„Die Läusemutter“: Das finden wir nicht komisch, das ist nur ganz besonders – Review

Neue Sat.1-Comedyserie „dokumentiert“ ganz alltäglichen Schulwahnsinn

Gregor Löcher
Rezension von Gregor Löcher – 07.02.2020, 14:47 Uhr

Das Ensemble der „Läusemutter“ – Bild: Sat.1/Frank Dicks
Das Ensemble der „Läusemutter“

Bereits seit einem guten halben Jahr ist die deutsche Comedyserie „Die Läusemutter“ bei Joyn für die Zuschauer streambar, ab heute Abend (7. Februar, 21:20 Uhr) erfolgt nun auch die lineare Ausstrahlung in Sat.1 – im Anschluss an „Think Big!“, welches ebenfalls seine lineare Premiere feiert. Die Rückkehr des Bällchensenders zum einstmals etablierten Comedyserien-Freitag („Pastewka“, „Ladykracher“) kommt ebenso überraschend wie die Platzierung der Serien zur Primetime, anstatt wie früher gegen 22 Uhr. Gezeigt werden beide halbstündigen Formate jeweils im Doppelpack, was in Zeiten von Bingewatching keine Überraschung mehr darstellt. Durch die zeitlich weit vor der linearen Ausstrahlung liegende Webverfügbarkeit erinnert der Werdegang der „Läusemutter“ an die Serie „Schwester, Schwester“ vom Konkurrenten RTL – da hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf.

Im neuen Sat.1-Format, das die Adaption einer niederländischen Serie ist, geht es um die frisch geschiedene Hannah (Pina Kühr), die ihre Tochter an der neuen „Glücksbaum-Grundschule“ abliefert und schnell erkennen muss, dass sie als „die neue Mutter“ in der Hierarchie erst einmal ganz unten anfangen muss – als die titelgebende „Läusemutter“, die die Schulkinder auf Läuse zu untersuchen hat. Sie teilt sich diese Aufgabe mit dem hingebungsvollen Vater Stefan, gespielt von „Pastewka“-Veteran Michael Kessler. Weitere Mütter sind unter anderem Mel (Tanya Erartsin) und Kim (Nadja Zwanziger), die jedoch zu jung sind, um Hannahs Anspielung auf das gleichnamige Popduo verstehen zu können; die zu verbalen Wutausbrüchen neigende Ursula (Isabella Schmid); sowie die unglückliche Doris (Petra Nadolny, „Switch“), deren Kinder inzwischen gar nicht mehr auf die Schule gehen, die sich aber dennoch weiterhin engagiert, um Schulleiter Anton (Alexander Schubert, „ … und dann noch Paula“) nahe zu sein. Letzterer ist aber eher ein Würstchen denn eine Führungsperson – weder Schülern, noch Eltern, noch dem Lehrerpersonal hat er etwas entgegenzusetzen. Dies gilt namentlich für Anke (Antje Widdra, „Der Lehrer“, „Sekretärinnen“), in deren Klasse Hannahs Tochter geht. Ihren Vorgesetzten und ihre Schulkinder hat die Grundschullehrerin im Griff, die zugehörigen Eltern aber eher weniger. Mit Ankes Maß an Engagement kann ihre resignierte Kollegin Inge (April Hailer, „Wie bitte?!“) hingegen wahrlich nicht mithalten.

Beäugt argwöhnisch ihr neues Einsatzgebiet: Hannah (Pina Kühr) Sat.1/​Frank Dicks

Die „Läusemutter“ ist im Mockumentary-Stil gedreht, wirkt also wie eine Parodie auf Dokumentationen, insbesondere wenn sich die Protagonisten in zwischengeschnittenen Interviewsequenzen direkt an die Kamera richten. Bekanntestes Beispiel für dieses Konzept ist in Deutschland nach wie vor „Stromberg“, von dem sich der Rektor Anton P. Immelmann einiges abgeschaut zu haben scheint in Sachen Selbstüberschätzung, mangelnden sozialen Fähigkeiten und Plumpheit in Liebesangelegenheiten. Die Erstausstrahlung der letztgenannten Sendung ist allerdings bereits 16 Jahre her, sodass es überrascht, nach all der Zeit eine neue Produktion zu sehen, die die inzwischen aus der Mode gekommene Mockumentary-Machart wieder aufgreift. Gleichwohl funktionieren nach wie vor die Vorzüge, die dieser Stil zweifelsohne hat: Als Zuschauer wähnt man sich inmitten des Geschehens; die Protagonisten sind keine Kunstfiguren auf einem fern scheinenden Bildschirm – vielmehr fühlt es sich an, als könne man ihnen beim nächsten Betreten einer beliebigen Grundschule so oder so ähnlich wirklich begegnen – trotz der im Comedybereich üblichen Überzeichnung der Charaktere.

Show Stealer ist zweifellos Antje Widdra als sehr spezielle Lehrkraft Anke – ihre Verzweiflung angesichts der Helikoptereltern ist nachvollziehbar, ihr Umgang mit Minderheiten ebenso gut gemeint wie fehlgeleitet: Das finden wir nicht komisch, das ist nur ganz besonders. Das bekommt unter anderem das schwule Väterpaar Walter (Andreas Birkner, „Der Bulle und das Landei“) und Thomas (Jerry Kwarteng, „Call the Boys“) zu spüren, deren Adoptivtochter ebenfalls in Ankes Klasse geht. Besonders gehen der Lehrerin Eltern auf die Nerven, die ihr Kind nicht einfach im Klassenzimmer abliefern, sondern sich stattdessen noch ewig auf dem Schulflur herumdrücken und ihren Kindern durch die Fensterscheibe zuwinken. Das aus diesem Grund eingeführte „Winklicht“, welches den begriffsstutzigen Erzeugern signalisieren soll, wann Winken erlaubt ist und wann nicht, ist eine daraus resultierende komische besondere Folge. Am vernünftigsten sind die wahren Leidtragenden des alltäglichen Wahnsinns – die Kinder. Sie sind Spielball und Versuchskaninchen verschiedener Erziehungskonzepte, diverser Seil- und Feindschaften der Eltern unter- und miteinander, und redlich bemüht, nicht noch mehr Drama in den Schulalltag zu bringen als ohnehin bereits vorhanden. Und davon gibt es reichlich:

Sturm Schuppen der Liebe: Doris (Petra Nadolny) und Anton (Alexander Schubert) Sat.1/​Frank Dicks

Anton und Doris hatten laut Flurfunk ein Stelldichein im Schuppen der Schule – Doris möchte anscheinend daran anknüpfen, weshalb ihr Anton fortwährend aus dem Weg geht. Dieser sieht seine vermeintliche Rolle als Platzhirsch gefährdet, als der traumatisierte Ex-Soldat Volker (Tobias van Dieken, „Väter allein zu Haus“) als Hausmeister eingestellt wird. Schnell wird klar, dass dieser in allen Bereichen, in denen Anton hoffnungslos überfordert ist (also mit anderen Worten in allen Bereichen), weit mehr Kompetenz besitzt – eine Szene, in der Volker aufmüpfige Schüler, Eltern und Lehrer gleichermaßen besänftigt, erinnert gar an den Rattenfänger von Hameln. Und somit bemüht sich Anton alsbald, den ursprünglich nur wegen der Aussicht auf höhere Fördergelder eingestellten jungen Mann wieder loszuwerden.

Im Vergleich zu den genannten eher schrillen Charakteren wirken „Läusemutter“ Hannah und „Läusevater“ Stefan zumindest in den ersten Folgen relativ blass, ebenso wie Lehrerin Inge. Kessler und Hailer haben ihr komödiantisches Talent in der Vergangenheit hinlänglich unter Beweis gestellt, sodass zu hoffen bleibt, dass sie dieses auch hier noch zum Einsatz bringen können. Gelegenheiten hierzu sollten genug vorhanden sein: Welch vortrefflicheres Setting als eine Grundschule kann man sich vorstellen, in der – aufgrund des Einzugsgebiets – Personen verschiedener Herkunft und Lebensmodelle zusammengewürfelt werden und dann – im Interesse ihrer Kinder, aber auch ihrer selbst – versuchen müssen, sich einerseits zu behaupten und andererseits auch mit den anderen auszukommen? Wo Schule und Lehrer den Anforderungen an Inklusion gerecht werden sollen und dabei zwangsläufig die Eltern ihrer Schützlinge aufgrund entgegenstehender Vorstellungen auch mal vor den Kopf stoßen müssen? Und wo all diese Aufgaben von leidlich perfekten und teilweise auch sehr unperfekten Personen wahrgenommen werden (müssen)?

In Angelegenheiten der Diversität oftmals etwas ungelenk: Anke (Antje Widdra) Sat.1/​Frank Dicks

Schule ist ein Minenfeld, das macht die Serie mehr als deutlich – und transportiert diese Message vortrefflich in Form einer Komödie. Neu sind derlei Beobachtungen freilich nicht – man denke an die Folge von „Fresh Off the Boat“, in der, um den Weihnachtsmann frei von Geschlechts- und Religionszugehörigkeit zu machen, schließlich ein gesichtsloser Blob namens „Entity“ den Kindern in der Schule frohe Weihnachten wünschen soll. Und doch bringt „Die Läusemutter“ die Herausforderungen des schulischen Mikrokosmos in der heutigen Zeit auf den Punkt wie kaum eine Serie vor ihr. Entsprechend hoch war auch der Marktanteil der niederländischen Vorlage „De Luizenmoeder“ – es gab Traumquoten von bis zu 40 Prozent. Bleibt abzuwarten, ob auch die Adaption bei den deutschen Zuschauern punkten kann. An der Umsetzung soll es nicht scheitern.

Dieser Text basiert auf Sichtung von zwei Folgen der zehnteiligen ersten Staffel von „Die Läusemutter“.

Meine Wertung: 4/​5

Sat.1 zeigt „Die Läusemutter“ als Free-TV-Premiere ab dem 7. Februar immer freitags um 21:20 Uhr. Die erste Staffel wurde zuvor schon bei Joyn veröffentlicht und umfasst zehn Episoden.

Über den Autor

Gregor Löcher wurde in den späten 70er-Jahren in Nürnberg geboren und entdeckte seine Leidenschaft für Fernsehserien aller Art in den 80er-Jahren, dem Jahrzehnt der Primetime-Soaps wie dem Denver Clan und Falcon Crest, was ihn prägte. Seitdem sind Faibles für viele weitere Serien und Seriengenres hinzugekommen, namentlich das der Comedyserie. Seit 2008 ist er als Webentwickler für fernsehserien.de tätig und hat zum Glück nach wie vor die Zeit, sich die eine oder andere Serie anzusehen.

Lieblingsserien: UFOs, Die Brücke, Will & Grace

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