bisher 79 Folgen, Folge 61–79

  • Folge 61 (45 Min.)
    Fällt Europa nach dem Angriff auf die Ukraine in eine Epoche zurück, die überwunden schien? Darüber spricht Richard David Precht mit dem Politologen und Politikberater Ivan Krastev. Die Welt vor dem 24. Februar 2022 schien endlich akzeptiert zu haben, welche unaufschiebbaren Aufgaben anstehen: Klimarettung, soziale Gleichheit, eine nachhaltigere und humanere Wirtschaft. Dann kam der Krieg. Stehen wir vor einer globalen Zeitenwende? Der russische Präsident sei besessen vom Bild eines scheinheiligen, selbstgerechten Westens, so erklärt Ivan Krastev die Psyche Putins. War die Sowjetunion noch eine Großmacht, die an eine strahlende Zukunft glaubte und glauben machte, so sieht sich Putin als Herrscher eines geschrumpften und bedeutungslosen Reiches, „ein alternder Herrscher im Kampf gegen die Zeit“, so Krastev.
    Und Putin kämpft auch gegen die Demografie. „Russland fehlt nicht Land, Russland fehlen Menschen. ( …) Und das heißt: Aus Ukrainern und Belarussen Russen zu machen, darauf kommt es an.“ Wir würden immer noch versuchen, die Ereignisse aus der Perspektive eines kalten Krieges zu sehen. „Aber in Wahrheit ist es ein typischer Krieg des 21. Jahrhunderts, weil diese Kriege sich um die Identität drehen werden. Alle Kriege im 21. Jahrhundert werden global sein und gleichzeitig auf bestimmte Weise Bürgerkriege.“ Angesichts der Grausamkeit des Krieges zeigt sich mittlerweile auch in Deutschland eine große Mehrheit davon überzeugt, dass man sich dem Aggressor auf militärischer Ebene entgegenstellen muss.
    Ein Pulverfass mitten in Europa. Eine fundamentale Bedrohung der Demokratie. Welche Szenarien einer neuen politischen Weltordnung sind nach diesem Ereignis denkbar? Der Osteuropa-Experte Ivan Krastev leitet das Centre for Liberal Strategies in Sofia und ist Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien – sein Schwerpunktthema dort: „Die Zukunft der Demokratie“. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 15.05.2022 ZDF
  • Folge 62 (45 Min.)
    Zum zehnjährigen Sendungsjubiläum trifft Richard David Precht die Pionierin der Natur- und Verhaltensforschung Jane Goodall in ihrer Heimatstadt Bournemouth. Sie sprechen über das faszinierende Leben der Schimpansen – und die ungewisse Zukunft der Menschheit. Nicht nur die Schimpansen sind eine gefährdete Spezies, auch die Zeit, die dem Menschen auf Erden bleibt, scheint langsam abzulaufen. Die Menschheit zerstört ihren Lebensraum. Woher nimmt Jane Goodall ihre Zuversicht, dass wir das Ruder noch herumreißen können? „Herrentiere“, so übersetzte einst der Zoologe Ernst Haeckel den Ordnungsbegriff „Primaten“ des Naturforschers Carl von Linné.
    Der Schwede zählte in seinem Werk „Systema Naturae“ im 18. Jahrhundert Menschenaffen genauso wie auch den Menschen zu den Primaten, zum ersten und höchsten Rang aller Säugetiere. Heute drohen nicht nur die letzten Reservate für Menschenaffen und andere Wildtiere in erschreckender Geschwindigkeit zu verschwinden. Und wenn die Industrieländer weiter wie bisher den Planeten ausbeuten, könnte er in 100 Jahren auch für die Menschen unbewohnbar werden. Jane Goodall gilt heute weltweit als prominenteste Botschafterin für Umwelt- und Artenschutz.
    Als junge Frau begann sie Anfang der 1960er-Jahre das Verhalten von Schimpansen ohne wissenschaftliche Vorbildung mit außergewöhnlicher Empathie zu erforschen und sammelte bahnbrechende Erkenntnisse. Mitte der 1980er-Jahre erkannte sie, dass sie ihre Bekanntheit mit aller Kraft für den Schutz nicht nur ihrer geliebten Menschenaffen, sondern für den Erhalt des gesamten Planeten einsetzen muss. Sie verließ schweren Herzens ihr geliebtes Gombe in Tansania, wo ihre Karriere begann und wo sie ein Forschungszentrum für Langzeitstudien an Schimpansen aufgebaut hat, und reist seitdem – mit ihren mittlerweile 88 Jahren – 300 Tage im Jahr um den Globus, um die rasende Zerstörung der Natur ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen.
    Fehlt es uns an Weitsicht und Vernunft und an der Fähigkeit, unser Verhalten kollektiv zu verändern? Könnten aus dem wachsenden Umweltbewusstsein vor allem der Jüngeren doch noch handfeste Maßnahmen resultieren? Trägt es das „Herrentier“ in sich, die selbst gemachte Zerstörung der Erde noch rechtzeitig zu verhindern? Darüber spricht Richard David Precht mit Jane Goodall. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 18.09.2022 ZDF
  • Folge 63 (45 Min.)
    Richard David Precht trifft die Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Sie sprechen über Moral, Krieg und Klimaschutz. Und darüber, wie man optimistisch bleibt in schweren Zeiten. Dabei bezeichnet sich Luisa Neubauer selbst nicht als Optimist. Sie ist Possibilist – orientiert sich an Möglichkeiten. Doch die Spielräume sind mehr und mehr eingeschränkt. Denn die Klimakatastrophe wird überlagert von Krieg und Krisen in Wirtschaft und Politik. Für viele junge Leute spielen moralische Werte heute eine deutlich wichtigere Rolle als für frühere Generationen. Moralische Anschauungen werden eng verbunden mit sozialem, ökologischem, ökonomischem und politischem Handeln.
    All dies findet sich in der Klimafrage wieder: Was ist eine gerechte Politik und welche Haltung sichert der Menschheit ihr Überleben? Auf dem Parteitag der Grünen ließen sich die Delegierten jüngst von Luisa Neubauer – der Galionsfigur der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung – so richtig ins Gewissen reden. Sie feierten sie mit Standing-Ovations, um direkt im Anschluss sich auf Maßnahmen zu verständigen, die nicht dem Klima helfen, sondern die Folgen der Energiekrise abmildern sollen. Der Krieg Putins gegen die Ukraine hat den Kampf gegen den Klimawandel in den Hintergrund gedrängt. Und das, obwohl sich an der Dringlichkeit des Problems nichts geändert hat.
    Die Auswirkungen eines Klimakollaps sind weitaus endgültiger für den Planeten als ein Winter ohne Heizung. Die Moral ist im Zwiespalt. Sie sieht den Klimawandel, muss sich aber einer anachronistischen Welt mit längst überwunden geglaubten, archaischen Territorial-Kämpfen zuwenden. Wir müssen nicht mehr nur die Klimakatastrophe fürchten, sondern kriegerische Eskalation, schwere ökonomische Verwerfungen und die Zermürbung der demokratischen Kräfte. Wie bewahrt sich Luisa Neubauer im Sturm der immer dichter aufeinander folgenden Krisen ihre Zuversicht, noch etwas bewirken zu können? (Text: 3sat)
    Deutsche TV-Premiere So. 23.10.2022 ZDF
  • Folge 64 (45 Min.)
    Richard David Precht trifft den Risikoforscher Ortwin Renn. Sie sprechen über die neuen Lebensrisiken unserer Zeit. Und darüber, wie man sie richtig abschätzen kann. Dabei habe die Politik laut Renn weder in der Coronakrise noch im Ukrainekrieg die resultierenden Risiken vollständig beschrieben und richtig eingeschätzt. Das Problem: Einzelne Krisen beeinflussen sich über komplexe Beziehungsstrukturen gegenseitig. Bei all diesen Problemlagen geht es um existenzielle, ökonomische und soziale Fragen. Und stets stehen Menschen vor der Aufgabe abzuwägen, welches Risiko sie eingehen wollen und welches sie unbedingt vermeiden wollen.
    Inzwischen erscheinen sogar das Zünden von Atombomben und ein Dritter Weltkrieg wieder als denkbar. Nach Jahrzehnten, in denen man den Eindruck gewinnen konnte, das Szenario eines Atomkrieges sei nur noch Thema in Geschichtsbüchern, wird nun fast täglich darüber spekuliert, ob der russische Angriffskrieg in einer nuklearen Eskalation münden könnte. Auch viele andere vermeintliche Gewissheiten haben sich mittlerweile als trügerisch erwiesen. Inflation und Energiekrise, Corona- und Klimakrise machen das deutlich. Innerhalb kürzester Zeit zeigt die Welt einen bedrohlichen Grad an Störanfälligkeit.
    Waren wir eben noch auf dem Weg in die Null-Risiko-Gesellschaft, so blicken wir auf einmal in den Abgrund finaler Bedrohungen. Der Risikoforscher Ortwin Renn spricht von Polykrisen. Können diese Risiken in all ihren Facetten überhaupt noch richtig erkannt und eingeschätzt werden? Wie sind dabei die Interessen der Politik, der Fachleute und der normalen Bürgerinnen und Bürger in Einklang zu bringen? Wann ist energisches Durchgreifen erforderlich? Wann ein besonnenes Abwägen und Abwarten? Sind wir Menschen in der Lage, Risiken richtig einzuschätzen? Wie kann die Gesellschaft, wie können wir alle darin besser werden? Renn unterscheidet unsere individuellen Gefährdungen von kollektiven Risiken.
    Während wir privat eine hohe Erwartung an unsere Sicherheit stellen, weil wir viele Gefahren in unserem Alltag deutlich minimieren konnten, müssen wir uns andererseits immer mehr vor den globalen Gefahren wie etwa Klimaerwärmung und Krieg fürchten. Viele folgenschwere Risiko-Entscheidungen könnten in nächster Zeit davon abhängen, inwieweit der Mensch ein gesundes Urteilsvermögen entwickeln und bewahren kann. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 20.11.2022 ZDF
  • Folge 65 (45 Min.)
    Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht verschiebt die Koordinaten der Welt. Wie damit umgehen? Darüber spricht Richard David Precht mit dem Autor und China-Experten Frank Sieren. Jahrhundertelang konnte eine Minderheit – erst Europa, dann die USA – die Spielregeln der Welt bestimmen. Nun geraten nicht nur abendländische Werte wie Demokratie und Menschenrechte mehr und mehr in die Defensive, sondern auch unser Wirtschaftssystem. Frank Sieren sieht in der gegenwärtigen politischen Weltlage eine historische Parallele zur Überwindung der Adelsgesellschaft im 19. Jahrhundert.
    Die Mehrheit der Bürger wollte sich damals von der Minderheit des Adels nicht mehr die Spielregeln diktieren lassen. Ebenso weigert sich heute die Mehrheit der Weltbevölkerung – allen voran China -, sich auf globaler Ebene der Hegemonie des Westens weiter unterzuordnen. Doch wie soll Deutschland mit einem immer mächtigeren China umgehen? Auf der einen Seite ist die Volksrepublik nach den USA der wichtigste Handelspartner, auf der anderen Seite erfordert eine wertegeleitete Außenpolitik, dass man Peking mit der Verletzung der Menschenrechte konfrontiert.
    Kann man Milliardeninvestitionen Chinas in die heimische Infrastruktur zulassen und gleichzeitig die Verfolgung der Uiguren, die Drohungen gegen Taiwan und den gravierenden Mangel an Rechtsstaatlichkeit anprangern? China sieht sich jedoch – anders als der Westen – nicht im Kampf zwischen Demokratien und Autokratien, sondern als Aufsteiger – und im Wettkampf mit den etablierten Mächten des Westens, so Frank Sieren.
    Für ein Land, das 1,4 Milliarden Menschen versorgen muss, gelten eben andere Prioritäten als die Wahrung der Menschenrechte. Allein seit 2003 hat sich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Chinesen verzehnfacht. Die chinesische Führung versucht mit rigorosen Mitteln, diesen wirtschaftlichen Aufstieg nicht durch innere Unruhen zu gefährden. Aus Sicht des Westens drängt sich längst die Frage auf: Steht der Kommunismus in China eigentlich kopf? Es herrscht ja tatsächlich maximale wirtschaftliche Freiheit bei minimaler politischer Freiheit.
    Also eine Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die der Philosoph und Ökonom Karl Marx einst als Ideal entworfen hatte. Was könnte eine europäische Postwachstumsgesellschaft diesem pseudokommunistischen Turbokapitalismus noch entgegensetzen? Sieren warnt: Sollte es dem Westen in den nächsten Jahren nicht gelingen, sich den massiven wirtschaftlichen Veränderungen zu stellen und China einen legitimen Platz am Tisch der Mächtigen einzuräumen, so drohe ihm der wirtschaftliche und politische Absturz. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 12.02.2023 ZDFDeutsche Streaming-Premiere So. 05.02.2023 ZDFmediathek
  • Folge 66 (45 Min.)
    Die vom Westen dominierte Weltordnung wandelt sich zu einer multipolaren Welt – mit neuen Akteuren. Darüber sprechen Richard David Precht und der Bestseller-Autor Pankaj Mishra. Diese neue Rollenverteilung zeigt sich zum Beispiel an der Positionierung Chinas, Indiens und anderen gegenüber dem Russischen Krieg in der Ukraine. Wie stabil kann eine neue, multipolare Weltordnung sein? Und wie soll sich Deutschland positionieren? Unser Jahrzehnt ist geprägt von wirtschaftlichen und geostrategischen Machtverschiebungen.
    Mit China und Indien entstehen neue Machtzentren. Aus dem Dualismus zwischen West und Ost ist eine deutlich komplexere, multipolare Weltordnung geworden. Wird dieser Übergang friedlich verlaufen oder müssen wir mit Kriegen und Handelskriegen rechnen? Wie stabil wird diese neue Welt sein? Und könnte Deutschland in diesem Wandel der Konstellationen sogar eine Vorbildrolle übernehmen, wie es Richard Prechts Gast, der indische Schriftsteller und Essayist Pankaj Mishra vorschlägt? Sei es die Klimakrise, Corona oder die Maßnahmen gegen den Ukraine-Krieg – der globale Süden verweigert Europa und den USA immer häufiger die Zustimmung.
    Während wir uns hier im vorwiegend demokratischen Westen immer noch für den Nabel der Welt halten, entfalten vor allem die Staaten Asiens ein neues Selbstbewusstsein. Westliche Werte wie Demokratie, Freiheit oder Nachhaltigkeit gehören dabei nicht zwangsläufig zu den Prioritäten. Nach Jahrhunderten europäischer Wertedominanz möchte man heute vor allem wirtschaftlich vorankommen und sich auf die eigene Geschichte und Kultur besinnen.
    Diese Veränderungen, so Mishra, seien aber im Bewusstsein des Westens noch nicht angekommen. In Europa halte man immer noch schlafwandlerisch an der Gefolgschaft zu den USA fest, anstatt dem globalen Süden auf Augenhöhe zu begegnen. Laut Mishra sollte sich Deutschland dem dramatischen Niedergang westlicher Dominanz entgegenstellen und sich als Mittler positionieren. Durch die vorbildhafte Aufarbeitung des 3. Reiches und dem bürgerorientierten Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft sei Deutschland bestens geeignet, um als vertrauenswürdiger Vermittler aufzutreten.
    Doch ist ein Alleingang Deutschlands wirklich ratsam? Das alte Europa wird nach Mishra lernen müssen, umzudenken. Mögen wir hierzulande noch so überzeugt sein von unseren moralischen Werten, die wir dank unseres Wohlstandes entwickeln konnten, so unterschätzen wir jedoch das wachsende Bedürfnis der restlichen Welt, sich nicht länger vom Westen bevormunden zu lassen. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 26.03.2023 ZDF
  • Folge 67 (45 Min.)
    Das Dialogsystem ChatGPT ist ein Meilenstein in der Entwicklung künstlicher Intelligenz. Über Chancen und Gefahren spricht Richard David Precht mit Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz. Die Diskussion um die Chatbots, die wie Menschen kommunizieren, wirft viele Fragen auf: Sind sie zu echter Intelligenz fähig, haben sie gar ein Bewusstsein? Was von dem, was wir können, machen diese Maschinen besser? Welche Fähigkeiten könnten wir verlieren? Mit ChatGPT hat künstliche Intelligenz gelernt, direkt mit Menschen zu interagieren. Die Software versteht Bedeutungen, generiert scheinbar perfekte Texte, die neueste Version GPT-4 erkennt auch Bilder, baut Webseiten und beantwortet jede Frage in jeder Sprache.
    Während die einen die neue Technologie als revolutionär feiern, drängen die Europäische Union und nicht zuletzt ihre Entwickler auf mehr Kontrolle und eine schützende Regulierung. Die Science-Fiction-Vision einer menschenvernichtenden KI hält die Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz dabei allerdings für sehr spekulativ. Bedeutender als die Furcht vor einer Weltherrschaft der Maschinen sind die Veränderungen im alltäglichen Verstehen und Beurteilen der Wirklichkeit.
    Nüchtern betrachtet, ist künstliche Intelligenz weder mit menschlicher Intelligenz vergleichbar noch hat sie ein Bewusstsein. Die Angst, die wir vor dieser KI haben, spiegelt im Grunde nur die Angst vor unserer eigenen Spezies wider. Das Bedrohliche, das wir immer schon dem Menschen zutrauen, übertragen wir auf die KI. Dabei wäre es tatsächlich wichtiger, sich den viel realistischeren Fragen nach ihrer Nützlichkeit sowie den realen Gefahren zu widmen. Denn diese, so Bunz, werden auch weiterhin eher vom Menschen selbst ausgehen als von einer Maschine.
    Wo wir mit Google noch gesucht, gefiltert und bewertet haben, werden wir zukünftig nur noch Fragen stellen und uns mit den Antworten womöglich gleich zufriedengeben. Werden die Entscheidungsfähigkeit, die Kreativität und die Urteilskraft des Menschen unter einer allwissenden KI nicht leiden? Grundsätzlich ist Skepsis empfohlen, denn zukünftig wird man keine Gewissheit mehr haben, ob ein Text aus Menschenhand stammt oder von einer KI erschaffen wurde. Umso wichtiger wird es dann, dass man diese Technologien nicht allein kommerziellen Anbietern überlässt. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 04.06.2023 ZDF
  • Folge 68 (45 Min.)
    Israels Justizreform hebelt die Kontrolle der Regierung durch die Justiz aus. Ist Israels Demokratie damit am Ende? Richard David Precht diskutiert mit dem Philosophen Omri Boehm. Auch viele andere Staaten sind nur noch auf dem Papier eine Demokratie. De facto werden häufig einzelne Bevölkerungsgruppen bevorteilt. Die Menschheit sollte sich dringend auf eine Formulierung gleicher Grundrechte für alle Menschen verständigen. In Israel wurde unlängst der erste Teil der Justizreform der Regierung Netanjahu verabschiedet. Sie beschränkt die Gewaltenteilung im Land und verleiht der Regierung eine enorme Macht.
    Kritiker sehen nicht weniger als die Demokratie in Gefahr. Und sie fürchten, dass die jüdische Identitätspolitik den Konflikt mit den Palästinensern noch einmal erheblich verschärft. Solche Identitätspolitik, die Religion oder Nation über die universellen Werte des Humanismus stellt, ist inzwischen in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Omri Boehm möchte dieser um sich greifenden Verstümmelung der Demokratien einen, wie er es nennt, radikalen Universalismus entgegensetzen.
    Für ihn gibt es, angelehnt an Immanuel Kant, keinen Vorzug irgendeiner Gruppe vor anderen. Von daher lehnt Boehm die Identitätspolitik der Konservativen und Orthodoxen in Israel streng ab. Das „Wir“ sei das Menschengeschlecht, ein vereinendes Wort und eben kein ausschließendes und unterscheidendes. Im Sinne der wahren Aufklärung halte es Boehm für notwendig, sich auf universelle Werte zu verständigen, die einen allgemeinen Humanismus verteidigten und nicht einen, der nur für die Menschen einer bestimmten Religion, Ethnie oder auch Nation gelte.
    Versprechen wie, „die Würde des Menschen ist unantastbar“ müssten absoluten Bestand haben. Boehm kritisiert aber nicht nur die Identitätspolitik von rechts. Aktuell gäbe es ebenso eine Tendenz der Linken, sich zum Zwecke der eigenen Ziele über die universalen Werte hinwegsetzen zu wollen. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, so Boehm, dass die Linke Menschen schützen möchte, die ohne Macht sind, während die Rechten die Privilegien der Mächtigen erhalten wollen. Dies gelte vor allem für Israel.
    Das Kant’sche Konzept der allgemeinen Menschenwürde fand großen Anklang, umgab es den einzelnen Menschen doch mit einer Art säkularisierter Firewall und befreite ihn aus der vorgegebenen Bestimmung des Menschen durch die Religion. Das Recht auf Menschenwürde, vermutet Boehm, würde auf die damit einhergehenden Gesetze bezogen, und jeder Zweifel an diesen Gesetzen hätte daher auch ein Misstrauen gegenüber dem universalistisch gemeinten Ursprung dieser Gesetze zu Folge. Zu oft würden gerade in Israel die Prinzipien der Menschenwürde zum Zwecke der Durchsetzung identitärer Interessen ausgehebelt.
    Wie aber könnte sich ein Universalismus gegen die identitären Strömungen durchsetzen? In einer hoch individualisierten Gesellschaft, in der die eigenen Gefühle eine größere Rolle spielen als die sachliche Frage nach einer universalen Gerechtigkeit, droht das Kant’sche Ideal unterzugehen. Boehms Hoffnung liegt darin, dass die Menschheit angesichts der weltweiten existenziellen Gefahren schließlich doch noch begreift, dass es gravierender Veränderungen bedarf, um Frieden und Gerechtigkeit zu erlangen. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 17.09.2023 ZDFDeutsche Streaming-Premiere Do. 14.09.2023 ZDFmediathek
  • Folge 69 (45 Min.)
    Wie schaffen wir eine Reform hin zu einem modernen Schulsystem und wie könnte man sie in die Tat umsetzen? Darüber spricht Richard David Precht mit dem Bildungsforscher Andreas Schleicher. Lehrermangel, veraltete Unterrichtskonzepte, schleppende Digitalisierung: Seit Jahrzehnten sieht die Politik der wachsenden Bildungsmisere zu, obwohl Wissenschaft, Lehrkräfte, Schülerkonferenzen und Eltern die Missstände immer lauter beklagen. OECD-Bildungsdirektor und Erfinder der PISA-Studie, Andreas Schleicher beobachtet eine zunehmende ökonomische, kulturelle und politische Polarisierung der Gesellschaft und schließt daraus: „Wir haben im Grunde nur ein Instrument,um irgendwo eine Grundlage zu schaffen, das ist Bildung.
    Wir haben viele Instrumente, um am Ende umzuverteilen, aber wir können an den Ursachen von Ungleichheit nur durch bessere Bildung arbeiten und deswegen ist das so wichtig.“ Die meisten Schülerinnen und Schüler sind in unserem Schulwesen Konsumenten vorgefertigter Lerninhalte, die in einem hierarchischen und, wie Schleicher es nennt, „industriell geprägten Bildungssystem“ entwickelt wurden.
    Lehrkräfte seien zu Dienstleistern, Kinder und Eltern zu Kunden geworden. Das Herz der Bildungsidee sei verloren gegangen. In vielen anderen Ländern sieht der Bildungsforscher gleichzeitig, dass ein Aufbrechen alter, verkrusteter Lernsysteme gewagt wird, obwohl dafür nicht selten auch althergebrachte Glaubenssätze, Regeln und Systeme aufgebrochen werden, wie beispielsweise in Polen, Portugal oder China. An deutschen Schulen herrscht ein falsch verstandener Konformismus, der die Autonomie von Lehrern und Schülern ausbremse – nicht zuletzt durch eine erdrückende Bürokratie: „Wir brauchen einfach mehr Gestaltungsspielräume.
    Wenn Sie in Deutschland schauen: 17 Prozent aller Entscheidungen werden hier vor Ort in den Schulen getroffen. Im Nachbarland Niederlande sind es 9 von 10 Entscheidungen, um genau zu sein 93 Prozent.“ Schleichers Credo: „Ich glaube, wir können vor Ort viel mehr Dinge verändern, als uns das oft bewusst ist. Dieser Glaube an die Bürokratie ist eigentlich schlimmer als die Bürokratie selber.“ Und Länder wie etwa Finnland machten vor, wie man bei der Einstellung von Lehrpersonal die pädagogische und soziale Eignung der Kandidaten sicherstelle.
    Frühe praktische Erfahrung spiele dort eine viel entscheidendere Rolle als Uni-Noten. Dazu komme: Würden wir die Schulen vorrangig gemessen an ihren Herausforderungen finanzieren, würde es für Lehrkräfte plötzlich spannend und interessant, sich um die schwierigsten Schülerinnen und Schüler zu kümmern. Schweden zum Beispiel hat das so gemacht. Dort werden die Lehrkräfte individuell entlohnt.
    Auf die Frage, warum all die guten Ideen für bessere Bildung nicht unmittelbar in den Schulen ankommen, hat Schleicher eine Antwort: Weil man mit Bildung keine Wahlen gewinne. Deshalb sei es so wichtig, dass Schulen sich ihren eigenen Freiraum nehmen und sich eben jener Selbstwirksamkeit bewusst werden, die sie auch den Kindern und Jugendlichen vermitteln sollten. Zuallererst ist die Politik, aber am Ende sind alle Akteure gefragt: „Was man braucht, ist wirkliches „Leadership“, Menschen, die bereit sind, das Richtige zu tun und sich einzusetzen, auf jeder Ebene des Systems.“ (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 29.10.2023 ZDFDeutsche Streaming-Premiere Fr. 27.10.2023 ZDFmediathek
  • Folge 70 (45 Min.)
    Die Weltordnung befindet sich im Umbruch. Wie soll sich Europa in dieser neuen Konstellation verhalten? Richard David Precht diskutiert mit dem Politikberater Ivan Krastev. Die Rolle der Vereinigten Staaten als jahrzehntelange Hegemonialmacht wird schwächer. Staaten wie China, Indien, aber auch der globale Süden gewinnen an Bedeutung. Entsteht hier eine neue Rivalität der Systeme? Wie sollten wir mit gefährlichen Autokratien umgehen? Die westliche Illusion, liberale Demokratien würden sich weltweit durchsetzen, hat sich nicht erfüllt.
    Stattdessen florieren autokratische Systeme, Nationalismus und Abschottung. Staaten stehen sich als Rivalen gegenüber und kriegerische Konflikte wie der russische Überfall auf die Ukraine oder der Krieg im Nahen Osten beherrschen die Schlagzeilen. Besonders Europa müsse sich bewusst machen, so der Politologe Ivan Krastev, dass sich die Welt gerade massiv verändert. All die Werte und Ideale, die lange Zeit Wohlstand und Sicherheit bescherten, verlieren an Bedeutung. Proklamierten die 68er noch, „wir wollen nicht so leben wie unsere Eltern“, fordert die heutige Jugend, weiter so leben zu können wie die Eltern.
    Während sich also die jüngeren Generationen hierzulande um ihre Zukunft sorgen, macht sich in China, in Indien, aber auch im globalen Süden ein Pragmatismus breit, der sich weniger an Werten als an Interessen orientiert. Statt von Idealismus sind diese Staaten angetrieben von ökonomischen Interessen. Man will nicht länger nur ein Spielball der Systeme oder bestimmter Hegemonialmächte sein, sondern eine eigene Rolle im Weltmonopoly spielen.
    War die Welt früher zwar nicht unbedingt besser, so erschien sie doch geordneter. Gegenwärtig habe man den Eindruck von wachsendem Chaos, meint Richard David Precht. Für wie bedrohlich hält Krastev diese Unordnung? Zum einen, so der Politikwissenschaftler, sei es immerhin so, dass sich in den nächsten 14 Monaten über 4 Milliarden Menschen weltweit an Wahlen beteiligen könnten. Zum anderen herrsche eine deutlich beschleunigte technologische Dynamik.
    Früher sicherte der technische Fortschritt eines Landes den Wohlstand für Jahrzehnte. Heute aber wird Technologie rasch repliziert und überall auf der Welt verfügbar gemacht. Die Verhältnisse in der Welt sind daher möglicherweise nicht chaotischer geworden, sondern verändern sich nur viel rasanter. Durch die Digitalisierung verbreiten sich Informationen heute nahezu in Echtzeit. Im gleichen Maße wie Nationen sich einerseits deutlicher und zum Teil aggressiver voneinander abgrenzen, rücken sie gleichzeitig aber auch dichter zusammen.
    Auch die Macht eines Staates würde heute weniger an seinem militärischen Potential gemessen, als an seiner Bereitschaft, dieses Potential auch tatsächlich einzusetzen. Viele aufstrebende Länder sehen in der Auflösung alter Machtlinien auch ihre Gelegenheit, den eigenen Rang in der Welt zu verbessern. Es geht also im Konfliktfall heute weniger um die Wahl der ideologisch betrachtet richtigen Seite als um die Frage, was mehr Vorteile verspricht. Das egoistische Interesse im Privaten, habe sich, so Krastev, auch auf der Weltbühne etabliert.
    Während der Westen immer manövrierunfähiger werde, liefern sich andere Staaten ein immer schnelleres Rennen um mehr Einfluss, Macht und am Ende natürlich um mehr Profit. Während die Werte des alten Europas zum Ladenhüter mutieren, wittern andere Regionen ihre Chance und werden dabei immer unberechenbarer. Wie aber sollen die westlichen Nationen darauf reagieren? Und wie wird der Widerspruch zwischen Wertvorstellungen und handfesten Machtinteressen am Ende zu lösen sein? (Text: 3sat)
    Deutsche TV-Premiere So. 10.12.2023 ZDF
  • Folge 71 (45 Min.)
    Der Blick der Deutschen auf die Weltlage und das eigene Land war selten so getrübt wie zurzeit. Ist dieser Pessimismus ein Realismus? Oder kann und sollte man die Welt positiver sehen? Wie können wir als Individuen, und wie kann Politik die Zukunft steuern? Darüber spricht Richard David Precht mit der Politikwissenschaftlerin und Zukunftsforscherin Florence Gaub. Sie ist Direktorin der Forschungsabteilung des NATO Defense College in Rom. Umfragen in Deutschland zum Jahresbeginn 2024 verraten: 83 Prozent der Menschen blicken besorgt in die Zukunft. Ihr individuelles Leben beurteilt mehr als die Hälfte dagegen eher positiv.
    Die Herausforderungen und Bedrohungen in der Welt haben die Zuversicht der Menschen in eine positive Zukunft nachhaltig erschüttert. Klimakrise, Kriegsszenarien und eine unsichere Wirtschaftslage beschäftigen jedoch vor allem das alte Europa. Entscheidend für einen optimistischen Blick in die Zukunft sei, so ist Florence Gaub überzeugt, nicht so sehr die positive Prognose, sondern tatsächlich das Gefühl, überhaupt Einfluss auf die Zukunft nehmen zu können. Ist dieser Mangel an Zuversicht möglicherweise ein Problem, das die veraltete Gesellschaft des Westens stärker trifft als den Rest der Welt? Und sind wir überhaupt noch bereit, in eine bessere Zukunft zu investieren? Laut Gaub müssen Veränderungen auch einmal weh tun.
    Und sie sind eben nicht immer sofort zu haben, sondern sie erfordern mehr Innovationslust und Einsatz – und weniger Defätismus. In dieser krisengeschüttelten Großwetterlage hängt offenbar sehr viel davon ab, ob wir den politischen wie militärischen Entscheidern das notwendige Vertrauen entgegenbringen können, um die zukünftigen Herausforderungen einer veränderten Weltordnung meistern zu können.
    In ihrer Forschungsgruppe am NATO Defense College in Rom spielt Florence Gaub im Team alle denkbaren Szenarien durch, schlüpft in die Rolle vermeintlicher und potenzieller Gegner, um sich die nötige Flexibilität und Übersicht zu verschaffen. Dort wird die weltpolitische Zukunft immer wieder mithilfe wahrscheinlicher, aber auch denkbar unwahrscheinlicher kausal verketteter möglicher Ereignisse im Spiel erprobt, um fatale Entscheidungen zu vermeiden und auf jede Eventualität ausreichend vorbereitet zu sein. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 04.02.2024 ZDF
  • Folge 72 (45 Min.)
    Wokeness bedeutet Wachsamkeit gegenüber Unterdrückung oder Umweltzerstörung. Sind woke Menschen also gerechter? Darüber spricht Richard David Precht mit der Philosophin Susan Neiman. „Die großen Ideale der Linken – Universalismus, Gerechtigkeit und Fortschritt – gehen in der Wokeness-Bewegung unter.“ sagt Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forums in Potsdam. An die Stelle des Verbindenden unter den Menschen tritt das Unterscheidende. Entstanden ist die Wokeness-Bewegung als Reaktion auf die Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA seit 2014. Später weitete sie sich auf ganz unterschiedliche Gruppen aus.
    Sie agiert vor allem über soziale Medien, aber auch durch gezielte Cancel-Culture-Aktionen, bei denen Personen oder Organisationen gezielt ausgegrenzt oder boykottiert werden sollen. „Aktiv gegen Ungerechtigkeiten oder Rassismus vorzugehen, sei natürlich sehr zu begrüßen,“ so Susan Neiman weiter. Indem man sich dabei aber ausschließlich auf körperliche Identitätsmerkmale wie Rasse, Geschlecht oder Behinderung beziehe, sei diese kritische Position kaum mehr von der Identitätspolitik rechter Strömungen zu unterscheiden.
    Auch dort gehe es um äußerliche Merkmale und nicht um die Rechte des Menschen allgemein. Tribalismus sei weder nur links noch sei er ungefährlich. Verbindet die Wokeness-Bewegung ihre edlen Ziele tatsächlich mit dem falschen Menschenbild, wie Neiman meint? Wie wurde es möglich, dass eine so heterogene Bewegung so viel Einfluss erlangen konnte? Und was bedeutet ihr methodisch oft rigoroses Vorgehen für die Debattenkultur und damit für die Demokratie? (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 10.03.2024 ZDFDeutsche Streaming-Premiere Fr. 08.03.2024 ZDFmediathek
  • Folge 73 (45 Min.)
    Sind die Menschenrechte in demokratischen Gesellschaften und weltweit auf dem Rückzug? Darüber spricht Richard David Precht mit dem Menschenrechtsexperten und Juristen Manfred Nowak. Sie sind ein unveräußerliches Gut und eine der größten Errungenschaften der Menschheit und doch werden Menschenrechte tagtäglich missachtet: Von Staaten, die Minderheiten, Andersdenkende oder Frauen unterdrücken, foltern und töten. Und nicht zuletzt im Krieg. Obwohl fast alle Länder der Welt sich dazu verpflichtet haben, sie zu achten: Ist der Traum von einer Welt- und Friedensordnung auf der Basis universeller Menschenrechte ausgeträumt? Die Gründe für die gegenwärtige Verschlechterung der Lage sind vielfältig, so der österreichische Jurist Manfred Nowak, der sich seit Jahren für die UNO engagiert.
    Die Polarisierung in der Gesellschaft, die Zunahme von Diktaturen und bewaffneten Konflikten spielen dabei eine ebenso große Rolle, wie der Klimawandel, die Migration oder das neoliberale Wirtschaftssystem. Der demokratische Konsens und der soziale Zusammenhalt der Gesellschaften schwindet, und der dominante Westen muss zur Kenntnis nehmen, dass der Rest der Welt nicht unbedingt genauso leben möchte wie wir.
    Schon bei ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert orientieren sich die allgemeinen Menschenrechte zunächst eng an der westlichen Vorstellung des bürgerlichen Besitzes, den es zu schützen gilt – und der unbedingten Freiheit des Individuums. Ist es diese vom Einzelnen aus gedachte Freiheit, die uns heute auf die Füße fällt? Wäre es in Zukunft wünschenswert, die Menschenrechte weniger aus der Natur des Menschen zu erklären, sondern viel mehr aus der Fähigkeit des Menschen zur Vernunft, wie es Immanuel Kant verstanden hat? Und was können wir von anderen Kulturkreisen lernen? In Afrika, Asien und dem Mittleren Osten wird eher das Ideal der Gemeinschaft, der sozialen oder familiären Gruppe gelebt als der europäische Individualismus.
    In diesen Kulturkreisen zeigen sich zunehmend ablehnende Haltungen gegenüber westlichen Staaten. Menschenrechte seien keine absoluten Werte, erklärt Manfred Nowak, sie leben vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Wichtig für ihren Erfolg ist die aktive Teilhabe aller Länder und Kulturen an der Ausformung und Einforderung dieser Rechte. Und dazu sei es letztendlich notwendig, Mechanismen wie die Veto-Funktion der ständigen Mitglieder zu überdenken. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 19.05.2024 ZDF
  • Folge 74 (45 Min.)
    Gewinnt Donald Trump die Wahl, endet möglicherweise die lange liberale Tradition der USA. Darüber diskutiert Richard David Precht mit dem Politikwissenschaftler Patrick J. Deneen. Deneen gilt als der intellektuelle Mentor von Trumps Vize J.D. Vance. Und selten standen in einem US-Wahlkampf derart konträre Gesellschaftsvorstellungen einander gegenüber. Auf dem Spiel steht das Fundament der USA: die liberale Demokratie. In seinem Buch „Warum der Liberalismus gescheitert ist“ vertritt Deneen die These, dass sich die Freiheit des Individuums in unseren liberalen Gesellschaften bis in die feinsten Verästelungen radikal entfalten konnte.
    Dabei blieb jedoch das Verantwortungsgefühl für das Gemeinwohl auf der Strecke. Anstatt unsere sozialen und kulturellen Werte zu schützen, streben wir immer selbstverständlicher nach ungehemmter Selbstverwirklichung und ultimativer Freiheit. All dies seien Zeichen dafür, das der Liberalismus sich „zu Tode gesiegt“ habe. Für den konservativen Denker würden heute besonders die Werte traditioneller Kultur, der Familie, der Religion oder der Staatstreue vernachlässigt. Das Paradoxe laut Deneen: Je mehr individuelle Freiheit uns möglich gemacht wird, umso mehr rufen wir nach einem regulierenden Staat, der uns Halt und Ordnung geben kann.
    Je mehr wir unser radikales freies Selbst leben, stehen wir dennoch den von uns geschaffenen Umständen immer ohnmächtiger gegenüber. Richard David Precht hält dagegen: Er kenne diese kritische Perspektive eher aus dem linken politischen Lager. Dort aber spricht man von einer allgemeinen Entfremdung, für die man weniger den Liberalismus verantwortlich mache, sondern den Kapitalismus. Müsse man daher nicht eher in den wirtschaftlichen Bedingungen die Ursachen sehen als im Liberalismus? Nicht nur Marx, sondern auch die Rechtskonservativen hätten dem Kapitalismus kritisch gegenübergestanden, erklärt Deneen.
    Er wünscht sich daher eine Rückbesinnung auf die urdemokratischen Kräfte, etwa aus der Zeit der amerikanischen Gründerväter. In den Townships der ersten Siedler habe es noch jenes Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten, zwischen dem souveränen Selbst und der verantwortungsbewussten Gemeinschaft gegeben. Doch in der Geschichte gibt es kein Zurück, moniert Precht. Beschwört Deneen mit Schlagworten wie Familie, Religion oder gar Nationalismus nicht Werte, die sich in unserer modernen Welt längst nicht mehr in einem rein positiven Licht darstellen lassen? (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 22.09.2024 ZDF
  • Folge 75 (45 Min.)
    Unerfüllte Hoffnungen erzeugen Enttäuschung und Wut. Wütende Gesellschaften wählen extreme Parteien. Darüber diskutiert Richard David Precht mit der Soziologin Eva Illouz. In liberalen Gesellschaften vermehren sich nach und nach die Rechte und Freiheiten für die Menschen. Damit steigen auch ihre Ansprüche an sich und die Institutionen. Werden diese nicht erfüllt, kommt es erst zu Enttäuschung, dann zu Neid, Zorn und Wut. Noch nie hat der Mensch so hohe Erwartungen an sein Leben gestellt wie heute, erklärt Eva Illouz, die sich in ihren Büchern immer wieder mit Gefühlen beschäftigt hat.
    In Filmen und TV-Shows wird suggeriert, dass wir im Leben alles erreichen können, wenn wir es nur entschieden genug wollen. Bleiben unsere Ansprüche jedoch unerfüllt, hält man sich oft selbst für nicht gut genug und kämpft mit der eigenen Scham. Eine explosive Stimmung, so Illouz. Die Wahrnehmung widersprüchlicher Kräfte, die am modernen Menschen zerren, schlägt in unserer gegenwärtigen Gesellschaft immer schneller um in Wut und Zorn.
    Gleichzeitig flüchten sich Menschen immer häufiger in eine Opferrolle. Dabei empfinden wir eine Ohnmacht gegenüber den Umständen, in die wir geworfen sind und die wir nicht zu ändern imstande sind. Wir empören uns dagegen und verlieren das Vertrauen in Regeln, Gesetze und Institutionen. Die Spannung zwischen diesen beiden Polen – zwischen Wut und Opferempfindung – bestimmen unsere modernen Gesellschaften. Die Folge ist laut Eva Illouz die Eskalation der Empfindlichkeiten. Die kleinste Kränkung oder Ungerechtigkeit wird auf eine höhere Ebene transferiert und gewinnt eine Bedeutung, die sich von der ursprünglichen Intention weit entfernt hat.
    Einer solchen Gesellschaft, folgert Precht, fehle dann auch die Fähigkeit zur Resilienz. Und wenn sich jeder, der sich kritisch äußert, dafür schämen soll, komme es zur Gegenreaktion. Ist man nicht bereit, sich abkanzeln zu lassen, reagiere man mit einem trotzigen Stolz. All dies sind Zeichen einer dysfunktionalen Kommunikation, die unsere Gesellschaft unnachgiebiger, aggressiver und auch gewaltbereiter macht. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 27.10.2024 ZDF
  • Folge 76 (45 Min.)
    Der österreichische Schriftsteller, Essayist und EU-Reformer Robert Menasse ist zu Gast bei „Precht“ zum Thema „Europa neu erfinden“.
    Mit Donald Trump als US-Präsident wird die Europäische Union eigenständiger werden müssen. Doch Europa wirkt müde. Darüber diskutiert Richard David Precht mit dem Schriftsteller Robert Menasse. Unüberhörbar sind Stimmen, die die EU zurückbauen, wenn nicht sogar auflösen wollen. Mächtige Gegner bringen sich in allen Winkeln Europas in Stellung und warten auf den richtigen Moment. Und blockieren derweil den Fortschritt. Der österreichische Schriftsteller und EU-Vordenker Robert Menasse träumt schon lange von der allmählichen Überwindung des nationalen Denkens und von einem deutlich konsequenter gedachten Europa.
    Doch müsse man gegenwärtig, so meint Precht, leider ein weltweites Erstarken des Nationalismus diagnostizieren. Die Euphorie der Globalisierung hat sich abgekühlt, Staaten wie etwa die USA drohen mit deftigen Strafzöllen, und der europäische Gedanke versinnbildlicht sich im Moment hauptsächlich durch die Abschottung gegen Einwanderung. Wie ist eine Wende zu mehr Europa da noch möglich? Menasse erinnert daran, dass die Entwicklung der europäischen Idee schon mehrfach in der Geschichte ins Stocken geriet. Langfristig könne niemand in Europa tatsächlich ein Interesse daran haben, dass dieses Projekt untergeht.
    Interessanterweise basieren viele Science-Fiction-Romane der 1950er- und 1960er-Jahre auf der Vorstellung, dass es auf unserem Planeten keine Nationen mehr gibt. Eine Nachwirkung des 2. Weltkrieges, denn damals mussten die Europäer unmittelbar erleben, zu welchen Verbrechen Nationalismus führen kann. Es entstand die größte Friedensbewegung Europas und die Utopie einer nachnationalen Welt, die im Laufe der Zeit allerdings in Vergessenheit geriet. Diese Vision hat durch die gegenwärtigen militärischen Konflikte wieder höchste Aktualität und Dringlichkeit bekommen.
    Dennoch will in Europa jeder lieber sein eigenes Süppchen kochen. Mit antieuropäischen Statements gewinnt man heute nationale Wahlen, beklagt Precht die Lage. Das läge am System, erklärt Menasse, denn Abgeordnete für Brüssel werden national gewählt und geben daher auch nationale Wahlversprechen ab. Ein Teufelskreis, denn das hätte dann eine unbefriedigende Europapolitik zur Folge, was besonders den Rechtsnationalisten in die Hände spielt. Dabei sei doch deutlich abzusehen, dass die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts längst von transnationaler Tragweite sind.
    Ob Klimakrise, Finanzströme, Handelskriege, Verteilung der Rohstoffe oder der Umgang mit Angriffskriegen – eine Nation allein ist da überfordert. Was aber ist nötig, um diese so notwendige europäische Zukunft endlich voranzutreiben? Muss sich das System in Brüssel effektiver gegen den Lobbyismus einzelner Staaten durchsetzen? Wie halten wir die Anti-Europäer aus Brüssel fern? Und wie lösen wir uns von der hartnäckigen Vorstellung, dass wir einer Nation angehören müssen, anstatt endlich den konsequenten Schritt zum vollständigen EU-Bürger zu wagen? (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 01.12.2024 ZDFDeutsche Streaming-Premiere Sa. 30.11.2024 ZDFmediathek
  • Folge 77 (45 Min.)
    Die britische politische Philosophin und Autorin Erica Benner ist zu Gast bei „Precht“ zum Thema „Wer regiert in der Demokratie?“.
    Die liberale Demokratie wirkt angeschlagen. Und damit unser Politik- und Gesellschaftsmodell. Darüber diskutiert Richard David Precht mit der britischen Philosophin Erica Benner. Drohen auch bei uns Entwicklungen wie in den USA, wo Präsident Trump damit begonnen hat, die Demokratie auszuhöhlen? Stehen die Deutschen auch dann noch zu unserer liberalen Demokratie, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern? Die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Politik sei offensichtlich, attestiert Erica Benner, britische Philosophin an der Hertie School in Berlin.
    Eine wachsende Zahl an Wählern hat das Gefühl, die regierenden Eliten hätten hauptsächlich ihre eigene Karriere im Blick, nicht aber die immer dringlicher werdenden Belange der Bürger. Sie konkurrieren weniger um gerechte und hilfreiche Lösungen, sondern vielmehr gegeneinander. Andere wiederum sind tief besorgt, fürchten nicht ohne Grund die Vereinnahmung unserer demokratischen Institutionen durch Rechtsradikale. Widersprüchlich, so Precht, sei auch die hohe Prozentzahl jener, die sich gerne mehr Mitsprache in der Politik wünschen, im Gegensatz zu der sehr geringen Anzahl jener, die sich tatsächlich politisch engagieren.
    Besonders junge Menschen sehen ihre politischen Einflussmöglichkeiten eingeschränkt. Sie artikulieren sich lieber in den sozialen Medien und ihren Meinungsblasen. Die Teilhabe der Menschen werde nicht mehr gerecht ausgehandelt. Ein Gefühl von Kontrollverlust breite sich aus. Wir befinden uns in einer Krise, die durch mangelnde Aufmerksamkeit für die sozioökonomischen Bedingungen der Menschen entstanden ist. Die aber brauche es, so Benner, um die Demokratie bei guter Gesundheit zu halten.
    Demokratien sind Ordnungen, in denen die Macht unter Menschen aufgeteilt wird – auch unter jenen, die anders sind als man selbst. Man müsse beiden Sichtweisen Zeit geben und bereit sein, bei den eigenen Interessen Abstriche zu machen. Einerseits, so Precht, seien die Ansprüche der Menschen an den Staat massiv gestiegen, andererseits seien die Handlungsspielräume von Regierungen deutlich gesunken. Tiefgreifende Änderungen lassen sich oft nicht mehr allein auf nationaler Ebene durchführen, außerdem habe die Politik zunehmend Angst vor der medialen Erregung.
    Die entscheidende Bedrohung für die Demokratie ist die wirtschaftliche Ungleichheit, betont Erica Benner. Wenn diese einen bestimmten Grad überschreite, sei dies die größte Gefahr. Rasch befalle die Menschen dann Ohnmacht und Wut, wenn sie das Gefühl beschleicht, in ihrer Mitbestimmung eingeschränkt zu werden. Fühlt man sich machtlos, dann wird es sehr verlockend, jemanden zu wählen, der verspricht, sich mit aller Macht für tiefgreifende Änderungen stark zu machen. Von der Antike bis zur Gegenwart sei dies ein immer wiederkehrendes Muster. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 16.02.2025 ZDF
  • Folge 78 (45 Min.)
    Der bulgarische Politologe Ivan Krastev ist zu Gast bei „Precht“ zum Thema „Das Ende des Westens – Die Weltordnung der Zukunft.“
    Die Vereinigten Staaten und Europa sind keine Wertegemeinschaft mehr. Wie muss sich Europa aufstellen? Darüber diskutiert Richard David Precht mit dem bulgarischen Politologen Ivan Krastev. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA markiert das Ende des politischen Westens, wie wir ihn kannten. Europa muss seinen Platz in einer multipolaren Weltordnung neu finden, um ein selbstbewusster und ernst zu nehmender politischer Pol zu werden. Wir erleben nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 nun einen ähnlich gravierenden historischen Umbruch, ausgelöst durch den radikalen Umbau Amerikas, mit welchem US-Präsident Trump gerade erst begonnen hat.
    Ein besonders Symptom weltpolitischer Umbrüche sei, so Ivan Krastev, das Zustandekommen von zuvor unvorstellbaren Bündnissen. Trump zeigt sich Putin gegenüber respektvoller als gegenüber der EU, dem treu ergebenen Bündnispartner der vergangenen 70 Jahre. Nichts scheint mehr unmöglich. Mit erschreckender Geschwindigkeit ändern sich die geopolitischen Verhältnisse. Permanente gesellschaftliche Transformationsprozesse nehmen den Menschen das Gefühl der Sicherheit und Verlässlichkeit. Die Weltpolitik der Hegemonialmächte scheint ihre Maske fallen zu lassen.
    Nationale Interessen werden nicht mehr hinter regelbasierter Diplomatie versteckt. Eine ungeniert kapitalistische Politik bricht sich Bahn, in der plötzlich Territorien beansprucht, Allianzen gebrochen, Märkte abgeschottet, die Gewaltenteilung ignoriert, soziale Sicherheit untergraben und die Einwanderung gestoppt werden. Trump will die USA zu einem profitablen Unternehmen umbauen, in dem man Kanada oder Grönland nicht mehr als Nachbarn betrachtet, sondern als käufliche Immobilie. Aber auch in der Stabilität des einstigen Vasallen Europa sieht man zukünftig keinen ausreichenden Gewinn mehr.
    Unverhofft steht unser ehrwürdiges Europa mit seinen Werten und Ideologien wie ein veraltetes Gebäude zwischen rasant wachsenden Wolkenkratzern, die weder Genehmigungen noch demokratisch gefasste Pläne respektieren. Diese „kapitalistische Diplomatie“ (Precht) kennt keine Werte mehr, sondern Geldwerte. Ist das das Ende der modernen Zivilisation, wie wir sie kannten? Ein temporärer Rückschritt auf dem Weg in eine moderne Gesellschaft des 21. Jahrhunderts? Oder mutmaßlich eine neue Phase, mithin die Zukunft, auf die wir uns dauerhaft einstellen müssen? (Text: ZDF)
    Deutsche TV-Premiere So. 30.03.2025 ZDF
  • 40 Min.
    Deutsche TV-Premiere So. 01.06.2025 ZDF

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