„Damaged Goods“ schwankt zwischen originellen Szenen und peinlichen Momenten – Review

Newcomer wie Sophie Passmann passen zu erfahrenen Darstellerinnen wie Michaela May

Stefan Genrich
Rezension von Stefan Genrich – 20.07.2023, 10:02 Uhr

Nola (Sophie Passmann, l.) hintergeht ihre Freunde (v. r.) Mads (Tim Oliver Schulz), Tia (Zeynep Bozbay), Hugo (Antonije Stankovic) und Hennie (Leonie Brill) – Bild: WDR / Westside / Prime Video / Marc Reimann
Nola (Sophie Passmann, l.) hintergeht ihre Freunde (v. r.) Mads (Tim Oliver Schulz), Tia (Zeynep Bozbay), Hugo (Antonije Stankovic) und Hennie (Leonie Brill)

Gelingt Sophie Passmann eigentlich alles? Jedenfalls unterhält sie nun als Schauspielerin – zuvor hat sie als Moderatorin und Autorin („NEO Magazin Royale“) erste Fans gesammelt. Weitere Kollegen wie Tim Oliver Schultz („Väter allein zu Haus“) bereichern „Damaged Goods“. Aber das Porträt einer Münchener Clique bewegt selten das Publikum. Nach ihrem Rauswurf an der Uni verwertet Nola (Sophie Passmann) das Privatleben ihrer Freunde in einem Podcast. Die sogenannten Millennials lachen, leiden und lieben – doch sie verlieren leicht die Orientierung. Nola, Mads (Tim Oliver Schultz), Hennie (Leonie Brill, „Watzmann ermittelt“), Tia (Zeynep Bozbay) und Hugo (Antonije Stankovic) wollen oder können nicht erwachsen werden. Bereits als Teenager trafen sie aufeinander in einer Psychotherapie. One bringt die 35- bis 40-minütigen Episoden ins frei empfangbare Fernsehen. Die achtteilige Serie kommt von Amazon Prime Video (fernsehserien.de berichtete).

Das dicke Ende kommt zuerst

Die erste Folge „Big Dick Society“ beginnt mit dem Ende: Nola verkündet ihren Zuhörern, dass sie mit diesen Worten ihren Podcast abschließe. Es geht nicht weiter, weil die selbst ernannte Küchenpsychologin vor dem Mikrofon aufgeflogen ist. Im Hintergrund kündet ein Stimmengewirr, dass die bisherigen Freunde mit Nola abrechnen: Sie hat die langjährigen Wegbegleiter belogen und betrogen, indem sie alle möglichen Intimitäten im Internet verwurstet hat. Am besten erzähle ich alles der Reihe nach – so erlaubt ein Rückblick, das Chaos zu genießen.

Nola verliert Berufung als Psychologin

Nolas Professor (Christian Tramitz, „Hubert ohne Staller“) lehnt ihre Magisterarbeit ab, weil die Studentin ihre Quellen zu schlampig behandelt habe. Nola hat von einem erfüllten Dasein in der Psychologie geträumt. Sie protestiert, dass sie zwangsexmatrikuliert wird – also die Hochschule für alle Zeiten verlassen muss. Aus unbekannten Gründen ist der Professor nicht mehr gut auf seinen ehemaligen Schützling zu sprechen. Kalt fertigt er sie ab. Nola reagiert hilflos, indem sie die Büste von Siegmund Freud vom Schreibtisch stiehlt.

Millennials Hennie, Hugo, Mads und Tia bemerken keinen Verrat

Unterdessen steigt Hennie eine Stufe höher in ihrer Karriere. Sie plant, bei Nola auszuziehen und mit Nils (Timmi Trinks, „Blutige Anfänger“) eine Wohnung für ihr Liebesglück einzurichten. Mads verlässt eine Gespielin der Nacht und düst beseelt auf dem Skateboard durch den Olympiapark. Tia verpennt beinahe ein wichtiges Treffen mit einem Kunstförderer. Ihre geliebte Oma Therese (Michaela May, „Polizeiruf 110“) verunsichert Mads bei seiner Ankunft, dass er angeblich seine Haarpracht verliere. Telefonisch erreicht der Schönling seinen schwulen Kumpel Hugo, der als Flugbegleiter an Bord einer Maschine aufräumt. Im Baumarkt sabotiert Nola die Beziehung eines fremden Paares. Voreilig feiert Tia mit den Vertrauten, dass sie ein Kunstwerk verkauft hat: Bald zerstört sie versehentlich die Installation. Zwischendurch lässt Tia beiläufig ein Wort über Podcasts fallen.

In Nolas Kopf wächst die Idee, ein solches Projekt über ihre „Generation Y“ aufzuziehen: Unter dem Decknamen „Küchenpsychologin“ will sie über ihre Gefühle und private Vorfälle sprechen. Dabei plaudert sie Eigenheiten, Sorgen und Ereignisse der Freunde aus. Niemand in Nolas Umfeld ahnt so etwas, zumal sie einen Job im Baumarkt annimmt. Mehr und mehr Follower erfahren Details – etwa über Mads überraschende Vaterschaft, Tias Krisen als Künstlerin, Hennies Suche nach einem neuen Lebensentwurf und Hugos schwankendes Rollenbild.

Nola (Sophie Passmann) protestiert gegen ihren Rauswurf bei ihrem Professor (Christian Tramitz). WDR/​Westside/​Prime Video/​Linda Nohr

Von „Friends“ bis „Club der roten Bänder“ und „Der Beischläfer“

„Damaged Goods“ profitiert etwa von „Friends“. In „How I Met Your Mother“ zeigen Endzwanziger und Anfangsdreißiger ihren Alltag in modernisierter Form. Junge Erwachsene in der Großstadt prägen Sitcoms. „Sex and the City“ bietet Luxus-Dramen dieser Altersgruppe. Als weitere Porträts kleiner Freundeskreise können Coming-of-Age-Serien auf eine längere Tradition verweisen. In Deutschland lief zum Beispiel „Club der roten Bänder“. Hierzulande fehlen allerdings Serien über Millennials. „Damaged Goods“ soll diese Lücke füllen, was zu begrüßen wäre. Immerhin kennen die zwei Mütter und ein Vater dieser Geschichten die Welt jüngerer Menschen. Anna-Katharina Maier hat ihr Talent als Regisseurin in „Tage, die es nicht gab“ und „Der Beischläfer“ bewiesen. Jonas Bock hat das originelle Drehbuch von „WatchMe – Sex sells“ mitgeschrieben. Tina Kringel gehört zu den Produzenten der Kino-Komödie „Fack ju Göhte 2“. Das kreative Trio hat „Damaged Goods“ mit schönen Einfällen angereichert. Deshalb erstaunen peinliche Momente umso mehr.

Zwischen therapeutischer Badewanne, Deeskalations-Dusche und Schwulensauna

Zunächst sind originelle Szenen zu würdigen. Im Baumarkt begegnet Nola der früheren Gruppentherapeutin. Die jungen Patienten verspotten sie bis heute als „Dr. Glasauge“ (Luise Kinseher, „München 7“). Trotzdem nötigt Nola die Psychologin zu einer spontanen Sitzung in der Sanitärabteilung. Mit seinen Erlebnissen und Konflikten erobert Mads die Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Herrlich absurd, wie Nola und Hennie einen Streit durch Dr. Glasauges Deeskalations-Dusche beenden: Im Friesennerz gekleidet kippen sie sich gegenseitig ein Glas Wasser ins Gesicht. Tia bedauert, dass sie Hugo mit Kunstförderer Stephan Kleinheisler (Michael A. Grimm, „Alles finster“) verhuren wollte. Tia begleitet Hugo in die Schwulensauna, damit er seine Hemmungen verliert. Der Kontrolleur am Eingang lässt den Widerstand gegen eine Frau in der männlichen Gesellschaft fallen: Macht’s doch, was ihr wollt – ist doch eh das Motto von eurer Individualisten-Generation. Randbemerkungen etwa von Hennies Freund Nils treffen ins Schwarze: Ich trau mich nicht, eine Meinung zu haben.

Nola (l.) mag den Baumarkt – und vielleicht auch Kundin Lenora (Jasmin Gerat). WDR/​Westside/​Prime Video/​Marc Reimann

Wer kennt Endometriose?

Kunstsammler Stephan Kleinheisler grabbelt notgeil an Hugo herum. Nichts gegen typische Figuren – aber die Macher von „Damaged Goods“ könnten mühelos auf diesen Schmierlappen verzichten. Wenn Nola einen Kellner auf „Star Wars“ verweist, scheitern diese Anspielungen. Hennie spricht über ihr Gesundheitsproblem: Erstaunlich, dass die Freunde die Endometriose kennen. Ohnehin berühren die Schilderungen niemanden vor den Bildschirmen. Auch sonst wirken die Zustände oft zu glatt: Nachhaltigkeit und Rücksicht leuchten hell zur Freude der Clique, die somit dem Ideal sogenannter Wokeness nacheifert.

Denglish und sonstiger Laber-Rhabarber

Dazu passend sprechen die Figuren gekünstelt. Aus ihren Mündern strömen Anglizismen und Denglish. Bitte rettet uns vor Group Hugs! Richtiges und falsches Englisch mag die Kommunikation mancher Jugendlicher prägen. Zudem pitchen oder syncen Manager. Doch niemand spricht sätzelanges Kauderwelsch wie die Hauptfiguren von „Damaged Goods“. What a fucking mess! Ansonsten nervt das Psycho-Geschwafel von Nola: Jetzt habe ich das Gefühl, der schwierige Teil im Leben ist, dass man sich traut, einen Lebenstraum zu haben und es dann schafft, nicht durchzudrehen, wenn er nicht in Erfüllung geht. Die Drehbuchautoren sollten uns vor Vorträgen verschonen. Mitunter artet ein Monolog zu einem Seminar aus.

Tia (Zeynep Bozbay, r.) überbringt ihrer coolen Oma Therese (Michaela May) gerne Neuigkeiten WDR/​Westside/​Prime Video/​Hendrik Heiden

Sophie Passmann und Tim Oliver Schultz passen zu Luise Kinseher und Christian Tramitz

Bei aller Kritik überraschen die Leistungen der Darstellerinnen und Darsteller angenehm. Sophie Passmann sollte bald wieder zu sehen sein. Bereits die lesbischen Experimente ihrer Nola wecken Hoffnungen auf weitere Darbietungen. Tim Oliver Schultz beweist, dass er über „Manta, Manta – Zwoter Teil“ hinauswächst. Allerdings wären größere Auftritte der älteren Schauspieler zu wünschen. Michaela Mays Präsenz als Tias Oma wertet „Damaged Goods“ auf. Christian Tramitz und Luise Kinseher sollten häufiger die Kolleginnen und Kollegen ergänzen.

„Damaged Goods“ verlässt ausgetretene Pfade

Das Experiment mit den Millennials ist nicht vollständig gelungen. Als Comedy hat der Ansatz bei „Fett und Fett“ gemundet. Derzeit porträtiert RTL+ kraftvoll eine jüngere Clique: in der Coming-of-Age-Serie „Meme Girls“ (fernsehserien.de berichtete). Hingegen glänzt die Generation Y international in „New Girl“. Den Goldstandard einer Serie über junge Erwachsene setzt Channel 4: Derzeit ist in der ZDF Mediathek zu bewundern, wie elegant die Briten „It’s a Sin“ präsentieren. Diese Serie über schwule Freunde unter dem Einfluss von AIDS lässt keine Wünsche offen. Das Team von „Damaged Goods“ könnte eine Menge von diesen hinreißenden Episoden lernen. Immerhin hat Amazon Prime Video ausgetretene Pfade verlassen. Davon kann sich jetzt das öffentlich-rechtliche Publikum überzeugen.

Dieser Text beruht auf der Sichtung der kompletten achtteiligen Serie „Damaged Goods“.

Meine Wertung: 3/​5

One zeigt alle Episoden von „Damaged Goods“ am 20. Juli ab 23:40 Uhr. Mit der Ausstrahlung stehen die Folgen in der ARD Mediathek bereit.

Über den Autor

Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei fernsehserien.de würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.

Lieblingsserien: Frasier, Raumpatrouille, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Tim Oliver Schultz als Newcomer zu bezeichnen, ist schon krass. Der Mann arbeitet seit 2001 als Schauspieler und gehörte u.a. zur Stammbesetzung von "Club der roten Bänder".

    "...,zumal wenn die Neulinge erst Fuß in Film und Fernsehen fassen. ...Tim Oliver Schultz beweist, dass er über "Manta, Manta - Zwoter Teil" hinauswächst."

    Also ich habe den Eindruck, dass sich Stefan Genrich mit der Biographie des Schauspielers in keinster Weise auseinandergesetzt hat. Sonst würde man nicht so ein Schwachsinn schreiben.
    • (geb. 1965) am

      Vielen Dank für den Hinweis!

      Allerdings könnte @Flapwazzle mit seiner Auslassung durch drei Punkte irren. Jedenfalls soll die Rezension keineswegs Tim Oliver Schultz als angeblichen Neuling herausstellen.

      Um Missverständsnisse zu vermeiden, ist die Formulierung korrigiert worden.

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