Folge 145

  • Romantisch Glotzen für Fortgeschrittene

    Folge 145
    Sonnenuntergang! Kerzenschein! Amore! Damit kann man alles verkaufen: von der Pauschalreise bis zur Tiefkühlpizza. Aber auch die historische Romantik vernebelt uns bis heute gehörig die Sinne. Die Folgen: Beziehungsunfähigkeit, Volkstümelei und Irrationalismus. Wer den IS verstehen will, muss nicht den Islam studieren, sondern die Deutsche Romantik lautet eine These des indischen Denkers Pankaj Mishra. Führt die romantische Sehnsucht in den Abgrund? In seinem Bestseller „Das Zeitalter des Zorns“ widmet sich Mishra unter anderem dem romantischen Nationalismus der Deutschen im 19. Jahrhundert.
    Herder und Fichte hätten einen „Heiligen Krieg“ gegen den aufgeklärten Westen in Gestalt Napoleons propagiert, sagt er, und gegen die Zumutungen der Moderne. Damit seien sie die ersten Dschihadisten der Weltgeschichte – und ganz nebenbei auch die Vordenker der antidemokratischen Retropisten unserer Zeit. Sind die schwärmerischen Romantiker, die verträumten Dichter und Denker, die „Wanderer über dem Nebelmeer“ doch nicht so harmlos, wie wir dachten? Zumindest haben sie uns eines gründlich versaut, sagt Alain de Botton: Unsere Beziehungen.
    Der Philosoph, Ratgebergott und Gründer der Londoner „School of Life“ zerpflückt das romantische Liebesideal, bis nichts mehr davon übrig ist: Die reine und wahre Liebe zu einer einzigen, perfekt passenden Person – erkennbar nur am „Bauchgefühl“ und am besten auf den „ersten Blick“- diese Liebe, die dann ein Leben lang anhält, keinerlei Worte bedarf und sexuelle
    Anziehung für immer garantiert … Logisch, dass unsere Beziehungen an diesem Anspruch zerbrechen müssen.
    So wie auch schon Madame Bovary und Anna Karenina unter die Räder gerieten. Auch das ist ein Merkmal romantischer Sehnsucht: Sie ist per Definition unerfüllbar. Und der perfekte romantische Held – ist ein toter Held. So wie in E.T.A Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ von 1816. Da verfällt der Student Nathanael in Liebe zu einer mechanischen Gliederpuppe. Erst als der Puppe wie früher in den Sandmann-Geschichten seiner Mutter – die Augen ausgerissen werden, erkennt Nathanael, dass er einen Automaten liebt, wird wahnsinnig und stürzt in den Tod.
    Der Theatermagier Robert Wilson hat diesen Text der schwarzen Romantik in Düsseldorf bildgewaltig auf die Bühne gebracht. Tausende Augen starren dem Zuschauer und selbst der Vollmond ist bei Wilson ein Augapfel. Doch klar sehen kann Nathanael deswegen noch lange nicht. Er ist blind vor romantischer Liebe ein Produkt seiner eigenen Langeweile.
    „Es muss halt jeder einmal untergehen“ textet die Wiener Band „Wanda“, heute zu Gast auf dem „Kulturpalast“-Sofa. Sie verschwenden sich, rauchen, saufen, lieben, ohne ein anderes Programm als die Sehnsucht selbst. „Wir sind nicht die Typen, die gegen irgendwas rebellieren müssen“, sagt Marco Michael Wanda. „Wenn überhaupt, dann ist unser ganzes Tun ein Aufbegehren gegen die Langeweile.“ Wenn dem so ist, dann müsste es doch eigentlich längst an der Zeit sein, die Duft-Kerzen auszupusten und mal so richtig schön unromantisch zu werden. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 21.10.20173sat

Cast & Crew

Sendetermine

Sa 21.10.2017
19:30–20:00
19:30–
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