Bei schönem Wetter stellt sich Kuni Ross einen Stuhl auf ihren kleinen Balkon und genießt die Aussicht. Von dort hat die 91-Jährige einen freien Blick auf Köln und auf die Bahn. Denn direkt hinter dem Haus in dem sie seit 53 Jahren lebt, verläuft eine viergleisige Schienenstrecke. An den Krach der vorbei fahrenden Züge hat sich Kuni Ross längst gewöhnt. „Wenn sie nicht mehr da wären, würde mir etwas fehlen.“ Als sie 1958 einzog, fuhren noch Dampfloks und am Wochenende standen Güterzüge mit Schlachtvieh oft stundenlang vor ihrer Haustür. „Da konnten wir die frischen Eier direkt aus dem Waggon kaufen.“ Auch Renate und Paul Mikolajczyk leben seit mehr als 40 Jahren mit quietschenden Güterzügen und vorbei rauschenden ICEs. Und noch immer bekommen die
beiden Fernweh, wenn sie einem Autoreisezug nachschauen oder die bunten Containeraufschriften laut mitlesen. Paul Mikolajczyk holt sich von der Strecke außerdem viele Anregungen für seine Modelleisenbahn. In vielen Städten führen Bahngleise direkt an Wohngebieten vorbei, manchmal sogar so dicht, dass Lokführer Detlev Streppel weiß, wer sich einen neuen Fernseher geleistet oder den Lebenspartner gewechselt hat. Als echter Eisenbahner hat er sich natürlich auch ein Haus direkt an der Strecke gebaut. Die einen suchen die Nähe zur Bahn, andere versuchen ihr zu entkommen. Die „Hier und Heute“-Reporterin Marion Försching ist Menschen begegnet, die an einer Bahnstrecke wohnen oder arbeiten, dort in ihrem Schrebergarten sitzen oder Liebesschlösser aufhängen. (Text: WDR)