5 Folgen, Folge 1–5

  • Folge 1
    Brücken und Straßen bröckeln, Großprojekte verzögern sich, die Digitalisierung bleibt auf der Strecke – in Deutschland klafft die Sanierungslücke. Der Investitionsstau in Städten und Kommunen erreicht mittlerweile den Rekordwert von 159 Milliarden Euro. Der Städte- und Gemeindebund beklagt: Deutschland lebt von der Substanz. Besonders groß ist der Sanierungsbedarf bei der Verkehrsinfrastruktur. Beispiel die A1 bei Leverkusen: Seit vielen Jahren ist die marode Autobahnbrücke über dem Rhein ein Nadelöhr. Pendler stehen auf der Brücke im Dauerstau.
    Lkw werden umgeleitet. Helmut Schmitz, Speditionsunternehmer aus Pulheim bei Köln, steht mit seinem Fahrer Thomas an der Deutschlandkarte in seinem Büro und plant die nächsten Routen. Genervt berechnet er die Kilometer der nächsten Speditionsfahrt. „Seit Jahren ist die Rheinbrücke wegen Einsturzgefahr für Lkw gesperrt. Das heißt, wir müssen dieses Verkehrsnadelöhr weitläufig umfahren. Wie viel Zeit und Geld mich das kostet, interessiert keinen!“ Rund 10 000 Euro kosten Schmitz die Umfahrungen und der Mehraufwand pro Monat.
    „Diese Dauerbaustelle ist für mich schlichtweg geschäftsschädigend!“ Auch Matthias Spengler ist hinsichtlich der nicht endenden Baustelle fassungslos. Er sowie rund 15 000 weitere Menschen aus der Region arbeiten bei den Ford-Werken direkt an der A1. Und er steht jeden Morgen und Abend auf der Brücke im Stau, denn wie die meisten seiner Kollegen pendelt er mit dem Auto: „Hier herrscht eigentlich rund um die Uhr Chaos. Ein täglicher Wahnsinn.“ Wie viele Andere kritisiert Matthias nicht nur die Bauumstände, sondern das komplette Projekt: „Anstelle Millionen in dieses Pfuschprojekt zu stecken, hätte man lieber in eine zukunftsorientierte Tunnellösung investieren sollen!“ Wie bei so vielen Autobahnbaustellen in Deutschland ist ein Ende erst mal nicht in Sicht.
    Das Land Nordrhein-Westfalen hatte der bisherigen Baufirma gekündigt, weil sie mangelhaften Stahl aus China bestellt hatte. Jetzt soll eine neue Baufirma ihr Glück versuchen. Die geplanten Kosten haben sich mittlerweile verdoppelt.
    Auch in den Innenstädten gibt es Ärger mit dem Verkehr. Zum Beispiel in Esslingen in Baden-Württemberg. Wie viele Esslinger radelt Christian Henkel mit seiner kleinen Tochter im Anhänger täglich durch die Stadt zur Kita – und dabei auch über die Pliensaubrücke. Nach 13 Monaten Sanierung wurde die historische Fahrradbrücke im April 2020 wiedereröffnet und im August wieder geschlossen, da die Brüstung zu niedrig ist. „Da werden drei Millionen investiert, und dann passiert so ein Skandal!“, empört sich Henkel.
    Doch nicht nur die Esslinger Radfahrer leiden im Verkehr. Sabine Riedl ist ambulante Altenpflegerin und täglich mit dem Auto in der Stadt unterwegs. „Ich wohne außerhalb und arbeite in der Stadt. Bei meinen Touren plane ich für Staus und Umwege inzwischen jeden Tag mindestens eine Stunde zusätzlichen Puffer ein. Zeit, die mir niemand bezahlt.“ Im Schritttempo passiert sie mit zig anderen Pendlern die Adenauerbrücke. Hier wurde aus Sicherheitsbedenken das Tempo auf 30 km/​h gedrosselt. Zwischenzeitlich war die Brücke ganz gesperrt.
    „Da ist diese wichtige Zubringerbrücke nicht mehr sicher, und die planen jetzt eine Sanierung ab 2024. Dieses Chaos geht jetzt also noch über Jahre. Das ist doch einfach nicht zu glauben!“ Wer von Auto auf die Bahn umsteigen will, dem geht es kaum besser. In Deutschland sind 123 wichtige Städte und Gemeinden nicht an den Personenverkehr der Bahn angebunden. Mit der Neubelebung stillgelegter Eisenbahnstrecken könnten mehr als drei Millionen Menschen wieder ans Schienennetz angebunden werden.
    Laut einer „Reaktivierungsliste“ vom „Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)“ und der „Allianz pro Schiene e.V.“ lassen sich 238 Strecken mit insgesamt 4016 Kilometern Länge wieder nutzen. Beispiel, der Regionalverkehr rund um Bad Sulza in Thüringen. Ende 2017 wurde die Bahnstrecke zwischen Buttstädt und Großheringen geschlossen. Seitdem braucht Elke Jung doppelt solange zur Arbeit. „Vor vier Jahren war das noch so einfach. Ich bin hier im Ort in Bad Sulza eingestiegen, einmal umsteigen in Großheringen, und dann war ich in 30 Minuten in Jena.
    Jetzt muss ich erst in den Westen nach Weimar.“ Auch wirtschaftlich haben Gewerbe in der Region durch die Stilllegung der Strecke Nachteile. Marion Schneider von der Therme in Bad Sulza sagt: „Wir haben eine Umfrage gemacht. Seit der Stilllegung haben wir hier im Bad wesentlich weniger Besucher aus Jena. Vielen ist es einfach zu umständlich, hierher zu kommen.“ Viele Städte und Gemeinden in Deutschland kämpfen um den Anschluss. Ganze Stadtviertel verfallen, die Kassen der Kämmerer sind leer.
    Wichtige soziale Einrichtungen wie Schulen oder Schwimmbäder werden nur mühsam oder gar nicht mehr instand gesetzt. Und in vielen Fußgängerzonen sieht es auch trostlos aus. Geschäfte stehen leer, Plätze sind verwaist oder laden nicht zum Verweilen ein. Auch Oldenburg litt wie viele andere Städte unter dem Leerstand in der Innenstadt. Besonders das ehemalige Hertie-Gebäude stand lange Zeit leer. Dann haben sich die Unternehmer der Stadt zusammengetan und in dem Gebäude im Zentrum das Core-Projekt gestartet.
    „Der klassische Einzelhandel hat keine Zukunft mehr, das lockt die Menschen nicht mehr an. Das zeigt sich jetzt mehr denn je. Wir wollten für alle Oldenburger einen Ort für Innovation, Arbeit, Gastronomie und Erlebnis schaffen“, erklärt Projektleiterin Lisa Bürger. „Wir haben hier im Zentrum jetzt einen Ort des Zusammenkommens, der die Leute, auch Unternehmer, wieder in die Innenstadt lockt.“ Das Projekt wird von vielen lokalen Unternehmern finanziell unterstützt. Auch über 100 Oldenburger haben sich bisher per Crowdinvesting an dem Projekt beteiligt. Eine „ZDF.reportage“, die zeigt, wo Deutschland es einfach besser machen kann. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 16.05.2021ZDFDeutsche Online-PremiereFr 14.05.2021ZDFmediathek
  • Folge 2
    Vorschriften, Verordnungen, Gesetze – die Bürokratie hat uns Bürger fest im Griff: Wir stehen Schlange vor Schaltern, verzweifeln an Formularen. Regelwut statt Innovation bremst das Land. Bürokratie schafft Ordnung, weil sich alle an dieselben Regeln halten müssen: von A wie Altersgeldgesetz bis Z wie Zweitwohnsteuer. Doch so mancher Behördengang wird zur Geduldsprobe: Nach Stunden auf dem Amt fehlt am Ende immer noch ein wichtiges Dokument. Kein Wunder, dass viele Bürger einen Urlaubstag opfern, um ihr Auto anzumelden oder einen neuen Ausweis zu beantragen.
    Laufkundschaft ist bei den meisten Behörden nicht mehr gern gesehen. Auch eine Zulassung ist nur mit Terminvereinbarung möglich. Und das kann dauern. Mehrere Wochen sind keine Seltenheit, also übt sich Autohändler Foti in Geduld, wie jedes Jahr im Frühling. Auf dem Hof stehen die verkauften Neuwagen – im Geschäft die verärgerten Kunden. Die Lage ist für den Händler doppelt misslich: Er bekommt sein Geld erst, wenn die Fahrzeuge zugelassen sind. Die Bürokratie erstreckt sich auf alle Bereiche unseres Lebens. Vorschriften, Auflagen und Berichtspflichten sind allgegenwärtig: „Wenn ich mehr Geld dafür bekomme, einen Antrag für die Rentenversicherung auszufüllen, als einen Patienten zu Hause zu besuchen, dann stimmt da irgendwas nicht“, erklärt Rainer Albrecht.
    Der 50-Jährige ist passionierter Landarzt, betreibt seine Praxis seit 17 Jahren. Die überbordende Bürokratie ist der Grund dafür, dass Albrecht seine Zulassung zurückgibt. 2023 sperrt er seine Praxis in Oberostendorf zu. Auch das Handwerk klagt über eine allumfassende Dokumentations- und Nachweispflicht: Der Kassenbon beim Bäcker ist nur ein kleiner Teil der Pflichten und Regelungen.
    Tobias Exner verwaltet geradezu ein Aktenarchiv. Für jedes Backerzeugnis muss er die Zutaten dokumentieren und auch jedes Brot, das er der Tafel spendet, einzeln aufführen. Gerade hat Exner einen Bußgeldbescheid von der Hygienebehörde auf dem Tisch, weil auf dem Etikett für einen Mohnstollen kleine Fehler sind: „Konservierungsmittel“ anstatt „Konservierungsstoff“ hätte dort stehen müssen. Dokumentation ist wichtig, das sieht auch Exner ein, „aber muss alles so penibel sein?“ Unsere Bürokratie ist teuer und langsam, bringt uns um Fortschritt und Wohlstand, so die Kritik.
    Das zeigt sich vor allem bei der erneuerbaren Energie. Deutschland hat eine hoch entwickelte Photovoltaik-Technik. Doch private Häuslebauer, die ihren Strom auf dem eigenen Dach gewinnen wollen, verzweifeln oft an bürokratischen Hürden. Je nach Größe der Anlage sind sie plötzlich Energieerzeuger. Als Bauherr ist man am besten auch noch Jurist und Steuerfachmann, um das Beamtendeutsch im Kleingedruckten zu verstehen: „Sich rechtskonform zu verhalten wird zur Wissenschaft“, so die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 23.05.2021ZDFDeutsche Online-PremiereFr 14.05.2021ZDFmediathek
  • Folge 3
    Marode Schulen und ramponierte Universitäten, Fachkräftemangel in vielen Branchen und eine digitale Infrastruktur, die Bürger und Unternehmer verzweifeln lässt. Deutschland 2021. Bildungsweltmeister und Forschungschampion – das war einmal. Längst sind andere Länder weiter, ob bei der Internetgeschwindigkeit oder darin, neue Produkte und Ideen für die Zukunft zu entwickeln und sie erfolgreich zu vermarkten. Und nicht nur Hightech-Unternehmen klagen. Installateur- und Heizungsbauermeister Christian Klemm in Düsseldorf macht sich Sorgen. „Uns fehlen Leute, ausbildungsfähige Schüler.
    Die Schulen entwickeln sich in die falsche Richtung, gleichzeitig werden die Berufe immer anspruchsvoller.“ Statt nur Muskeln, um die Badewanne in den dritten Stock zu tragen, brauchen die Azubis heute viel mehr technisches Verständnis, zum Beispiel um ein vernetztes Haus zu programmieren. Klempner, Sanitärinstallateure sowie Heizungs- und Klimatechniker sind schon jetzt die begehrtesten Arbeitskräfte in Deutschland. In keiner anderen Branche dauert es so lange, freie Stellen zu besetzen. Aber auch viele andere Branchen sind betroffen.
    56 Prozent der Unternehmen in Deutschland sehen den Fachkräftemangel als das größte Geschäftsrisiko. Zukunftsfähig sein, das ist auch für die Firmen im südhessischen Rimbach an der Bergstraße seit Jahren ein Thema. Hier hat unter anderem das Schwertransportunternehmen von Volker Bäuml seinen Sitz. Der ländliche Standort wird mehr und mehr zum Nachteil für den Unternehmer, denn Internet gibt es hier bislang nur im Schneckentempo. „Oft müssen wir Dateien über Nacht verschicken oder mit nach Hause nehmen, wenn wir dort eine bessere Verbindung haben! Die Politik hat jahrelang verschlafen und verkannt, wie wichtig das Thema ist!“ Unternehmer Bäuml ist darauf angewiesen, große Datenmengen fristgerecht zu verschicken.
    „Wenn das nicht klappt, verliere ich im schlimmsten Fall Aufträge.“ Auch in Sachen Bildung spielt Deutschland längst nicht mehr überall oben mit. Die „ZDF.reportage“ besucht Schulen und lernt die Sorgen von Eltern, Schülern und Lehrern kennen. Die größten Probleme neben der Digitalisierung: Lehrermangel, marode Gebäude und schlechte Ausstattung.
    Diese Sorgen kennt auch Volker Epping. Der Präsident der Leibniz Universität in Hannover beklagt den massiven Sanierungsstau in Niedersachsen. Er zeigt bröckelnde Fassaden, eine abgenutzte Mensa und Labore, die so baufällig sind, dass sie aus Sicherheitsgründen geschlossen werden mussten. „Das größte Problem ist, dass wir unseren Wissenschaftlern und den Studierenden nicht die notwendigen Einrichtungen zur Verfügung stellen können“, so Epping. Allein der Leibniz Universität fehlen laut Epping rund 420 Millionen Euro, um alle Gebäude zu sanieren.
    Lange galt Deutschland als ein weltweit angesehener Innovationsstandort, immer öfter hört man aber inzwischen kritische Stimmen: In der Werft Hermann Barthel in Derben entsteht derzeit unter der Leitung von Gerd Holbach, Professor am Institut für Land- und Seeverkehr der TU Berlin, ein weltweit einzigartiger Prototyp: ein Wasserstoff-Schubboot. Zukunftstechnologie pur: „Wir sind weltweit die Ersten, die ein solches Schiff bauen.“ Technisch eine riesige Herausforderung für Schiffsbauer und Ingenieure. Mindestens genauso steinig aber ist der Weg bis zum Projektstart.
    Anderthalb Jahre lang versuchen Prof. Gerd Holbach und sein Team, eine Zulassung zu bekommen. „Versuchen sie mal, in Deutschland etwas zuzulassen, was es nicht gibt. Das ist quasi unmöglich! Alle fanden die Idee super, aber zulassen wollte das Schiff niemand. Typisch deutsches, regulatives Denken, was uns immer wieder behindert.“ Die Folge der deutschen Fortschrittsfeindlichkeit: Top-Leute aus den Naturwissenschaften, der Medizin oder aus Ingenieurberufen kehren dem Land den Rücken und suchen ihr Glück im Ausland, wo bessere Arbeitsbedingungen herrschen oder die Löhne höher sind.
    Innerhalb des letzten Jahrzehnts haben im Durchschnitt pro Jahr rund 180 000 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit ihre Heimat verlassen. Laufen Deutschland die schlauen Köpfe davon? Klar ist: Dreiviertel der Auswanderer sind Akademiker. Beliebtestes Land bei den Auswanderern ist die Schweiz. Für Experten wie Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, ist das ein großes Problem: Für eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die stark auf gut ausgebildete Menschen angewiesen ist, sei das keine gute Nachricht. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 30.05.2021ZDFDeutsche Online-PremiereFr 14.05.2021ZDFmediathek
  • Folge 4
    Die Verwaltung soll der Gesellschaft dienen, doch häufig blockiert sie, bremst aus. „Abstempeln“ statt „Dienst am Bürger“ – so kommt es vielen vor. Bäcker wälzen Akten, statt Teige zu kneten, Ärzte ersticken in Papierkram, statt Patienten zu behandeln, Gerichte befassen sich mit Bagatelldelikten, während ihnen die großen Fische durch die Lappen gehen. Muss das alles sein? Landarzt Dr. Rainer Albrecht im Allgäu ist notorisch überlastet. Von weit her kommen sie zu ihm in die Praxis. Zwischenzeitlich hat er einen „Aufnahmestopp“ verhängt.
    Sein Problem: Viel zu viel Zeit geht für Bürokratie drauf, während Patienten auf ihn warten müssen. Alles muss schriftlich begründet werden. Warum jemand zur Kur muss, warum ein anderes Medikament als das übliche notwendig ist. Dr. Albrecht reicht es, er will aufgeben. Und er ist nicht der Einzige. Dr. Ilka Enger vom Berufsverband der Internisten sieht das ähnlich: Die Bürokratie in der Medizin ist für viele Ärztinnen und Ärzte eine schwere Last. Dass Digitalisierung dringend notwendig ist, ist auch der Kfz-Zulassungsstelle längst bekannt.
    Doch vielerorts geht es einfach nicht richtig voran. Für Autohändler bringt das herbe finanzielle Verluste. Auf ihren Parkplätzen stehen die Neuwagen dicht an dicht. Doch ohne Zulassung zahlen die Kunden nicht. Ein Ärgernis, das Unternehmer wie Käufer wütend macht. Bei Bäcker Exner in Brandenburg sind es die Vorschriften zur Verwahrung von Unterlagen, die ihm Kopfzerbrechen bereiten. Einen riesigen Archiv-Raum braucht er mittlerweile, vollgestellt mit Akten über Lieferscheine.
    Zehn Jahre muss er außerdem die alten Computer aufheben. Alles doppelt gemoppelt. Hinzu kommen komplizierte Vorschriften über Kennzeichnungen. Alles muss draufstehen. Er wird zum Büromensch, dabei ist er doch Bäcker! Die komplexen Vorschriften bei der Fotovoltaik-Technik bremsen die notwendige Energiewende aus. Jeder weiß, wie wichtig es ist, möglichst viel Sonnenenergie zu nutzen. Doch willige Hausbesitzer werden durch aufwendige Antragsprozeduren vergrault. Ein Start-up hat sich gegründet, nur um die Bürokratie bei Fotovoltaik zu bewältigen, und lässt sich das natürlich auch gut entlohnen.
    Dabei ginge es einfacher, wie andere Länder zeigen. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung meint, dass die deutsche Regierung sich zu sehr von Lobbyisten zugunsten der Großindustrie beeinflussen ließ, und die Bürokratie tat das ihrige. Jede Bundesregierung schreibt Entbürokratisierung ins Programm. Wie viel Fortschritt gab es? Und wie kann Deutschland endlich zu vereinfachten Regelwerken kommen, die den Bürgern das Leben erleichtern, statt es zu erschweren? (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereMi 28.07.2021ZDFinfo
  • Folge 5
    Die Infrastruktur eines Landes soll die Wirtschaft voranbringen, für Arbeit und Wohlstand sorgen. Doch in Deutschland klemmt es – vieles ist „kaputtgespart“. Viele unserer Schulen und Universitäten sind marode. Das gleiche Bild im Verkehrssektor: abgenutzte Straßen und Brücken. Und auch auf vielen Zukunftsfeldern ist Deutschland nicht mehr an der Spitze. Muss das so sein? Seit Jahren ist die Rheinbrücke auf der A1 bei Leverkusen wegen Einsturzgefahr für Lkw gesperrt. Für Speditionsunternehmer wie Helmut Schmitz aus Pulheim ist das extrem geschäftsschädigend.
    Seine Fahrer stehen auf den Umfahrungsstrecken ständig im Stau. Der Grund für die Situation: Das Land Nordrhein-Westfalen hatte der bisherigen Baufirma gekündigt, weil sie mangelhaften Stahl aus China bestellt hatte. Die Schäden an dem Bauwerk sind exemplarisch für viele deutsche Brücken. Ein Großteil stammt aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Damals wurden Materialien verbaut, die das heutige Verkehrsaufkommen nicht verkraften. Nicht nur Brücken, deutsche Straßen im Allgemeinen sind an vielen Stellen marode.
    Die Stadt Krefeld etwa ist eine einzige Schlaglochpiste. Rund ein Viertel aller Straßen waren laut eines Gutachtens 2019 in sehr schlechtem Zustand. Wie viele Krefelder leidet Taxifahrer Andreas Dreißig unter der Situation und verlangt, dass die Stadt mehr in Sanierungsarbeiten investiert. Doch Monika Sellke vom zuständigen Kommunalbetrieb erklärt, dass das Geld in Krefeld anderweitig dringender benötigt würde, etwa für Hartz-IV-Zahlungen. Und so geht es vielen Gemeinden.
    Die Investitionsrückstände der deutschen Kommunen im Bereich „Kommunale Straßen und Verkehrsinfrastruktur“ liegen laut KfW bei 37,1 Milliarden Euro. Neben dem Verkehrssektor wurden auch öffentliche Gebäude „kaputtgespart“ – allen voran die deutschen Bildungseinrichtungen. Die Fritz-Karsen-Schule in Berlin ist ein solcher Sanierungsfall. Schulleiter Robert Giese beklagt massive Wasserschäden, Werkräume, die seit Jahren unbenutzbar sind, und eine Stützkonstruktion aus Holz im Keller, die die Statik sichern muss.
    Die Liste ist lang. 18 Millionen Euro beträgt der Sanierungsstau allein an dieser Schule. Die KfW beziffert den Investitionsbedarf zur Sanierung aller Schulen in Deutschland auf über 44 Milliarden Euro. Auch an Deutschlands Unis bröckelt es. Insgesamt rechnen die Hochschulen in Deutschland bis 2025 mit einem Sanierungsstau ihrer baulichen Infrastrukturen von 35 Milliarden Euro. Die analoge Infrastruktur ist aber nur ein Teil des Problems. Gerade in Zeiten der Pandemie zeigt sich, wie sehr Deutschland in Sachen Digitalisierung und Lernen über das Internet anderen Industrienationen hinterherhinkt.
    An der Willy-Brandt-Gesamtschule in Bochum zeigt sich, wie getätigte Investitionen ins Leere laufen: IPads werden angeschafft, aber die für den Internetzugang benötigten Server nicht. Auch außerhalb von Bildungseinrichtungen gibt es in Deutschland Nachholbedarf bei der Digitalisierung – vor allem beim Breitbandausbau auf dem Land. Im südhessischen Rimbach ist Schwertransportunternehmer Volker Bäuml darauf angewiesen, große Datenmengen fristgerecht zu verschicken, um Aufträge nicht zu verlieren.
    Doch Internet gibt es hier bislang nur im Schneckentempo. Verantwortlich dafür macht er die Politik. Sie habe den Ausbau verschlafen und jahrelang verkannt, wie wichtig das Thema sei. Das belegt auch der weltweite Vergleich der Internet-Geschwindigkeit. Hier ist Deutschland unter den Top 30 nicht vertreten und landet noch hinter Ländern wie Polen, Lettland oder Panama. Ein weiteres großes Problem in Deutschland ist der Fachkräftemangel.
    Christian Klemm ist Inhaber eines Installationsbetriebs in Düsseldorf. Was ihm fehlt, sind brauchbare Azubis. Bei den wenigen Bewerbern scheitert es oft schon am Dreisatz. 65 000 Handwerker fehlen bundesweit. Ein Grund für den Fachkräftemangel: der sogenannte Brain Drain. Er beschreibt den Abfluss kluger und für den Fortschritt unseres Landes wichtiger Köpfe. So wie Anästhesie-Arzt Ingmar Krumm. Die schlechten Arbeitsbedingungen in Deutschland mit 60 bis 70 Stunden in der Woche wollte er nicht mehr mitmachen.
    Vor zwölf Jahren hat er die Reißleine gezogen und ist mit seiner Frau in die Schweiz ausgewandert, um hier zu besseren Bedingungen arbeiten zu können. Obwohl Anästhesisten in Deutschland dringend gesucht werden. Deutschland hat ein ganzes Paket von Herkulesaufgaben zu meistern. Um zukunftsfähig zu bleiben, bedarf es langfristiger Planung und enormer Investitionen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft geht von 450 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren aus, die zusätzlich ausgegeben werden müssen, um bestehende Investitionslücken zu schließen und als Standort attraktiv zu bleiben. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereMi 28.07.2021ZDFinfo

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