Hollywoods Film- und Fernsehindustrie blickt drohendem Streik entgegen

Tarifverhandlungen um die Zukunft der Industrie

Bernd Krannich
Bernd Krannich – 27.02.2023, 12:00 Uhr

Beginnen demnächst Tarifverhandlungen: WGA und AMPTP – Bild: WGA/AMTPT
Beginnen demnächst Tarifverhandlungen: WGA und AMPTP

In den letzten Monaten hat sich in Hollywood die Angst vor einem umfassenden Streik in der Film- und Fernsehindustrie breitgemacht. Für den Zug, der scheinbar unaufhaltsam auf eine Kollision zurast, wurden nun einige terminliche Details bekannt.

Hollywood und die (ohn-)mächtigen Gewerkschaften

Die großen Tarifverträge in der US-amerikanischen Film- und Fernsehindustrie werden in der Regel alle drei Jahre neu verhandelt – und kommen auch immer mit einem entsprechenden Ablaufdatum daher. In diesem Jahr läuft der Tarifvertrag der Autoren (Writers Guild of America; WGA) am 1. Mai aus. Das gilt als neuralgisches Datum, zu dem ein Streik beginnen könnte (die WGA würde ihre Mitglieder in einer Urabstimmung um Streikautorisierung bitten). Am 30. Juni laufen die jeweiligen Verträge der Schauspieler (SAG-AFTRA) und der Regisseure (Directors Guild of America; DGA) aus.

Alle drei Gewerkschaften verhandeln daher in diesem Jahr um neue Verträge mit der AMPTP, der Alliance of Motion Picture and Television Producers. Die ihrerseits hat im Wesentlichen nur eine Verhandlungsgruppe, verhandelt also nacheinander mit den drei großen Gewerkschaften. Da der Vertrag der Autoren (WGA) als erstes ausläuft, wurde vergangene Woche bestätigt, dass sich die Produzenten am 20. März erstmalig mit den Autoren treffen. Es ist üblich, dass der erste neue Tarifvertrag dann auch immer eine Signalwirkung hat, was gewisse Rahmenbedingungen der neuen Abschlüsse anbelangt.

Im Gegensatz zum deutschen Unterhaltungsbusiness sind die US-Gewerkschaften durchaus einflussreich und können mit einem Streikaufruf das Milliardengeschäft in Hollywood ausbremsen.

Dazu kommt, dass durch bestreikte Produktionen natürlich auch diverse andere Berufsgruppen nicht bezahlt werden – Handwerker, Make-up, Catering, die Buchhaltung und auch erste Hilfe: Man muss sich einfach nur mal den Abspann einer Serienepisode genauer anschauen.

Die Tarifverträge ins Streamingzeitalter bringen

Schon länger monieren die Autoren der WGA, dass sich in den vergangenen Jahren und gar Jahrzehnten die Arbeits- und Verdienstbedingungen deutlich verschlechtert haben und es immer schwerer wird, eine finanziell haltbare „Karriere“ als TV-Autor zu unterhalten – in einem Berufsleben mit viel Leerlauf genug für den Ruhestand zu verdienen und auch immer wieder genug als Autor zu arbeiten/​zu verdienen, um sich dauerhaft für die gewerkschaftlich organisierte Krankenversicherung zu qualifizieren (deren Einnahmen ebenfalls aus dem Tarifvertrag kommen).

Die geänderten „Einnahmeströme“ spielen hier bei den anstehenden Verhandlungen eine große Rolle. „Früher“, in den Zeiten des linearen Fernsehens, bedeutete eine Anstellung bei einer Serie für einen Autor zunächst einen „Job für ein Jahr“; bei der Serie entstanden dabei 22 Folgen und der Autor konnte seinen Namen unter mehrere Drehbücher einer Staffel setzen. Daneben verdiente ein Autor auch an den Wiederholungen „seiner“ Episoden im Fernsehen – was im Tarifvertrag festgeschrieben ist.

Im Streaming-Zeitalter sind Serienstaffeln nur noch acht bis zwölf Folgen lang, Arbeitsprozesse sind anders und längerfristiger: Ein Autor kann bei ähnlichem Aufwand nur weniger Drehbücher für sich beanspruchen. Und vor allem bleiben Einnahmen aus „TV-Wiederholungen“ aus, während die Tarifabschlüsse vergangener Jahre den Autoren keine adäquate Entlohnung für Streaming ihrer Serien gebracht haben. Noch nicht einmal die zwischenzeitliche Periode, in denen DVD-Verkäufe eine wichtige Einnahmequelle waren, wurde in den Tarifverträgen umgesetzt – so die These der Autoren. Kurzum: Die Branche hat sich massiv verändert, aber die neuen Methoden, über die Geld verdient wird, werfen für die Autoren (und auch die Schauspieler) nichts ab.

Bereits vor drei Jahren ging daher das Streikgespenst um. Doch dann kam Corona – und die Gewerkschaften verzichteten auf einen harten Arbeitskampf, da der Industrie durch Produktionsunterbrechungen und Kinoschließungen das Geld fehlte; Krankenversicherung war wichtig, die Karriereplanung eher weniger.

Streik-Erwartung und Streik-Vorbereitung

Wie im Frühjahr 2007 droht erneut ein Arbeitskampf zwischen den Autoren der WGA und der AMPTP. Damals kam es zu einem knapp 100-tägigen Streik, bei dem sich die Schauspieler mit den Autoren sympathisierten und deren Streik nicht unterliefen.

Auch in diesem Jahr scheint ein Streik unumgänglich, da die Gewerkschaften darauf drängen, endlich Weichen für die Zukunft zu stellen und es um grundlegende Entscheidungen und viel Geld geht.

Betroffen davon dürften auch die großen Sender in den USA sein: Die verkünden eigentlich Mitte Mai ihr neues Programm für den Herbst („Upfronts“) – und unmittelbar danach nehmen in der Regel die Produzenten der neuen Serien(-staffeln) mit den Autoren die Arbeit auf, um die jeweiligen Staffeln zu planen. Im jährlichen Zyklus der US-Serienproduktion beginnen die Dreharbeiten der neuen Serienstaffeln in der Regel „Mitte Juli“, damit diese ab Ende September ausgestrahlt werden können.

Wie gesagt, es herrscht die Erwartung eines Streiks. Die US-Sender stellen sich unterschiedlich darauf ein. Dadurch, dass in diesem Jahr viele der neuen Serien die Verlängerung für eine zweite Staffel erhalten haben wurden nur extrem wenige neue Serienpiloten bestellt.

Die Zeiten, wo einzelne Sender mehr als ein Dutzend Serienpiloten beauftragt hatten sind sowieso schon lange vorbei – in diesem Jahr haben ABC, CBS und NBC zusammen nur 13 Pilotfolgen beauftragt. The CW befindet sich unter neuer Eigentümerschaft im Umbau und hat keine fiktionalen Serienpiloten beauftragt, während FOX aktuell ebenfalls keine Serienpiloten bestellt, sondern darauf setzt, nach der Ausarbeitung mehrerer Drehbücher eine direct-to-series-Bestellung abzugeben.

Einige Sender haben in diesem Frühjahr eigentlich bereits sendefertige Serienprojekte im Archiv gelassen, um sie erst im Herbst auszustrahlen – auch das wird als Streikvorbereitung gesehen. Dazu zählen „The Never Game“ (CBS) und „Found“ (NBC). Auch die frühzeitige Bestellung einer nur kurzen dritten Staffel von „La Brea“ (fernsehserien.de berichtete) wird als Streikvorbereitung gesehen. FOX hat daneben einige neue animierte Serien, die man eigentlich wohl im Sommerprogramm zeigen will, die man aber ebenfalls im Fall eines Streiks für den Herbst zurückhalten könnte („Krapopolis“, „Grimsburg“).

Daneben halten sich wohl mehrere Sender die Option offen, Formate, die bisher nur bei Streamingdiensten ihrer Unternehmen liefen, auch ins lineare Fernsehen zu holen (Disney+ für ABC, Paramount+ für CBS, Peacock für NBC).

Und schließlich gibt es noch die Option, zusätzlich Serien aus Kanada, dem Vereinigten Königreich oder Australien einzukaufen. Zusätzlich können auch Reality-Formate und Spielshows Programmlücken im Herbst schließen.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Vielen Dank für den interessanten Beitrag!

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