Bye Bye „Lindenstraße“ – Ein Stück deutscher Fernsehgeschichte endet

Special zum Abschied von der Kultserie

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 27.03.2020, 15:22 Uhr

Kurz vor dem letzten Drehtag am 20.12.2019 haben sich die Schauspieler der „Lindenstraße“ ein letztes Mal für ein gemeinsames Foto versammelt. (WDR/​Thomas Kost)

Das Ende der „Lindenstraße“ wird beschlossen

Am 16. November 2018 teilte die ARD die Entscheidung mit, die „Lindenstraße“ einzustellen. Die Fernsehprogrammkonferenz der ARD hat sich mehrheitlich gegen eine Verlängerung des Produktionsvertrages mit der Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion ausgesprochen. Als Grund für die Entscheidung nannte Programmdirektor Volker Herres das gesunkene Zuschauerinteresse und Sparzwänge, die nicht länger mit den Produktionskosten der Serie vereinbar seien.

„Diese Entscheidung hat sich die Fernsehprogrammkonferenz der ARD nicht leicht gemacht. Denn die ‚Lindenstraße‘ ist eine Ikone im deutschen Fernsehen, die uns seit Jahrzehnten begleitet. Sie ist Spiegelbild der Geschichte und Entwicklung unserer Republik. Sie hat Akzente gesetzt, die prägend bleiben werden – ein Verdienst engagierter, leidenschaftlicher Macher“, so Herres. „Doch wir müssen nüchtern und mit Bedauern feststellen: Das Zuschauerinteresse und unsere unvermeidbaren Sparzwänge sind nicht vereinbar mit den Produktionskosten für eine solch hochwertige Serie. Hans W. Geißendörfer hat als Vater der ‚Lindenstraße‘ Fernsehgeschichte geschrieben. Ihm und seiner Nachfolgerin Hana Geißendörfer sowie allen Mitwirkenden gelten unser Respekt und unser Dank.“

Die Produzenten Hans W. Geißendörfer und seine Tochter Hana Geißendörfer in der Kulisse der „Lindenstraße“ WDR/​Steven Mahner

WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn ergänzt: „Mein besonderer Dank gilt dem Erfinder der Serie, Hans W. Geißendörfer, seiner Nachfolgerin Hana Geißendörfer, dem Ensemble und dem ganzen Team – und nicht zuletzt dem Publikum, das der ‚Lindenstraße‘ seit mehr als 30 Jahren die Treue hält. So sehr der Abschied auch schmerzt, können doch alle Beteiligten sehr stolz sein, denn sie haben mit der ‚Lindenstraße‘ geschafft, was keiner anderen deutschen Serie gelungen ist: über Generationen hinweg mitten aus dem Alltag der Menschen heraus große gesellschaftliche und politische Themen abzubilden. Wir sind der Gemeinschaft der ARD dankbar, dass sie die ‚Lindenstraße‘ über Jahrzehnte mitgetragen hat und bedauern, dass sie keine Möglichkeit mehr sieht, die Serie fortzuführen. Gleichzeitig verstehen wir, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der ARD geändert haben und Produktionen neu bewertet werden müssen.“

„Lindenstraße“-Erfinder Hans W. Geißendörfer zur Anfangszeit der Serie WDR/​Engelmeier

Die Quoten der Serie sanken kontinuierlich. Etwas mehr als zwei Millionen Zuschauer waren zuletzt wöchentlich dabei. Rund eine halbe Million waren im Alter der jungen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Die gesunkene Bedeutung der „Lindenstraße“ für die ARD wurde bereits deutlich, als immer öfter mal Folgen zum Spartensender One abgeschoben wurden – zudem wurden 2017 und 2018 „Sommerpausen“ eingelegt.

Welch schweren Schlag das angekündigte Aus der „Lindenstraße“ für viele Fans darstellt, zeigte sich daran, dass 2019 mehrere Demonstrationen in deutschen Großstädten für den Erhalt der Serie stattfanden – darunter auf dem Roncalliplatz in Köln, also quasi in Rufweite des bei der „Lindenstraße“ federführenden WDR. Fans, die nicht vor Ort dabei sein konnten, teilten in Videobotschaften mit, warum sie gegen die Absetzung der „Lindenstraße“ sind. Die Videos endeten mit der einheitlichen Botschaft „Ich bin Lindenstraße!“. Doch all das hat nichts geholfen.

Die letzte Folge

Die Bewohner des Hauses Nr. 3 nach der letzten Folge WDR/​Steven Mahner

Schon die 1754. Folge („Die Geister, die Helga riefen“) war eine ganz besondere. Helga Beimer (Marie-Luise Marjan) wurde Opfer eines hinterhältigen Brandanschlags und lag schwer verletzt im Koma. In wilden Träumen wandelte sie zwischen den Welten der Lebenden und Toten. Dabei traf sie nicht nur auf ihren 1995 verstorbenen Sohn Benny Beimer (Christian Kahrmann), sondern auch auf ihre verstorbenen Ex-Ehemänner Hans Beimer (Joachim Hermann Luger) und Erich Schiller (Bill Mockridge). Und dann begegnete sie auch noch ihrem „Schöpfer“, gespielt von „Lindenstraße“-Erfinder Hans W. Geißendörfer. Schon Else Kling (Annemarie Wendl) vernahm in Folge 1069 kurz vor ihrem Tod die Stimme von Geißendörfer.

Die letzte Folge der „Lindenstraße“ hat es nochmal in sich: Muss „Fliederschubse“ Anna (Irene Fischer) wegen Wolf Lohmeiers (Martin Müller-Reisinger) tödlichem Sturz wieder ins Gefängnis? Was werden Helga und Angelina (Daniela Bette), die das Drama miterlebten, der Polizei erzählen? Helga bereitet sich außerdem auf ihren großen Tag vor: Zu ihrem 80. Geburtstag hat sie ihre Familie und all ihre Freunde, Nachbarn und Bekannten zu einer klimafreundlichen Party ins „Akropolis“ eingeladen. Die Gäste treffen nach und nach ein – doch Helga ist plötzlich wie vom Erdboden verschluckt …

Trivia

„Dallas“-Bösewicht Larry Hagman zu Besuch Lindenstraße/​WDR

Im Verlauf der vergangenen 34 Jahre gab es in der „Lindenstraße“ insgesamt 37 Hochzeiten und 54 Todesfälle. Vier Darsteller der ersten Stunde sind bis zum Ende der Serie erhalten geblieben: Helga Beimer (Marie-Luise Marjan), Klaus Beimer (Moritz A. Sachs), Gabi Zenker (Andrea Spatzek) und Vasily Sarikakis (Hermes Hodolides). Immer wieder schauten prominente Gäste in der „Lindenstraße“ vorbei, darunter „Dallas“-Bösewicht Larry Hagman, Dieter Hallervorden und die Münchner „Tatort“-Kommissare Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl

Auf der nächsten Seite geht es um die Frage, was die Zeit nach dem Ende der „Lindenstraße“ bringt.

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