„Room 104“: Gewitzte Anthologieserie über Menschen in Hotelzimmern – Review

Die Duplass-Brüder erzählen unterschiedlich aufregende Kurz-Stories aus der Twilight Zone

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 21.09.2017, 14:30 Uhr

„Room 104“ – Bild: HBO
„Room 104“

Anthologieserien gibt es in verschiedenen Formen: staffelweise organisiert als Variation unterschiedlicher Settings und Storylines, mitunter mit teilweise gleicher Besetzung in anderen Rollen, wie es etwa Ryan Murphys „American Horror Story“ und „American Crime Story“ vorführen (und nun auch „Manhunt“); als Plot-Austausch unter demselben Style-Versprechen („True Detective“); Geschichten aus demselben narrativen Universum, auf verschiedenen Zeitebenen angesiedelt („Fargo“). Oder eben nicht staffel- sondern episodenweise organisiert: jede Folge eine neue Story, ein neuer Cast, so wie es „Alfred Hitchcock präsentiert“ und „Twilight Zone“ vorgemacht haben und es derzeit, zu großem Applaus, Charlie Brooker mit „Black Mirror“ praktiziert.

Dass sich nun ausgerechnet die Brüder Duplass an diesem Format versuchen, hat manche verblüfft. Anderen schien es nur folgerichtig: Schließlich ist Jay und Mark als den Hans-Dampfs-in-allen Gassen, die sie nun mal sind, grundsätzlich einiges zuzutrauen. Für die, die sie noch nicht kennen: Ab Mitte der Nullerjahre zählten sie zur „Mumblecore“-Szene des US-amerikanischen Indie-Undergrounds, mit günstig gedrehten, schräg vom Drama in den Genrefilm hineinlappenden Kinofilmen wie „The Puffy Chair“ und „Baghead“ (die vielen Amateur-Darsteller nuschelten gerne mal, daher die Genrebezeichnung) erfilmten sie sich kultisch ergebene Fans. Als in „Cyrus“ Jonah Hill und in „Jeff, der noch zu Hause lebt“ Jason Segel die Hauptrollen übernahmen, hatten sie schon an den Mainstream angedockt. Nebenher arbeiten beide als Schauspieler und Dramedy-Spezialisten in Filmen und Serien, gemeinsam im „Mindy Project“, Jay außerdem in „Transparent“, Mark in „The League“ und in „Togetherness“, der ersten Serienproduktion der beiden für den Pay-TV-Sender HBO. (Die zweite Kollaboration ist die Trickfilmserie „Animals.“.)

Obwohl die erfreulich erwachsene Beziehungsdramedy „Togetherness“ unter dem Radar des Qualitätsserienpublikums lief und nach zwei Staffeln eingestampft wurde, dürfen sich die Brüder jetzt mit „Room 104“ also dem Anthologieprinzip widmen. Als Produzenten betreuen sie das Gesamtprojekt, als Autoren schrieben sie einen Großteil der 12 Episoden, Jay spielt auch mit, wenn auch nur in einer Folge. Als Darsteller konnten sie neben langjährigen Mitstreitern (Amy Landecker aus „Transparent“, Ross Partridge aus „Baghead“) diverse Qualitätskino-Mimen an Bord holen, von Nat Wolff („Das Schicksal ist ein mieser Verräter“) und Lily Gladstone („Certain Women“) bis hin zu Philip Baker Hall, Veteran vieler Paul-Thomas-Anderson-Filme.

Die Vorgabe für die von insgesamt acht Regisseurinnen und Regisseuren inszenierten, knapp halbstündigen Episoden war klar: Alle Geschichten spielen im selben titelgebenden, ebenerdig liegenden Zimmer eines irgendwo in den USA befindlichen Motels. Außenaufnahmen gibt es keine, nur ein paar Blicke durchs Fenster. Das generische Dekor mit den gedeckten Farben von Jonah Markowitz bleibt dabei immer gleich: zwei Betten mit genopptem Überzug und grünlich schimmernden Kopfkissen, dahinter die dunkelhölzernen Kopfteile, gestreifte beige Tapeten, die immer gleichen Lampen auf dem Nachtschrank und in der Ecke. Hinten ein Waschbecken, daneben die verspiegelte Tür zum Badezimmer. Mit genau diesem Look, mit genau dieser Konstellation von Möbeln mussten die Autoren und Regisseure arbeiten.

Was ein bisschen an eine Schreib- oder Gestaltungsübung an der Filmhochschule erinnert, wird, nimmt man die ersten Folgen zum Maßstab, in bewährte, reizvoll an moderne Lebenswelten angepasste Twilight-Zone-Bahnen gelenkt: Es sind simple Kurzgeschichten with a twist, die arglos beginnen, dann zunehmend seltsam werden und zügig auf eine klare Pointe zusteuern. Der Tonfall ist zu variierenden Graden humorvoll und spannend, der Schwerpunkt liegt klar im Bereich Mystery und Horror. In späteren Folgen, so ist zu vernehmen, werden auch dramatischere und/​oder experimentellere Töne angeschlagen.

Der Babysitting-Auftrag von Meg (Melonie Diaz) mit dem Kleinen Ralph (Ethan Kent) entwickelt sich überraschend …
In der ersten Folge – „Ralphie“ (Autor: Mark Duplass) – soll die über eine Babysitter-Agentur vermittelte Meg (Melonie Diaz aus „Nächster Halt: Fruitvale Station“) in Room 104 auf Ralph, den elfjährigen Sohn eines eiligen Vaters (Ross Partridge) aufpassen, der dann aber nicht zur vereinbarten Uhrzeit zurückkehrt. Ralph hingegen, ein braves, goldiges Kind, beunruhigt Meg mit wirrem Gerede über „Ralphie“, eine Art bösen Zwilling seiner selbst, der angeblich im Badezimmer ausharrt – und dann tatsächlich brüllend in den Raum gelaufen kommt. Psychose oder Realität? Die Auflösung ist nicht neu, aber fies. Ralph und Ralphie werden sehr effektiv von den Zwillingen Ethan und Gavin Kent gespielt, die in „Weeds“ in Arbeitsteilung Nancys Söhnchen Stevie spielten.

Die zweite Episode – „Pizza Boy“ (Autor: Mark Duplass) – ist etwas weniger abgründig und verzichtet auf Horror, folgt aber derselben Eskalationsdramaturgie. Der dicklich-ungelenke Titelheld (Clark Duke aus „Greek“) soll einem im Zimmer übernachtenden Ehepaar nur eine (mit 22 Dollar deutlich überteuerte) Pizza ausliefern, wird dann aber zum Spielball eines Psychospiels der beiden. Während der Mann (amüsant over the top: „Dawson’s Creek“-Star James van der Beek) Bargeld holen geht, lässt sich der schüchterne Pizzaboy von der Frau (Davie-Blue ) mit uneindeutig-eindeutigen Anspielungen um den Finger wickeln, bis sich die Situation nach der Rückkehr des Mannes wieder verändert: Jetzt gerät der Pizzaboy in ein absurdes Kreuzverhör, bald liegt er gar gefesselt auf einem der beiden Bette – bis eine tatsächlich sehr verblüffende Pointe die Erzählung vom Kopf auf die Füße stellt. Eine Farce über die Kommerzialisierung des (Fetisch-)Begehrens: nicht schlecht.
James Van Der Beek als Scott und Davie-Blue als Jennifer in der Folge „Pizzaboy“
Die dritte Episode – „The Knockandoo“ (Autor: Carson Mell) – ist unter den ersten drei Folgen die zwiespältigste, aber auch interessanteste. Eine junge Frau auf Sinnsuche (sehr gut: Sameerah Luqmaan-Harris) trifft sich in Room 104 mit einem Sektenpriester (Orlando Jones aus „MadTV“, „Sleepy Hollow“), mit dem sie seit langem in Kontakt steht. Unter dessen Anleitung und gegen eine horrende „Gebühr“ will sie eine Art transzendenten Zustand erlangen. Gemeinsam schauen sie Anleitungsvideos des Sektenführers an (großartig: Tony „Candyman“ Todd am Casio-Keyboard vor psychedelisch wabernder Astro-TV-Deko), doch nichts Spirituelles will sich bei ihr einstellen. Bis sich die Frau an eine verdrängte Episode aus ihrer Jugend erinnert – und der Sektenpriester zur Lobotomie ansetzt. Was in den letzten Sekunden geschieht, dürfte einige verstören. Es gibt jeweils gute Gründe, die Auflösung läppisch oder clever zu finden.

In der aufs Wesentliche konzentrierten und stilistisch dennoch sehr unterschiedlichen Regie von Sarah Adina Smith (1 und 3) sowie Patrick Brice (2) sind diese ersten drei Einblicke ins titelgebende Zimmer ziemlich spannend geraten – andererseits machen sie auch klar, wohin die Reise hier geht: Von der Kühnheit der Duplass-Filme oder auch der wehmütigen Wärme von „Togetherness“ ist hier kaum etwas zu spüren. Was wahrscheinlich mit diesem Konzept aber auch kaum anders möglich sein dürfte. Es geht um den gespielten Witz, die Anekdote der Woche. Es sind morbide kleine Stories, die von Folge zu Folge mal mehr, mal weniger gut aufgehen, mal mehr, mal weniger spannend, witzig, verblüffend sein werden. Die Idee einer nur im Hotelzimmer spielenden Film- oder Serienerzählung ist ohnehin nicht neu (Tarantino hat das 1995 mit drei Kollegen in „Four Rooms“ versucht, David Lynch 1993 für HBO mit „Hotel Room“), doch was die Duplass’ aus dieser Prämisse machen, kann sich durchaus sehen lassen. Jede neue Episode ist eine Wundertüte: Man kann sich freuen oder enttäuscht darüber sein. Auch das sorgt ja für Spannung. Das findet auch HBO, das inzwischen eine zweite Staffel und damit einen zweiten Strauß Storys bestellt hat ­- gut so.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „Room 104“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: HBO


„Room 104“ läuft seit einigen Wochen bei HBO in den USA und kann parallel über die Digitalen Angebote von Sky – Sky on Demand, Sky Go, Sky Ticket – im Originalton abgerufen werden. Die lineare Ausstrahlung beginnt heute (21. September 2017) ab 20:15 Uhr bei Sky Atlantic.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1991) am

    Es wäre auch nett wenn ihr mal Trailer in die Reviews setzten könnt sodass man sich auch bewegte Bilder dazu ansehen kann. Das hilft bei der Wahl ob man eine Serie anschauen will oder nicht: https://www.youtube.com/watch?v=zudxg4qHRZQ
    • (geb. 1964) am

      Es wäre nett, wenn ihr bei den Reviews auch mal wieder einen Link zu der reviewten Serie mit einbauen würdet, damit man sie sich auf die Wunschliste setzen kann. Wenn das mit einem Dutzend Serien geht, die sonst so im Text erwähnt werden, dann sollte das doch auch bei der eigentlich reviewten Serie möglich sein.

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