Folge 133

  • Vermessung des Körpers (5/​5)

    Folge 133
    Heute ziehen wir blank im Kulturpalast: Es geht um den „Körper“. Um den perfekten, jungen, muskelbepackten, haarlosen und duftenden Körper. Und um den echten, der leider alles andere ist … Nina Fiva Sonnenberg präsentiert Künstler, deren Werkzeug und künstlerisches Medium der menschliche Körper ist. Allen voran die große Vermesserin des Körpers und bedeutendste deutsche Choreografin: Sasha Waltz. Die gerade zur künftigen Co-Intendantin des Berliner Staatsballetts berufene und vieldiskutierte Sasha Waltz hat mit ihrem Stück „Körper“ Tanzgeschichte geschrieben: Seit 16 Jahren tourt es erfolgreich um die Welt, nun ist das Werk seit Langem erstmals wieder in Berlin zu sehen.
    Ein Bild daraus hat sich ins kollektive kulturelle Gedächtnis gebrannt: Fast nackte Tänzerinnen und Tänzer kleben an einer senkrechten Glasscheibe, wie menschliche Proben auf dem Objektträger eines Mikroskops. Darin offenbart sich der Kern des modernen Verständnis vom Körper: Er ist Objekt. Wir „sind“ keine Körper, sondern wir „haben“ einen Körper.
    Er ist etwas, mit dem wir interagieren. Wir pflegen oder vernachlässigen ihn, wir kämpfen mit ihm, disziplinieren und manipulieren ihn, damit er nicht „streikt“ oder uns den „Dienst versagt“. In jedem Fall aber löst sich der Körper von unserem Ich: Wir werden gleichsam entkörperlicht. Wir müssen nicht mehr stark sein, um noch wie zu Zeiten der Industrialisierung schwere Arbeit zu verrichten, der Körper ist längst ein rein symbolisches Kapital: Eine Visitenkarte für unseren Charakter, eine Ressource für Selfies, die wir mit Operationen, Tattoos und Fotoshop perfektionieren.
    Wir tragen unsere Haut zu Markte. In unübertroffener Radikalität hat das der Performancekünstler Ulay zum Ausdruck gebracht. Er ließ sich 1972 ein
    Tattoo auf den Unterarm stechen und anschließend das Stück Haut von einem Chirurgen herausschneiden, um es dann als Kunstwerk an die Wand zu hängen. Das Werk ist jetzt in einer großen Ulay-Retrospektive in der Frankfurter Schirn zu betrachten.
    Ebenso dort zu sehen: Die radikalen Körper-Performances, die ihn und seine damalige Partnerin Marina Abramovic berühmt gemacht haben. Sie ohrfeigten sich gegenseitig, rannten mit voller Wucht ineinander, richteten einen gespannten Bogen auf sich – Die Verletzung gehörte dazu, der Tod war als Möglichkeit im Raum. Die radikale Körperkunst der 70er lässt sich lesen als ein letztes heroisches Aufbäumen gegen die Entkörperlichung in der Spätmoderne: Echtes Blut! Echte Tränen! Gleichzeitig aber auch als das Gegenteil: Der Ausverkauf und Vermarktung der letzten Bastion des Individuums: Der körperlichen Unversehrtheit.
    Heute, wo wir den Körper nahezu verloren haben, ist er allgegenwärtig. Allerdings nicht als realer Körper, wie ihn noch Abramovic und Ulay zum Thema machten, sondern als perfektioniertes, unerreichbares Abbild. Nacktheit ist kein Tabu mehr, das Tabu heute ist die Nicht-Perfektion: Als die junge New Yorker Künstlerin Petra Collins ein Foto von ihrer Bikinizone auf Instagram postete – inklusive Schamhaar, das hinter dem Bikini hervorlugte – gab es einen Skandal.
    Collins Instagramaccount wurde gesperrt. Dieses Tabu thematisiert auch der Elektro-Avantgardist Matthew Herbert mit seinem neuen Album „A Nude – The Perfect Body“. Musik, die ausschließlich aus Körpergeräuschen besteht, vom Schnarchen bis zum Sex. Vom Schlucken bis zum Gegenteil davon. Matthew Herbert erinnert uns daran, was ein Körper – jenseits der perfekten Abbildung – wirklich ist. Mit Charles Baudelaire gesprochen: „Herr, gib mir die Kraft und den Mut, mein Herz und meinen Körper ohne Ekel zu betrachten!“ (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 29.10.20163sat

Cast & Crew

Sendetermine

Sa 29.10.2016
19:30–20:00
19:30–
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