TV-Kritik: „Das große Erziehungsexperiment“ – Elternsprechstunde mit Geissen und Eckes

Neue RTL-Show lädt zum Einschlafen ein

Glenn Riedmeier
Rezension von Glenn Riedmeier – 05.10.2016, 22:33 Uhr

„Das große Erziehungsexperiment“ – Bild: RTL/Guido Engels
„Das große Erziehungsexperiment“

Am Mittwochabend des 5. Oktober 2016 bescherte RTL dem deutschen Fernsehen eine der seltsamsten Shows des Jahres. Die beiden langjährigen RTL-Gesichter Oliver Geissen und die selbst schwangere Nazan Eckes führen erstmals als gemeinsames Moderatorenduo durch die zweistündige Sendung „Das große Erziehungsexperiment“. Auf unterhaltsame und liebevolle Weise – und ganz ohne erhobenen Zeigefinger – sollen Eltern in der Sendung konkrete und lebensnahe Tipps zum Thema Erziehung erhalten. Im Mittelpunkt der Show steht die Problematik vieler Eltern, ihre Kinder ins Bett zu bringen.

Für das eigentliche Experiment wird regelmäßig in zwei Wohnungen geschaltet, die in „Big Brother“-Manier mit Kameras ausgestattet wurden. Zum Zeitpunkt der Show-Aufzeichnung wollen die Eltern ihre Kinder ins Bett bringen, was ihnen in der Vergangenheit schon häufig den letzten Nerv geraubt hat. Die Eltern sind per Knopf im Ohr mit zwei Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen verbunden, die im Studio sitzen und ihnen „live“ Ratschläge zum richtigen Verhalten bei der Einschlafroutine geben. Dabei wird das Verhalten aller Beteiligten analysiert und die Eltern bekommen konkrete Anweisungen, damit es ihnen künftig besser gelingt, ihren Nachwuchs ins Bett zu bringen.

Ein Tipp lautet, dass die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern ein sogenanntes „Einschlafposter“ kreieren sollen, um eine kindgerechte Visualisierung des Einschlafrituals herzustellen. Ein anderer Trick besteht in einem Wollknäuel, das eine greifbare Verbindung zwischen Kind und Eltern herstellt. Das eine Ende des Wollknäuels wird dem Kind in die Hand gegeben, das andere Ende bis ins Schlafzimmer der Eltern gezogen. So kann sich durch gegenseitiges Ziehen am Knäuel der Anwesenheit des jeweils anderen versichert werden.

Über ihre eigenen Erfahrungen als Eltern und typische Erziehungsfragen plaudern Geissen und Eckes währenddessen mit ihren prominenten Gästen Janine Kunze, Birgit Schrowange, Sarah & Pietro Lombardi, Bürger Lars Dietrich und Thomas Heinze. Kinderpsychiater Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort ist ebenfalls im Studio und für die wissenschaftliche Betrachtung der Thematik zuständig.

In Einspielfilmen werden Einflussfaktoren auf die Schlafqualität untersucht, wie etwa welche Rolle übermäßiger Medienkosum dabei spielt. Zwischendurch werden außerdem kleinere Spielchen eingestreut. So sollen die Promis beispielsweise bestimmen, welche Lebensmittel schlaffördernd sind. Zwei Kinder erhalten zudem die Möglichkeit, vorgefertigte Kinderfragen an die Promis zu stellen, wie z.B. „Bist du berühmt?“ oder „Warum können Frauen nicht Auto fahren?“. Und als wäre das noch nicht genug, kommt mal wieder der beinahe schon in Vergessenheit geratene Lügendetektor zum Einsatz: Mütter und Väter müssen auf die schonungslosen Fragen ihrer Kinder antworten, wie etwa „Hast du schon mal Drogen genommen?“ oder „Hattest du schon mal einen One-Night-Stand?“.

Das Live-Experiment geht erwartungsgemäß positiv aus und pünktlich zum Ende der Show sind – wie von Zauberhand – alle Kinder der Testfamilien eingeschlafen.

All das ist irgendwie nett und teilweise auch aufschlussreich, dennoch schwebt über der gesamten Show die Frage: „Warum?“. Eckes und Geissen wechselten für das Format aus dem Unterhaltungs-/​Boulevard-Fach mal eben in die Servicezeit: Erziehung. Das gelingt ihnen zugegebenermaßen recht gut. Doch was hat RTL bloß dazu veranlasst, der Einschlafproblematik von Kindern derart viel Sendezeit zu widmen? Im Grunde wurde hier ein „stern TV“-Beitrag unnötig zu einer 120-minütigen Show aufgeblasen. Eltern, die unter schlaflosen Kindern leiden, haben vermutlich den einen oder anderen Tipp mitnehmen können. Alle anderen Zuschauer dürften während der Show friedlich eingeschlafen sein.

Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    Habe mal ganz kurz rein gesehen das war als die eine Familie ihre Kinder vom Sofa ins Bett bringen wollte. Dabei habe ich gedacht Herr lass Hirn regnen und umgeschalten.

    Wenn ich König von Deutschland wäre dann würden ab sofort sämtliche Erziehungsexperten zum großen Stadttor hinaus gejagt und alle Erziehungsratgeber inkl. wissenschaftlicher Pseudountersuchungen würden im Altpapier landen und zu Klopapier verarbeitet werden.

    Ab und an lese ich in Mütterforen / Babyforen und da muss man echt eine hohe Schmerzgrenze haben wenn man den ganzen Unsinn der da verbreitet wird und von dem man auch überzeugt ist überhaupt erträgt.

    Ich kann nur immer wieder sagen - jedes Kind ist ein Unikat und tickt anders und die Menschen sollten sich vielleicht mal wieder darauf besinnen was ihnen als Kind gefallen hat und was nicht und dann
    einfach im Sinne des Kindes handeln.

    Kinder sind Kinder und sollten und wollen auch so behandelt werden. Sie sind keine zu klein geratenden Erwachsene !

    Nachdenker

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