„Marvel’s Cloak & Dagger“: Starke Comicverfilmung zeigt viel Charakter – Review

Schicksal verbindet zwei Teenager zum Kampf gegen Vergangenheit und Zukunft

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 08.06.2018, 17:30 Uhr

Tandy (Olivia Holt) und Tyrone (Aubrey Joseph) in „Marvel’s Cloak & Dagger“ – Bild: Freeform
Tandy (Olivia Holt) und Tyrone (Aubrey Joseph) in „Marvel’s Cloak & Dagger“

Obwohl „Marvel’s Cloak & Dagger“ von jungen Superhelden handelt, stehen eingangs der Serie doch sehr menschliche Dinge im Vordergrund. Die kleine Tandy Bowen und Tyrone Johnson erleben Tragik und Verlust. Beide müssen bereits als Preteens miterleben, wie je eines ihrer Familienmitglieder tragisch ums Leben kommt. Beide landen dabei zeitgleich in Küstennähe in der Bucht von New Orleans, als eine Ölplattform der Firma Raxxon – auf der wohl auch andere Dinge als Ölförderung vor sich gehen – in einem Sturm einknickt und beim Sturz auf die Wasseroberfläche einen grünen Blitz abgibt, der den Kindern besondere Kräfte geben wird und ihr Schicksal vereinen wird.

Doch bis zu einer weiteren Zufallsbegegnung gehen die Leben der Kinder als „ganz normaler amerikanischer Alptraum“ weiter. Dem kleinen Tyrone, der seinen älteren Bruder verloren hat, wird kein Glauben geschenkt, als er berichtet, dass dieser erschossen worden war. Augenscheinlich für den Zuschauer wird da etwas vertuscht – als der Bruder schließlich aus dem Wasser gefischt wurde, waren die Schusswunden nicht mehr auszumachen und die Gerichtsmedizin bescheinigte Drogen im Blut. Während Tyrone mit seinen Schuldgefühlen und der Wut immer mehr in die Dunkelheit versinkt, obsiegt in Tandy trotz allem die Hoffnung. Ihr Vater war, mit ihr im Auto, im Sturm ins Wasser gestürzt, der Vater ertrank. Weil er sich nun nicht mehr verteidigen konnte, wurde ihm als hochrangigem Beteiligten an einem Forschungsprojekt auf der eingestürzten Bohrplattform die Schuld an diesem Unglück in die Schuhe geschoben. Auch hier wissen die Zuschauer es besser: Er hatte kurz vor dem Unfall noch Probleme dort angemahnt. Seine Witwe und Tochter verlieren nun durch Firmenwillkür auf dem Verwaltungsweg allen bisherigen Wohlstand. Die ohnehin schon nach verschreibungspflichtigen Medikamenten süchtige Witwe Melissa Bowen (großartig als versoffenes Miststück: Andrea Roth, „Rescue Me“) sinkt weiter ab – Tandy wird zunehmend selbständig, schläft lieber in einer Kirche als zu Hause und wird zur Diebin. „Weglaufen“ ist stets ihr erster Impuls, auch von ihrem Freund und Diebesgenossen Liam (Carl Lundstedt) lässt sie sich lieber vor einem falschen Haus absetzen, als reinen Tisch zu machen. Mit Musik und Pillen versucht Tandy, ihr Leben auszublenden. Und trotzdem spart sie ihre Beute aus ihren Raubzügen für eine Flucht in eine bessere Zukunft.

Als ihre allgemeinen Lebensprobleme schlimmer werden, haben Tandy (Olivia Holt) und Tyrone (Aubrey Joseph) nun als Teenager eine weitere, unwissentliche Zufallsbegegnung. Erst, als eine Berührung in einer unerklärlichen Energieentladung mündet, erkennen die beiden einander wieder als das Gegenüber vom damaligen, traumatischen Tag. Während dabei auch ihre besonderen Fähigkeiten aktiviert werden, dauert es noch eine Weile, bis die beiden wirklich zueinander finden: Tandy hatte Tyrone nämlich gerade um sein Portemonnaie erleichtert und daher zunächst kein Interesse an einem Gespräch – und läuft weg.

Die kleine Tandy und Tyrone finden sich nach ihren tragischen Verlusten am Strand wieder.


Die Auftaktepisoden von „Cloak & Dagger“ widmen sich zunächst der Vorstellung der beiden Protagonisten in ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Wenig Konkretes gibt es ob dieser ausführlichen Origins-Story daher in Richtung der Superheldengeschichte. Augenscheinlich wird jedoch, dass die einflussreiche Firma Roxxon irgendwelchen Dreck am Stecken hat und später der Hauptgegner werden wird. Doch zunächst geht es um Tandy und um Tyrone, zwei Teenager, die auf unterschiedliche Weise mit den Traumata ihrer Jugend umgehen und sich isoliert fühlen. Jetzt finden sie sich durch ihre besonderen Kräfte vereint und stellen nach und nach fest, dass sie eben doch nicht ganz alleine sind, sondern dass es einen – einen – Menschen gibt, der sie bis ins Innerste zu verstehen scheint. In typisch menschlicher Manier erkennen Tyrone und Tandy dabei zunächst, wie sie dem jeweils anderen helfen können, während sie sich an ihren eigenen Traumata die Zähne ausbeißen.

Tyrone verfügt über Fähigkeiten, die mit Dunkelheit zu tun haben – am schicksalhaften Tag hatte er trotzig einen schwarzen, viel zu großen Hoodie seines Bruders getragen, in dem er geradezu in der Schwärze versank. Nun kann er – zunächst noch unwillkürlich – durch die Schwärze teleportieren. Seine Kraft bringt ihn einerseits auf die Spur des Mörders seinen Bruders und andererseits auf die von Tandy.
Tandy hingegen kann Lichtdolche herbeirufen. Diese ermöglichen es ihr – metaphorisch betrachtet -, ihren Kampf fortzusetzen, ihre Hoffnungen Realität werden zu lassen. Daneben kann ihr Licht wohl auch Tyrone dabei helfen, nicht in Dunkelheit zu versinken.

Des Weiteren können die beiden nun auch die Menschen ihrer Umwelt empathisch „durchschauen“. Tandy etwa erlebt so einen Moment ihrer Jugend, in der Vater und Mutter ihren Ballettbestrebungen hoffnungsvoll zugesehen haben. Tyrone erkennt die Angst seiner Mutter, auch ihren anderen Sohn zu verlieren. Und auch gegenseitig sehen sie die größte Hoffnung beziehungsweise die größte Angst.

Die Hauptfiguren von „Cloak & Dagger“: Tandy aka Dagger (Olivia Holt), Tyrone aka Cloak (Aubrey Joseph), seine Eltern Adina Johnson (Gloria Reuben) und Michael Johnson (Miles Mussenden), Tandys Mutter Melissa (Andrea Roth), Tandys Geliebter und Partner in Crime Liam (Carl Lundstedt), die aufrechte Detective O’Reilly (Emma Lahana), Tyrones Vertrauter Father Delgado (Jaime Zevallos) sowie der korrupte Detective Connors (J.D. Evermore)


Die Nebefiguren in „Cloak & Dagger“ sind erfreulich ausformuliert und versprechen Mehrwert. Tyrones sehr aggressiv flirtende Mitschülerin Evita (Noëlle Renée Bercy) etwa erweist sich als dankenswert mehrdimensional. Oder Tyrones Mutter Adina (Gloria Reuben, „Mr. Robot“), bei der unter der Geschäftigkeit die Angst lauert, auch ihren zweiten Sohn verlieren zu können – sogar ohne, dass er eine jugendliche Dummheit begeht, sondern einfach nur, weil er eine dunkle Hautfarbe hat. Tyrone, der eine katholische Privatschule besucht, hat in Father Delgado (Jaime Zevallos) einen verständigen onkelhaften Freund, der nicht auf Plattitüden setzt – aber auch eigene Dämonen hat. Schließlich rufen Tandys Raubzüge und ihre Folgen die smarte Detective O’Reilly (Emma Lahana) auf den Plan, die weiß, wann sie ihren Instinkten nachgehen muss und wann es keinen Sinn ergibt, dem sexistischen und korrupten Polizeiapparat lautstark Widerstand zu leisten.

„Cloak & Dagger“ läuft zwar beim auf ein jüngeres Publikum ausgerichteten US-Sender Freeform, zeigt sich allerdings sehr erwachsen. Frappierend ein bisschen, dass das von Hulu gezeigte „Marvel’s Runaways“ mit dem etwas absurderen, comichaftem Stil (und einem Dinosaurier …) eigentlich eher in dessen Programm gepasst hätte, während „Cloak & Dagger“ eher einem Streaming-Dienst alle Ehre machen würde.

Zumindest eingangs der Auftaktstaffel präsentiert sich „Marvel’s Cloak & Dagger“ als intensives Charakterdrama. Figuren – und nicht Kräfte – stehen im Zentrum. Das führt dazu, dass menschliche Themen dominieren: Der „Black Lives Matter“-Gedanke hier, Alltags-Sexismus und eine Beinahe-Vergewaltigung dort, das Ausgeliefertsein gegenüber einer korrupten Polizei und Firmen mit tiefen Taschen, die einen vor Gericht am ausgestreckten Arm verhungern lassen kann.

Während die Auftaktfolgen also noch nicht wirklich viel von einer Superheldengeschichte haben, dürfte sich das im Verlauf der Staffel noch ändern – ein Trailer (s.u.) hat schon verraten, dass auf die beiden noch echte Superhelden-Herausforderungen und ein Kampf mit dem Schicksal warten. Der Serienauftakt jedenfalls macht Hoffnung darauf, dass die Serie ein hohes erzählerisches Niveau wird halten können und die starken Charakterisierungen nicht in der Comic-Geschichte verwaschen. Die Darsteller überzeugen allesamt, die Optik ist ansprechend und dank des Drehortes New Orleans auch abwechslungsreich. Die Erzählung verfängt sich nicht in Klischees. Einzig mit dem Ausloten der empathischen Fähigkeiten von Cloak und Dagger als surreale Traumsequenzen spannt die Serie die Zuschauer ein wenig auf die Folter. Alles in allem ist „Marvel’s Cloak & Dagger“ eine Serie, die man jedem Fan gut gemachter Mystery-Serien und Comicadaptionen ans Herz legen kann.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Serie „Marvel’s Cloak & Dagger“.

Meine Wertung: 4/​5


Bernd Krannich
© Alle Bilder: Freeform


„Marvel’s Cloak & Dagger“ feiert seit dieser Woche Weltpremiere in den USA beim Sender Freeform, in Deutschland wird sie seit dem 8. Juni 2018 bei Prime Video veröffentlicht.

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1999) am

    Ich kann normalerweise diesen jungen Superheldengeschichten nichts abgewinnen, aber das hier gefällt mir doch ganz gut

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