„Blaumacher“: Unrunde ZDFneo-Serie lädt zum Schwänzen ein – Review

Zwei zwischen Lebensmüde und Lebensfreude

Rezension von Annick Peters – 07.06.2017, 15:04 Uhr

Frank Sporbert (Mark Benjamin Puch) und die 19-jährige Sascha (Laura Berlin) sind die „Blaumacher“ – Bild: ZDFneo/Volker Roloff
Frank Sporbert (Mark Benjamin Puch) und die 19-jährige Sascha (Laura Berlin) sind die „Blaumacher“

Wenn alles aus den Fugen gerät, wenn man nur noch unzufrieden ist, wenn man in seinem Leben einfach keine Perspektive hat und wenn es seiner Umwelt eigentlich egal ist, ob man existiert, dann sollte man einfach mal blau machen und eine Auszeit nehmen … und in der neuen Serie „Blaumacher“, die ab dem 7. Juni bei ZDFneo zu sehen ist, ist jeder Charakter unzufrieden mit seinem Leben.

Die erste Folge von „Blaumacher“, „Teen Spirit“, startet somit gleich auch mit einem dramatischen Anblick: Ein Mann sitzt, den Zuschauern den Rücken zuwendend, in einer Abstellkammer voller Einweckgläser. Auf seinem Schoß befindet sich eine Schrotflinte, die er in Richtung seines Kopfes bewegt und abdrückt. Ein lauter Knall – und der Rückstoß des Gewehrs schleudert den Mann rücklings gegen die Regale. Die Gläser fallen scheppernd zu Boden – und gegenüber dem Zuschauer wird offen gelassen, ob die sich auf dem Boden ausbreitende rote Flüssigkeit das Blut des leblos wirkenden Protagonisten oder doch nur eingemachte Marmelade ist. Tatsächlich ist die Flüssigkeit lediglich Erdbeer-Rhabarber-Marmelade und die Schrotladung ist, anstatt den Kopf zu treffen, gleich durch zwei Decken gegangen und erledigte eine nichts ahnende Taube auf dem Dach. Als kurz darauf die flippige und vorlaute Tochter der Nachbarn eintrifft, ist das „Blaumacher“-Duo komplett

Zwei depressive Personen treffen aufeinander: der Mittvierziger Unternehmer Frank Sporbert (Marc Benjamin Puch) und die frisch vom Internat kommende, emotionale, 19-jährige Abiturientin Sascha (Laura Berlin). Eigentlich könnten der angepasste Familienmensch und die rebellische Tochter aus gutem Haus unterschiedlicher nicht sein, doch etwas verbindet sie: Sie sind isoliert, haben keinen Menschen, dem sie sich anvertrauen können. Beide sind zudem in einer Umbruchphase: Sascha steht nach dem Abitur notgedrungen vor einem Lebensabschnitt, Frank ist kurz zuvor darüber gestolpert, dass seine Frau eine Affäre hat. Sie sind so unzufrieden und perspektivlos, dass beide sogar überlegen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Während Sascha viel zu viel von ihren Eltern in Richtung Karriere gedrängt wurde, in ihrem Leben kaum eigene Entscheidungen treffen durfte und sie von Schuldgefühlen über den Tod ihres Freundes geplagt wird, wäre Frank einfach froh, wenn er von irgendjemandem aus seiner Familie oder von seinen Angestellten wahrgenommen und anerkannt werden würde.

Frank (Marc Benjamin Puch) hat das Gefühl, unsichtbar zu sein.

So helfen die beiden einander sich anfangs vor allem dadurch, dass sie miteinander über ihre Probleme sprechen und unverblümt ihre Meinung dazu äußern, sich gegenseitig die eigentlich positiven Seiten ihrer Situationen aufzeigen. Zum Beispiel ist aus Saschas Perspektive Franks ‚Für-Andere-Unsichtbarsein‘ auch positiv, weil man dann endlich tun kann, was man möchte. Wie die Zuschauer später erfahren, ist Sascha jemand, dem der eigene Ruf mit Macht vorauseilt.

In der zweiten Folge werden auch die Probleme und Unzufriedenheit von Franks Frau Carmen (Lisa Martinek) thematisiert. Sie hat einen Großteil ihres Lebens ihre eigenen Bedürfnisse zurückgesteckt, um für ihre Kinder da zu sein. Und auch sie erntet zum Dank von ihrer pubertierenden Tochter nur Missachtung. Carmen tritt die Flucht nach vorne an, merkt aber, dass die Affäre, die sie mit ihrem Fitnesstrainer angefangen hat, für sie nur ein Ventil war und dass eine feste Beziehung mit ihm nie in Frage kommen würde, da er ihr außer gutem Sex nicht viel zu bieten hat.

Um dem Zuschauer ein besseres Verständnis für Franks Lage zu verleihen, gibt es hin und wieder Rückblenden, welche er aus dem Off sarkastisch mit Sätzen kommentiert wie: „Mein Leben ist so flach, ich kann meinen eigenen Grabstein sehen.“

Seine Trostlosigkeit und perspektivlose Lebenslage werden dabei durch die monotone Stimmlage seiner Erzählweise untermalt und geben seine derzeitige Gemütslage wieder. In der ersten Folge werden Rückblenden benutzt, um dem Zuschauer zu zeigen, wie wenig Frank von seiner Familie und seinen Arbeitskollegen beachtet wird und wie sehr er unter der Affäre seiner Frau leidet.

„Blaumacher“ hebt sich vor allem durch kreative, fürs deutsche Fernsehen eher unkonventionelle filmische Mittel von Standardproduktionen ab. Wenn zum Beispiel Frank sich unsichtbar fühlt und mit der Tapete verschmilzt. Oder wenn er mit Sascha gemeinsam im Keller Musik macht und die beiden mit dem bekannten Musikvideo zu Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ verschmelzen. Während sich Frank hier einerseits als rebellischer Frontmann sieht, wird er doch auch am Ende als der Gefesselte, als Außenseiter abgestempelte Nerd dargestellt, den nach dem Konzert niemand losgebunden hat. Auch Franks Frau Carmen wird als Anachronismus im Publikum dargestellt, spießig-apathisch in der tobenden Menge sitzend von einem Scheinwerfer angestrahlt. Einerseits hat Carmen eben kein Verständnis für die rebellischen Jugendfantasien ihres Mannes, andererseits bemerkt sie auch erst in dem Moment, in dem sie glaubt, Frank hätte ebenfalls eine Affäre, dass in ihrem Leben etwas nicht glatt läuft. So wird sie vom Scheinwerfer ertappt und von der Realität übermannt.

Carmen (Lisa Martinek) sitzt fassungslos auf dem Rasen und lauscht dem Gesang ihres Mannes und seiner mutmaßlichen Geliebten.

„Blaumacher“ liefert durchaus witzige und schwarzhumorige Elemente für Erwachsene mittleren Alters. Die Serie stellt teils schwierige, teils komische Situationen vor, von denen manche aufgrund ihrer Tragik nicht leicht zu schlucken sind, insbesondere die Selbstmordgedanken und -vorbereitungen der beiden Hauptfiguren. Gerade bei diesen ist es nicht leicht, trotz der Absurdität dem Lachen freien Lauf zu lassen.

Unterhaltsam wird die Serie durch ihren teils schwarzen Humor, der die dramatische Lage etwas auflöst. Allerdings wird auch hier nicht immer das passende Maß gefunden und der Humor wird grenzwertig. Etwa wenn Carmens Liebhaber, der Fitnesstrainer, seiner krebskranken, sterbenden Katze das ausfallende Fell mit Pritt-Stift wieder anklebt. Schmunzeln muss man jedoch schon bei Sätzen wie: „Neulich setzt sich mein Sohn auf dem Sofa auf mich drauf, weil er mich nicht gesehen hat.“

Die Kulisse von „Blaumacher“, die Einbettung in eine alltägliche Vorstadtwelt erscheint so generisch, dass sie in jeder deutschen Vorstadt spielen könnte. Das gilt allerdings auch für die Probleme der Protagonisten: Entfremdung von den Eltern/​Familienmitgliedern, Versinken im Alltagstrott ebenso wie Eheschwierigkeiten – tausende Menschen beschäftigen sich täglich mit diesen Problemen und finden einen Weg. Entsprechend bagatellisiert die Serie – zumindest in den ersten Folgen – dann auch den Suizid als Lösung solcher vorübergehenden Probleme.

Abzüge in der Punktwertung gibt es dafür, dass gerade die Nebenfiguren sehr plakativ gezeichnet sind. Neben dem schon erwähnten, verqueren Fitnesstrainer etwa auch eine Verkehrspolizistin oder Franks sich ständig streitende Kinder.

Und schließlich muss auch die Tatsache angesprochen werden, dass die 1990 geborene Laura Berlin eben für eine 19-Jährige zu erwachsen wirkt. Es dauert eine Weile, bis in der Serie Saschas Lebenssituation als frischgebackene Abiturientin etabliert wird und bis dahin erscheint die Figur auch deutlich älter. Auch im weiteren Verlauf beeinträchtigt das die Chemie der beiden Hauptfiguren: Frank sollte eigentlich Saschas Vater sein können, aber die Dynamik ist doch eher „geschwisterlich“.

„Blaumacher“ bemüht sich darum, eine tiefgründige Serie zu sein, die zugleich unterhaltsam ist und den Zuschauer zum Nachdenken anregt. Sie ist nichts für Leute, sie sich von leichter Comedy oder Soaps nur berieseln lassen wollen, denn dafür ist die Dramatik der Probleme der Protagonisten einfach zu ernst.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Episoden der Serie „Blaumacher“.

Meine Wertung: 2/​5


Annick Peters
© Alle Bilder: ZDFneo


Die sechsteilige Dramaserie „Blaumacher“ ist ab dem 7. Juni 2017, 20:15 Uhr in der ZDF-Mediathek mit allen Episoden verfügbar. Linear wird sie auf ZDFneo ab Mittwoch, den 7. Juni 2017, gegen 21:45 Uhr ausgestrahlt.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    @GerneGucker: Das mit der Bildsprache kann ich nur unterstreichen. Zusammen mit dem Ton... Sowas Mutiges und Gelungenes sieht man selten in der deutschen Serien-Produktion.

    @Annick Peters: Klar, Humor ist verschieden genauso wie Geschmack. Den Witz mit dem Pritt-Stift-Ankleben der abben Katzenhaare fand ich zum Beispiel sehr gelungen weil ordentlich überzogen.

    Meinereiner hätte sich insgesamt sogar noch eine Prise mehr schwarzen Humor gewünscht. Das stände den beiden Protagonisten und ihrer Situation durchaus gut. Also wenn man sich in deren verzweifelte Lage reinversetzt: erst "Leben gescheitert", dann Entschluß zum Selbstmord und den dann auch noch verhauen bzw. abgebrochen. Macht mindestens eine doppelte Portion Verzweiflung und Zynismus...

    Und ja, es gibt - leider - eine ganze Menge von Leuten, die in unzähligen deutschen (Vor-) Städten die gleichen Probleme mit gescheiterten Lebensentwürfen, Beziehungen und Erziehungsergebnissen haben. Aber wie meistern sie diese? Durch heroische Selbstbefreiung? Oder eher durch innere Kündigung, Selbstaufgabe, Alkohol oder andere Drogen/Kompensationsmittel? In dem in der Serie eingeschlagenen Weg kann ich keine Bagatellisierung von Selbstmord erkennen - nur die sicherlich überspitzte Konsequenz aus der Fragestellung gegossen in einen die Ursachen erforschenden Erzählfaden.

    Apropos Erzählfaden: Ich finde, der hätte ruhig noch etwas durchgängiger sein können. Gerade wenn man alle sechs Folgen am Stück schaut, holpert es an der ein oder anderen Stelle bezüglich der Gemütslage der Hauptfiguren. Da wäre eine bessere Passung wünschenswert.

    Wie dem auch sei: ich hoffe auf eine zweite Staffel. Das Fundament dazu ist allemal gelegt.

    Grüße
    Hannes

    Ps. Sascha ist nach eigener Aussage 21, nicht 19. Wobei man ihr auch die zarten 21 nicht ganz abnehmen kann. Das sehe ich auch so.
    • am via tvforen.de

      Erstaunlich eindrucksvolle Bildsprache. Mir fällt spontan keine einzige andere deutsche Serie mit ähnlicher Qualität ein.

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