„Gone“: Kommende VOX-Serie ist Procedural der besonders routinierten Sorte – Review

Leven Rambin und Chris Noth lösen Entführungsfälle ohne große Überraschungen

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 24.12.2017, 09:46 Uhr

Der Cast von „Gone“: Kit „Kick“ Lannigan (Leven Rambin), Frank Novak (Chris Noth), James (Andy Mientus) und John Bishop (Danny Pino) – Bild: Mediengruppe RTL D / Virginia Sherwood / Universal Television International
Der Cast von „Gone“: Kit „Kick“ Lannigan (Leven Rambin), Frank Novak (Chris Noth), James (Andy Mientus) und John Bishop (Danny Pino)

Die beste Ausbildung für den Dienst in einer Taskforce ist es, wenn man selbst einmal unter den Dingen litt, die zu bekämpfen jene Taskforce ins Leben gerufen wurde. Das will uns das neue US-Procedural „Gone“ weismachen: Weil Mittzwanzigerin Kit Lannigan also als Kind selbst entführt wurde und fünf Jahre als Fake-Tochter ihres Kidnappers in einem Vorstadthaus verbringen musste, ist sie nun die geborene Expertin für Vermisstenfälle aller Art. Weil sie sich in die Täter hineindenken kann, besser als jeder FBI-Agent. Das behauptet nicht nur Frank Booth, der FBI-Veteran, der Kit seinerzeit rettete und jetzt in seine Taskforce holt. Das behauptet auch Matt Lopez, der Showrunner der Serie: Er lässt diese Überzeugung sogar mehrfach pro Folge von verschiedenen Figuren vortragen. Fast würde man wirklich dran glauben.

„Gone“ ist die erste Kollaboration des US-Unterhaltungsriesen NBCUniversal mit dem französischen Sender TF1 und dem deutschen Partner VOX, und noch bevor die letztgenannten Sender die Serie ausstrahlen (auf VOX ab 24. Januar), wird die erste Staffel mit zwölf Episoden beim NBC-Schwesterkanal Universal Channel im fernen Australien versendet. Was als Krimiserie mit neuem Dreh angekündigt wurde, entpuppt sich jedoch schnell als stinknormales Procedural, über das man, wie meist in diesen Fällen, vor allem eins sagen kann: Wer so was mag, wird zweckmäßig bedient. Wer so was sowieso nicht mehr sehen mag, wird sofort abwinken, zumal von Anfang an diverse Schludrigkeiten das Vergnügen trüben.

Das Cold Opening der Pilotepisode zeigt die letzten Minuten von Kits Gefangenschaft, die sich für uns Zuschauer allerdings nicht als Martyrium in Natascha-Kampus-Manier präsentieren, sondern eher als tückische Idylle: Alles sieht so aus, als lebe das etwa zehnjährige Mädchen in fürsorglichen Verhältnissen, und für dieses dramaturgische Täuschungsmanöver ist Autor Lopez (bekannt für Kinofilme wie „Die Jagd zum magischen Berg“ und „Duell der Magier“) kein gezogener Strich zu grob: Das Kind legt beim Scrabble das Wort „Family“, ihr falscher Familienname „Foster“ lässt an eine Pflegefamilie denken und Kidnap-Daddy lächelt freundlich. Doch kaum hat das FBI die surburbane Gemütlichkeitsfalle gestürmt, schießt sich Kidnap-Mommy die Rübe weg.

Auftritt Chris Noth als FBI-Mann Frank: Der smarte Mr. Big aus „Sex and the City“ (zuletzt in „Manhunt: UNABOMBER“ dabei) führt sich (mit gefärbtem Haar!) als väterliche Mentorenfigur ein, der Kit unter seine Fittiche nimmt. Zeitsprung ins Pittsburgh von heute, 15 Jahre später: Kit nennt sich jetzt „Kick“, wird mit grimmigem Blick von Leven Rambin gespielt (Rachel McAdams Schwester in „True Detective 2“), und führt ein kleines Martial-Arts-Studio – was auch sonst, wenn man zeigen will, dass das entführte Mädchen von einst zu einer jungen Frau herangereift ist, die geschworen hat, sich den Rest ihres Lebens über tatkräftig zu wehren.

Um ihre Unabhängigkeit zu unterstreichen und um zeigen, dass sie schon Schlimmes durchgemacht hat, wird aufmunternde Musik des kanadischen Popsternchens Alessia Cara eingespielt: „But there’s a hope that’s waiting for you in the dark /​ you should know you’re beautiful just the way you are!“ Nebenher trainiert Kick an der Waffe – das ist sehr förderlich, darf sie doch schon kurz darauf in FBI-Diensten pistoleschwingend gegen Tatverdächtige vorgehen.

Das Cast-Foto in stylish: (v.l.) Danny Pino, Leven Rambin und Chris Noth

Schon nach einer Viertelstunde hat Frank (immer noch väterlich, jetzt mit naturgrauem Haar) seine neue Taskforce zusammengestellt – und damit den Main Cast der Serie. Zuerst ist da ein Ex-Militärgeheimdienstler, der aussieht wie ein Dressman, gespielt von Danny Pino aus „Cold Case“ (zuletzt in „BrainDead“ zu sehen). Er absolviert mit Kick eine Test-Runde Krav Maga, in der sie die Oberhand behält. Ein durchsichtiges Manöver, ist von dieser Szene an doch alles darauf angelegt, dass sich die beiden amourös näherkommen sollen. Dritter im Bunde ist das schwule Hackergenie James (Andy Mientus aus „Smash“), der mit erpresserischen Methoden dazu gezwungen wird, dem Spezialkommando beizutreten. Stört ihn aber nicht.

Dass er obendrein noch Kicks Mitbewohner und selbst ein ehemaliges Kidnapping-Opfer ist, ist eine fast schon skurrile Konstruktion. Man kann sagen: Eine hemdsärmeligere Teamzusammenführung ist selbst im komplett durchgenormten Procedural-Wesen schwer denkbar. Ein mögliches Wundern über ihre Instant-Rekrutierung wird von Kick mit einem kurzen Stirnrunzeln abgefrühstückt. Die Flashbacks in ihre Leidenszeit, die die Frau bei ihren ersten Einsätzen plagen, wirken sehr pflichtschuldig. Fortan jedenfalls rauschen die vier Spezialisten in ihrem neuen Headquarter durch die Lüfte, einem mit allem Überwachungsschnickschnack ausgestatteten Flugzeug, das mit seinen weißen Ledersitzen und der spacigen Beleuchtung ein bisschen so aussieht wie die Deko-Idee eines Designbüros, das sonst Shisha-Lounges an bezahlbaren Urlaubsorten ausstattet. Im Hintergrund sitzen Leute mit Kopfhörern herum und tippen irgendwas in irgendwelche Apparate; in der Mitte stehen Frank, Kick, Bishop und James, starren auf Screens und pitchen sich Ideen zu. Egal, wer in der Folge entführt wurde, egal, wer verdächtigt wird, es kommt verlässlich erst zur Verfolgung eines Falschen, verbunden mit einer kleinen Spannungssequenz (mit Taschenlampen durch dunkle Keller oder so), damit dann so um die 25-Minuten-Marke herum der berühmteste Procedural-Satz aller Procedural-Sätze fallen kann: „He’s not our guy.“ Sprich: Wir haben den falschen Mann erwischt. Danach hat einer aus dem Team den rettenden „Dr.-House“-Erkenntnismoment, es folgt der Showdown. Musikalisch wird alles schamlos kommentiert: Wenn’s witzig wird, gibt’s Pizzicato, wenn’s spannend sein soll, wummert der Synthiebass.

Auch die Promo-Fotos zur Serie „Gone“ sind eher formelhaft inszeniert: Leven Rambin als Kick Lannigan
Nach dem PR-Motto „Das Spektakulärste zuerst“ hat Autor Lopez Fälle von besonders großer Dringlichkeit auf die ersten Episoden verteilt: In der Pilotfolge wird ein Kind vermisst, das im Finale aus einem dunklen Verlies befreit werden muss, nicht bevor der Täter, ein glatzköpfiger Schänder, ordentlich vermöbelt wurde. In der zweiten Episode geht’s um College-Studentinnen, die von einem falschen Taxifahrer betäubt und entführt werden. Diese Folge bietet Anknüpfungspunkte an die #metoo-Thematik, sie thematisiert Sexismus unter hippen Startup-Gründern, sogenanntes „Victim Shaming“ und Verleugnungsdruck unter Opfern, ist dann aber doch so nachlässig geschrieben, dass man das, worauf alles hinausläuft, schon allzu früh erahnen kann. Die kompetenten Nebendarsteller (Brendan Dooling aus den „The Carrie Diaries“, Conor Leslie aus „Klondike“, Jake Epstein aus „Akte Zack“) sind dagegen ein Plus.

Um also keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Eine Komplettkatastrophe ist „Gone“ nicht. Wer routiniert runtergekurbelten Procedural-Nachschub will, bekommt ihn. Indes, vom Hocker reißt hier wenig, weder Leven Rambin in der Hauptrolle, die die Balance zwischen Toughness und Verletzlichkeit nicht so richtig in den Griff bekommt, noch die Fälle an sich, noch die möglichen Ansatzpunkte für episodenübergreifende Entwicklungen. Alles wird viel zu überdeutlich ausbuchstabiert. Wie sich Kick und Bishop am Ende der zweiten Episode beim armeenostalgischen Smalltalk über Tattoos näherkommen müssen, das ist an Forciertheit schwer auszuhalten, obgleich sich Regisseur John Terlesky („Castle“) bemüht, das insgesamt hohe Tempo auch hier durchzuhalten. Kitsch bleibt es trotzdem: Nach den schmachtenden Blicken erhebt sich das Flugzeug phallusgleich in den Sonnenuntergangshimmel – herrje!

Interessant werden könnte noch die Figur von Kicks Mutter (gespielt von Kelly Rutherford aus „Melrose Place“ und „Gossip Girl“), die das Schicksal ihrer Tochter in einem Sachbuch ausgeschlachtet hat und jetzt als Expertin in Vermisstenfällen ungefragt an Tatorten auftaucht und Interviews gibt. Die Dynamik von Tochter und Mutter ist eines der wenigen Dinge, über die man tatsächlich noch gerne mehr erfahren würde. Der Rest wird wohl, so zeigt’s die Erfahrung, von der Cleverness und Zündkraft der wöchentlichen Fälle abhängen und dabei zweckmäßige Routine abliefern.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Gone“.

Meine Wertung: 2,5/​5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Mediengruppe RTL Deutschland/​NBCUniversal


Ab dem 24. Januar hat „Gone“ seine Deutschlandpremiere bei VOX.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Eine beinahe schon göttliche Kritik, Gian-Philip, perfekt auf den Punkt gebracht, darüber hinaus witzig und sachlich. ,-)
    Summa summarum, Dutzendware aus Hollywood mit dem immer gleichen Plot, den immer gleichen Stilelementen und Versatzstücken, gerade das richtige, wenn man nebenher einen Berg Wäsche zu bügeln hat.
    • am

      Da sieht man wieder welche Spezialisten hier am Werk waren !!! Wie kann man sich denn erlauben, so viel Kritik nach nur 2 angesehenen Flogen zu schreiben??? Dieser Text ist wirklich nicht sachlich formuliert ( Z.b Schnickschnack) Es gibt so viele gute Aspekte in dieser Serie, die man eventuell auch als Kritiker beachten sollte. Erstens: die Hauptrolle wird von einer Frau gespielt. Zweitens: Kit hat einen wirklich starken Charakter und ist ein wirkliches Vorbild für Junge Menschen. Drittens: es gibt bisher (soweit ich weiß) keine Kriminalserie in der es um Entführungen, usw. geht! Viertens: das Team hat eine ganz besondere Bindung, die sich mit keiner anderen Serie vergleichen lässt!! Ich könnte noch tausend Gründe mehr schreiben, warum diese Serie super ist, aber von Menschen, wie Ihnen, die so etwas schreiben (ohne überhaupt das große Ganze zu beachten, noch die Serie überhaupt ganz angesehen zu haben) lasse ich mir nicht den Tag bzw. die (wegen Menschen wie Ihnen vielleicht nicht entstehende) Staffel 2 verderben.
      • (geb. 1980) am

        Mittlerweile freu ich mich auf den Mittwoch Abend, ich finde "Gone" klasse. Die DVD hab ich mir auch schon vorbestellt.
        • (geb. 1980) am

          Ich werd auf jeden Fall reinschauen, ich mag Danny Pino sehr, seit ich ihn in "Cold Case" und in den Staffeln 13 - 16 von "Law & Order: SVU" gesehen hab.
          • (geb. 1967) am

            Was heisst denn, die Fotos sind formelhaft inszeniert?? Wie sollen die denn sonst gemacht sein??

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