Nur weil sich Pflanzen kaum aktiv bewegen, gelten sie als tumb und unempfindlich: In unseren Augen vegetieren sie vor sich hin. Ohne dass wir Äusserungen von Pflanzen wahrnehmen, sprechen wir ihnen seit Jahrhunderten höhere Eigenschaften ab: Wir glauben nicht, dass sie untereinander und mit ihrer Umwelt aktiv kommunizieren, und wer sagt, dass sie Verwandte erkennen oder Freund und Feind unterscheiden können, wird schnell ins Reich der Esoterik verbannt. Bäume leben von Luft: Doch wer genau hinschaut, erkennt dass ein Baum täglich im Kleinformat logistische Probleme löst, wie sie eine Millionenstadt hat: Er braucht Wasser aus dem Boden, das von Milliarden von Wurzelhaaren aufgenommen und über Hochdruckleitungen durch eine Art Supervakuum auf bis zu 30 Meter Höhe in die Kronen gesaugt wird. Triebe in luftiger Höhe brauchen Mineralstoffe, die aus den Wurzeln in alle Teile des Baumes transportiert werden. Umgekehrt produzieren die Blätter wie eine ultramoderne Fabrik mit Hilfe von Sonnenenergie und aus CO2-Gas in der Luft organisches Material, das zum Wachstum und zum Funktionieren dieses Organismus benötigt wird. Die so hergestellten Zuckermoleküle wandern im Baumstamm abwärts und versorgen die Wurzeln und ihre Verbündeten, die Pilze, mit notwendigen Nährstoffen. Doch die Logistik in diesem gewaltigen, hochkomplizierten Superorganismus ist noch lange nicht
alles. Fühlende Wesen: Immer mehr Forschungsergebnisse bringen an den Tag, dass Pflanzen fühlende Wesen sind, die ihre Umgebung sehr präzise Wahrnehmen und nach ihren Bedürfnissen und nach Umwelteinflüssen reagieren und sinnvoll und effizient handeln. Wenn Birken von Schmetterlings-Raupen angegriffen werden, alarmieren sie über Duftstoffe die Bäume in der Nachbarschaft und informieren über denselben Geruch gleichzeitig Vögel – die Feinde der Raupen. Unter der Erde verbinden sich die Wurzeln der meisten Bäume mit speziellen, feinen Pilzgeweben, die für sie Nährstoffe aufbereiten und transportieren und die sie dafür mit Kohlenstoff versorgen. Und Pflanzen bewegen sich doch! Erst der Zeitraffer enthüllt ihre Bewegungen durch Wachstum und durch Druckveränderungen ihrer Zellen. Sie orientieren sich dabei ohne Augen optisch, ohne Nase nach Gerüchen und ohne Nerven nach Berührungen. Seit Jahrmillionen verkörpern sie eine Erscheinungsform des Lebens, die uns bisher weitgehend verborgen geblieben ist, die unsere Zivilisation aber doch unbekümmert nutzt: Land- und Forstwirtschaft machen mit den Pflanzen, was sie wollen – und vergeben sich dabei oft die Chance, dass uns diese Lebewesen in einem partnerschaftlichen Verhältnis weitaus nützlicher sein könnten, als wenn wir sie nach unserem Denken züchten, pflanzen, «maximieren», gentechnisch verändern oder zurechtstutzen. (Text: SRF)
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