Staffel 2, Folge 2

  • 13. Transsexualismus – von der Freiheit sich selbst zu leben (2)

    Staffel 2, Folge 2 (15 Min.)
    Bis vor einem knappen Jahr hieß Hannah in unserem Freundeskreis noch Oliver. Sie hatte einen männlichen Körper, war „als Junge“ geboren worden und versuchte sich zeitlebens mit ihrem äußerlichen Geschlecht und der zugehörigen Rolle zu identifizieren.
    Ich habe eine gute Freundin, sie heißt Hannah. Wie das unter Freunden ist, verbinden uns nicht nur unzählige lustige gemeinsame Erlebnisse. Es gibt auch „innere Themen“, die uns beide gleichermaßen beschäftigen und über die wir uns regelmäßig austauschen. Für Hannah und mich sind das beispielsweise Selbstakzeptanz, oder etwas höher gegriffen Selbstliebe, aber auch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Prädikten lässt uns immer wieder in spannenden Gesprächen die Zeit vergessen.
    Bis vor einem knappen Jahr hieß Hannah in unserem Freundeskreis noch Oliver. Sie hatte einen männlichen Körper, war „als Junge“ geboren worden und versuchte sich zeitlebens mit ihrem äußerlichen Geschlecht und der zugehörigen Rolle zu identifizieren. Als „Oli“ lebte sie bis noch vor etwa zwei Jahren, bis zu ihrem 29 Geburtstag, das scheinbar ganz normale Leben eines jungen Mannes: Oli hatte einen guten Job bei Bloomberg in London, sah hervorragend aus, hatte eine hübsche Freundin, einen großen Freundeskreis und ein liebevolles Elternhaus. „Er“ war regelmäßig in den Bergen unterwegs, ging seiner Leidenschaft, dem Free-Riding nach oder kletterte im Sommer anspruchsvolle Touren.
    In Oli’s Innerem sah es jedoch anders aus und lange Zeit wusste das niemand von uns. „Er“ konnte sich einfach nicht vorstellen, in dieser Lebensweise als „glücklicher Mann“ seinen dreißigsten Geburtstag zu feiern, aber er wusste nicht, weshalb. Was sollte denn fehlen, was passte nicht? Immer wieder suchten Oli depressive Gefühle heim, eine tiefe Traurigkeit, deren Ursprung er nicht zuordnen konnte. Sicher, da gab es ein Thema, das ihn umtrieb, aber konnte das wirklich der Grund für die regelmäßig wiederkehrende Niedergeschlagenheit sein?
    Dann, eines abends im letzten Jahr stand Oli vor der Entscheidung seines Lebens. „Er“ fühlte, dass es keine Alternative, kein „Wegducken“ mehr gab und die Erkenntnis erschlug ihn: Entweder er würde sein Inneres zulassen, die Tatsache, dass er sich seit seiner frühen Kindheit eigentlich als ein Mädchen und später als eine Frau fühlte. Oder er würde so nicht weiterleben können.
    In diesem Moment wurde Oli bewusst, dass sein jahrelanges Unwohlsein, die Niedergeschlagenheit und das Gefühl von Sinnlosigkeit aus dieser Richtung rührten. Für diese Erkenntnis gab es keinen „äußeren Anlass“. Die „Gewissheit“ tief in Seele verankert und über lange Zeit verborgen und verdrängt hatte sich einfach ihren Weg gebahnt. Wie Wasser, ein unterirdischer Fluss, der eines Tages an die Oberfläche dringt, trat diese Erkenntnis in Oli’s Bewusstsein. Ohne Rücksicht darauf, ob seine Seele nun stark genug sein würde, sich dieser Aufgabe zu stellen, die Angst und Scham zu überwinden.
    Seit unserem gemeinsamen Drehtag für PING PONG sind mittlerweile zehn Monate vergangen. „Oli“ habe ich quasi vergessen. Vor mir steht Hannah und es würde mir Traum nicht mehr einfallen, sie mit einem männlichen Pronomen anzusprechen. Wenn wir uns gemeinsam an den Dreh erinnern oder ein paar Szenen aus dem Rohmaterial anschauen, ist es uns, als schauten wir durch einen Zeittunnel: Auch wenn zehn Monate faktisch keine lange Zeit sind, ist in diesem Abschnitt viel passiert. Dass Hannah
    ihre Hormontherapie angefangen hat und nun die Haare lang trägt, sind nur äussere Anzeichen dafür, dass sie im Inneren unzählige Schritte weiter ist, auf dem Weg zu sich selbst.
    Das Schicksal transsexuell zu sein, scheint mir – in unserer gegenwärtigen Gesellschaft – eine der größten Herausforderungen in Sachen Selbstakzeptanz und Selbstliebe zu sein. Es gilt sich selbst anzunehmen und der eigenen inneren Wahrhaftigkeit einen Weg zu bahnen. Zweifelsohne gibt es auf diesem Weg ettliche Hindernisse zu überwinden, zunächst in der inneren Auseinandersetzung mit sich selbst und im nächsten Schritt dann auch mit der Umgebung, dem was wir „Gesellschaft“ nennen. Aber es ist eben ein gangbarer Weg, der, laut Hannah, mit jedem Schritt nach vorne erfüllender und echter wird, bis „der beschwerliche Teil der Weges“ in der Erinnerung immer mehr verblasst.
    Ich bewundere Hannah für ihre radikale Offenheit in Bezug auf das Thema und ich bin ihr auch dankbar dafür. Zum einen hat sie mir ermöglicht, ein Stück weiter zu kommen auf dem Weg, Erkenntnisse über unsere Geschlechterkonstruktionen zu sammeln. Sie erinnert mich auf eine sehr schöne Weise daran, dass Geschlecht vorallem das ist, wie ein Mensch sich selbst erlebt und im Inneren erfährt und weniger das, was das, was wir auf Grund äußerlicher Merkmale zuschreiben, in unserem Drang die Vielfalt der Natur möglichst übersichtlich zu ordnen. Zum anderen bewundere ich sie für ihre Geduld und ihr Verständnis, auch in flüchtigen Begenungen mit fremden Menschen offen zu sprechen, sofern sie beim Anderen ein echtes Interesse fühlt.
    In Hannahs Phase des Übergangs ist es uns beim Weggehen auch schon mal passiert, dass ein Gegenüber aus Befangenheit oder Voreingenommenheit ihr gegenüber nicht gerade die richtigen Worte gewählt hat. Auch in solchen Momenten bleibt sie verständnisvoll und nimmt sich die Zeit, dem Anderen einen Schritt voran zu helfen. Bisher sind solche Situationen immer in beidseitige Offenherzigkeit gemündet. Ich bin jedenfalls dankbar, Hannah als Freundin zu haben. Bei ihr paart sich Klugheit mit Einfühlungsvermögen, seelische Kraft mit Lebensfreude. Ausserdem hat sie den besten englischen Humor, den man sich vorstellen kann.
    Meiner Mutter hatte ich auch mal von meiner Freundschaft mit Hannah erzählt und dass sie eben den ersten Teil ihres Lebens als „Oli“ gelebt hat bzw. leben musste. „Für dich ist es halt selbstverständlich, in deinem Freundeskreis mit solchen Themen umzugehen,“ meinte sie vor ein paar Monaten dazu, „aber ich bin ja noch eine ganz andere Generation. Da begegnet mir das nicht so“. Neulich rief sie mich abends an und erzählte, dass sie den ganzen Tag so berührt gewesen sei durch folgendes Erlebnis: Sie hatte einen Brief von einem guten Bekannten bekommen.
    In klar gewählten, offenen Worten teilt er meiner Mutter und offensichtlich auch einigen anderen Bekannten und Arbeitskollegen mit, dass er sich nach langer innerer Auseinandersetzung und mit der Unterstützung seiner Familie entschieden hat, sein künftiges Leben als Frau zu führen. Für meine Mutter war es ein erleuchtendes und berührendes Erlebnis zugleich. Es hatten sich zwei Puzzleteile zusammen gesetzt. Das Thema war ihr ja nicht fremd, sie hatte es nur noch nicht in Bezug auf Ihre Altersgruppe erlebt.
    Irgendwie hat sie es auch stolz gemacht, dass sie damit schon fast „selbstverständlich“ umgehen konnte: „Und dann hab ich erzählt, dass du und die Hannah, dass ihr zusammen diesen Film für …. Alpha …alpha … hach, wie heist das gleich wieder, für ALPHA ROMEO gemacht habt!“
    Meine Mum hat keinen Fernseher. (Text: ARD-alpha)
    Deutsche TV-PremiereDi 08.07.2014ARD-alpha
    Ausstrahlung auch als Zusammenschnitt mit Teil 1

Sendetermine

Do 26.11.2015
17:00–17:15
17:00–
Mi 25.11.2015
10:00–10:15
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Di 24.11.2015
21:45–22:15
21:45–
Do 01.10.2015
17:00–17:15
17:00–
Mi 30.09.2015
10:00–10:15
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Di 29.09.2015
21:45–22:00
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Mo 22.12.2014
09:30–10:00
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Fr 19.12.2014
19:00–19:30
19:00–
Do 10.07.2014
17:00–17:15
17:00–
Mi 09.07.2014
10:00–10:15
10:00–
Di 08.07.2014
21:45–22:00
21:45–
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