Corona-Effekt: Junge Menschen sehen wieder mehr fern

Gesteigertes Bedürfnis nach Information und Unterhaltung

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 08.04.2020, 17:30 Uhr

Corona-Effekt: Junge Menschen sehen wieder mehr fern – Gesteigertes Bedürfnis nach Information und Unterhaltung

Die anhaltende Corona-Krise hat zahlreiche dramatischen Konsequenzen in vielen Bereichen. Das Fernsehen kann allerdings als positiven Nebeneffekt eine gesteigerte Nutzung verzeichnen. Insbesondere junge Menschen, die in den vergangenen Jahren immer mehr dem linearen Fernsehen den Rücken gekehrt haben, sind nun wieder stärker vertreten. Dies geht aus dem Ergebnis einer intensiven Analyse der AGF (Arbeitsgemeinschaft Videoforschung) hervor.

Das gesteigerte Bedürfnis nach Information und Ablenkung in unsicheren Zeiten spiegelt sich spürbar in der TV-Nutzung wider – am deutlichsten zeigt sich der Aufwärtstrend in den gestiegenen Reichweiten der Nachrichten. Sie vermitteln relevante Informationen, werden zur Tagesklammer und zur Richtschnur für das weitere Handeln der Menschen. Fernsehen wird das Fenster zur Welt, so Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende der Geschäftsführung der AGF Videoforschung.

Unterhaltungsformate, Doku-Soaps und Realityshows werden hingegen als Realitätsersatz wahr- und angenommen. Zuschauer steuern gezielt Sendungen an, die Themen aus dem normalen Leben aufgreifen wie Kochen, Shoppen, Daten und Reisen – was derzeit nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist. Zudem bieten Shows wie „Let’s Dance“, „The Masked Singer“, „Kitchen Impossible“ und „Germany’s Next Topmodel“ Ablenkung und können sich über gestiegene Einschaltquoten freuen. Rückläufig ist aufgrund zahlreicher abgesagter Veranstaltungen dagegen der Sport. Die Streichung von Spielen und Turnieren und damit auch der Übertragungen führte unweigerlich zu einem deutlichen Einbruch. Der starke Anstieg bei Shows und der Rückgang bei Sport zeigt einmal mehr, dass Live-Events und Live-Berichterstattung Kernkompetenzen von TV sind, sagt Niederauer-Kopf.

Der langfristige Abwärtstrend, das Abwandern junger Menschen in andere Medienkanäle, sei vorerst gestoppt worden. Junge Zielgruppen, die in den vergangenen Jahren den Negativtrend in der TV-Nutzung vorangetrieben haben, kehren aktuell zurück. Dies zeigt sich deutlich in den Nutzungsdaten der AGF. Das ist eine einmalige Möglichkeit für Programmmacher und Werbungtreibende, Menschen anzusprechen, die durch ihre fragmentierte Mediennutzung in Masse nur noch schwer zu erreichen sind, erläutert Kerstin Niederauer-Kopf.

Konkret ist die Nettoreichweite, also der Anteil der Menschen, die im März 2020 mindestens einmal Kontakt mit dem Medium hatten, von 72,0 Prozent im Februar auf 75,0 Prozent gestiegen. Im direkten Vorjahresvergleich fällt die Steigerung ausgehend von 70,9 Prozent noch deutlicher aus. In der Zielgruppe der 14 bis 49-Jährigen gab es eine Steigerung von 60,5 auf 64,0 Prozent.

Auch die Sehdauer ist gestiegen: Im März, also dem Monat, in dem in Deutschland drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie ergriffen wurden, lag die tägliche Sehdauer im Gesamtpublikum mit durchschnittlich 244 Minuten um 18 Minuten über dem Vorjahresmonat und damit auf einem Rekordniveau. Laut AGF war der März 2020 der Monat mit der elfthöchsten Nutzung seit dem Start der Reichweitenmessung durch die AGF Videoforschung im Jahr 1988. Im Vergleich zum Februar 2020 stieg die Sehdauer um 6,5 Prozent, was einem Plus von 15 Minuten entspricht. Insbesondere die jüngere Zielgruppe wendet sich dem Medium TV derzeit wieder stärker zu, so Kerstin Niederauer-Kopf. So lag die Sehdauer bei den 14- bis 49-Jährigen im März bei 157 Minuten – zehn Prozent über dem Niveau vom Februar 2020. Bei den 14- bis 19-Jährigen lag das Plus bei 8 Minuten oder 15,2 Prozent, bei den 20- bis 29-Jährigen waren es 12 Minuten mehr im Vergleich zum Vormonat.

Die gesteigerte TV-Nutzung hatte allerdings keine negativen Effekte auf die Streaming-Nutzung. Laut AGF ist die Netto-Reichweite bei den 14- bis 49-Jährigen im März 2020 im Vergleich zum Januar 2020 um 9,8 Prozent gestiegen.

Der Werbung kommt in diesen Tagen ebenfalls eine besondere Funktion zu: Laut AGF-Analyse vermittelt sie Normalität, etabliert Vertrauen in die Zukunft und wird in einer Zeit, in der der Einkauf von Lebensmitteln eine der wenigen Möglichkeiten ist, das Haus zu verlassen, besonders aufmerksam wahrgenommen. Gerade die jüngeren Zuschauer, die von der Werbewirtschaft in den vergangenen Jahren vor allem digital angesprochen worden sind, stehe Werbung auch unter dem Einfluss von Corona offen und sehr positiv gegenüber. Die Generation Instagram wundert sich sogar, warum im TV nicht direkt Shopping-Empfehlungen zu Looks und Produkten abgerufen werden können, so Ines Imdahl, Geschäftsführerin und Gründerin des Rheingold Salons

Die Ergebnisse beruhen auf einer umfangreichen zweiteiligen Analyse der AGF Videoforschung. Sie basiert auf den Nutzungsdaten der AGF sowie einer tiefenpsychologischen Analyse des Instituts Rheingold Salon im Auftrag der AGF. Im Zuge dessen wurden vom 30. März bis zum 3. April 16 einstündige Tiefeninterviews in unterschiedlichen Altersgruppen geführt und evaluiert sowie die Phänomene über die klassischen AGF-Daten quantifiziert. Vertiefend hat die AGF gemeinsam mit dem Daten-und Softwarespezialisten DAP eine umfangreiche Analyse auf Basis der AGF-Nutzungsdaten der Jahre 2017 und folgende zur Entwicklung eines Trendmodells aufgesetzt.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    "Die Generation Instagram wundert sich sogar, warum im TV nicht direkt Shopping-Empfehlungen zu Looks und Produkten abgerufen werden können"

    Die kennen also nicht einmal den roten Knopf auf der Fernbedienung. Wo die ÖR zumeist sinnvolle Dienste untergebracht haben, ist bei prosieben-sat.1 und RTL oft weiterführende Werbung zum gerade gezeigten "Product Placement". Nur sind da halt keine Affiliate-Links.

    Wenn das so weiter geht, muss man diese Brut einschläfern, weil sie beim Essen den eigenen Mund nicht mehr findet.
    • am via tvforen.de

      Das Testbild gibt es noch? :)
    • am via tvforen.de

      Tja, die können auch nicht mehr gemeinsam gelangweilt auf ihr Mobiltelefon starren... ;-))
      • am

        "Die Generation Instagram wundert sich sogar, warum im TV nicht direkt Shopping-Empfehlungen zu Looks und Produkten abgerufen werden können"

        Das ist doch jetzt nicht etwa ihr Ernst oder?OMG wir sind verloren

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