Folge 19

  • 19. Port Hartcourt, 10. November 1995 – Aufbruch und Elend in der Dritten Welt

    Folge 19
    Fünfmal muss Ken Saro-Wiwa den Galgen besteigen, ehe der Henker seinem Leben ein Ende setzen kann: Das Gewicht des kleinen Mannes ist zu gering, um den Nackenwirbel sofort vom Kopf zu trennen. Der Todeskampf des Dichters, dem man einen schwarzen Sack über den Kopf gestülpt hat, ist grässlich und dauert lange. Um 11:30 Uhr am 10. November 1995 sind Ken Saro-Wiwa und seine acht Mitstreiter tot, ihre Leichen werden auf dem Friedhof von Port Harcourt verscharrt. Die nigerianische Militärdiktatur hat sich an den Bürgerrechtlern grausam gerächt.
    Die Hinrichtungen sind der vorläufige Endpunkt einer fatalen Entwicklung für das Volk der Ogoni in Nigeria, die vor 40 Jahren begann. Damals fand man im Gebiet des Nigerdeltas, dem Siedlungsraum der Ogoni, Erdöl. Der Wert des seither geförderten Öls beläuft sich auf über 100 Milliarden Dollar. Doch die Ogoni sind nach wie vor arm, und ihre Umwelt ist praktisch vernichtet. Ein dichtes Netz von Bohrtürmen, Raffinerien und Pipelines durchzieht die Region.
    Das Land ist von den Abfackelungen ständig taghell erleuchtet. Flussläufe brennen, Äcker sind ölgetränkt, das Trinkwasser ist oft verseucht. Atemwegserkrankungen, Krebs, Missbildungen bei Neugeborenen sind bei den Ogoni häufiger als irgendwo sonst auf der Welt. Ken Saro-Wiwa war der Sprecher und die Symbolfigur des Widerstands, den die Ogoni gegen die Zentralregierung Nigerias und die ausländischen Ölkonzerne leisten. In seinem schriftstellerischen Werk klagt er vor allem das Militärregime, die Korruption, die „ethnische
    Säuberung“ durch die ökonomische Elite des Landes an.
    Kurz vor seinem gewaltsamen Tod wurde er für den Friedensnobelpreis nominiert. Das – für Afrika völlig neue – Thema seiner Bücher ist das von Schwarzen an Schwarzen begangene Unrecht. Am Beispiel des Kampfes der Ogoni beschreibt der WDR-Autor und Grimme-Preisträger Werner Biermann die Grundübel vieler Länder der Dritten Welt. Da gibt es die extreme Abhängigkeit von nur einem Handelsprodukt – auch wenn es, wie in Nigeria, das kostbare Erdöl ist – mit den schlimmen Folgen von Preisschwankungen, dem Verfall der Landwirtschaft, dem Problem der „Schuldenfalle“ – Auslandsschulden für „notwendige Strukturanpassungen“ – und dem luxuriösen Größenwahn der Eliten.
    Da gibt es, in Vielvölker-Staaten, den Konflikt zwischen ethnischen Interessen und wirtschaftlichen oder ökologischen Belangen, der oft zur Etablierung autoritärer zentralistischer Regimes führt. Die Konzerne der Industrieländer nutzen das aus, indem sie sich in Entwicklungsländern Rohstoffe besorgen, sich gemeinsam mit den Machtcliquen bereichern und zugleich diese Machtcliquen zur Niederschlagung von innerem Widerstand einsetzen.
    Afrika ist, entgegen einem zähen Mythos, nicht nur deshalb arm, weil es ausgeplündert wird. Seine eigenen Eliten arbeiten daran mit. Die Ermordung Ken Saro-Wiwas zeigt, dass eine Bürgerrechtsbewegung der Dritten Welt nur dann internationale Aufmerksamkeit erringen kann, wenn es ihr um ökologische Probleme geht. Ansonsten herrschen immer noch Desinteresse und Schweigen. (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereMi 18.08.1999Das Erste

Sendetermine

Mi 18.08.1999
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