TV-Kritik: When We Rise

Von Marcus Kirzynowski

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 09.03.2017, 21:22 Uhr

„When We Rise“ – Bild: ABC
„When We Rise“

Serien, die das Thema Homosexualität in den Mittelpunkt stellen, sind im Fernsehen noch immer eine Seltenheit, vor allem im mainstreamlastigen US-Network-TV. Nachdem selbst Abosender HBO vor einiger Zeit mit seiner Comedy „Looking“ über junge schwule Männer in San Francisco an schlechten Einschaltquoten gescheitert ist, ist es umso erstaunlicher, dass ausgerechnet das Network ABC Ende Februar und Anfang März an vier Abenden innerhalb einer Woche eine Miniserie ins Programm nahm, die sich ausschließlich den Kämpfen der LGBTQ-Bewegung widmete. „When We Rise“ spannt dabei einen weiten Bogen und behandelt den Zeitraum von 1971 bis 2015.

Die erste, knapp eineinhalbstündige Folge führt zunächst in parallel erzählten Handlungssträngen drei junge Hauptfiguren ein, die sich aus völlig verschiedenen Richtungen nach San Francisco aufmachen, damals bekannt als besonders liberale amerikanische Großstadt und Schmelztiegel aller möglichen soziokulturellen Gegenbewegungen. Der Afro-Amerikaner Ken Jones (Jonathan Majors) dient im Vietnamkrieg auf einem Marineschiff und muss seine Homosexualität vor seinen Kameraden und Vorgesetzten verbergen, da er im Falle eines Geoutetwerdens sofort aus den Streitkräften fliegen würde. Aufgrund seiner Hautfarbe wird er ausgewählt, Sensibilisierungskurse zum Umgang mit Kameraden anderer ethnischer Zugehörigkeit zu geben und dazu in die kalifornische Metropole versetzt. Roma Guy (Emily Skeggs) zieht es hingegen von Afrika, wo sie Entwicklungshilfe geleistet hat, nach San Francisco. Als Mitglied eines großen Frauenrechtsverbandes muss sie erfahren, dass sich viele der anderen dort organisierten Frauen von lesbischen Geschlechtsgenossinnen abgrenzen wollen. Da die gerade entstehende Lesbenbewegung im Gegenzug wenig von dem herkömmlichen Frauenverband hält, gerät die junge Frau in einen Loyalitätskonflikt, versteht es aber relativ rasch, die Kräfte zu einen. Als dritter Protagonist kommt der schwule Cleve Jones (Austin McKenzie) aus der Provinz in Arizona in die Großstadt, nachdem er der Enge seiner Heimat und den „Heilungsversuchen“ seines konservativen Vaters, eines Psychiaters, entflohen ist. Der glaubt immer noch, Homosexualität sei eine Krankheit, die sich mit rabiaten Methoden wie Elektroschocks und Lobotomie behandeln ließe.

Es dauert eine Weile, bis die von Indiefilm-Altmeister Gus Van Sant inszenierte Auftaktfolge in die Gänge kommt. Zu viele Figuren, Themen und gesellschaftliche Hintergründe müssen zunächst eingeführt werden. Irgendwann laufen jedoch die verschiedenen Handlungsstränge zusammen, wenn die drei Helden der Erzählung aufeinander treffen und die zunächst getrennt agierenden Interessengruppen ihre Kräfte bündeln. „Allein machen sie dich ein“, sang Rio Reiser ungefähr zur gleichen Zeit in Deutschland mit seiner Band Ton Steine Scherben – und auch Roma erkennt schnell, dass die Lesbenbewegung nur eine Chance hat, der Mehrheitsgesellschaft Rechte abzuringen, wenn sie sich mit schwulen Männern zusammenschließt (und umgekehrt). Einen politischen Partner findet sie in Cleve, der schon bei ihrer ersten Begegnung ganz richtig bemerkt, dass Friedens-, Bürgerrechts- und Schwulenbewegung für ihn Teile des gleichen Kampfes (für eine gerechtere Gesellschaft) sind. Der politisch begabte Cleve steigt bald zum führenden LGBTQ-Aktivisten auf und hilft Harvey Milk bei seinem Wahlkampf, der diesen als ersten offen schwulen Bewerber in den Stadtrat führen wird. Die wahre Geschichte des Politikers erzählte Serienschöpfer Dustin Lance Black bereits 2008 in seinem Drehbuch zum Kinofilm „Milk“, für das er mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Aus diesem Projekt stammt auch die Verbindung zu Gus Van Sant, der schon den Film inszenierte.

 … und für Cleve Jones Austin McKenzie
Immer wieder verknüpft „When We Rise“ die Lebenswege seiner Hauptfiguren mit zeitgeschichtlichen Ereignissen wie dem Kampf gegen ein diskriminierendes Gesetzesvorhaben oder der aufkommenden HIV-Epidemie in der schwulen Community von San Francisco. Nicht zu überhören ist dabei ein gewisser pädagogischer Grundton. Ziel der Miniserie ist es sicherlich, einem überwiegend heterosexuellen Mainstreampublikum die Geschichte der LGBTQ-Bewegung zu vermitteln und Verständnis für deren Anliegen zu wecken. Ein höchst legitimes Ziel, das gerade in diesen Zeiten, in denen sich in den USA unter Präsident Trump ein gesellschaftlicher Backlash Bahn bricht, nicht genügend gewürdigt werden kann.Leider leidet die dramaturgische Qualität aber doch hin und wieder an diesem Überbau. Hinzu kommt, dass die Darstellung von homosexuellem Leben und Lieben im Networkfernsehen naturgemäß nur in abgeschwächter Form möglich ist. Im Vergleich wirkt etwa die Art, wie eine HBO-Serie wie „Girls“ Sexualität inszenieren kann, doch wesentlich ehrlicher und authentischer. Dennoch ist es bemerkenswert, dass ABC diese Serie überhaupt produzieren ließ, werden die Programme der US-Networks doch schon seit Jahren immer stärker auf den kleinsten gemeinsamen Nenner eines möglichst breiten Zielpublikums hin konzipiert.

Bewegend wird „When We Rise“ immer dann, wenn die persönlichen Gefühle der Figuren und ihre politischen Anliegen zusammentreffen, etwa wenn Ken sich vor einem (konservativen) afro-amerikanischen Interessenverband als „stolzer schwuler schwarzer Mann“ outet, nachdem ein führender Vertreter behauptet hatte, es gäbe keine Schwulen unter „wahren Schwarzen“. Dass das Private immer politisch ist, erkennt auch Roma, die sich entscheiden muss, ob sie bereit ist, ihr eher lockeres Beziehungsleben zugunsten einer Familiengründung mit ihrer großen Liebe Diane (Fiona Dourif) aufzugeben.

Während die jungen Darsteller in den ersten Teilen durchgehend überzeugen können, ist die Besetzungspolitik der Miniserie insgesamt etwas skurril: Zwar tauchen in den Anfangscredits schon in den Folgen 1 bis 3 große Namen wie Mary-Louise Parker, Michael K. Williams, Rachel Griffiths und Guy Pearce auf. Zu sehen ist darin von diesen Stars mit Ausnahme von Pearce, der in kurzen Szenen als eine Art Erzähler die Ereignisse der ersten Folge rahmt, aber noch nichts. Parker, Williams und Griffiths übernehmen erst in den späteren der insgesamt sieben Folgen (die jedoch bei der Ausstrahlung zu vier 90-Minütern gebündelt wurden) die Rollen der gealterten Protagonisten Roma, Ken und Diane, während Pearce den älteren Cleve spielt. Es ist verständlich, dass ABC mit großen Namen Zuschauer locken wollte, befremdlich wirkt es aber trotzdem, wenn diese in der Hälfte der Folgen gar nicht zu sehen sind. Was die Starpower betrifft, muss man sich in den ersten drei Episoden mit kurzen Auftritten von Whoopi Goldberg und Dylan Walsh („Nip/​Tuck“) begnügen. Wobei man nach einiger Zeit so stark mit den Hauptfiguren mitfühlt, dass man die Stars auch nicht vermisst.

Was die Serie auf jeden Fall verdeutlicht: Auch wenn wir in den westlichen Gesellschaften seit den 1970er Jahren bedeutende Fortschritte auf dem Weg zu mehr Toleranz und Gleichberechtigung gemacht haben, bleibt die Emanzipation aller möglichen gesellschaftlicher Gruppen ein Ziel, für das nach wie vor gekämpft werden muss. Wenn „When We Rise“ das nur einigen seiner Zuschauer vermitteln konnte, die sich sonst vielleicht nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hätten, hat sich die Produktion schon gelohnt.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Mini-Serie.

Meine Wertung: 3,5/​5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: ABC

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

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