Serienpreview: Neue HBO-Comedy „Hung“ – Review

Mit dem besten Stück aus der Krise

Ralf Döbele
Rezension von Ralf Döbele – 06.07.2009

Hung Home Box Office, Inc.

„Es ist hart sich ein unanständiges Leben aufzubauen.“ Dieser Slogan der neuen Comedy-Serie „Hung“ könnte auch auf das Bestreben des US-Bezahlsenders HBO zutreffen. Einst räumte der mit Serien wie „Die Sopranos“ und „Sex and the City“ nur so bei den Preisverleihungen der Fernsehbranche ab und konnte auch große Quotenerfolge feiern. Doch diese Hits sind Geschichte und HBO muss vor allem in Konkurrenz zu Showtime um die Aufmerksamkeit der Zuschauer kämpfen. Ein neues Format, das in der vergangenen Woche auf HBO an den Start ging, ist „Hung“. Das Konzept scheint wie gemacht für den Sender, der alles zeigt, was man sonst im US-Fernsehen vergeblich sucht: Ein beruflich glückloser Mittvierziger vermarktet sein einziges, wirkliches Talent – seinen großen Schwanz. Das Ganze ist angesiedelt vor dem Hintergrund der schweren Wirtschaftskrise im mittleren Westen der USA. So besticht „Hung“ dann auch nicht durch für US-Verhältnisse provokante Fleischbeschau oder unanständige Kalauer, sondern vielmehr durch eine realistische Bestandsaufnahme einer für viele Arbeiter scheinbar ausweglosen finanziellen Situation. Leider weist die Pilotfolge aus der Feder von Dmitry Lipkin & Colette Burson („The Riches“) auch einige Schwächen auf, die den eigentlich positiven Gesamteindruck doch etwas trüben.

Thomas Jane Home Box Office, Inc.

Ray Drecker hat schon bessere Zeiten erlebt. Er schlägt sich als Basketball-Trainer und Sportlehrer an einer High School bei Detroit durch, ein Job, der ihm kaum genug Geld einbringt um sich, seine zwei exzentrischen Kinder im Teenager-Alter und seine Ex-Frau Jessica (Anne Heche) über Wasser zu halten. Nicht dass die sein Geld überhaupt nötig hätte: schließlich hat sie Ray für einen Dermatologen mit besser gefüllter Brieftasche verlassen. Doch der durch all diese Faktoren verursachte Anflug von Midlifecrisis nimmt überhand, als Rays kleines Holzhaus, das bereits seinen Eltern gehörte, in Flammen aufgeht und er plötzlich ohne Dach über dem Kopf dasteht. Seine beiden Kinder wollen nicht mit ihm im Zelt hinter der Ruine kampieren und Jessica hält ihm lieber sein eigenes Versagen vor, als ihm in dieser Notsituation auszuhelfen.

Unterm Strich braucht Ray also dringend Geld, wie so viele in der heutigen wirtschaftlichen Lage. In seiner Verzweiflung besucht er ein Seminar, wo man lernen soll, wie man sein eigenes, persönliches „Werkzeug“ identifiziert und dann auch als Geschäftsidee vermarktet. Tanya Skagle (Jane Adams) hat Rays Werkzeug schon längst identifiziert und auch genossen. Die beiden hatten mal was miteinander als Tanya in Rays Schule eingeladen wurde. Wer braucht schon nicht eine örtliche Dichterin in seinem Unterricht? Leider hat Tanya mit ihrer Begabung ungefähr so viel Erfolg wie Ray in seinem ganzen Leben und so suchen die beiden erneut Zerstreuung auf der Matratze. Doch selbst das einfache Vergnügen endet im Streit, da Ray für Tanya nicht sensibel genug ist. „Warum vermarktest Du nicht einfach Deinen großen Schwanz?!!!“, schreit sie ihm wütend hinterher.

Jane Adams Home Box Office, Inc.

Ray bekommt den Gedanken nicht mehr aus dem Kopf und so wird sein kleines Zelt in dieser Nacht durch den Blitz seiner Kamera erleuchtet. Schließlich ist eine Anzeige im Online-Angebot einer Zeitung ohne Bildmaterial nicht wirkungsvoll genug. „Big Donnie“ ist geboren, komplett mit Bild-Beweis seiner Manneskraft und plötzlich klingelt während der Sportstunde sein Handy. Er hat seinen ersten Termin! …der direkt vor einer verschlossenen Hotel-Tür endet. Wenigstens gibt ihm seine verhinderte Kundin 50 Dollars für die Anfahrt, eine Art Trostpflaster. Für Tanya steht währenddessen Rays größtes Problem fest: Er weiß nicht, wie er sich und seine Begabung wirkungsvoll vermarkten soll. Sie bietet ihm ihre Hilfe an – für eine prozentuale Beteiligung natürlich. Regel Nummer eins: Bilder von seinem Gesicht müssen her, nicht nur von seinem Schwanz.

„Hung“ entpuppt sich, trotz seiner eigentlichen Thematik, nicht als „Boogie Nights“ in Serie. Statt dessen ist die Comedy eher hintersinnig und als Portrait einer Region angesiedelt, die ganz extrem unter der wirtschaftlichen Depression leidet. Detroit lebt wie keine andere Stadt in den USA von der Automobilindustrie und um die steht es nicht gerade zum Besten. Dies spiegelt sich direkt in schmutzigen und heruntergekommenen Häuserblocks und einer kargen Atmosphäre, die in „Hung“ wunderbar eingefangen wird. Bereits im Vorspann marschiert Ray durch die teilweise abbruchreif wirkende Stadt und entblättert sich Stück für Stück, bis er in einen kleinen See springt. „Hung“ gelingt, woran „Parks and Recreations“ und „In the Motherhood“ als Comedy-Serien vollkommen scheiterten: durch Kameraarbeit im Dokumentar-Stil wird der Realismus der Handlung wirkungsvoll unterstützt und so wird Rays Abenteuer zum exemplarischen Beispiel aus der Krise. Optisch besonders gelungen ist auch die Sequenz, in der Rays Haus in Flammen aufgeht. In aller Ruhe schmort da ein Kabel vor sich hin und man erschrickt, wenn man beobachtet, wie schnell sich das Feuer tatsächlich ausbreitet. Aber all dies geschieht eben in einem langsamen Erzählstil. Wie gesagt, schnelle Gags oder Pointen gibt es hier nicht.

Anne Heche Home Box Office, Inc.

Stattdessen sind die beiden Hauptdarsteller die wirkliche Stärke von „Hung“. Thomas Jane überzeugt als Ray, dem man wirklich zutraut in seiner Jugend als Sportler an der High School die große Sensation gewesen zu sein. Der Hauptdarsteller rettet die Pilotfolge auch über seine ganz offensichtlichen Schwächen hinweg und kann selbst in schwierigen Momenten die Sympathien bei sich halten, obwohl Rays Off-Erzählungen nicht immer gelungen oder überhaupt nötig sind. „Hung“ würde auch ohne sie funktionieren, vielleicht sogar besser. Jane Adams ist als die erfolglose Dichterin Tanya unkonventionell und authentisch. Das Potential für zukünftige Abenteuer dieses ungleichen Paars ist das wirklich beeindruckende an „Hung“. So sind auch die letzten zehn Minuten der ersten, mit 43 Minuten überlangen Folge, die besten. Hier läuft alles zusammen und die beiden beginnen zusammen ihren Marketing-Plan für Rays bestes Stück zu schmieden. Trotz der manchmal ungleichen Stärke der Handlung will man hier unbedingt wissen, wie es mit den beiden nun weitergeht. Die Pilotfolge besteht also fast ausschließlich aus dem Aufbau der Situation, in der „Hung“ wirklich beginnen kann.

Leider gibt es dementsprechend auch viele Aspekte des Piloten, die einfach nicht funktionieren und den Einstand von „Hung“ so unausgewogen machen. Anne Heche ist als Rays Ex-Frau einfach nur irritierend, was allerdings nicht nur an der schauspielerischen Leistung liegt. Letztendlich zeigt sich für Jessica und ihren Schatz, den Dermatologen, kein echtes weiteres Handlungspotential. Die beiden sind zusammen und glücklich, was Ray zwar nervt, aber was kann da noch passieren, außer dass Jessica ihm andauernd seine Schwächen aufs Brot schmiert? Der einzige Ausweg wäre eine erneute Annäherung der beiden, doch so wie Heche Jessica nun mal darstellt, will man das als Zuschauer wirklich nicht. Eigentlich könnte „Hung“ bequem ohne diesen gesamten Handlungsbogen auskommen und würde dadurch nur gewinnen.

Thomas Jane Home Box Office, Inc.

Ähnlich steht es um eine Rivalität zwischen Ray und seinem Nachbarn Howard, der in der Riesenvilla nebenan lebt. Abgesehen von dem offensichtlichen, optischen Witz, dass so ein großes Domizil neben dem kleinen Holzhaus von Rays Eltern erbaut wurde, hat der kleine Konflikt nicht viel zu bieten. Außer weiteren Nörgeleien über Rays nicht gepflegte Dachrinnen scheint da kaum was drin zu sein.

Besser steht es um die Beziehung von Ray zu seinen Kindern Damon (Charlie Saxton) und Darby (Sianoa Smit-McPhee). Die beiden kommen zwar auch recht klischeehaft als die aufmüpfigen und komplett undankbaren Teenager daher, die lediglich daran interessiert zu sein scheinen, dass ihr Vater ihnen einen gewissen Lebensstandard aufrecht erhält. Dennoch gibt es zumindest in der Beziehung zu Damon im Laufe der Pilotfolge eine interessante Annäherung. Ray versucht dessen Begeisterung für den Emo-Look mit Lippenstift und Nagellack zu verstehen und schenkt ihm dann auch seine ersten, hart verdienten 50 Dollar, damit der ein Punk-Konzert besuchen kann. Die Szene, in der Ray seinen Sohn vor der Konzerthalle aufsucht gehört sicherlich zu den rührendsten Szenen der Folge.

Was bleibt also unterm Strich von „Hung“: Potential, vor allem im Bezug auf das neue Marketing-Unternehmen von Ray und Tanya. Wie werden sie Rays Begabung an die Frau bringen? Welchen Hindernissen werden sie begegnen? Wie viel Geld werden sie verdienen? Könnten sie Ärger mit den Behörden bekommen? Wie werden Rays Kinder auf seinen neuen Beruf reagieren, falls sie es denn bald mal herausfinden? Könnte das Interesse zwischen Ray und Tanya irgendwann auch über das rein berufliche herausragen? Das sind die Fragen, die mich wieder einschalten lassen werden. Ray, Tanya und Rays Kinder als Nebenfiguren sind eigentlich alles, was „Hung“ braucht. Auf alles andere könnte das Format bequem verzichten, zumal die anderen Episoden ohnehin auf 30 Minuten begrenzt sein werden. Aber wer weiß, vielleicht gelingt es den Machern wider Erwarten ja doch noch, auch die anderen Handlungsstränge interessanter zu machen. Eine Chance zur Weiterentwicklung hat „Hung“ auf jeden Fall verdient.

Meine Wertung: 3,5/​5

Über den Autor

Ralf Döbele ist Jahrgang 1981 und geriet schon in frühester Kindheit in den Bann von „Der Denver-Clan“, „Star Trek“ und „Aktenzeichen XY …ungelöst“. Davon hat er sich als klassisches Fernsehkind auch bis heute nicht wieder erholt. Vor allem US-Serien aus allen sieben Jahrzehnten TV-Geschichte haben es ihm angetan. Zu Ralfs Lieblingen gehören Dramaserien wie „Friday Night Lights“ oder „The West Wing“ genauso wie die Prime Time Soaps „Melrose Place“ und „Falcon Crest“, die Comedys „I Love Lucy“ und „M*A*S*H“ oder das „Law & Order“-Franchise. Aber auch deutsche Kultserien wie „Derrick“ oder „Bella Block“ finden sich in seinem DVD-Regal, das ständig aus allen Nähten platzt. Ralf ist als freier Redakteur für fernsehserien.de tätig und kümmert sich dabei hauptsächlich um tagesaktuelle News und um Specials über die Geschichte von deutschen und amerikanischen Kultformaten.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Star Trek – Enterprise, Aktenzeichen XY … Ungelöst

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