fernsehserien.de:Trotz des Booms hat deutsche Comedy immer noch nicht den besten Ruf. Oft hört und liest man, dass die deutschen Comedians nicht an Künstler aus den USA herankommen würden. Sind die Unterschiede wirklich noch so groß?
Michael Mittermeier: Natürlich sind Programme von Leuten wie Bill Burr, Dave Chappelle, Patton Oswalt oder auch Deon Cole herausragend. Allerdings hat Stand-up-Comedy in den USA einfach eine viel längere Geschichte und Tradition, deshalb wird der Vergleich mit Deutschland immer hinken. Aber hierzulande hat sich gerade in den letzten Jahren echt viel getan. Es gibt fantastische Stand-up-Szenen – ob in Berlin oder auch in München, wo es inzwischen an sieben Tagen pro Woche Open-Mic-Möglichkeiten gibt. Auch aus der Poetry-Slam-Szene kommen immer mehr großartige Leute, wie zum Beispiel Torsten Sträter, Lisa Eckhart, Hazel Brugger und Felix Lobrecht. Und auch in der nächsten Garde an Künstlern gibt es herausragende Talente wie Kawus Kalantar oder Till Reiners. Letztendlich bleibt alles Geschmackssache. Es gibt Künstler, mit denen ich rein gar nichts anfangen kann, die aber für andere Leute die Größten sind – und allein dadurch hat jeder seine Berechtigung. Meine Empfehlung ist: Schaut nicht immer nur das, was euch als das Größte überhaupt verkauft wird.
Sie haben gerade viele Namen von Kollegen lobend erwähnt. Offensichtlich gibt es bei Ihnen kein Konkurrenzdenken?
Michael Mittermeier: Nein, ich freue mich, dass sich die Szene so toll entwickelt hat. Ich fand es zu Zeiten von „Zapped!“ und „Back to Life“ eher befremdlich, dass so lange niemand nachgekommen ist. Ich habe immer darauf gewartet, aber bis Mitte der 2000er hat sich da wenig getan, weil wir noch keine funktionierende Club-Szene in Deutschland hatten. Aber dann ging es so richtig los mit Mario Barth, Kaya Yanar, Bülent Ceylan … Und heute rocken Luke Mockridge und Carolin Kebekus die Arenen – weil sie einfach gut sind!
Michael Mittermeier im Quatsch Comedy Club ProSieben
Gerade in Deutschland wird immer wieder darüber gestritten, was Humor darf und wo die Grenzen der Satire liegen. Ende 2019 war allem Anschein nach das größte Problem Deutschlands ein „Umweltsau“-Lied. Allgemein geraten Kabarettisten immer wieder in die Kritik und sehen sich Shitstorms ausgesetzt. Sind die Deutschen überempfindlich, was Humor angeht?
Michael Mittermeier: Deutschland hatte schon immer ein schräges Verhältnis zum Humor und es wird wahnsinnig viel darüber diskutiert, ob man über etwas Witze machen darf. Das ist allerdings kein neues Phänomen. Das begleitet mich seit 30 Jahren – oder sogar noch länger. Mal ist es die Umweltsau, und dann wieder etwas anderes. Seit ich denken kann, wird Comedy einmal pro Jahr hoch- und wieder runtergeschrieben. Deshalb kann ich das meiste davon nicht mehr ernst nehmen. Humor ist Geschmackssache, aber wenn jemand sagt: „Darüber darf man keine Witze machen“, drückt er aus, dass ein Satiriker nicht mehr frei entscheiden können soll, über was er seine Jokes machen darf. Aber wer bestimmt darüber? Es liegt immer, wirklich immer, in der Wahrnehmung eines Betrachters, ob ein Witz zu weit geht. Niemand sollte darüber entscheiden, was Humor darf.
Im letzten Jahr lief mit „Mittermeier!“ Ihre erste eigene Fernsehshow. Das ist durchaus ungewöhnlich, wenn man bedenkt, wie lange Sie schon im Geschäft sind. Warum gab es nicht schon früher eine TV-Show von Ihnen?
Michael Mittermeier: Ich habe mich immer als purer Stand-up-Comedian gesehen. Deshalb habe ich auch nie eine Fernsehserie oder einen Kinofilm gedreht. Angeboten wurde mir das alles, aber ich habe es abgelehnt. Ich habe stattdessen Projekte gemacht, die nichts mit Ruhmvermehrung zu tun hatten, zum Beispiel meine Dokumentationen, die ich in Kanada, Burma und Südamerika gedreht habe. Die waren mir als Künstler wichtig und haben wahnsinnig viel Energie gekostet, aber in der Wahrnehmung waren sie natürlich nicht so groß wie eine wöchentliche TV-Show. Wenn ich etwas in der Richtung mache, war mir klar, dass es im Prinzip ein Late-Night-Stand-up sein muss. Die vierteilige Show „Mittermeier!“ im letzten Jahr war zu 80 Prozent Stand-up, mit nur einem Einspieler und einem Gast. Ich will nur Dinge tun, auf die ich Bock habe – und diese Show hat mir großen Spaß gemacht.
„Mittermeier!“ – Die Show im Ersten BR/Ralf Wilschewski
In „Zapped!“ haben sich sich als TV-Junkie geoutet, deshalb darf eine Frage nicht fehlen: Welche Serien oder Sendungen haben Ihnen im Fernsehen oder auch bei Streamingdiensten zuletzt gefallen?
Michael Mittermeier: Wie alle anderen habe ich natürlich „Haus des Geldes“ gesehen! Ich fand allerdings auch die neue Serienversion von „Das Boot“ extrem gelungen, obwohl ich sehr skeptisch rangegangen bin. Aber es ist verdammt gut geschrieben – und vor allem haben ganz viele tolle junge, unverbrauchte deutsche Schauspieler mitgespielt. Die erste deutsche Netflix-Serie „Dark“ kann ich auch nur empfehlen. Und obwohl ich zuvor nur Schlechtes darüber gelesen habe, habe ich mir auf Empfehlung eines Freundes „Hunters“ auf Amazon Prime angesehen – und ich mochte das sehr! Ich kann die schlechten Kritiken nicht nachvollziehen. Würde da der Name Tarantino draufstehen, würden es sicher alle abfeiern. Es muss auch nicht jede Serie einen tieferen Sinn und Zweck haben – auch nicht der „Tiger King“, den plötzlich alle gucken. Was ich außerdem großartig fand, ist Bruce Springsteen live am Broadway. Selbst wenn man kein Springsteen-Fan ist: Schaut euch das bei Netflix an – und ihr seht einen Künstler, der einem sein Leben anhand seiner Songs erzählt. In einem kleinen Theater vor knapp 300 Leuten gräbt er so tief in seiner Seele, wie ich es selten bei jemandem auf der Bühne gesehen habe! Hilarious!
Vielen Dank für das sympathische Gespräch und alles Gute!
Glenn Riedmeier ist seit Anfang 2013 als Journalist bei fernsehserien.de tätig und dort vorrangig für den nationalen Bereich zuständig. Er schreibt News rund um das aktuelle Fernsehgeschehen und verfasst Kritiken, vor allem zu relevanten Starts aus der TV-Unterhaltung. Darüber hinaus führt er Interviews mit bekannten TV-Persönlichkeiten. Unter anderem sprach er bereits mit Bastian Pastewka, Jürgen Domian, Stephanie Stumph, Fritz Egner, Jochen Bendel, Beatrice Egli, Collien Ulmen-Fernandes, Carolin Kebekus und Torsten Sträter. Des Weiteren verfasst er zu besonderen Anlässen wie Jubiläen von TV-Sendern oder -Formaten ausführliche Rückblicke und Specials – aus einem nostalgischen und zugleich kritisch-informierten Blickwinkel. Schon seit frühester Kindheit war der 1985 geborene Münchner vom Fernsehen fasziniert. Am Wochenende stand er freiwillig früh auf, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Seine Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben. Darüber hinaus begeistert er sich für Gameshows wie „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“ und ist mit hoher Expertise gleichzeitig Fan und kritischer Beobachter der deutschen Schlagerwelt. Auch für Realityformate wie „Big Brother“ und „Die Verräter“ hat er eine Ader – auf rein krawalliges Trash-TV kann er dagegen verzichten. Im Comedy-Bereich begeistert er sich vor allem für Sitcoms, Stand-up-Comedy und Late-Night und hält diesbezüglich auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den USA offen.