Flug 93
- F / GB / USA 2006 (United 93, 110 Min.)
- Drama

Während am 11. September 2001 Flugzeuge ins World Trade Center und ins Pentagon rasen, stürzt ein viertes gekapertes Flugzeug mit Kurs auf Washington über freiem Feld in Pennsylvania ab. Die Maschine geht dort zu Boden, weil die Passagiere bis zuletzt Widerstand gegen die Entführer leisten. – Die beklemmende, fast dokumentarische Erzählweise macht den Film zu einem Paradebeispiel medialer Adaption von authentischen Ereignissen. Ein Datum, das zur Chiffre für die Katastrophe wurde: Der Terroranschlag des 11. September 2001 kostete Tausende das Leben, als vier Flugzeuge von ihren islamistischen Entführern zur tödlichen Waffe umfunktioniert wurden.
Jeder kennt die Bilder von den beiden Maschinen, die nacheinander über New York in beide Türme des World Trade Centers rasten, während nahezu zeitgleich ein drittes Flugzeug in Washington auf das Pentagon stürzte. Über das Schicksal der vierten Maschine, die wegen des Widerstands der Passagiere nicht in Washington, sondern in einem Waldstück in Pennsylvania zerschellte, drehte der britische Regisseur Paul Greengrass fünf Jahre später den Film „Flug 93“, ein beklemmendes Doku-Drama, das die Ereignisse an Bord der United Airlines-Maschine und am Boden in der Flugsicherung rekonstruiert.
Über das genaue Ziel der vierten, auf ihrem Weg von New York nach San Francisco entführten Maschine, die (wie schon das auf das Pentagon gestürzte Flugzeug) ebenfalls Washington anflog, kann nur gemutmaßt werden. Fest steht, dass der Plan der Entführer am Widerstand der Passagiere scheiterte, die aufgrund der banalen Tatsache, dass ihre Maschine mit 40-minütiger Verspätung startete und deshalb nicht mehr gleichzeitig mit den anderen entführten Flugzeugen in ihr Unglück rasen konnte, über Handykontakte zur Außenwelt wussten, was auf sie zukam.
Ganz normale Fluggäste wurden zu unfreiwilligen Helden, die zwar nicht ihr Leben, aber das unzähliger Anderer retteten, weil sie in einer ausweglosen Situation die Initiative ergriffen. Basis des Drehbuchs waren Interviews, die Regisseur Paul Greengrass mit Angehörigen der 40 Passagiere und der Crew, mit Fluglotsen, Militärs und Mitgliedern der 9/11-Untersuchungskommission führte sowie die Aufzeichnungen der Piloten-Gespräche – und natürlich die Ergebnisse der offiziellen Untersuchung.
Besetzt mit eher unbekannten Darstellern und etlichen Laien aus dem Bereich der Luftfahrt, ist „Flug 93“ ein Ensemblefilm ohne herkömmliche Protagonisten. Für die Rolle des Captain Jason Dahl verpflichtete man den ebenfalls für United Airlines arbeitenden Berufspiloten J. J. Johnson, zwei reale Stewardessen spielen die Stewardessen der Maschine.
Ein Fluglotse, ein Militärexperte, zwei Mitglieder einer militärischen Kommandozentrale der Luftverteidigung und Ben Sliney von der Flugsicherungsbehörde, alles Männer, die an diesem Tag Dienst hatten, spielen sich selbst, die Dialoge werden entlang der bekannten Tatsachen improvisiert. Mit den Mitteln sorgfältigster Recherche ein Maximum an Authentizität herzustellen, war in diesem Fall ein unerreichbares Ziel, also definierte Greengrass seinen inhaltlich-ästhetischen Anspruch über den Begriff der „glaubhaften Wahrheit“.
Denn was sich an Bord des Flugzeugs wirklich abspielte, wird man nie genau erfahren: „Flug 93“ ist eine auf Fakten aufbauende Spekulation. „40 ganz gewöhnliche Menschen haben nur 30 Minuten Zeit, die neuen Realitäten zu begreifen und darauf zu reagieren. Während wir alle noch ohnmächtig die Ereignisse im Fernsehen betrachteten, waren diese Leute zu schnellem Handeln gezwungen. Die Menschen an Bord wussten, was vor sich ging, und sie standen vor einer schwierigen Entscheidung.
Bleiben sie einfach ruhig sitzen und hoffen auf ein gutes Ende? Unternehmen sie etwas? Und wenn, was können sie unternehmen?“ (Paul Greengrass) Der Brite Paul Greengrass („Die Bourne Verschwörung“, „Das Bourne Ultimatum“), der mit „Bloody Sunday“ bereits bewiesen hatte, wie überzeugend er mit den Mitteln des Dokumentarfilms chaotische Ereignisse zu einer dramatischen Handlung bündeln kann, hat das nahezu Unmögliche vollbracht: Eine glaubhafte Rekonstruktion des Flugs, der 78 Minuten nach dem Aufprall der ersten Maschine auf das World Trade Center in Pennsylvania tödlich endete.
Die Tragödie entfaltet sich in Realzeit, so dass man als Zuschauer, der den Fortgang der Ereignisse ja kennt, von den Start-Vorbereitungen der Crew bis zur Ankunft der Passagiere auf dem Flughafen genügend Zeit hat, jede noch so kleine Routinehandlung mit emotionaler Bedeutung aufzuladen. Dabei entsteht eine Spannung, die sich bis zum schrecklichen Ende steigert.
Gleichzeitig wird man bei Flugsicherung und Behörden mit einer Hilflosigkeit konfrontiert, die jede Vorstellung von souveränem staatlichem Handeln in Krisensituationen als frommen Wunsch entlarvt. Die extrem bewegliche Handkamera des Ken-Loach-Stamm-Kameramanns Barry Akroyd (u.a. „Sweet Sixteen“, „Mein Name ist Joe“), der für einen Oscar nominierte Schnitt und die ausgetüftelte Tonspur erzeugen auf sehr kunstvolle Weise ein Gefühl von Realismus, das weder durch Pathos noch durch Sentimentalität versüßt wird.
Stattdessen treffen die Ereignisse den Zuschauer – quasi ungefiltert – in ihrer ganzen unverdaulichen Wucht: als „Glaubhafte Wahrheit“, nicht als Tatsachenbericht, nicht als Analyse. „’Flug 93’ ist Kino pur, er zeigt etwas, bei dem es keine Zuschauer, keine Zeugen gab – nur Beteiligte, von denen keiner überlebte. Er zeigt es als eine Möglichkeit, 9/11 nicht nur als hilflose Opfer einer Attacke zu erleben, eine Art Alamo-Effekt – zum Helden zu werden, gerade in auswegloser Situation, in der Niederlage, im Tod.
Einem Geschehen, einer Handlung einen Sinn verleihen, die im Grunde ins Absurde driftet.“ (Süddeutsche Zeitung) Redaktionshinweis: Wie haben sich US-Filmemacher mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und ihren Folgen, mit Krieg und Daten-Überwachung befasst? „Flug 93“ ist der Auftakt der 3sat-Reihe „Die amerikanische Angst“ mit insgesamt zehn Spiel- und Dokumentarfilmen, die sich 15 Jahre nach 9/11 mit den Anschlägen und den Folgen auseinandersetzen. Die Reihe endet am Freitag, 14. Oktober, 22:35 Uhr, mit dem Spielfilm „Good Kill – Tod aus der Luft“. (Text: 3sat)
Originalsprache: Englisch
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