Griechenland schaltet staatlichen Rundfunk ab

Rund 2700 Mitarbeiter wurden entlassen

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 12.06.2013, 11:05 Uhr

Griechenland schaltet staatlichen Rundfunk ab – Rund 2700 Mitarbeiter wurden entlassen – Bild: ERT

Der drastische Sparkurs der griechischen Regierung fordert ein Opfer erheblichen Ausmaßes: Gestern Nacht (11.6.) wurde der staatliche Rundfunkanbieter ERT mit allen zugehörigen Fernseh- und Hörfunksendern abgeschaltet. Rund 2700 Beschäftigte stehen nun ohne Job da.

Die Fernsehanstalt ERT existierte seit 1938 und fand nun nach 75 Jahren ein abruptes Ende. Ein Kanal nach dem anderen stellte in der Nacht zum Mittwoch den Sendebetrieb ein. Insgesamt wurden drei landesweite TV-Sender, ein zusätzlicher Kanal über Satellit, sieben landesweite Radiosender, sowie 19 regionale Radiosender abgeschaltet. Grund für diese radikale Entscheidung ist höchstwahrscheinlich der hohe Druck der internationalen Geldgeber.

„Es kann keine heiligen Kühe geben, die nicht geschlachtet werden können, wenn überall gespart wird“, so ein Regierungssprecher Griechenlands. Die staatliche Rundfunkanstalt habe Kosten von 300 Millionen Euro pro Jahr verursacht und sei deshalb ein Beispiel für „unglaubliche Verschwendung“ und „fehlende Transparenz“. 2006 unterhielt ERT sogar noch 5300 Angestellte, von denen einige durch Vetternwirtschaft exorbitante Gehälter bezogen. Vergleichbare Anstalten kämen mit einem Siebtel an Beschäftigten aus. Die jetzt entlassenen 2700 Techniker, Angestellten und Journalisten sollen eine Abfindung erhalten.

In den kommenden Monaten soll nun ein neues Konzept für eine kleinere staatliche TV- und Rundfunkanstalt mit circa 1000 Mitarbeitern ausgearbeitet werden. Als Vorbild sollen die modernsten Anstalten Europas fungieren. Von den ehemaligen ERT-Mitarbeitern soll jedoch keiner automatisch übernommen werden, jeder müsse sich neu bewerben. Im Rahmen seines Konsolidierungsprogramms muss Griechenland 4000 Staatsbedienstete bis Ende 2013 entlassen – bis Ende 2014 müssen sogar 15.000 gehen. Erst am Dienstag betonte die EU-Kommission in Brüssel erneut, dass Athen die vereinbarten Reformen in die Tat umsetzen müsse.

In Griechenland hat die Gewerkschaft der Staatsbediensteten (ADEDY) zum Widerstand gegen den Regierungsbeschluss aufgerufen. Vor den Rundfunkgebäuden in allen Provinzen versammelten sich am Dienstag Tausende demonstrierende Bürger, und im Internet vergrößert sich die Protestbewegung kontinuierlich. Die Solidarität für die entlassenen Mitarbeiter macht sich auf allen Ebenen bemerkbar. So kündigte der Verband der griechischen Journalisten einen Arbeitsstreik gegen die Schließung an. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) äußert sich ebenfalls kritisch, und auch der griechische Erzbischof Hieronymus II. meldete sich zu Wort und bezeichnete den Regierungsbeschluss als „undenkbar“. Der kleinere Koalitionspartner, die Demokratischen Linke, mahnt: „Es ist undenkbar, dass ein modernes europäisches Land auch nur eine Stunde ohne öffentlichen Rundfunk bleibe.“

Bis spät in die Nacht blieb ein ERT-Piratensender als Livestream im Internet auf Sendung. Zahlreiche Mitarbeiter machten in deutlichen Worten ihrer Wut, Angst und Enttäuschung Luft. Keiner habe eine ordentliche Kündigung erhalten. „Wir haben unser Leben, unsere Seelen für eine gute Nachrichtenstation gegeben. Wir haben hier viele Nächte verbracht, für die wir niemals bezahlt werden. Seit November haben wir kein Geld bekommen. Alles umsonst. Die schmeißen uns einfach weg. Eine Schande ist das“, so Katarina Ioannidou, die 13 Jahre für den Sender gearbeitet hat. Die Mitarbeiter besetzten in der Nacht weiter das Sendergebäude, das schließlich von der Polizei geräumt werden musste. Mit weiteren Protestbewegungen und Demonstrationen ist zu rechnen.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    wunschliste.de schrieb:
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    > Die Fernsehanstalt ERT existierte seit 1938 und
    > fand nun nach 75 Jahren ein abruptes Ende. "

    > Bis spät in die Nacht blieb ein ERT-Piratensender
    > als Livestream im Internet auf Sendung.

    ...
    Der Fernsehsender (damals EIR/EIRT) wurde seit 1966 ausgestrahlt, nach dem es 1965 erste Tests gab. 1938 wurde aus Athen das erste Radioprogramm ausgestrahlt. Wenn, dann also Rundfunkanstalt.

    "Bis spät in die Nacht" war 10 Uhr früh, erst da verstummte das letzte Signal.

    Nachtrag:
    Es gibt auf verschlungenen Wegen immer noch Leben aus dem Rundfunkhaus:
    [url]http://ertvlive.blogspot.gr[/url]
    • am via tvforen.de

      Gestürmt wurde die Sendezentrale bislang nicht. Die Polizei ist vor den Einrichtungen des ERT weiterhin präsent, doch eingegriffen wird bislang nicht. "Die Staatsanwälte scheinen zu zögern und nicht eingreifen zu wollen bis es einen klaren Befehl aus dem Justizministerium gibt", schrieben die Mitarbeiter von ERT am Mittwochnachmittag über den derzeit wichtigsten Kommunikationskanal Facebook. Dort wie auch hin und wieder via Twitter informieren die, die ihren Arbeitsplatz nicht einfach räumen wollen, über die Lage vor Ort und die organisierten Proteste, Demos und Streiks.

      [url]http://www.dwdl.de/nachrichten/41224/ebusender_fordern_wiederaufschaltung_von_ert/[/url]
    • am via tvforen.de

      Mit der Auflösung der staatlichen Rundfunk- und Fernsehsehanstalt Griechenlands (ERT oder Elleniki Radiofonia kai Tileorasi) hat Regierungschef Antonis Samaras nicht nur eine Solidaritätswelle für die ERT-Belegschaft ausgelöst, sondern auch eine Regierungskrise, die am Ende sogar zu vorzeitigen Neuwahlen führen könnte. Wobei in den griechischen Medien bereits darüber spekuliert wird, ob nicht genau dies der eigentliche Sinn der aberwitzig erscheinenden Konfrontations-Strategie von Samaras ist. Ob die Existenz der seit Sommer 2012 bestehenden Koalitionsregierung auf dem Spiel steht, wird sich nächsten Montag zeigen, wenn Ministerpräsident Samaras sich mit den Vorsitzenden seinen kleineren Koalitionspartner, dem Pasok-Chef Evangelos Venizelos und dem Dimar-Chef Fotis Kouvelis zu einer Krisensitzung treffen.

      [url]http://www.nachdenkseiten.de/?p=17602[/url]

      ERT ist seit gestern mit NET, seinem zweiten Programm wieder auf der angestammten 13°Ost Frequenz sowie auch auf anderen Positionen vertreten. Die Ausstrahlungen ermöglicht derzeit die EBU (European Broadcast Union)
  • am via tvforen.de

    Ja, zu dieser Politik gibt es keine Alternative! Den Rest regelt die Polizei.

    Was wohl als nächstes kommt? Die Schließung aller Schulen von heute auf morgen, die aber in einigen Monaten wiedereröffnet werden sollen - mit kleinerer, handverlesener Schülerzahl, an die Bildung kosteneffizient nur noch gegen Bezahlung abgegeben wird? Und dem Pöbel, der sich das nicht leisten kann, teilt man dann mit, daß er angesichts seiner mangelnden Qualifikation selbst schuld ist an seiner Arbeitslosigkeit und dementsprechend auch keine Sozialleistungen (= Wohltaten = Verschwendung) erwarten kann?
    • am via tvforen.de

      Gestern wurde die Abschaltung des staatlichen Rundfunks in Griechenland von der Regierung angeordnet. Seit 23 Uhr deutscher Zeit schweigen die meisten Fernseh- und Radiofrequenzen, darunter auch ERT World auf 13°Ost.
      ERT (oder das was noch davon über ist) sendet derzeit noch im Internet, in Griechenland über Notsender und über schwache Satellitenfrequenzen. Wielange das noch so weiter geht ist fraglich, da jederzeit der Strom abgestellt oder das Sendezentrum geräumt werden kann.
      2656 Mitarbeiter stehen seit heute auf der Strasse.

      [url]http://www.dradio.de/nachrichten/201306112100/2[/url]

      [url]http://www.tageswoche.ch/de/2013_23/international/550754/welle-der-kritik-gegen-schliessung-des-griechischen-senders-ert.htm[/url]

      [url]http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=newssearch&cd=8&ved=0CEAQqQIoADAH&url=http%3A%2F%2Fwww.nzz.ch%2Faktuell%2Finternational%2Fgriechenland-zieht-staatssendern-den-stecker-1.18097589&ei=Wfy3UZmpBqK04ASCnYGYAQ&usg=AFQjCNGV1CBRrJaOTHRadQzJ0TBDhENqIw&sig2=tRWHyD1ukwMFgdKgo5XItQ[/url]

      [url]http://derstandard.at/1369363426520/Schock-und-Protest-in-Agia-Paraskevi[/url]

      [url]http://www.tt.com/Nachrichten/NachrichtenTicker/6715825-53/welle-der-kritik-gegen-schlie%C3%9Fung-des-griechischen-senders-ert.csp[/url]
      • am via tvforen.de

        Gute Idee, das gleiche sollte hier in Deutschland mit den ÖR passieren !

        gez.: mroldtv
      • am via tvforen.de

        Du kannst ja Dein DUMM TV schauen , ich bin froh gutes ÖRF zu haben....

        Zu Griechenland : Das verschlägt mir echt die Sprache , das ist doch pure Hilflosigkeit , wo bleiben die wirklich guten Konzepte ?


        Gruß Sir Hilary
      • am via tvforen.de

        Anscheinend ist das StaatsTV in GRE nicht steuerfinanziert...
      • am via tvforen.de

        Größtenteils war es das.

        Seit 10 Uhr heute früh schweigt nun auch der letzte TV/Radio Notsender und die Internetseiten sind Off. Im August soll es nach Neubildung des Senders mit knapp 1000 Mitarbeitern weiter gehen.
      • am via tvforen.de

        mroldtv schrieb:
        -------------------------------------------------------
        > Gute Idee, das gleiche sollte hier in Deutschland
        > mit den ÖR passieren !
        >
        > gez.: mroldtv


        Beim Recht auf freie Meinungsäußerung ist der Gedanke auch, daß manch einer - indem man ihn ungehindert plappern läßt - offenbart, was er im Kopf hat und was man folglich von seinen Worten halten sollte.
      • am via tvforen.de

        Du nimmst mir die Worte aus dem Mund!

        Feuer frei für ausschließlich Doku-Soaps und Scriptet-Reality....

        Kein Wunder, dass Deutschland langsam verblödet...
      • am via tvforen.de

        Sir Hilary schrieb:
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        > Zu Griechenland : Das verschlägt mir echt die
        > Sprache , das ist doch pure Hilflosigkeit , wo
        > bleiben die wirklich guten Konzepte ?



        Das frage ich mich auch. Wenn das der Weisheit letzter Schluss sein soll, dann muss man die Griechen noch mehr bedauern....

        Ich kannte ja die Programme des griechischen öffentlichen TV nicht - aber dass man ausgerechnet bei der Unterhaltung eine derart restriktive Maßnahme setzt, zeugt wirklich von beklemmender Hilflosigkeit.

        .

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