ich meine ganzen Bänder mit meinen Beiträgen aus dem Haus gekarrt! Clevererweise waren meine Sachen nicht im richtigen Archiv, sondern ich hatte einen eigenen Archivschrank. Wir haben dann alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war – aber ich stehe voll und ganz dahinter! Denn das Zeug wäre sonst in die USA gegangen, womit dort niemand irgendetwas hätte anfangen können. Finanziell habe ich nur eine kleine Abfindung bekommen. Aber Martin hat für meinen Kollegen und mich noch das ganze teure Mini-DV-Equipment klargemacht, das wir behalten durften. Wir haben das dann verkauft, wodurch wir indirekt noch eine zusätzliche Abfindung bekamen. Wieder haben sich Martin Müller-Karera & Michael Verweyen für mich eingesetzt. Zu Martin habe ich übrigens immer noch einen guten Kontakt.

Paddy Kroetz

Was ich schon als Kind seltsam fand, war die Tatsache, dass noch wenige Wochen vor dem Aus neue Moderatoren eingestellt wurden. Das spricht dafür, dass die Verantwortlichen in Deutschland wirklich von nichts wussten.

Paddy Kroetz: Absolut! Im gleichen Monat, in dem die neuen Moderatoren eingestellt wurden, kam eine Delegation aus den USA, die sich die Bücher angesehen hat. Zuvor gab es im Februar 1998 einen Artikel in der Welt namens „Aus die Maus“, in dem erstmals von der drohenden Einstellung des Senders berichtet wurde. Die Amerikaner haben dies aber stets abgestritten und ließen alle Abläufe wie geplant weiterlaufen. Dazu zählte auch die Einstellung von neuen Moderatoren. Es sollte so lange Normalität vorgegaukelt werden bis zu dem Tag, an dem der Laden dicht gemacht wurde. Das zeigt, dass man überhaupt nicht mit offenen Karten gespielt hat, sondern richtig hinterhältig gehandelt hat. Bei einem Welt-Artikel nach der Schließung war ich der „Maulwurf“, der heimlich mit einem Redakteur telefoniert und ihm Infos gegeben hat. Das fand ich ganz lustig. Ich kam mir wie in einem James-Bond-Film vor, zumal sich alle im Sender gefragt haben, wer diese Internas erzählt haben könnte. Die Abwicklung des Senders hat dann noch bis ca. Herbst ’98 gedauert und es gab noch eine letzte Bootsparty, von der ich allerdings fast nichts mehr weiß … ;)

Weshalb ist Nickelodeon deiner Meinung nach gescheitert?

Nickelodeon

Paddy Kroetz: Das Hauptproblem war meiner Ansicht nach die geringe Verbreitung. In vielen Bundesländern konnte Nickelodeon erst spät empfangen werden, weil der Sender erst irgendwann 1997 eingespeist wurde. Es gab dann auch eine Aktion, in der wir „Ich hab’s!“-Aufkleber verteilt haben, die die Kinder an die Fernseher kleben sollten. Die Amerikaner hatten aber viel zu hohe Erwartungen und dachten, der deutsche Fernsehmarkt funktioniert so wie in den USA. Sie haben dem Sender keine Chance gegeben, auf diesem gänzlich anderen Markt langsam voranzukommen, sondern erwartet, dass sie schnell eine große Nummer werden.

Es gab dann ja auch noch den letzten „Nick Live Club“, in dem sich alle Moderatoren versammelt haben, um sich gemeinsam von den Zuschauern zu verabschieden. Dieser Einspielfilm wurde mehrfach an den letzten Sendetagen wiederholt.

Paddy Kroetz: Ich habe keinerlei Erinnerungen mehr an diesen Dreh, weil ich wie in Trance war. Alle Moderatoren waren unter Schock und auch nicht mehr nüchtern. Es gab dann auch noch einen Abschiedstrailer, den die Amerikaner selbst heimlich vorproduziert hatten, ohne den deutschen Mitarbeitern etwas davon zu sagen – mit einem unmöglichen Off-Sprecher, der klang, als wäre er 100 Jahre alt! Damit sind sie in die Sendeabwicklung gegangen und haben verlangt, dass dieser Trailer im Loop abgespielt werden soll.

Und wie ging es dann für dich weiter?

Paddy Kroetz: Ich hatte nie ein Management (bis heute!) und war erstmal arbeitslos. Ich habe wieder bei meinen Eltern gewohnt und musste praktisch wieder von ganz vorne anfangen. Martin habe ich es dann auch indirekt zu verdanken, dass ich danach bei Super RTL gelandet bin. Er hat den Kontakt zu einem gewissen Norbert Müller, einem guten Freund von ihm, hergestellt. Er war der Geschäftsführer von Craxx Medienproduktion, die damals die On-Air-Promotion (also Trailer usw.) für Super RTL gemacht hat. Dort habe ich dann so etwas wie einen „Alibi“-Job angenommen und kam nach ca. sechs Monaten wieder vor die Kamera, nachdem ich den Leuten von Super RTL in jeder freien Minute meine Nickelodeon-Tapes unter die Nase gerieben habe (lacht)! Geklappt hat dies vor allem dank Thomas Greven, dem damaligen Leiter Eigenproduktion von Super RTL, der sich für mich eingesetzt hat, aber inzwischen schon lange nicht mehr bei dem Sender arbeitet. Im Oktober 1999 durfte ich die Musikshow „Popcorn Live“ moderieren – und die hatte enorm hohe Einschaltquoten. Daraufhin hat mir Susanne Schosser, die damalige Programmdirektorin von Super RTL, die Chance gegeben, „Paddy on Tour“ zu machen. So lange die beiden noch beim Sender waren, war ein Nickelodeon-Light-Feeling zu spüren, danach ging es in diesem Sender spürbar bergab, was das Menschliche angeht.

2005 ist Nickelodeon in Deutschland erneut gestartet. Hast du mal überlegt, noch einmal dorthin zu wechseln?

Paddy Kroetz: Nein, denn zu diesem Zeitpunkt war bei Super RTL alles gut. „TOGGO TV“ lief noch, mit Nina Moghaddam habe ich mich noch gut verstanden und ich habe gutes Geld verdient. In gewisser Weise bin ich Nickelodeon sogar dankbar, denn Super RTL hatte enorme Panik vor dem Neustart von Nickelodeon, weshalb sie richtig viel Geld in die Hand genommen haben, um Spots zu produzieren. Da habe ich durch die vielen zusätzlichen Drehtage natürlich schön von profitiert.

Die zweite Nickelodeon-Phase scheint erfolgreicher zu sein, da der Sender nun schon fast seit 15 Jahren wieder in Deutschland existiert. War Deutschland in den 90ern noch nicht reif für Nickelodeon – oder was wird heute besser gemacht?

Paddy Kroetz: Ich weiß nicht, ob die Sender heute mehr Geld machen als damals. Angesichts der Fragmentierung des TV-Markts kann ich mir das kaum vorstellen. Ich glaube eher, man gibt sich mit weniger zufrieden und schätzt den Markt nicht mehr falsch ein.

Vielen Dank für die schönen Anekdoten und das Teilen deiner Erinnerungen. Alles Gute für die Zukunft!

Informationsschreiben an die Nickelodeon-Mitarbeiter zum Ende des Sendebetriebs Paddy Kroetz

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Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit

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