Gottschalk, Joko, Klaas und „Somebody that I used to know“

TV & Internet – eine mal mehr, mal weniger glückliche Verbindung

Michael Brandes – 25.01.2012, 09:09 Uhr

Thomas Gottschalk vs. The Internet – Bild: ARD/Max Kohr
Thomas Gottschalk vs. The Internet

Inmitten all der Kritik an der eigenwilligen Streuung von Werbespots, mit der die erste Ausgabe von „Gottschalk Live“ in kurze Appetithäppchen unterteilt wurde, ging ein anderer Schwachpunkt völlig unter: Der Umgang mit diesem hippen, coolen Internet, in dem sich die jungen Zuschauer vor den öffentlich-rechtlichen Sendern verstecken.

Jahrelang kokettierte Gottschalk mit seinem Desinteresse am Netz. Er pflegte das Image des älteren Herren, der auf solchen neumodischen Schnickschnack gut verzichten kann. Das ist völlig in Ordnung. Doch warum zwingt sich Gottschalk nun doch ein Medium auf, dessen Funktionsweise bis heute weder er noch die Chefetagen zahlloser TV-Sender verstanden haben? Wieder mal wird das Netz vor allem als Vermarktungsinstrument missbraucht, dessen Interaktionsmöglichkeiten sich hier in einem beschleunigten Kommunikationsweg erschöpfen: Weil die Zuschauer heutzutage nicht mehr so gern Briefe schreiben und mit der Post verschicken, müssen sich die armen Fernsehmacher jetzt mit Facebook und Twitter herumplagen, um sich auf Tuchfühlung zum einfachen Fernsehvolk zu begeben.

Nüchtern betrachtet – und gar nicht mal negativ gemeint – ist Gottschalk ein etwas aus der Zeit gefallener Dampfplauderer, dessen Stärke darin besteht, ein breites Publikum mit halbwegs charmanten Stars-und-Sternchen-Anekdoten nach dem Motto ‚Der Thommy kennt sie alle!‘ bei Laune zu halten. Statt sich auf seine Fähigkeiten zu besinnen und eine vielleicht altmodische, aber zumindest ehrliche Personality-Show abzuliefern, kann der gegenwärtige Gottschalk aber offenbar nicht mehr auf eine attraktive ‚Social-Media-Blondine‘ verzichten, die während der Sendung drei Sätze in die Kamera sprechen darf. Um sie herum wird eine Handvoll jungdynamischer Alibi-Mitarbeiter gruppiert, die gebannt auf ihre Laptops starren, jedoch keine plausible Funktion in der Show ausfüllen – abgesehen davon, in Ermangelung eines Publikums den Studiogast johlend anzuklatschen. Wen soll das beeindrucken?

Dabei wäre es doch so einfach, das für das Fernsehen heutzutage scheinbar unverzichtbare Internet in eine Unterhaltungssendung zu integrieren: Man findet Themen im Netz, greift sie auf, macht sie publik und entwickelt sie gleichzeitig kreativ weiter. Dafür muss man nicht einmal twittern, das merken die User von selbst. Beispielhaft führen das unter anderem die Herren „neoParadise“, die gemessen an den heutigen deutschen TV-Verhältnissen geradezu kühn und experimentell erscheint, ist gespickt mit popkulturellen Referenzen, die im Internet immer wieder viel Aufmerksamkeit finden.

Vor wenigen Tagen parodierten Joko und Klaas einen Coversong, den die vor drei Wochen noch nahezu unbekannte Band ‚Walk off the Earth‘ Anfang Januar bei YouTube einstellte. Deren originelle Interpretation von „Somebody that I used to know“ wurde nicht zuletzt dank des bezaubernd-schlichten Low-Budget-Clips auf YouTube binnen zwei Wochen kaum vorstellbare 35 Millionen Mal angeklickt. Joko und Klaas thematisieren die junge Erfolgsstory in Form einer Parodie, die keine umständlichen Erklärungen liefert, aber dennoch innerhalb weniger Tage allein über verschiedene YouTube-Accounts schon mehr als eine Million User erreicht hat. Nicht schlecht für eine Sendung, die laut offizieller Quotenmessung keine Zuschauer hat – und vor allem auch ein Beleg dafür, wie man ganz unverkrampft Netzthemen fürs Fernsehen aufbereiten kann und dabei mit geringstem Aufwand erfolgreich ein junges Publikum auf unterschiedlichen Verbreitungswegen erreicht. Ganz ohne Facebook und Twitter.

Das Original: Walk off the Earth



Die Fälschung: Joko & Klaas (feat. Palina, Olli Schulz und Oma Violetta)



Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    Wie dem auch sei...

    Ich schalte jetz mal ein.
    Jan Böhmermann meinte letzte woche bei Harald Schmidt, die hätten da eine "Granate" in der Redaktion. Die würde allerdings abseits der Kamera Aschenbecher-Brillengläser tragen :-)
    Und jetzt noch euer Bericht über die "attraktive 'Social-Media-Blondine". Das muss die sein...
    :-)
    • am via tvforen.de

      Jede Social-Media-Blondine ist "attraktiv", denn diejenigen, die sich aktuell in diesem Berufsfeld wiederfinden, sind junge, problemfreie Mädels aus dem gehobenen Mittelstand, die nach dem Abi ein Dreivierteljahr durch Australien gereist sind und im Anschluss das berühmte "irgendwas mit Medien" an einer Pseudo-Elite-Uni studiert haben - gern z. B. in München. Und durch ein von Papas Bekanntem beim Bayerischen Rundfunk vermitteltes Praktikum während des Studiums und zwischen dem Auslandssemester in Irland, hat es dann natürlich auch gleich nach dem Bachelor oder Master für einen Jahresvertrag bei irgendeiner ARD-Anstalt gereicht. Logo, denn man ist ja so dankbar für so eine junge, nette Kollegin, die doch so unglaublich nah an der jungen Zielgruppe steht und "praktisch ja mit dem Internet aufgewachsen" ist.

      Es ist kein Wunder, dass die Netzwelt im TV so genutzt wird, wie wir es z. B. jetzt bei Thommy zu sehen bekommen. Anderes Beispiel: die bekloppten Social-Media-Beauftragten bei Unser Star für Baku.
      Es wird noch lange brauchen, bis hierzu sinnvolle Maßnahmen benutzt werden.

      Und nein, ich bashe keine Klischees - denn ich komme aus exakt der selben Ecke
    • am via tvforen.de

      jumin schrieb:
      -------------------------------------------------------
      > Jede Social-Media-Blondine ist "attraktiv", denn
      > diejenigen, die sich aktuell in diesem Berufsfeld
      > wiederfinden, ...

      In fast allen Berufsfeldern, besonders in denen die mit "Öffentlichkeit" zu tun haben.
      Aussehen / Wirkung ist immer bares Geld. Das ist die wichtigste Voraussetzung für fast jeden Beruf -
      Das fiel mir gerade wieder auf als ich den heute Abend auf SPON gewesen bin.
      Der Hautartikel war über den Rückzug von Marina Weisband, die sich aus der Führungsspitze der Piratenpartei zurückzieht. Und gerade wurde noch mal ein Interview mit ihr nachgelegt: "Sie wollten nur mich".
      So funktioniert eine Medienrepublik. Ich glaube, wer sich sonst aus der Führungsspitze der Piraten zurückgezogen hätte - na Stelle dieser Meldung wäre ein Artikel über Hundewlpen oder Eisbärbabys erschienen :-)


      >
      > Es ist kein Wunder, dass die Netzwelt im TV so
      > genutzt wird, wie wir es z. B. jetzt bei Thommy zu
      > sehen bekommen. Anderes Beispiel: die bekloppten
      > Social-Media-Beauftragten bei Unser Star für
      > Baku.
      > Es wird noch lange brauchen, bis hierzu sinnvolle
      > Maßnahmen benutzt werden.
      >
      > Und nein, ich bashe keine Klischees - denn ich
      > komme aus exakt der selben Ecke

      Natürlich sind das keine Klischees. Die N-TV-Ableserinen müsste ja auch nicht zwangsläufig aussehehen, als sei sie aus Vorbildern von US-Sendern geklont worden, um ihre Tätigkeit auszuführen. ;-)
    • am via tvforen.de

      ...

      sie ist übrigens (m.E.) keine "Granate". Das sieht die Interviewpartnerin in Böhmermanns berühmtesten Interview deutlich besser aus.

      http://www.youtube.com/watch?v=RyFmqKTJH2Q

      :-)
    • am via tvforen.de

      Ganz großartig. :-)) Danke für den Link. Ich muss da unbedingt auch mal rein gucken!
  • am via tvforen.de

    wunschliste.de schrieb:

    >
    > Nüchtern betrachtet - und gar nicht mal negativ
    > gemeint - ist Gottschalk ein etwas aus der Zeit
    > gefallener Dampfplauderer, dessen Stärke darin
    > besteht, ein breites Publikum mit halbwegs
    > charmanten Stars-und-Sternchen-Anekdoten nach dem
    > Motto 'Der Thommy kennt sie alle!' bei Laune zu
    > halten. Statt sich auf seine Fähigkeiten zu
    > besinnen und eine vielleicht altmodische, aber
    > zumindest ehrliche Personality-Show abzuliefern,
    > kann der gegenwärtige Gottschalk aber offenbar
    > nicht mehr auf eine attraktive
    > 'Social-Media-Blondine' verzichten, die während
    > der Sendung drei Sätze in die Kamera sprechen
    > darf. Um sie herum wird eine Handvoll
    > jungdynamischer Alibi-Mitarbeiter gruppiert, die
    > gebannt auf ihre Laptops starren, jedoch keine
    > plausible Funktion in der Show ausfüllen -
    > abgesehen davon, in Ermangelung eines Publikums
    > den Studiogast johlend anzuklatschen. Wen soll das
    > beeindrucken?
    >

    Vorab: Ich habe die Sedung nicht gesehen. Aber nach der Schilderung ist das immer noch mehr als das, was Günther Jauch (um mal ein vergleichbares Kaliber zu nennen) in seiner neuen ÖR-Funktion als Talkshowgastegeber abliefert.

    Das ist wirklich grausam, ihm beim ablesen, der von der Redaktion aufgeschrieben Fragen, zuzusehen. Und dann wir's noch schlimmer: Weil er während der Antwort damit beschäftigt war, die nächste Frage auf seinem Kärtchen mental vorzubereiten, kriegt er nicht einmal die Überleitung zum nächsten Kärtchen sauber hin.

    Das wird genau so wenig was - das kann er nicht..
    • am via tvforen.de

      Wie gesagt: Bis jetzt ist noch jeder Name von der ARD vergrault worden - ob nun Schmidt oder von der Lippe, ich glaube ja, man hält es als halbwegs kreativer Mensch in diesem Apparat einfach nicht aus
  • am via tvforen.de

    Sehr gut durchblickt und klasse geschrieben, der Absatz über Gottschalk und den Umgang mit den neuen Medien, wie es so schön heißt. Dass die ARD vollkommen unprofessionell und langweilig sinnfrei mit dem Internet umgeht, das kennen wir alle. Ich bin ein Fan der öffentlich Rechtlichen, aber in dieser Hinsicht ist es mir unbegreiflich, warum die jungen Leute, die zum Ersten gehen und dort eine berufliche Laufbahn starten, genauso inkompetent an diese Thematik herangehen wie ihre 55jährigen Vorgänger
    • am via tvforen.de

      Äh... Du kannst Dir nicht vorstellen, daß diese jungen Leute mit einem behäbigen Beamtenapparat konfrontiert werden, der bei der ARD teils auch noch in neunfacher Form auftritt, mit endgelagerten Geisteswissenschaftlern, für welche keinerlei andere Verwendung in unserer Gesellschaft besteht, und die nicht nur fest entschlossen sind, bis zu ihrer Verrentung auf ihren Posten dahinzudämmern, sondern dabei auch weiterhin alles so zu machen, "wie wir das schon immer gemacht haben"? Eine Sendung mit "diesem Internetz oder wie dieser neumodische Kram (von dem ich noch nicht glaube, daß er sich durchsetzen wird) heißt", gilt da schon als Gipfel der Innovation und des Wagemuts. Und wenn sowas nicht vom ARD-Rat der Götter (also den Intendanten) beschlossen worden wäre, hätte man sich da auch vermutlich nicht rangewagt.

      Das Erste ist denn ja auch mittlerweile zur immergleichen Soße aus Degeto-Produktionen (und inhaltlich und formal Vergleichbarem), stundenlangen Sportübertragungen, Seifenopern, "Tatort", Tiersendungen, ein paar Magazinen und der einen oder anderen Dokumentation verkommen. Ach, und natürlich hin und wieder ein Sterbefest der Volksmusik und in den nächsten Wochen wieder ausgiebig Tätää-tätää.

weitere Meldungen